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Rechtsökonomik

Definition: Was ist "Rechtsökonomik"?

Die Rechtsökonomik (engl.: Law and Economics) betrachtet das Recht als ökonomischen Gegenstand. Vornehmlich Institutionen, Grundlagen und Strukturen des Rechts sowie Fragestellungen rechtlicher Natur werden vom Standpunkt der Volkswirtschaftslehre aus untersucht. Das Vorgehen verbindet Ökonomen und Juristen, deren Interesse dem Entscheidungsverhalten von Individuen gilt, die das Recht setzen, pflegen und anwenden oder als Wirtschaftssubjekt und Normadressat handeln. Dabei bedient sich die ökonomische Analyse des Rechts einer beachtlichen Breite an wirtschaftstheoretischen Ansätzen, insbesondere der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie des Marktes, der Wohlfahrtsökonomik, der ökonomischen Theorie der Regulierung, der Neuen Institutionenökonomik, der ökonomischen Theorie der Verfügungsrechte, der Neuen Politischen Ökonomie, der Konstitutionenökonomik, der Spieltheorie, der Informationsökonomik und der Verhaltensökonomik, und ist grundsätzlich allen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen empirischen Methoden zugänglich.

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Inhaltsverzeichnis

    1. Wegbereiter und Denkschulen
    2. Ideengeschichtliche Vorläufer
    3. Rechtsökonomische Schwerpunkte nach Rechtsgebieten
    4. Entwicklung und Anwendung des Rechts
    5. Aktuelle Forschungsfelder

    Die Rechtsökonomik (engl.: Law and Economics) betrachtet das Recht als ökonomischen Gegenstand. Vornehmlich Institutionen, Grundlagen und Strukturen des Rechts sowie Fragestellungen rechtlicher Natur werden vom Standpunkt der Volkswirtschaftslehre aus untersucht. Das Vorgehen verbindet Ökonomen und Juristen, deren Interesse dem Entscheidungsverhalten von Individuen gilt, die das Recht setzen, pflegen und anwenden oder als Wirtschaftssubjekt und Normadressat handeln. Dabei bedient sich die ökonomische Analyse des Rechts einer beachtlichen Breite an wirtschaftstheoretischen Ansätzen, insbesondere der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie des Marktes, der Wohlfahrtsökonomik, der ökonomischen Theorie der Regulierung, der Neuen Institutionenökonomik, der ökonomischen Theorie der Verfügungsrechte, der Neuen Politischen Ökonomie, der Konstitutionenökonomik, der Spieltheorie, der Informationsökonomik und der Verhaltensökonomik, und ist grundsätzlich allen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen empirischen Methoden zugänglich.

    Wegbereiter und Denkschulen

    In den 1970er-Jahren ließen in den USA die beiden Richter G. Calabresi (Yale Law School ) und R. A. Posner (Chicago Law School) ökonomische Denkansätze in ihre rechtlichen Begründungen einfließen. Zeitgleich ging von US-amerikanischen Volkswirten wie R. D. Cooter (Berkeley) eine (Wieder-)Entdeckung des Rechts als Gegenstand ökonomischer Betrachtungen aus. Die angestoßene Herausbildung der Rechtsökonomik lässt sich in drei Denkschulen untergliedern, die mit der Verfechtung bestimmter ökonomischer Paradigmen in Zusammenhang gebracht werden.

    Eine wegbereitende Arbeit zur Rechtfertigung des Unfallhaftpflichtrechts anhand ökonomischer Effizienzkriterien verfasste G. Calabresi, 1970, der als Begründer der Normative bzw. Yale School in Law and Economics gilt, deren Vertreter vorwiegend normativ im Sinne der Wohlfahrtsökonomik argumentierten. Die Orientierung an wohlfahrtsökonomischen Effizienzkriterien, z.B. dem Pareto-Kriterium oder dem Kaldor-Hicks-Kriterium, unterscheidet sich fundamental von der sonst im US-amerikanischen Rechtssystem praktizierten Erzeugung rechtlicher Konstruktionen auf der Grundlage individueller Werturteile der Richter.

