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Bilanzpolitik

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    von Professor Dr. Michael Hommel

    I. Begriff

    Unter den Begriff der Bilanzpolitik fallen alle legalen Maßnahmen, die der Bilanzierende innerhalb des Jahresabschlusses und Lageberichts ergreift, um die Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens inhaltlich und/oder formal so zu gestalten, dass bei den Adressaten bestimmte Reaktionen hervorgerufen bzw. vermieden werden.

    II. Ausnutzen expliziter Ansatz- und Bewertungswahlrechte

    Die Bilanzpolitik wird durch zahlreiche explizite Wahlrechte begünstigt, die dem Unternehmen eine zielgerichtete Darstellung der finanziellen Unternehmenssituation ermöglichen. So gestatten die gesetzlichen Aktivierungswahlrechte die Entscheidung, ob bestimmte Ausgaben erfolgsneutral bilanziert oder sofort gewinnmindernd ausgewiesen werden. Hierunter fallen insbesondere die Wahlrechte für die (Nicht-)Aktivierung des derivativen Goodwills (§ 255 IV 1 HGB), des Disagios (§ 250 III HGB) und von Bilanzierungshilfen wie den Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebs (§ 269 HGB), bestimmter Zölle, Verbrauchssteuern und Umsatzsteuern (§ 250 I Nr. 1 und 2 HGB) sowie aktiver latenter Steuern (§ 274 II HGB). Weitere Möglichkeiten zur Erfolgsregulierung ergeben sich aus den Passivierungswahlrechten, die das Gesetz für näher beschriebene Aufwandsrückstellungen (§ 249 I 3, II HGB), bis zum 31.12.1986 begründete Pensionsverpflichtungen (Art. 28 I EGHG) und den Sonderposten mit Rücklageanteil (§ 273 HGB) vorsieht.

    Bewertungswahlrechte berechtigen den Unternehmer dazu, zwischen mehreren, sich der Höhe nach unterscheidenden Werten auszuwählen. So steht es im Ermessen des Unternehmens, die Herstellungskosten der selbsterstellten Erzeugnisse und Sachanlagen in Höhe der Einzelkosten festzulegen oder auch die Gemeinkosten (§ 255 II 3 f. HGB) und gesetzlich näher konkretisierte Finanzierungskosten (§ 255 III 2 HGB) mit einzubeziehen. Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich ferner bei der Ermittlung der Anschaffungskosten für gleichartige Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens, deren Bewertung im Sinn des § 256 HGB anhand von Gruppen- und/oder Sammelverfahren erfolgt, wobei durch Festlegung des anzuwendenden Verbrauchsfolgeverfahrens (z.B. Lifo-, Fifo-Verfahren; § 256 HGB) der Wertansatz der Bilanzobjekte gesteuert wird.

    Für die Folgebewertung ergeben sich bilanzpolitische Spielräume aus dem gemilderten Niederstwertprinzip (§ 253 II 3 HGB) und der Möglichkeit, das Umlaufvermögen an einen geschätzten, niedrigeren Zukunftswert anzugleichen (§ 253 III 3 HGB).

    III. Ausnutzen faktischer Ansatz- und Bewertungswahlrechte

    Die Bilanzierung wird maßgebend durch den (Nicht-)Eintritt zukünftiger Ereignisse beeinflusst und erfordert damit ein hohes Maß an (subjektiven) Schätzungen. Die daraus resultierenden faktischen Ansatz- und Bewertungswahlrechte entfalten ihre Wirkung insbesondere bei der Bestimmung der zentralen Abschreibungsparameter (Nutzungsdauer, Abschreibungsverfahren) von Anlagegegenständen und der Ermittlung des niedrigeren, beizulegenden Wertes von Aktiva (Nachweis der gesunkenen Wertpotentiale und ggf. der Dauerhaftigkeit der Wertminderung). Auf der Passivseite sind die faktischen Wahlrechte besonders bei der Rückstellungsbilanzierung relevant, deren Ansatz und Höhe ganz entscheidend von Annahmen über den voraussichtlichen (Nicht-)Eintritt eines bestimmten Ereignisses und den damit verbundenen finanziellen Belastungen abhängt.

