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Europäisches Kartellrecht

Definition: Was ist "Europäisches Kartellrecht"?

Die dt. Wettbewerbsordnung wird heute nicht mehr allein durch das deutsche Recht bestimmt. Neben das deutsche Wettbewerbsrecht sind vielmehr durch die Art. 101 und 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und die Europäische Fusionskontrollverordnung (FKVO) vom 20.1.2004 Regelungen auf europäischer Ebene getreten.

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    Die deutsche Wettbewerbsordnung wird heute nicht mehr allein durch das deutsche Recht bestimmt. Neben das deutsche Wettbewerbsrecht sind vielmehr durch die Art. 101 und 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und die Europäische Fusionskontrollverordnung (Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen ( „EG-Fusionskontrollverordnung“); ABl. L 24 vom 29.1.2004, S. 1) Regelungen auf europäischer Ebene getreten.

    1. Entstehungsgeschichte und Ziele: Aus dem sog. Schumanplan und der Idee einer europäischen Föderation entwickelte sich der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der 1952 in Kraft trat und 2002 nach 50 Jahren ausgelaufen ist. Wegen der krisenhaften Entwicklung auf dem Kohle- und Stahlmarkt waren die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des EGKS-Vertrages insgesamt wenig effektiv. 1957 wurden durch die Römischen Verträge die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) gegründet. Danach verfolgte der EG-Vertrag mit seinen wettbewerbsrechtlichen Vorschriften v.a. das Ziel, einen gemeinsamen Markt für alle Waren und Leistungen zu errichten und die Wirtschaftspolitik (Allgemeine Wirtschaftspolitik) der Mitgliedsstaaten schrittweise einander anzunähern (vgl. Art. 2 EGV). Der europäische Binnenmarkt trägt heute bewußt marktwirtschaftliche Züge, da er u.a. durch die Errichtung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs geschaffen wurde. Die Wettbewerbsregeln der Art. 101–106 AEUV schützen den zwischenstaatlichen Handel vor Beschränkungen und Behinderungen mittels eines Kartell- und Machtmissbrauchsverbotes.

    2. Die wichtigsten kartellrechtlichen Vorschriften des AEUV: Die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des AEUV bezwecken, den innereuropäischen Handel vor Beschränkungen und Behinderungen mittels Absprachen oder Machtmissbrauch zu schützen. Der Schutzzweck der Art. 101 und 102 AEUV geht daher primär dahin, den zwischenstaatlichen Handel in der EU vor Beeinträchtigungen zu schützen, die für die Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen Marktes nachteilig sind, wenn z.B. Handelsschranken errichtet oder verfestigt und die gewollte gegenseitige Durchdringung der Märkte erschwert werden.
    a) Erfassung der Verhandlungsstrategie (Durchsetzung des Kartellverbots): Gemäß Art. 101 AEUV sind horizontale und vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten, die den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken. Diese sec. 1 Sherman Act vergleichbare Generalklausel ist durch Beispiele in Art. 101 I AEUV konkretisiert worden; so sind bes. die mittelbare oder unmittelbare Festsetzung von An- oder Verkaufspreisen oder sonstiger Geschäftsbedingungen, die Einschränkung von Erzeugung, Absatz, technischer Entwicklung oder Investitionen, Gebietsabsprachen sowie kollektive Diskriminierungen und Kopplungsverträge verboten.

