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Arbeitsmarktpolitik
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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon
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von Privatdozent Dr. Fred Henneberger und Professor Dr. Berndt Keller
I. Begriffliche Abgrenzungen, Arten und Ziele der Arbeitsmarktpolitik
Von grundlegender Bedeutung ist zunächst die Unterscheidung zwischen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik. Beschäftigungspolitik ist im Sinne einer Totalanalyse primär makroökonomisch ausgerichtet. Als umfassendere Strategie schließt sie alle Maßnahmen der allgemeinen Wirtschafts-, Geld-, Finanz- und Lohnpolitik ein, welche auf Prozesse und Ergebnisse von Arbeitsmärkten einwirken. In diesem breiten Kontext eines notwendigen Policy-Mix hat die im Sinne einer Partialanalyse eher mikroökonomisch orientierte Arbeitsmarktpolitik als konkretere Strategie die Aufgabe, das Angebot an und die Nachfrage nach Arbeitskräften quantitativ und qualitativ zu beeinflussen (Niveau- und Strukturdimension). In quantitativer Hinsicht steht die Steigerung des Verhältnisses zwischen der Zahl der Erwerbstätigen und dem Arbeitsangebot aller Erwerbsfähigen im Vordergrund. Dieses Erwerbspersonenpotenzial umfasst neben den aktuell Beschäftigten die registrierten Arbeitslosen, alle Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sowie die sog. Stille Reserve i.e.S. In qualitativer Hinsicht wird die Beschäftigungsstruktur beeinflusst, d.h. ein regionales, qualifikatorisches sowie in Bezug auf Arbeitszeitvorstellungen verbessertes Matching zwischen Angebot und Nachfrage wird mit dem Ziel angestrebt, ein möglichst hohes Beschäftigungsniveau zu erreichen. Arbeitsmarktpolitik soll den Unvollkommenheiten von Arbeitsmärkten (u.a. mangelnde Transparenz, eingeschränkte Mobilität der Arbeitnehmer, Existenz von Institutionen und Transaktionskosten) entgegnen sowie die Folgen von Strukturwandel mildern. Sie ist allein nicht in der Lage, die Probleme der Unterbeschäftigung zu lösen, sondern kann nur flankierend wirken und bedarf der aktiven Unterstützung anderer Politiken; ohne gesamtwirtschaftliche Einbettung bleibt sie weitgehend wirkungslos.
Weiterhin ist zu unterscheiden zwischen Ordnungspolitik, welche über die Gestaltung bzw. Veränderung der Arbeitsmarktverfassung die rechtlich-institutionellen Rahmenbedingungen für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage vorgibt, und Prozesspolitik, welche durch die Setzung von Anreizen das Handeln der Akteure zu beeinflussen versucht.
Außerdem ist zu differenzieren zwischen passiv-verwaltender und aktiv-gestaltender Arbeitsmarktpolitik. Erstere umfasst die materielle Existenzsicherung bei Unterbeschäftigung durch die Zahlung von Lohnersatzleistungen (wie Arbeitslosengeld, Wintergeld, Kurzarbeitergeld, Insolvenzgeld) (vgl. auch Arbeitslosenversicherung). Im Sinne der Suchtheorie (Arbeitsmarkttheorien) erhöht die Arbeitslosenunterstützung den Reservationslohn und kann die Suchdauer verlängern. Sie trägt aber auch zur Förderung des Strukturwandels sowie zur Verbesserung der Ressourcenallokation bei; damit kann sie die Nachhaltigkeit von Matching-Prozessen erhöhen.
Aktiv-gestaltende Arbeitsmarktpolitik zielt auf die Beeinflussung von Ausmaß und Struktur von Angebot und Nachfrage, d.h. auf die nachhaltige Reintegration arbeitslos gewordener oder von Arbeitslosigkeit bedrohter Personen in den Erwerbsprozess, konkret den sog. ersten Arbeitsmarkt und damit in reguläre Beschäftigung. Sie sieht aktive Maßnahmen als vorrangig an (v.a. Beratung und Vermittlung, unterstützende Leistungen an Arbeitnehmer, an Arbeitgeber sowie an institutionelle Träger und berufliche Eingliederung benachteiligter Gruppen). Im Sinne einer Hierarchisierung der Ziele kodifizieren die gesetzlichen Regelungen den Vorrang der Arbeitsvermittlung und Beratung vor sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung sowie v.a. vor Entgeltersatzleistungen.
