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Daseinsvorsorge-Infrastrukturen

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    1. Definition und zum Zusammenhang zwischen Daseinsvorsorge und Daseinsvorsorge-Infrastrukturen: Der Begriff Daseinsvorsorge-Infrastrukturen (in Deutschland) bezeichnet die materielle Basis, die erforderlich ist, um die als existentiell klassifizierten Leistungen der Daseinsvorsorge tatsächlich auch erbringen zu können. Nach grundlegendem Verständnis ist für die Vorhaltung dieser Strukturen die öffentliche Hand verantwortlich. Die Zuständigkeiten liegen innerhalb des zweistufigen Staatsaufbaus der Bundesrepublik Deutschland zum einen auf der Ebene des Bundes (z.B. Schienennetz, Bundesautobahnen, Bundesstraßen), zum anderen auf der Ebene der Länder. Hier wiederum direkt bei den einzelnen Bundesländern (z.B. Landesstraßen), in erster Linie aber bei den kommunalen Gebietskörperschaften (Gemeinden, Landkreise), die staatsrechtlich Teil der Länder sind, aber wegen der in Artikel 28, Absatz 2 Grundgesetz normierten kommunalen Selbstverwaltung als besondere Körperschaft betrachtet werden müssen.

    Nach grundlegendem Verständnis ist für die Daseinsvorsorge in Deutschland die öffentliche Hand verantwortlich. Die hier zu erbringenden Leistungen sind zwingend an das Vorhandensein materieller Voraussetzungen gebunden: das sind die Daseinsvorsorge-Infrastrukturen. Aus dieser objektiven und wechselseitigen Bedingtheit folgt, dass die öffentliche Hand auch für die Daseinsvorsorge-Infrastrukturen verantwortlich ist.

    2. Typologie der der Daseinsvorsorge-Infrastrukturen nach materiellem Status und nach den Bereichen ihres Vorkommens (Systematik des Autors):

    (1) Nach materiellem Status:
    Netzgebundene stationäre Strukturen (Wasser- und Abwassernetze, Stromnetze, Gasnetze, Fernwärmenetze, Telekommunikations- und IT-Netze, Schienennetze, Straßennetze, Wasserstraßennetze, Anlagen zur Herstellung lebenswichtiger und -rettender Pharmaka, der dazu notwendigen Grundstoffe, von Produkten für den Seuchen- und Katastrophenschutz und die Intensivmedizin), Anlagen und Infrastrukturen zur Lebensmittelversorgung, -produktion, -handel;
    Nicht netzgebundene stationäre Strukturen (Einrichtungen und Gebäude mit ihren technischen Strukturen als materielle Basis zur Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen wie z.B. Gasspeicher, Wasserspeicher, Krankenhäuser, Schulen, Wohnungen, Rettungsstellen, Feuerwachen, Müllverwertungsanlagen, Friedhöfe, Krematorien usw.);
    Mobile Strukturen (Fahrzeuge, mit denen Leistungen der Daseinsvorsorge erbracht werden (Busse und Bahnen im ÖPNV, Rettungs- und Feuerwehrfahrzeuge, Spezialfahrzeuge des technischen Hilfswerkes und des Katastrophenschutzes usw.).

    (2) Nach Bereichen ihres Vorkommens:
    A. Infrastrukturen im Rahmen der wirtschaftlichen Leistungserbringung (in alphabetischer Reihenfolge):
    A1 Anlagen zur Herstellung lebenswichtiger und -rettender Pharmaka, der dazu notwendigen Grundstoffe, von Produkten für den Seuchen- und Katastrophenschutz und die Intensivmedizin,
    A2 Anlagen und Infrastrukturen zur Lebensmittelversorgung, -produktion, -handel
    A3 Elektrizitätsversorgung,
    A4 Gasversorgung,
    A5 Fernwärmeversorgung,
    A6 Gesundheit (Krankenhäuser, ambulante Versorgung, Vor- und Nachsorge, Pflege),
    A7 Gewerbliche Entsorgung/Kreislaufwirtschaft,
    A8 Post,
    A9 Verkehrs- und Beförderungswesen, 
    A10 Sparkassen (Geld- und Kreditversorgung mit dem expliziten Auftrag zur Sicherstellung an die Sparkassen,
    A11 Telekommunikation/Internet,
    A12 Wohnungswirtschaft.

    B. Infrastrukturen im Rahmen der hoheitlichen Leistungserbringung:
    B1 Abwasserentsorgung/Wasserversorgung, 
    B2 Bildung,
    B3 Brand- und Katastrophenschutz, Rettungswesen,
    B4 Friedhöfe/Krematorien,
    B5 Hoheitliche Entsorgung (haushaltnahe Abfälle, gefährliche Abfälle, Tierkörperbeseitigung, 
    B6 Kultur,
    B7 Öffentliche Sicherheit,
    B8 Straßenreinigung.

