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Steuerharmonisierung in der EU

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    1. Grundlagen: a) Harmonisierungsbedarf: Der EG-Binnenmarkt ist unterschiedlichen Steuergesetzen unterworfen, was den Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern (v.a. zwischen Unternehmen der betreffenden Staaten) verzerrt.

    b) Harmonisierungsermächtigung: Bei der Gründung der E(W)G wurde in Art. 93 (ex-Art. 99) EGV für die indirekten Steuern den Organen der EG eine ausdrückliche Ermächtigung dazu erteilt, die Steuergesetze der Mitgliedstaaten durch EG-Richtlinien aneinander anzugleichen und auf diesem Wege die Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Diese Ermächtigung wurde später auf das Funktionieren des Binnenmarktes eingeschränkt. Für die direkten Steuern ergibt sich aus der allgemeinen Regelung des Art. 94 EGV (Harmonisierung aller Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, soweit sie das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes behindern) ebenfalls eine Ermächtigung, Richtlinien zu erlassen. D.h. die Steuerhoheit bei indirekten und direkten Steuern liegtgrundsätzlich bei den Mitgliedstaaten. Der Spielraum, wie diese ihre Möglichkeiten als Gesetzgeber nutzen dürfen, kann von der EG so weit eingeengt werden, wie dies notwendig ist, um den Binnenmarkt von Behinderungen und Wettbewerbsverzerrungen zu befreien.

    c) Voraussetzungen der Harmonisierung: Sowohl im Bereich der direkten als auch der indirekten Steuern setzt eine Harmonisierung durch Richtlinien voraus, dass ein Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission vom Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN-Rat) einstimmig gebilligt wird. Wegen der nationalen Bedeutung ist für die Fälle, die einen weiteren Souveränitätsverzicht bedeuten würden, eine Zustimmung schwierig. Die St. in der EU ist daher v.a. von Vorschlägen, die sich auf enge Detailfragen beschränken, i.d.R. von sehr langen Verhandlungszeiten über Gesetzesinitiativen sowie teilweise auch vom Scheitern von Vorlagen im Gesetzgebungsprozess geprägt.

    d) Abgrenzung zur Abschaffung von Binnenmarkthindernissen durch Rechtsprechung: In der Praxis spielt neben der St. v.a. die Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof und die nationalen Gerichte eine große Rolle. In diesem Prozess werden nicht neue Normen geschaffen, sondern schon bestehende Normen, z.B. die europäischen Grundfreiheiten, konsequent angewandt und daraus Vorgaben abgeleitet, die bei der Gestaltung der Steuergesetze im Binnenmarkt einzuhalten sind (z.B. das Diskriminierungsverbot).

    Unterschiede zu einer St.:
    (1) Die Gerichtsentscheidungen lassen den Mitgliedstaaten grundsätzlich volle Ermessensfreiheit bei der Wahl ihrer nationalen Gesetzgebung; sie zeigen die aufgrund höherrangigen Rechts nicht erlaubten Alternativen auf. Eine St. würde dagegen eine Vereinheitlichung erzwingen.
    (2) Durch Gerichtsentscheidungen können nationale Regeln nur verworfen werden, wenn sich nachweisen lässt, dass sie als solche schon mit den Grundgedanken des Binnenmarktes unvereinbar sind. Unterschiedliche, aber zulässige nationale Regelungen können nur mittels St. durch Richtlinien beseitigt werden.

    e) Entwicklung: In den letzten Jahre wird offiziell nicht mehr versucht, eine weitgehende Angleichung zu erreichen; vielmehr beschränkt sich die Europäische Kommission

    auch bei ihren Vorschlägen zu einer weiteren St.

    auf nach dem Subsidiaritätsprinzip Punkte, die die Mitgliedstaaten selbst nicht lösen können.