    Das generelle Verbot des Art. 101 I AEUV ist mittlerweile durch eine Fülle von Entscheidungen der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofes konkretisiert worden, die sich in drei Fallgruppen systematisieren lassen:
    (1) Horizontale Absprachen, die mittels der verschiedensten rechtlichen Instrumente den eindeutigen Zweck verfolgen, die Trennung in nationale Märkte aufrecht zu erhalten und damit die Schaffung eines größeren gemeinsamen Marktes zu verhindern.
    (2) Vertikale Absprachen, die den Zweck verfolgen, die ausländischen Abnehmer oder die Exporteure selbst vor Parallelimporten und damit vor Wettbewerb zu schützen, da damit die von den Europäischen Verträgen gewollte Durchdringung der nationalen Märkte verhindert wird.
    (3) Ausübung gewerblicher Schutzrechte (Patente, Know-how, Warenzeichen) und Urheberrechte, wenn der zwischenstaatliche Handel spürbar beeinträchtigt wird. Die europäische Rechtsprechung unterscheidet dabei zwischen dem bloßen Bestand gewerblicher Schutzrechte und ihrer Benutzung zu wettbewerbsbeschränkenden Zwecken.

    Einschränkungen: Das relativ strikte Verbotsprinzip des Art. 101 I AEUV ist jedoch in Art. 101 III AEUV eingeschränkt worden. Die Europäische Kommission kann danach das Verbot des Art. 101 I AEUV auf bestimmte Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen für nicht anwendbar erklären, und zwar nicht nur im Einzelfall, sondern auch als sog. Gruppenfreistellung, wodurch bestimmte Vertragstypen generell von der Anwendung des Art. 101 I AEUV ausgenommen sind.

    Voraussetzungen: Jede Freistellung, auch die Gruppenfreistellung setzt voraus, dass die vier Bedingungen des Art. 101 III AEUV erfüllt sind:
    (1) Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts. Dies soll erfolgen unter
    (2) angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn, wobei
    (3) die auferlegten Beschränkungen für die Verwirklichung dieser Ziele unerlässlich sein müssen und
    (4) der Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren nicht ausgeschaltet wird.

    Im Interesse der Rechtssicherheit der Unternehmen und der verwaltungsmäßigen Vereinfachung hat die Europäische Kommission im Rahmen sog. Gruppenfreistellungsverordnungen bestimmte Arten (Typen) von horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen von der Anwendung des Kartellverbots des Art. 101 I AEUV freigestellt, darunter bspw.
    (1) Spezialisierungsvereinbarungen gemäß Verordnung (VO) Nr. 1218/2010;
    (2) vertikale Vereinbarungen gemäß VO Nr. 330/2010;
    (3) Technologietransfer-Vereinbarungen gemäß VO Nr. 316/2014;
    (4) Kooperationsvereinbarungen auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung (F&E) gemäß VO Nr. 1217/2010;
    (5) vertikale Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen im Kfz-Sektor gemäß VO Nr. 461/2010;
    (6) Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Luftverkehr gemäß VO Nr. 487/2009.

    Die Europäische Kommission verwendet im Wesentlichen folgende Kriterien für Gruppenfreistellungen: relativer Marktanteil, absolute Umsatzgrößen und/oder zeitliche Begrenzung der in Anspruch genommenen Wettbewerbsbeschränkung.

    Anwendung: Bes. großzügig steht die Kommission heute der Kooperation bei der Entwicklung und Durchsetzung neuer Technologien - selbst bei Beteiligung von Großunternehmen - gegenüber, da finanzieller Aufwand und Marktrisiken oft sogar die finanziellen Ressourcen von Großunternehmen überstiegen. Das ursprünglich strikte Verbotsprinzip des Art. 101 I AEUV ist von der Kommission zwar mittels Gruppenfreistellungs-VOs, den Leitlinien für horizontale Kooperation und zuletzt der VO Nr. 1/03 (Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln; ABl. L1 vom 4.1.2003, S. 1) in ein Missbrauchsprinzip umfunktioniert worden; jedoch geht die Europäische Kommission im Fall einer spürbaren Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels konsequent gegen alle horizontalen und auch vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen - ungeachtet ihrer Rechtsform - vor.

    b) Erfassung der Behinderungsstrategie (Behinderungsmissbrauchsaufsicht): Die Generalklausel des Art. 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen.

