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Bilanzpolitik im HGB

Definition: Was ist "Bilanzpolitik im HGB"?

Unter den Begriff der Bilanzpolitik fallen alle legalen Maßnahmen, die der Bilanzierende innerhalb des Jahresabschlusses und Lageberichts ergreift, um die Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens inhaltlich und/oder formal so zu gestalten, dass bei den Adressaten bestimmte Reaktionen hervorgerufen bzw. vermieden werden.

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Inhaltsverzeichnis

    1. Begriff
    2. Ausnutzen expliziter Ansatz- und Bewertungswahlrechte
    3. Ausnutzen faktischer Ansatz- und Bewertungswahlrechte
    4. Formale Gestaltungsmöglichkeiten
    5. Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen
    6. Grenzen der Bilanzpolitik

    Begriff

    Unter den Begriff der Bilanzpolitik fallen alle legalen Maßnahmen, die der Bilanzierende innerhalb des Jahresabschlusses und Lageberichts ergreift, um die Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens inhaltlich und/oder formal so zu gestalten, dass bei den Adressaten bestimmte Reaktionen hervorgerufen bzw. vermieden werden.

    Ausnutzen expliziter Ansatz- und Bewertungswahlrechte

    Explizite Ansatzwahlrechte ermöglichen dem Unternehmen eine zielgerichtete Darstellung der finanziellen Unternehmenssituation und begünstigen die Bilanzpolitik, indem sie es in das Ermessen des Unternehmens stellen, bestimmte Ausgaben erfolgsneutral zu bilanzieren oder sofort gewinnmindernd auszuweisen. Zwar wurde im HGB ihre Anzahl durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) vom 25.5.2009 (BGBl. I 2009, 102 ff) erheblich reduziert; bedeutende Bilanzierungswahlrechte, wie das Aktivierungswahlrecht des Disagios (§ 250 III HGB) und der aktiven latenten Steuern (§ 274 II HGB) sowie das Passivierungswahlrecht für Pensionsverpflichtungen, die vor dem 1.1.1987 begründet wurden (Art. 28 I EGHG), bestehen aber fort. Neu hinzugekommen ist durch das BilMoG das Wahlrecht zur Aktivierung selbstgeschaffener immaterieller Anlagegegenstände (§ 248 II 1 HGB).

    Explizite Bewertungswahlrechte berechtigen den Unternehmer dazu, zwischen mehreren, sich der Höhe nach unterscheidenden Werten auszuwählen. So steht es im Ermessen des Unternehmens „angemessene Teile der Kosten der allgemeinen Verwaltung sowie angemessene Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen und für die betriebliche Altersversorgung“ bei der Ermittlung der Herstellungskosten der selbsterstellten Erzeugnisse und Sachanlagen zu berücksichtigen, „soweit diese auf den Zeitraum der Herstellung entfallen“ (§ 255 II 3 HGB). Auch gesetzlich näher konkretisierte Finanzierungskosten (§ 255 III 2 HGB) dürfen in die Herstellungskosten einbezogen werden, müssen es aber nicht. Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich ferner bei der Ermittlung der Anschaffungskosten für „gleichartige Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens sowie andere gleichartige oder annähernd gleichwertige bewegliche Vermögensgegenstände und Schulden“, deren Bewertung anhand von Gruppen- und/oder Sammelverfahren erfolgen kann (§ 240 HGB), wobei das Unternehmen die Möglichkeit hat, die Folgebewertung gleichartiger Vorratsgegenstände durch die Wahl des Ver­brauchs­folgeverfahrens (Lifo- oder Fifo-Ver­fah­ren; § 256 HGB) zu steuern. Für die Folgebewertung ergeben sich bilanzpolitische Spiel­räu­me insbesondere aus dem gemilderten Niederstwertprinzip für Finanzanlagen (§ 253 III 4 HGB).

    Ausnutzen faktischer Ansatz- und Bewertungswahlrechte

    Auf der Aktivseite bestehen faktische Wahlrechte insbesondere bei selbstgeschaffenen immateriellen Anlagewerten. Zwar dürfen diese Bilanzobjekte nur dann aktiviert werden, wenn das Unternehmen aus ihnen einen greifbaren, selbstständig bewertbaren zukünftigen finanziellen Vorteil erwartet. Sie entziehen sich aber einer Normierung und sind hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Existenz nur schwer nachweisbar. Zudem sind die Aktivierungsvoraussetzungen auslegungsoffen. Bewertungsspielräume resultieren aus der Verpflichtung originäre immaterielle Anlagewerte mit ihren Entwicklungskosten zu aktivieren (§ 255 IIa HGB), während für Forschungskosten ein Aktivierungsverbot besteht (§ 255 I 4 HGB) besteht; denn die Grenze zwischen Forschung und Entwicklung verläuft fließend. Bei der Folgebewertung von Vermögensgegenständen eröffnen sich faktische Bewertungswahlrechte insbesondere bei der Bestimmung der zentralen Abschreibungsparameter (Nutzungsdauer, Abschreibungsverfahren) von Anlagegegenständen und der Ermittlung des niedrigeren, beizulegenden Wertes von Aktiva (Nachweis der gesunkenen Wertpotentiale und ggf. der Dauerhaftigkeit der Wertminderung).