    3: Öffentliche Zuständigkeit, Eigentümerschaft, Regulierung: Unabhängig von der bestehenden öffentlichen Verantwortung für die Daseinsvorsorge und für die dazu benötigten Infrastrukturen kann daraus in Deutschland keinesfalls ein Automatismus dergestalt abgeleitet werden, dass die Daseinsvorsorge-Infrastrukturen auch ausnahmslos öffentlich implementiert, betrieben, und sich im öffentlichen Eigentum befinden müssen. Auf der Grundlage der öffentlichen Gewährleistungsverantwortung können materielle Eigentümer der betreffenden Infrastrukturen der Staat bzw. die Kommunen, private oder öffentlich-private Unternehmen oder auch frei-gemeinnützige Eigentümer (z. B. bei Krankenhäusern, Alten- und Pflegeeinrichtungen) sein. Für diese Eigentumsverhältnisse sind keine zwingenden Korrelationen etwa nach der Bedeutung der Infrastruktur, ihrem materiellem Status oder dem jeweiligen Segment der Daseinsvorsorge erkennbar.

    Ordnungspolitischen Rahmensetzungen auf EU-Ebene folgend, gibt es in Deutschland ein umfassendes System zur staatlichen Regulierung insbesondere der netzgebundenen Daseinsvorsorge-Infrastrukturen in der Zuständigkeit der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur BNetzA). Deren Hauptaufgabe besteht darin, in den sogenannten Netzmärkten den Wettbewerb sicherzustellen. Im Kern wird dies durch den diskriminierungsfreien Zugang zu den Netzen für alle interessierten Anbieter vor allem dadurch erreicht, dass für alle die gleichen Nutzungsbedingungen gelten müssen. Dies muss der jeweilige Eigentümer unabhängig von der konkreten Eigentumsform gewährleisten. Dieses Erfordernis gilt auch dann, wenn der Eigentümer sein Netz einem Dritten zum Betrieb dieser Infrastruktur überlässt. Solche Betriebsführungsmodelle finden sich z. B. im Bereich der Wasserversorgung/Abwasserentsorgung oder bei Krankenhäusern.

    4. Kritische Infrastrukturen: Integraler Bestandteil der Begriffsbestimmung „Daseinsvorsorge-Infrastrukturen“ ist der Terminus „Kritische Infrastrukturen“. Und zwar wegen des direkten Zusammenhanges mit der existentiellen Dimension der Daseinsvorsorge einschließlich der dazu benötigten Infrastruktur.

    Daseinsvorsorge-Infrastrukturen sind wegen ihrer existentiellen Dimension besonders gefährdet. Denn deren Ausfall hätte im schlimmsten Fall für die Bevölkerung oder Teile davon den Status einer existentiellen Bedrohung. Ursachen für solche Ausfälle können nach folgenden drei Kategorien (eigene Systematik des Autors) klassifiziert werden:
    (1) interne objektiv determinierte Einwirkungen (technische Störungen bis hin zu Totalausfällen innerhalb des Systems),
    (2) externe objektiv determinierte Einwirkungen (Naturkatastrophen, unkontrollierte externe Einflüsse auf das System wie z.B. Brände, Explosionen, Flugzeugabstürze),
    (3) externe subjektiv determinierte Einwirkungen (Fahrlässigkeit, Kriminalität, Sabotage, Terror).

    5. Perspektiven:
    (1) Die bestehenden Inkongruenzen von öffentlicher Verantwortung für die Daseinsvorsorge-Infrastrukturen einerseits, und der Eigentümerschaft und ggfls. auch der Verantwortung für die Implementierung neuer Strukturen sind zunehmend Gegenstand gesellschaftspolitischer Diskussionen. Das Beispiel Breitbandversorgung hat deutlich gemacht, dass der Markt nicht in der Lage ist, das existentielle Bedürfnis nach dem Zugang zu schnellem Internet flächendeckend zu befriedigen, denn entsprechende Investitionen werden – was aus wirtschaftlicher Sicht gerechtfertigt ist – nur bei deren Refinanzierbarkeit getätigt. Die daraus abgeleitete Forderung, dass die zu tätigenden öffentlichen Investitionen in die Daseinsvorsorge-Infrastruktur im Regelfall auch öffentliches Eigentum begründen müssten, ist plausibel.
    (2) Existentielle Daseinsvorsorge-Infrastrukturen müssen öffentlich bereitgestellt werden, unabhängig davon, ob diese auch wirtschaftlich betrieben werden können. Deshalb wird zunehmend gefordert, alle Daseinsvorsorge-Infrastrukturen von vornherein in öffentlichem Eigentum zu errichten. Zugleich aber müsste auch gewährleistet werden, dass der Betrieb dieser Strukturen – also die Erbringung der Leistungen der Daseinsvorsorge – marktwirtschaftlich vergeben wird, und zwar auf der Grundlage staatlich definierter Standards. zum Umfang und zur Qualität der Leistungserbringung einschließlich der Regularien zur Gewährleistung öffentlicher Zuwendungen für den Fall, dass die Leistungen nicht wirtschaftlich erbracht werden können.
    (3) Eine weitere Forderung an die öffentliche Hand besteht darin, dass diese aus einem dynamischen Verständnis der Daseinsvorsorge heraus künftige Bedarfe schneller identifizieren muss. Das Beispiel Breitbandversorgung hat gezeigt, dass aus der politischen Anerkennung eines neuen Segments der Daseinsvorsorge nicht zwingend folgt, dass die zur tatsächlichen Befriedigung dieses anerkannten Bedarfs, notwendigen Daseinsvorsorge-Infrastrukturen materiell auch tatsächlich implementiert werden.

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    Schäfer, M.:Kommunalwirtschaft. Eine gesellschaftspolitische und volkswirtschaftliche Analyse
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