    Anders als in § 18 GWB wird der Marktbeherrschungsbegriff jedoch nicht näher erläutert; es bestehen auch keinerlei Legalvermutungen, die der Kommission den Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung erleichtern würden. Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt ein Unternehmen auf einem Bedarfsmarkt (relevanter Markt) als marktbeherrschend, wenn es die Fähigkeit zur Entwicklung unabhängiger Marktstrategien besitzt, d.h., wenn es über einen vom Wettbewerb nicht mehr hinreichend kontrollierten Verhaltensspielraum verfügt; das ist der Fall, wenn ein Unternehmen ohne große Rücksichtnahme auf Wettbewerber (horizontal) bzw. Lieferanten oder Abnehmer (vertikal) handeln kann (Marktverhaltenstest). Dabei ist es nicht erforderlich, dass das Unternehmen im Bereich der gesamten EU eine beherrschende Stellung besitzt; vielmehr reicht es aus, wenn eine solche in einem wesentlichen Teil vorliegt.

    Der unbestimmte Rechtsbegriff Marktbeherrschung ist von der Rechtsprechung zudem durch eine Reihe von Strukturmerkmalen konkretisiert worden (Marktstrukturtest):
    (1) relativer Marktanteil (von 40 Prozent oder mehr) sowie großer Abstand zu den Konkurrenten,
    (2) vertragliche und sonstige Beziehungen zu aktuellen oder potenziellen Konkurrenten,
    (3) Beteiligungen und personelle Verflechtungen,
    (4) Verbindungen zu Abnehmern oder Lieferanten,
    (5) Finanzkraft eines Konzerns,
    (6) technologische Vorsprünge vor Konkurrenten,
    (7) Besitz von Schutzrechten und berühmten Warenzeichen,
    (8) Fehlen potenzieller Konkurrenten sowie
    (9) Abhängigkeit der Abnehmer.

    Um die Anwendung des Missbrauchsverbotes praktikabler zu machen, erhält Art. 102 AEUV vier Regelbeispiele, die die generelle Missbrauchsklausel konkretisieren. Bes. sind die Diskriminierung von Handelspartnern sowie die sachlich nicht gerechtfertigte Kopplung verschiedener Leistungen verboten. Ähnlich wie im dt. Recht ist der Nachweis eines Verschuldens oder einer Sittenwidrigkeit beim Missbrauch nicht notwendig; vielmehr ist allein entscheidend, ob das Verhalten objektiv im Widerspruch zu den Zielen des Binnenmarktes steht (objektiver Missbrauchsbegriff). Grundsätzlich sind daher alle Maßnahmen beherrschender Unternehmen missbräuchlich, die auf eine Abschottung schon beherrschter oder die Eroberung weiterer Märkte durch wettbewerbsbeschränkende Praktiken abzielen.
    c) Erfassung der Konzentrationsstrategie (Ausbeutungsmissbrauchsaufsicht; Fusionskontrolle):
    (1) Marktergebniskontrolle marktbeherrschender Unternehmen: Das Verbot des Art. 102 AEUV erfasst nicht nur den Behinderungsmissbrauch, sondern auch den Ausbeutungsmissbrauch marktbeherrschender Stellungen gegenüber vor- bzw. nachgelagerten Wirtschaftsstufen. Anders als § 19 GWB mit seiner generellen Missbrauchsklausel, die erst im Rahmen der Vierten GWB-Novelle im Jahre 1980 durch Beispiele konkretisiert worden ist, enthält Art. 102 AEUV von Anfang an Regelbeispiele für den Ausbeutungsmissbrauch: unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen sowie Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher.

    Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist ein Preis missbräuchlich überhöht, wenn ein übertriebenes Missverhältnis zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und dem tatsächlich verlangten Preis besteht (Kosten-Gewinn-Konzept) und wenn der erzwungene Preis absolut oder im Vergleich zu Konkurrenzprodukten (Vergleichsmarkt-Konzept) unangemessen ist. Geschäftsbedingungen werden dann als missbräuchlich angesehen, wenn sie die Freiheit der Vertragspartner unbillig beeinträchtigen; die Unbilligkeit muss dabei durch Abwägung der Interessen aller Beteiligten und der Wirkungen auf die Interessen Dritter festgestellt werden.
    (2) Fusionskontrolle: Der EWG-Vertrag hatte ursprünglich - im Gegensatz zu Art. 66 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl  - keine Zusammenschlusskontrolle vorgesehen. Die Kommission hatte bereits 1973 einen Vorschlag für eine Fusionskontrollverordnung des Rates erarbeitet, der jedoch vom Europäischen Ministerrat erst am 21.12.1989 verabschiedet wurde und i.d.F. vom 20.1.2004 (Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen [„EG-Fusionskontrollverordnung“]; ABl. L 24 vom 29.1.2004, S. 1) Folgendes vorsieht:
    (a) Die Fusionskontrolle gilt für alle Zusammenschlüsse im Sinn von Art. 3 FKVO mit gemeinschaftsweiter Bedeutung, die nach Art. 1 II FKVO dann gegeben ist, wenn der weltweite Gesamtumsatz aller am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen mehr als 5 Mrd. Euro und der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen jeweils mehr als 250 Mio. Euro beträgt (Aufgreifkriterien), es sei denn, die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen erzielen jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedsstaat (implizite Vermutung für die Nicht-Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels).
    (b) Zusammenschlüsse, die wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben wesentlich behindern, bes. als ein Ergebnis der Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung, sind von der Europäischen Kommission für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären (Eingreifkriterium im Sinn des Art. 2 III FKVO). Bei der Prüfung des Zusammenschlusses hat die Europäische Kommission gemäß Art. 2 I FKVO - ähnlich wie in § 18 III GWB - die wirtschaftliche Macht und die Finanzkraft der beteiligten Unternehmen, die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, ihren Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, die rechtlichen oder tatsächlichen Marktzutrittsschranken, die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen (Marktphase) sowie die Interessen der Zwischen- und Endverbraucher zu berücksichtigen. Dazu geht Ziff. 32 der Erwägungsgründe von der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt aus, wenn der kombinierte Marktanteil 25 Prozent nicht überschreitet. Diese Marktstrukturmerkmale sollen wirksamen Wettbewerb konkretisieren.
    (3) Bei der Prüfung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem gemeinsamen Markt hat die Kommission jedoch gemäß Art. 2 I FKVO auch „die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert”, zu berücksichtigen. Diese kontroverse Klausel, die eine Abwägung zwischen der Aufrechterhaltung und Entwicklung eines wirksamen Wettbewerbs, wie er in Art. 1 I FKVO mithilfe verschiedener Marktstrukturmerkmale konkretisiert worden ist, und dem technischen Fortschritt als einem Performance-Element erlaubt, ist nunmehr in enger Anlehnung an den Wortlaut des Art. 101 III AEUV formuliert worden. Je nach Interpretation des Eingreifkriteriums durch die Kommission kann wirksamer Wettbewerb im Sinne der Aufrechterhaltung kompetitiver Marktstrukturen, welche quasi automatisch zu wirtschaftlichem und technischem Fortschritt führen, oder im Sinne einer Industriepolitik verstanden werden, die durch direkte staatliche Maßnahmen den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt fördern soll.
    (c) Zusammenschlüsse im Sinne von Art. 1 FKVO sind gemäß Art. 4 FKVO bei der Kommission anzumelden und dürfen gemäß Art. 7 I FKVO weder vor ihrer Anmeldung noch vor einer Vereinbarkeitserklärung mit dem Gemeinsamen Markt vollzogen werden (strikte Ex-Ante-Kontrolle).
    (d) Gemäß Art. 21 FKVO besitzt die Europäische Kommission die ausschließliche Zuständigkeit für die europäische Fusionskontrolle, es sei denn, dass die EU gemäß Art. 9 FKVO im Fall rein regionaler Wettbewerbsbeschränkungen den Fall an die nationale Kartellbehörde überweist (sog. Lokalklausel), oder die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 21 IV FKVO geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen (z.B. öffentliche Sicherheit, Medienvielfalt oder Aufsichtsregeln) treffen (sog. englische Klausel).

