Ambidextrie
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Inhaltsverzeichnis
Einordnung und Definition
Der Begriff der organisationalen Ambidextrie (wörtlich: „Beidhändigkeit“) wurde 1976 durch den amerikanischen Organisationsdesigner Robert B. Duncan erstmalig erwähnt und bezeichnet die Fähigkeit von Organisationen, gleichermaßen sowohl effizient als auch innovativ bzw. flexibel zu sein, d.h. durch die Nutzung von zwei unterschiedlichen Vorgehensweisen mit den dynamischen und komplexen Umweltanforderungen und Entwicklungen am Markt umzugehen. Nach O’Reilly und Tushman bedeutet dies, zum einen durch Verbesserung und Effizienzsteigerung bestehende Prozesse zu optimieren (Exploitation) und zum anderen durch Experimentieren und flexibles Handeln neue Geschäftsbereiche zu erschließen (Exploration). Bei der Exploitation geht es um Effizienz, Produktivitätssteigerung, Kontrolle und Sicherheit. Demgegenüber versucht die Exploration durch Innovation und die Entwicklung neuer Möglichkeiten auf die Dynamik und Komplexität der Märkte zu reagieren und so das langfristige Überleben der Organisation zu sichern.
Diese zwei Vorgehensweisen sind mit sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen verbunden, die in der folgenden Tabelle dargestellt sind.
Gestaltungsvarianten der Ambidextrie
Innerhalb der organisationalen Ambidextrie wird zwischen zeitlicher, kontextueller und struktureller Ambidextrie unterschieden.
Zeitliche Ambidextrie beschreibt einen sequentiellen Wechsel von einer explorativen Organisationsstruktur zu einer exploitativen und umgekehrt. So ist es beispielsweise üblich, dass ein Unternehmen bei der Gründung eher explorativ gestaltet wird. Im Zeitverlauf wird Exploitation zunehmend wichtiger, um Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten. Dieser Vorgang kann sich zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen, wenn das Unternehmen z.B. aufgrund neuer Wettbewerber oder Krisen Veränderungen ausgesetzt ist. Ein Praxisbeispiel ist die Fast-Food-Kette McDonalds, die mit ihrem hohen Standardisierungsgrad ein ebenso prominentes wie erfolgreiches Beispiel für die exploitative Nutzung eines anfänglich explorativen, d.h. innovativen Gastronomiekonzeptes bietet.
Kontextuelle Ambidextrie beschreibt die Dualität, unterschiedliche organisatorische Faktoren (z.B. Führungsstil, Werte, Normen etc.) innerhalb einer gleichbleibenden Struktur dynamisch und aufgabenspezifisch auszugestalten. Die Herausforderung, je nach Kontext und Aufgabenstellung zwischen den Vorgehensweisen zu wechseln, erfordert hohe Flexibilität von Führungskräften und Mitarbeitern. Ein Beispiel hierfür ist das Unternehmen Google, dessen Mitarbeiter 20 Prozent ihrer Arbeitszeit in innovative Themen abseits vom Tagesgeschäft investieren. Hierbei gilt es, die Mitarbeiter zu motivieren, die konfliktären Vorgehensweisen der Exploitation und Exploration zu akzeptieren und effektiv einzusetzen.
Strukturelle Ambidextrie realisiert die oftmals konfliktären Vorgehensweisen der Exploitation und Exploration durch duale Strukturen im Unternehmen, indem differenzierte Organisationseinheiten geschaffen werden, die sich entweder auf das Kerngeschäft (Exploitation) oder die innovative Weiterentwicklung (Exploration) konzentrieren. Während das Kerngeschäft meist hierarchischen Strukturen, Formalisierung, strukturierten Routineprozessen und klassischen Arbeitsmethoden folgt, verlangt innovatives Arbeiten mehr Freiheit; hierfür erweisen sich autonome und risikotolerante Start-up-ähnliche Strukturen, häufig geprägt von einem experimentellen Vorgehen und iterativen, agilen Prozessen, als vorteilhaft. Als Beispiel können hier Automobilhersteller genannt werden, welche die Produktion klassischer Verbrennungsfahrzeuge organisatorisch von der Entwicklung von Elektrofahrzeugen trennen.
Ambidextrie in der Praxis
Grundsätzlich finden sich im Bereich der Exploitation vor allem standardisierte, wiederkehrende Aufgaben vor, wie z.B. die Optimierung der Fertigungsschritte in einer Produktionsstraße, die effiziente Steuerung von Arbeitsprozessen oder die Verwaltungsaufgaben in einem Büro. Bei der Exploration wird die Fähigkeit zur kreativen Problemlösung benötigt. Beispiele hierfür sind die prototypische Produktentwicklung, Markterprobungen oder Innovationsprojekte. Keine der beiden Vorgehensweisen ist weniger wichtig und es bedarf einer erfolgreichen Balance von klaren Vorgaben und Strukturen auf der einen Seite und Agilität und Innovation auf der anderen Seite. Jede Organisation benötigt daher sowohl einen stabilen, überdauernden Kern, der Wertschöpfung erbringt („Evolution“), als auch zukunftsorientiertes Innovationsverhalten, das den schnellen Veränderungen aus Wissenschaft, Technik, Gesellschaft und Wettbewerb gerecht wird („Revolution“).
Fazit
Die organisationale Ambidextrie tritt als eigenständiges Themenfeld im Bereich der Organisationstheorie auf der Ebene der Organisation, aber auch auf Abteilungs-, Team- und Individualebene auf und unterstützt Unternehmen, sich z.B. in den Bereichen des organisationalen Lernens, des Technologiemanagements, des Change Managements und des Wissensmanagements weiterzuentwickeln, um nicht durch disruptive Veränderungen gefährdet zu werden.