Schließlich wird die Unterscheidung in aktive und aktivierende Arbeitsmarktpolitik immer wichtiger. Letztere betont im Rahmen eines grundlegend veränderten Verständnisses von Sozialstaat bzw. Arbeits- und Sozialpolitik das Prinzip „Fördern und Fordern“ oder „Eigeninitiativen auslösen und Sicherheiten einlösen“ mit dem Ziel sozialer Inklusion. Das neue Leitmotiv bzw. das neue Leistungsrecht besteht in der engeren Verbindung von staatlichen Leistungen und erwarteten individuellen Gegenleistungen im Sinne größerer Eigenverantwortung und mehr Eigeninitiative der Arbeitnehmer. Das Sanktionspotenzial bzw. der Druck auf Arbeitslose zur Annahme jeder angebotenen Stelle wird im Rahmen der Formel der „neuen Zumutbarkeit“ gemäß regionalen, finanziellen, funktionalen und sozialen Kriterien verstärkt (u.a. neue Sperrzeitenregelung mit häufigerer Verhängung von Sperrzeiten wegen Ablehnung eines Stellenangebots, Umkehr der Beweislast) (Agenda 2010).
II. Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen
Nach zahlreichen Novellierungen sowie der Anpassung zum Arbeitsförderungsreformgesetz (AFRG) wurde das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) schließlich 1998 durch das Dritte Buch des Sozialgesetzbuches zur Arbeitsförderung (SGB III) abgelöst. Dabei kam es zu deutlichen Schwerpunktverschiebungen. War das AFG noch auf das Ziel der „Stabilisierung eines hohen Beschäftigungsstandes“ ausgerichtet, basiert die Arbeitsförderung gemäß SGB III in stärkerem Maße auf neoklassischem Gedankengut (Neoklassik): Aspekte des Arbeitsmarktausgleichs traten zulasten präventiver Maßnahmen in den Vordergrund (Erhöhung der Vermittlungseffizienz); Eigeninitiative, v.a. der Arbeitnehmer, sollten durch aktivierende Maßnahmen gestärkt werden. Die Arbeitsverwaltung sollte modernisiert und dezentralisiert werden. „Die Leistungen der Arbeitsförderung sollen v.a.
(1) den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt unterstützen,
(2) die zügige Besetzung offener Stellen ermöglichen,
(3) die individuelle Beschäftigungsfähigkeit durch Erhalt und Ausbau von Kenntnissen, Fertigkeiten sowie Fähigkeiten fördern,
(4) unterwertiger Beschäftigung entgegenwirken und
(5) zu einer Weiterentwicklung der regionalen Beschäftigungs- und Infrastruktur beitragen“ (§ 1 II SGB III). Die „Halbwertzeit“ der gesetzlichen Rahmenregelungen blieb weiter gering. Bereits 2002 traten zwei Novellierungen des SGB III in Kraft, nämlich das „Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“ (Job-AQTIV-Gesetz), sowie das Gesetz zur Reform der Arbeitsverwaltung und Arbeitsvermittlung. Ausländische Erfahrungen (u.a. in beschäftigungspolitisch erfolgreichen Ländern wie Dänemark und Niederlanden) gingen stärker als früher in die Reformüberlegungen ein. Nach Unregelmäßigkeiten bei der Vermittlungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit wurde 2002 die sog. Hartz-Kommission eingesetzt. Sie unterbreitete „Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit“. Erhebliche Neuerungen beim Aufbau der Institutionen, bei der Ausgestaltung des Leistungsrechts und den Voraussetzungen des Einsatzes zahlreicher Instrumente leiteten 2003-2005 die Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ein (Hartz I-IV), die einen Paradigmenwechsel bedeuteten. Einige Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik wurden modifiziert (u.a. Lohnkostenzuschüsse), andere neu eingeführt (u.a. Eingliederungsverträge, frühzeitige Meldepflicht bei drohender Arbeitslosigkeit, Anspruch auf Vermittlungs- und Bildungsgutscheine, Existenzgründungszuschuss, Personal-Service-Agentur).
III. Träger
Die Träger der Arbeitsmarktpolitik sind auf drei funktionalen Ebenen angesiedelt: die Bundesagentur für Arbeit (früher Bundesanstalt für Arbeit), die Kompetenzzentren für neue Arbeitsplätze und Beschäftigungsentwicklung (früher Landesarbeitsämter) sowie die Agenturen für Arbeit (früher Arbeitsämter) (Agentur für Arbeit). Die Selbstverwaltung findet im Rahmen tripartistischer Gremien statt (Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Gebietskörperschaften). Seit 2002 verfügt die Bundesagentur für Arbeit über einen dreiköpfigen Vorstand als Leitungs- sowie einen tripartistisch besetzten Verwaltungsrat als Kontrollorgan. Es handelt sich nicht nur um die Umwandlung einer drei- in eine zweistufige Struktur funktionaler Verantwortlichkeiten sondern auch um die Umstrukturierung der Bundesagentur für Arbeit von einer öffentlichen-rechtlichen Einrichtung mit Selbstverwaltungscharakter in eine „Dienstleistungsorganisation“ mit privatwirtschaftlichen Führungsstrukturen. Seit 2003 werden die Landesarbeitsämter schrittweise umgestaltet zu Kompetenzzentren für neue Arbeitsplätze und Beschäftigungsentwicklung und damit die regionale Dimension der Arbeitsmarktpolitik aufgewertet.