    V.a. das sehr weit gefasste Eingreifkriterium und die damit verbundene Gefahr, dass die Fusionskontrolle zu Zwecken der Struktur- und Industriepolitik missbraucht wird, waren bis zum Schluss äußerst kontrovers.

    d) Erfassung der Ausnahmebereiche: Als Bereichsausnahme ist gemäß Art. 42 AEUV nur die Landwirtschaft von der Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV freigestellt (VO Nr. 26/62). Alle übrigen Wirtschaftsbereiche unterliegen daher grundsätzlich den Wettbewerbsregeln des AEUV.

    Für eine Reihe von Wirtschaftszweigen sind allerdings wettbewerbsrechtliche Sonderregeln erlassen worden:
    (1) Für den Eisenbahn-, Straßen und Binnenschifffahrtsverkehr durch die VO Nr. 169/2009,
    (2) für den Seeverkehr durch die VOs Nr. 246/2009, 906/2009 und 697/2014,
    (3) für den Luftverkehr durch die VO Nr. 487/2009,
    (4) für den Versicherungssektor durch die VO Nr. 267/2010.

    Alle übrigen Wirtschaftsbereiche unterliegen den Art. 101 und 102 AEUV, sodass - im Fall einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels - die Freistellung der verbliebenen Bereichsausnahmen (vgl. wettbewerbsrechtliche Ausnahmebereiche) nach nationalem Recht langfristig an Bedeutung verlieren dürfte.

    3. Zuständigkeiten bei der Anwendung des europäischen Kartellrechts: Zuständig für die Durchsetzung des Europäischen Wettbewerbsrechts ist gemäß Art. 9 der VO Nr. 17/62 grundsätzlich die Europäische Kommission in Brüssel, die hierfür die Generaldirektion Wettbewerb etabliert hat. Daneben verpflichtet Art. 3 I VO 1/03 die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten in Fällen mit Zwischenstaatlichkeitsbezug zur unmittelbaren dezentralen Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV. Gegen die Entscheidungen der Europäischen Kommission kann Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhoben werden (Art. 263 und 264 AEUV), der auch in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen kann (Art. 279 AEUV); dem EuGH ist seit 1989 ein Europäisches Gericht Erster Instanz (EuG) vorgeschaltet. Die erste Instanz hat die Entscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu überprüfen, während die zweite Instanz auf die Entscheidung von Rechtsfragen beschränkt ist.

    4. Verfahrensrecht im europäischen Kartellrecht: Zur Durchsetzung des europäischen Kartellrechts bestehen analog zum dt. Kartellrecht verschiedene verfahrensrechtliche Möglichkeiten: a) Im Bußgeldverfahren können gemäß Art. 23 der VO Nr. 1/03 Geldbußen bis zu 10 Prozent des letzten Jahresumsatzes zur Durchsetzung der in Art. 101 und 102 AEUV enthaltenen Verbote festgesetzt werden. Anders als im dt. und amerik. Recht ist allerdings eine Verhängung von Geldbußen nur gegen Unternehmen, nicht gegen natürliche Personen möglich.

    b) Das Verwaltungsverfahren kann verschiedene Formen annehmen: Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen, einstweilige Maßnahmen, Verpflichtungszusagen und Feststellung der Nichtanwendbarkeit.

    c) Private Schadensersatz- und Unterlassungsklagen sind nach dem europäischen Recht nicht vorgesehen. Da die Art. 101 und 102 AEUV jedoch Schutzgesetz im Sinn des § 823 II BGB sind, kann als zivilrechtliche Sanktion auch eine Klage auf Schadensersatz oder Unterlassung vor den ordentlichen dt. Gerichten in Betracht kommen.

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