    R. A. Posner vertrat nicht nur subjektivistische und utilitaristische Ansätze (Utilitarismus) einer normativen Ökonomik, sondern plädierte zudem für eine positive ökonomische Analyse des Rechts (Positivismus). Positive Analysen können rechtliche Argumente rekonstruieren und die Wirkung von Regelungen im Bezug auf die normativen Absichten beurteilen. Die Anhänger der Positive bzw. Chicago School in Law and Economics, wie G. J. Stigler, der zur ökonomischen Theorie der Regulierung forschte, beriefen sich auf einen Aufsatz von R. H. Coase im Journal of Law and Economics, 1960, zum Problem der gesellschaftlichen Kosten (soziale Kosten), der den modelltheoretischen Weg zu effizienten Verhandlungslösungen aufzeigt. Coase kam 1964 nach Chicago und folgte A. Director als Herausgeber nach. Die Modelle der Chicago School übertragen das vorherrschende Paradigma der Neoklassik auf das Recht und unterstellen Rationalverhalten sowie vollständige Informiertheit der Akteure.

    Einen alternativen rechtsökonomischen Denkansatz begründeten J. M. Buchanan und G. Tullock (beide Virginia, später George Mason) mit ihrem Buch: The Calculus of Consent, 1962. Die komparative Institutionenanalyse der Virginia School in Law and Economics geht in Anbetracht der verschiedenen Rechtsgrundlagen funktional vergleichend und evaluierend vor, implementiert Elemente positiver und normativer Analyse und sieht sich dem ökonomischen Paradigma der Neuen Politischen Ökonomie (Public Choice Theory) verpflichtet. Tullock forschte u.a. zum Umgang mit Gerichtsirrtümern, der auf Besitzstandswahrung abzielenden Einflussnahme auf das Gesetzgebungsverfahren (Rent Seeking) und dem normativ erwünschten Grad an Detailliertheit in der Formulierung von Gesetzestexten. Zudem gab er einen Rechtsfall zu bedenken, der gegen das Rechtssystem des fallorientierten Common Law spricht, das sonst zumeist als effizient dargestellt wird.

     

    Ideengeschichtliche Vorläufer

    In Deutschland fand die ökonomische Analyse des Rechts eine (Wieder-)Belebung gegen Ende der 1970er-Jahre aufgrund von Doppelausbildungen und Auslandsaufenthalten an US-amerikanischen Law Schools, wo das Fach Law and Economics etabliert war. Zunächst galt das Interesse deutschsprachiger Juristen und Volkswirte weniger den konventionellen Modellen der Rechtsökonomik als vielmehr den ökonomischen Betrachtungen rechtlicher Institutionen im Rahmen der aufkommenden Neuen Institutionenökonomik, die ideengeschichtlich auf die gesamten Staatswissenschaften rekurriert. Dieser Paradigmenwechsel dürfte einer der Gründe für die hierzulande verzögerte Ausbreitung der Rechtsökonomik sein, ein anderer die abweichende Rechtstradition.

    Indessen wird vermehrt auf ideengeschichtliche Vorläufer der neuerlichen Verbindung von Recht und Ökonomik hingewiesen, u.a. auf Klassiker wie A. Smith, J. Bentham, L. v. Stein, W. Roscher, C. Menger, W. Sombart, F. A. v. Hayek und die Deutsche Historische Schule (historische Schule), insbesondere G. v. Schmoller, der den Einfluss rechtlicher Institutionen, z.B. der Rechtsordnung und der Verwaltung, auf Markttransaktionen mittels historisch vergleichender Fallstudien und dem Sammeln statistischer Daten untersuchte. Hieran anknüpfend widmeten sich Vertreter des Amerikanischen (Alt-) Institutionalismus, zuvorderst J. R. Commons und T. B. Veblen, der komparativen ökonomischen Analyse rechtlicher Institutionen, bspw. dem Landeigentum, dem Kartellrecht und der Arbeitsgesetzgebung. Die Vertreter des deutschen Ordoliberalismus (W. Eucken, F. Böhm usw.), synonym als Ordo-Liberal School in Law and Economics bezeichnet, richteten ihr Augenmerk v.a. auf die Verfassung, die Wettbewerbsordnung und die freie Übertragbarkeit von Verfügungsrechten.