    IV. Formale Gestaltungsmöglichkeiten

    Formale Bilanzpolitik bezieht sich insbesondere auf die Art und Tiefe der Gliederung von Bilanz/GuV und die Zuordnung von Geschäftsvorfällen zu einzelnen Bilanz- und GuV-Positionen. Durch die entsprechenden Maßnahmen greift der Bilanzierende in die Struktur des Jahresabschlusses ein, ohne die Höhe des Nettovermögens und des Geschäftserfolgs zu verändern, mit dem Ziel, bestimmte bei der Bilanzanalyse genutzte Kennzahlen (Verschuldungsgrad, Fremdkapitalquote) zu justieren oder generell Größenmerkmale (z.B. die Bilanzsumme) so zu vermindern, dass das Unternehmen größenabhängige Erleichterungen bei der Offenlegung und Prüfung des Jahresabschlusses in Anspruch nehmen kann (§ 276 HGB). Indem der Bilanzierende über bestimmte Sachverhalte im Anhang und nicht in der Bilanz/GuV berichtet (Anlagengitter; Laufzeitbänder von Verbindlichkeiten) und bestimmte Geschäftsvorfälle in der Bilanz/GuV offen oder verdeckt mit anderen Positionen saldiert, kann er die Wahrnehmung entscheidungsrelevanter Informationen durch den Empfänger des Jahresabschlusses beeinflussen.

    V. Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen

    Zu den sachverhaltsgestaltenden Maßnahmen zählen v.a. solche, die der Bilanzierende vor dem Bilanzstichtag ergreift, um die Bilanzstruktur optisch aufzuwerten, wie der Verkauf nicht betriebsnotwendiger Grundstücke oder die kurzfristige Kredittilgung bzw. -aufnahme und die zeitliche Verlagerung von Lieferungen und Leistungen in das alte (neue) Geschäftsjahr. Ferner zählen zu den sachverhaltsgestaltenden Vorgängen auch die nach dem Bilanzstichtag vorgenommenen Zuführungen oder Entnahmen aus den Rücklagen für Zwecke der Ausschüttungs- und Dividendenpolitik.

    VI. Grenzen der Bilanzpolitik

    Die handelsrechtlichen GoB begrenzen die Möglichkeit einer ausufernden Bilanzpolitik. So ist der Unternehmer grundsätzlich dazu verpflichtet, einmal ausgeübte Wahlrechte auch in der Folgezeit stetig auszuüben (§ 252 I Nr. 6 HGB), die angewandten Bewertungsmethoden im Anhang offen zu legen (§ 284 II Nr. 1 HGB) und Abweichungen zum Vorjahr anzugeben und zu erläutern (§ 284 II Nr. 3 HGB). Zudem muss der Unternehmer im Anhang darüber informieren, wenn die (gegebenenfalls durch Bilanzpolitik verzerrten) Wertansätze in der Bilanz/GuV kein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Unternehmenslage vermitteln (§ 284 II 2 HGB). Bedeutende faktische Grenzen ergeben sich für die Bilanzpolitik daraus, dass viele der bilanzpolitischen Ansatzpunkte nur einmal grundlegend ausgeübt werden können, und eine einmal vorgenommene Bilanzpolitik (aufgrund der Totalgewinnidentität) in nachfolgenden Perioden zwingend zu gegenläufigen Effekten führt.

    Literatur: Baetge, J./ Ballwieser, W., Probleme einer rationalen Bilanzpolitik, in: BFuP 1978, S. 511–530; Baetge, J., Bilanzanalyse, Düsseldorf 1998; Hilke, W., Bilanzpolitik: Jahresabschluss nach Handels- und Steuerrecht mit Aufgaben und Lösungen, 6. Aufl., Wiesbaden 2002; Peemöller, V.H., Bilanzanalyse und Bilanzpolitik. Einführung in die Grundlagen, 3. Aufl., Wiesbaden 2003; Veit, K.-R., Bilanzpolitik, München 2002; Wöhe, G., Bilanzierung und Bilanzpolitik

    betriebswirtschaftlich

    handelsrechtlich

    steuerrechtlich, 9. Aufl., München 1997.

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