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Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB)

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    1. Begriff: Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) für das Versicherungsgeschäft. Die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) formulierte Definition (§ 305 I S. 1 BGB) und die im Weiteren geregelten Bedingungen für die Gültigkeit von AGB gelten sinngemäß auch für AVB. Damit sind AVB eine an Gesetzen und der Rechtsprechung orientierte branchenspezifische Variante der AGB. Sie bilden einen Teil der vertraglichen Grundlagen des Versicherungsgeschäfts.

    2. Weitere Merkmale: Bei den AVB handelt es sich um Bestimmungen, die Versicherer ihren Kunden bei Abschluss von Versicherungsverträgen auferlegen und die keine individuellen Gegebenheiten berücksichtigen. Vielmehr sind die AVB Rahmenvereinbarungen, die vom Versicherungsunternehmen als Rechtsgrundlage der Versicherungsverträge auf der Basis von Gesetz und Rechtsprechung formuliert werden. AVB gibt es in abgewandelter Form für jede Versicherungssparte und für jeden Versicherungszweig. Sie regeln die generellen Vereinbarungen über die einzelnen Versicherungsverträge hinweg, wie z.B. die Prämienzahlung, die Leistungserbringung, die vorvertraglichen Pflichten, Ausschlüsse etc. Rechtstechnisch handelt es sich zwar um AGB; da die AVB in standardisierter Form die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien und v.a. den Umfang des Versicherungsschutzes (Produktbeschreibung) enthalten, bestimmen sie jedoch die Hauptleistung des Versicherungsprodukts und gehen daher inhaltlich und wirtschaftlich über AGB hinaus. Soll der konkrete Versicherungsvertrag von den Regelungen der AVB abweichen, wird dies separat in sog. Besonderen Versicherungsbedingungen (BVB) vereinbart, die dem Versicherungsvertrag beigefügt werden. Sonderbedingungen, Zusatzbedingungen, BVB und Klauseln sind allerdings ebenfalls AVB, wenn sie einer Vielzahl von Versicherungsverträgen zugrunde gelegt werden. Die AVB gehören seit der Deregulierung im Jahr 1994 nicht mehr zum Geschäftsplan und sind daher auch nicht mehr genehmigungspflichtig. Vgl. auch Bedingungskontrolle.

    3. Mindestinhalte der AVB: Der Gesetzgeber schreibt in § 10 VAG Mindestinhalte für AVB vor; die Versicherer können darüber hinaus weitere Tatbestände in die AVB aufnehmen. Vereinfacht ausgedrückt, müssen die AVB mindestens enthalten: die versicherten Ereignisse, Art, Umfang und Fälligkeit der Versicherungsleistungen, Fälligkeit der Prämien und Rechtsfolgen des Verzugs, Gestaltungsrechte des Versicherungsnehmers und des Versicherers, Obliegenheiten und Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers, Angaben über den Verlust des Anspruchs aus dem Versicherungsvertrag, wenn Fristen versäumt werden, die inländischen Gerichtsstände und die Grundsätze und Maßstäbe der Überschussbeteiligung (§ 10 I VAG). Bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit (VVaG) und öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen können die AVB auch in die Satzungen aufgenommen werden, ohne ihren Charakter zu verlieren (es liegt also auch dann keine Genehmigungspflicht vor). Für Rückversicherer (§ 121a VAG) und Versicherungsverträge über Großrisiken (siehe Art. 10 I S. 2 EGVVG) findet § 10 VAG keine Anwendung.

    4. Weitere rechtliche Vorschriften: Bis zur Deregulierung mussten die AVB dem Aufsichtsamt zum Zweck einer aufsichtsbehördlichen Bedingungsgenehmigung vorgelegt werden. Sie waren dadurch fast ausschließlich sparten- bzw. zweigbezogen formuliert. Die AVB unterlagen zwar auch danach und bis heute immer noch einer Rechtskontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Rahmen ihrer Rechtsaufsicht und der gerichtlichen Kontrolle insbesondere nach dem Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG). Aber eine Vorabgenehmigung und Vereinheitlichung findet seit 1994 nicht mehr statt. AVB mit gleichem Wortlaut sind nur im Rahmen enger kartellrechtlicher Grenzen (Gruppenfreistellungsverordnung) erlaubt. Bspw. kann ein Verband sog. Musterbedingungen aufstellen; diese dürfen jedoch weder Versicherungssummen noch Selbstbehalte nennen und zudem keine Risiken ausschließen, die einer Versicherungssparte bzw. einem Versicherungszweig i.d.R. zuzuordnen sind, und auch keine Kopplungen mit anderen Versicherungsgeschäften enthalten. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (VVG-Reform) zum 1.1.2008 und der mit ihm eingeführten Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (Informationspflichtenverordnung, VVG-InfoV) sind wesentliche sparten-/zweigübergreifende sowie sparten-/zweigbezogene Vorschriften verändert worden oder neu hinzugekommen, die eine Anpassung der AVB nach sich ziehen. Dies gilt für alle Neuverträge. Bei Altverträgen konnte der Versicherer die AVB zum 1.1.2009 ändern und an das neue Recht anpassen, soweit eine Anpassung nach der VVG-Reform erforderlich war. Zudem wurden in § 7 I VVG das Antragsmodell sowie in § 4 VVG-InfoV das sog. Produktinformationsblatt verankert.

    5. Würdigungen: Einerseits fand vor der Deregulierung aufgrund der Vorabgenehmigungspflicht und Vereinheitlichung durch die Aufsichtspraxis nahezu kein „Bedingungswettbewerb“ statt; andererseits führte diese Vereinheitlichung zu Markttransparenz auf der Kundenseite, da die Einheitlichkeit auch eine einfache Vergleichbarkeit nach sich zog. In den Jahren danach hat sich das stark verändert. Zahlreiche unterschiedliche, nebeneinander stehende Bedingungswerke wurden im Markt eingeführt, die für Versicherungsnehmer kaum mehr vergleichbar und zu beurteilen sind. Die nunmehr fehlende Transparenz hat dazu geführt, mit dem neuen VVG zahlreiche Informationspflichten einzuführen, was einer Reregulierung entspricht – im Übrigen nicht nur auf der Produktgestaltungs- und AVB-Seite, sondern auch im Vertrieb mit dem neuen Vermittlerrecht. Die Meinungen gehen auseinander, ob die mit der Deregulierung gewonnene Wettbewerbsfreiheit im Zusammenspiel mit der nunmehr erfolgten teilweisen Reregulierung im Saldo das Preis/Leistungs-Verhältnis für die Versicherungsnehmer verbessert oder nicht.

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