    Auf der Passivseite sind die faktischen Wahlrechte besonders bei der Rückstellungsbilanzierung relevant, deren Ansatz und Höhe ganz entscheidend von Annahmen über den voraussichtlichen (Nicht-)Eintritt eines bestimmten Ereignisses und den damit verbundenen finanziellen Belastungen abhängt (z.B. Schadenersatzrückstellung). Das BilMoG erweitert die bilanzpolitischen Möglichkeiten durch die Vorgabe, Sachleistungsverbindlichkeiten (z.B. Garantierückstellungen) und indexbezogene bzw. wertgesicherte Verpflichtungen (z.B. Pensionslasten) zum voraussichtlichen Erfüllungsbetrag zu bewerten und Rückstellungen mit einer (Rest-)Laufzeit von mehr als einem Jahr abzuzinsen. Bewertungsspielräume ergeben sich bei der Schätzung zukünftiger, bewertungsrelevanter Kosten- und Preisänderungen sowie bei der Abzinsung langfristiger unverzinslicher Rückstellungen, die in fremder Währung zu erfüllen sind; denn während das Unternehmen langfristige in Euro zu erfüllende Rückstellungen auf der Grundlage des von der Bundesbank zu bestimmenden durchschnittlichen Marktzinssatzes der vergangenen sieben Geschäftsjahre abzinsen muss, steht die Bestimmung des Diskontierungszinses bei den übrigen Verpflichtungen in seinem Ermessen.

    Formale Gestaltungsmöglichkeiten

    Die formale Bilanzpolitik bezieht sich insbesondere auf die Art und Tiefe der Gliederung von Bilanz/GuV und die Zuordnung von Geschäftsvorfällen zu einzelnen Bilanz- und GuV-Posi­tio­nen. Durch die entsprechenden Maßnahmen greift der Bilanzierende in die Struktur des Jahresabschlusses ein, ohne die Höhe des Nettovermögens und des Geschäftserfolgs zu verändern, mit dem Ziel, bestimmte bei der Bilanzanalyse genutzte Kennzahlen (Verschuldungsgrad, Fremdkapitalquote) zu justieren oder generell Größenmerkmale (z.B. die Bilanzsumme) so zu vermindern, dass das Unternehmen größenabhängige Erleichterungen bei der Offenlegung und Prüfung des Jahresabschlusses in Anspruch nehmen kann (§ 276 HGB). Indem der Bilanzierende über bestimmte Sachverhalte im Anhang und nicht in der Bilanz/GuV berichtet (Anlagengitter; Laufzeitbänder von Verbindlichkeiten) und bestimmte Geschäftsvorfälle in der Bilanz/GuV offen oder verdeckt mit anderen Positionen saldiert, kann er die Wahrnehmung entscheidungsrelevanter Informationen durch den Empfänger des Jahresabschlusses beeinflussen.

    Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen

    Zu den sachverhaltsgestaltenden Maßnahmen zählen v.a. solche, die der Bilanzierende vor dem Bilanzstichtag ergreift, um die Bilanzstruktur optisch aufzuwerten, wie der Verkauf nicht betriebsnotwendiger Grundstücke oder die kurzfristige Kredittilgung bzw. -aufnahme und die zeitliche Verlagerung von Lieferungen und Leistungen in das alte (neue) Geschäftsjahr. Ferner zählen zu den sachverhaltsgestaltenden Vorgängen auch die nach dem Bilanzstichtag vorgenommenen Zuführungen oder Entnahmen aus den Rücklagen für Zwecke der Ausschüttungs- und Dividendenpolitik.

    Grenzen der Bilanzpolitik

    Die handelsrechtlichen GoB begrenzen die Möglichkeit einer ausufernden Bilanzpolitik. So ist der Unternehmer grundsätzlich dazu verpflichtet, einmal ausgeübte Wahlrechte auch in der Folgezeit stetig auszuüben (§ 252 I Nr. 6 HGB), die angewandten Bewertungsmethoden im Anhang offen zu legen (§ 284 II Nr. 1 HGB) und Abweichungen zum Vorjahr anzugeben und zu erläutern (§ 284 II Nr. 3 HGB). Zudem muss der Unternehmer im Anhang darüber informieren, wenn die (ggf. durch Bilanzpolitik verzerrten) Wertansätze in der Bilanz/GuV kein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Unternehmenslage vermitteln (§ 284 II 2 HGB). Bedeutende faktische Grenzen ergeben sich für die Bilanzpolitik zudem daraus, dass viele der bilanzpolitischen Ansatzpunkte nur einmal grundlegend ausgeübt werden können, und eine einmal vorgenommene Bilanzpolitik (aufgrund der Totalgewinnidentität) in nachfolgenden Perioden zwingend zu gegenläufigen Effekten führt.

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