     

    Rechtsökonomische Schwerpunkte nach Rechtsgebieten

     

    Ein klassisches Feld der Rechtsökonomik bildet das Eigentumsrecht und speziell der Schutz von Eigentumsrechten. Im Blickpunkt stehen Einschränkungen von Handlungsrechten zur Behebung von Effizienzproblemen, v.a. zur Internalisierung externer Effekte durch Kompensationsleistungen als Ergebnis privater Verhandlungslösungen (Coase-Theorem, Kompensationsprinzip) oder durch dirigistische Zuweisungen exklusiver Verfügungsrechte, wie z.B. die Vergabe von Verschmutzungslizenzen im Umweltrecht. Diverse Studien sind dem Schutz der Originalität von geistigem Eigentum, z.B. Information im Internet, der effizienten Raumnutzung, der gemeinwohlorientierten Enteignung untätiger Eigentümer und dem Insolvenzrecht von Unternehmen gewidmet.

    Ein zweiter Schwerpunkt der Rechtsökonomik besteht im Vertragsrecht und dem normativen Leitbild der Vertragsfreiheit. Entgegen dem Ideal des vollständigen Vertrags sind bei unvollständiger Information und nichtrationalem Verhalten relationale (d.h. unvollständige) Verträge vorzufinden, welche der Interpretation (bzw. Auslegung) bedürfen. Im Transaktionskostenkalkül (Transaktionskostenökonomik) können sich Nachverhandlungen oder ein Vertragsbruch als effizient und erstrebenswert erweisen, sobald sich Informationen, Erwartungen oder Opportunitätskosten verändern. Zudem interessieren sich Rechtsökonomen für Institutionen und optimale Verhaltensstrategien zur Abmilderung des Informationsproblems, bspw. Garantien, Rahmen- und Folgeverträge, Absichtserklärungen sowie Berufsethik. Zahlreiche theoretische und empirische Arbeiten sind der Vertragsdurchsetzung durch Dritte oder mittels Sanktionen, z.B. Kontrolle, gewidmet. In einigen Modellen werden unter restriktiven Annahmen implizite Mechanismen der Selbstdurchsetzung von Verträgen erklärt.

    Ein dritter traditioneller Schwerpunkt liegt auf dem Deliktrecht (Recht der unerlaubten Handlungen) und dem Schadensrecht. Unterschiedliche Haftungsregeln, z.B. die Verschuldenshaftung und die verschuldensunabhängige Haftung (Gefährdungshaftung), werden anhand ökonomischer Effizienzkriterien auf ihre Rechtsfolgen hin untersucht. Die theoretischen Arbeiten zur Verschuldenshaftung richten den Blick auf verschiedene Fahrlässigkeitskonzepte. Im konventionellen Modell ist die optimale Fahrlässigkeit erreicht, sobald die Grenzrate der Reduktion des erwarteten Schadens gleich den Grenzkosten der Schadenverhütung entspricht. Zahlreiche Veröffentlichungen betreffen die Bewertung und Zurechnung des Schadens, Obergrenzen, Mitverschulden und andere Fragen der Haftung.

    Weitere rechtsökonomische Forschungsfelder, zu denen eine große Zahl theoretischer und empirischer Arbeiten vorliegen, bilden das Familienrecht (G. S. Becker, M. Brinig), das Wettbewerbsrecht, die Regulierung einzelner Wirtschaftsbereiche, die öffentlichen Unternehmen, das Berufsrecht, das Steuerrecht, die soziale Sicherung, das Gesellschaftsrecht und das Subventionsrecht. Außerdem stellt die ökonomische Analyse des Strafrechts (G. S. Becker, 1968) einen eigenständigen Forschungsschwerpunkt dar.