    2. Bereich der indirekten Steuern: Im Bereich der indirekten Steuern hat eine Harmonisierung frühzeitig begonnen (Ende der 60er Jahre). Praktisch vollständig harmonisiert werden konnten jedoch nur die Kapitalverkehrsteuern (durch die Kapitalverkehrsteuer-Richtlinie von 1969). Als bes. wichtig für den grenzüberschreitenden Handel erwies sich die Umsatzsteuer. Hier konnten Einigungen erzielt werden über die Einführung des Mehrwertsteuer-Systems in der gesamten Gemeinschaft (Erste Umsatzsteuer-Richtlinie) und schließlich auch darüber, dass die Bemessungsgrundlage in allen Mitgliedstaaten

    mit einigen wenigen verbleibenden Ausnahmen

    nach gleichen Regeln zu berechnen sei (Sechste Umsatzsteuer-Richtlinie von 1977). Wegen des hohen Aufkommens der Umsatzsteuer und ihrer Relevanz für das Preisniveau war eine Einigung über die Angleichung der Steuersätze jedoch nicht möglich. Mit der Abschaffung der Steuergrenzen im EG-Binnenmarkt war es jedoch in Einzelfällen möglich, dass Waren aus anderen Mitgliedstaaten auf den Markt eines Landes gelangen konnten, ohne dass die Steuerbelastung an das Niveau dieses Landes angepasst werden musste. Um die daraus resultierenden Wettbewerbsverzerrungen in Grenzen zu halten, wurden daher erstmals auch Vorschriften über einen Mindeststeuersatz auf 15 Prozent in die betreffende Richtlinie aufgenommen. Für die Praxis folgt aus der St. im Bereich der Umsatzsteuer, dass fast alle Fragen, die sich bei der Auslegung von Umsatzsteuergesetzen ergeben, in die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs fallen. In einem weiteren Schritt wurde mit Wirkung zum 1.1.2007 der allgemeine Umsatzsteuersatz auf 19 Prozent unter Beibehalt des ermässigten Steuersatzes von 7 Proeznt angehoben. Der ermässigte Umsatzsteuersatz für arbeitsintensive Dienstleistungen ist nach der Richtlinie der Rates der EU vom 14. Februar 2006 auf nationaler Ebene jedoch nur bis 2010 anwendbar.

    Im Bereich der speziellen Verbrauchsteuern hat die Gemeinschaft kleinere Fortschritte bei der Steuerharmonisierung erreicht. Diese beschränken sich auf die Angleichung der drei wichtigsten Steuern

    Tabaksteuer, Alkoholsteuern und Mineralölsteuer

    sowie auf die Vorgabe allgemeiner Grundsätze zur Gestaltung solcher Steuern (Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie), die Festlegung der zu besteuernden Gegenstände und nähere technische Regelungen (Mineralölsteuerstruktur-Richtlinie, Alkoholsteuerstruktur-Richtlinie, Tabaksteuerstruktur-Richtlinie) und auf die Vorgabe von Mindeststeuersätzen (zur Verhinderung eines ruinösen Steuersenkungswettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten). Für die übrigen Verbrauchsteuern gilt der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Gesetze frei sind, solange sie nicht zur Einführung von Grenzkontrollen oder ähnlichen Formalitäten beim Grenzübertritt innerhalb der EU führen.

    3. Direkte Steuern: Weitgehende Pläne zu einer vollständigen Harmonisierung der direkten Steuern sind bereits sehr frühzeitig gescheitert. Die bisherigen Fortschritte beschränken sich auf Detailfragen; im Einzelnen sind zu nennen:
    (1) Amtshilferichtlinie über die Auskunftserteilung zwischen den Finanzbehörden (1977);
    (2) Fusionsrichtlinie über die Behandlung grenzüberschreitender Verschmelzungen, Spaltungen, Einbringungen und Anteilstauschsvorgänge (1990);
    (3) Mutter-Tochter-Richtlinie über die Behandlung von grenzüberschreitenden Dividendenzahlungen im europäischen Konzern (1990, ausgeweitet Ende 2003);
    (4) Schiedsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten (1990 geschlossen, in Kraft 1995-1999);
    (5) Zinsrichtlinie über die Besteuerung privater Zinserträge in der EU (2003);
    (6) Zinsen-und-Lizenzgebühren-Richtlinie (2003).

    4. Die Entwicklungsperspektiven der St. sind weiterhin im Bereich der konsequenten Anwendung der EG-Vertragsvorschriften und der bisher zur St. erlassenen Regelungen durch die Gerichte zu erwarten.

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