    Entwicklung und Anwendung des Rechts

     

    Neben der Schwerpunktbildung nach Rechtsgebieten nehmen übergreifende Fragestellungen zur Entstehung, Entwicklung, Anwendung und Befolgung des Rechts einen breiten Raum in der Rechtsökonomik ein. Zahlreiche Abhandlungen beleuchten die Grundlagen des Rechts, verweisen bspw. auf philosophische Ansatzpunkte, unterscheiden das kodifizierte vom Gewohnheitsrecht, betrachten das Gesetzgebungsverfahren, thematisieren Rechtsfolgen des angelsächsischen Common Law im Vergleich zum kontinentaleuropäischen Civil Law in der Tradition des Code Napoléon, fragen nach der optimalen Größe eines Rechtsraums oder modellieren die Herstellung von Verhandlungsrecht. Diverse Rechtsökonomen haben sich mit der Harmonisierung nationalen Rechts in der Europäischen Union befasst und das normative Prinzip der Subsidiarität herausgehoben, welches der europäischen Geistesgeschichte der Vorstellung einer natürlichen Rechtsordnung entspringt. Beachtung findet die Verankerung von Wertvorstellungen wie Gerechtigkeit, Einigkeit und Freiheit.

    Ein weiteres Forschungsfeld umfasst die Anwendung und Befolgung des Rechts, u.a. des Wettbewerbsrechts, des Steuerrechts und des Umweltrechts. Das Verfahrensrecht, wie das Steuerverfahrens- und Steuerstrafverfahrensrecht, erlangte im Unterschied zum materiellen Recht erst neuerdings zunehmendes Interesse. Einige Aufmerksamkeit zog das Gerichtsverfahrensrecht auf sich, z.B. im Modell der optimalen Gerichtskosten unter der Berücksichtigung der administrativen Kosten, des Wertes der verhandelten Sache und der Kosten einer Fehlentscheidung des Rechtsstreits. Andere Autoren modellierten Strukturen richterlicher Entscheidungen und schlugen Wahrheitsfindungsmechanismen vor. Spezielles Interesse gilt dem vorgerichtlichen Vergleich, der Berufung, der Revision, der Rolle des Rechtsanwalts, ungleichen Gerichtshierarchien (Gerichte) und der Aushandlung der Streitbeilegung im Verfahren, z.B. Absprachen im Strafprozess.

    Aktuelle Forschungsfelder

    Weltweit und so auch in Deutschland ist die ökonomische Analyse des Rechts enorm im Aufwind begriffen. Nach einer zunehmend mathematisch-modelltheoretischen Ausrichtung in den 1980er- und 1990er-Jahren, die sich fortsetzt, sind seit den 1990er-Jahren verstärkt empirische Forschungsarbeiten zu verzeichnen. Einen großen Einfluss haben Zeitschriften wie: American Law and Economics Review (seit 1999), European Journal of Law and Economics (seit 1994), International Review of Law and Economics (seit 1982), Journal of Law and Economics (seit 1958), Journal of Law, Economics and Organization (seit 1994), Journal of Legal Studies (seit 1972) und Research in Law and Economics (seit 1981), sowie sehr erfolgreiche Neugründungen wie: Journal of Empirical Legal Studies (2004), Journal of Law, Economics and Policy (2005) und Review of Law and Economics (2005).

    Neue Impulse kommen von sozialwissenschaftlichen und verhaltensökonomischen Ansätzen, aber auch aus sich fortsetzenden (wirtschafts-)ethischen und gesellschaftspolitischen Diskursen, z.B. zur Stellung von Ehe, Familie, Kindern, Arbeitnehmern, Kinderarbeit, Prostitution, freien beratenden Berufen, übernationalen Institutionen (vermehrt nach 2001), technischen Innovationen, immateriellem Eigentum, Natur- und Kulturschätzen sowie Gesundheit. In Europa liegt ein Schwergewicht auf dem Vergleich der verschiedenartigen nationalen Rechtskonstrukte. Mehrere Forschungsprojekte lenken den Blick auf den Wandel rechtlicher Ordnungen, die Vielfalt der Rechtsgrundlagen und die Rechtsentwicklungen infolge der Globalisierung. Die Regulierung der Finanzmärkte ist nicht erst seit der Finanzkrise von 2007 bis 2009 ein vielbearbeitetes Thema aus rechtsökonomischer Perspektive.

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