IV. Finanzierung und Aktivitätsrate
Die Finanzierung der passiven wie aktiven Arbeitsmarktpolitik erfolgt überwiegend und zu gleichen Anteilen aus Pflichtbeiträgen der Beschäftigten und Arbeitgeber; einzelne Instrumente werden zusätzlich durch Umlagen der Arbeitgeber finanziert (Wintergeld und Insolvenzgeld). Außerdem hat der Bund die Verpflichtung zur Übernahme bzw. zum Ausgleich von Defiziten, die aus allgemeinen Steuermitteln bestritten werden (§ 365 SGB III). Rücklagen in nennenswerter Höhe, die mittelfristig zum Ausgleich genutzt werden könnten, existieren in der Mehrzahl der Jahre nicht. Die konjunkturelle Entwicklung hat erhebliche Folgen für den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit. Die passive Arbeitsmarktpolitik folgt unterschiedlichen Organisationsprinzipien und hat mehrere Finanzierungsquellen. Die Zahlung von Arbeitslosengeld, dem größten Bestandteil der Entgeltersatzleistungen, richtet sich nach dem Versicherungsprinzip. Die Quote der Lohnersatzleistungen ist langfristig gesunken und weist Unterschiede nach Geschlecht sowie Familienstand auf. Sie ist in Höhe und Dauer abhängig von individuellen Beiträgen, die während der Erwerbstätigkeit geleistet wurden sowie von der Erfüllung bestimmter Anwartschaftszeiten. Demgegenüber richtet sich das mit dem SGB II durch Zusammenlegung der früheren Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe eingeführte Arbeitslosengeld II nach dem Bedürftigkeitsprinzip und zielt auf eine einheitliche Grundsicherung (Agenda 2010). Die Leistungen betrugen im Jahr 2008 349 Euro für die Regelleistung Arbeitslosengeld II, 94 Euro für Sozialgeld von im Haushalt der Arbeitslosengeld II-Empfänger wohnenden Nichterwerbsfähigen, 317 Euro für Unterkunft und Heizung. Die Finanzierung erfolgt durch den Bund und somit aus dem allgemeinen Steueraufkommen.
Die Beitragssätze nahmen seit Mitte der 1970er-Jahre von rund zwei Prozent im Trend auf über sechs Prozent zu, weil die Ausgaben infolge der zunehmenden Arbeitslosigkeit deutlich anstiegen. Hinzu kam die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen, die seit den 1980er Jahren v.a. durch umfangreiche Maßnahmen der Frühverrentung ausgelöst wurden. In den 1990er Jahren wurde die Ausgabenentwicklung durch den Sondereinfluss der Wiedervereinigung erheblich verstärkt. Der Beschäftigungseinbruch in den neuen Bundesländern führte zum Ausbau und massiven Einsatz sämtlicher Instrumente der Arbeitsmarktpolitik mit dem Ziel einer Stabilisierung. Die Höhe der Beitragssätze nimmt in Folge der Hartz-Gesetze deutlich ab, was politisch als Maßnahme zur „Senkung der Lohnnebenkosten“ gewollt ist. 2007 erfolgte eine Senkung von 6,5 auf 4,2 Prozent, 2008 auf 3,3 Prozent, 2009 auf 2,8 Prozent. Die Bundesagentur für Arbeit erzielt neuerdings sogar Überschüsse, nachdem über lange Jahre stets Defizite zu verzeichnen waren. Allerdings resultieren aus diesen Absenkungen Konsequenzen für die Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik (wie die Förderung der beruflichen Weiterbildung), deren Ausgaben bzw. Teilnehmerzahlen trotz des vorhandenen Bedarfs erheblich reduziert werden. Anders formuliert: Im aktuellen Reformprozess dominieren betriebswirtschaftliche, auf Kostenreduzierung orientierte Steuerungslogiken. Während die Ausrichtung der Instrumente erheblich verändert wurde, wurde die Einführung einer antizyklischen Arbeitsmarktpolitik oder zumindest konjunkturneutral ausgestalteter, stabiler Beitragssätze hingegen nicht gewagt.
Die Aktivitätsrate, d.h. der Anteil der Ausgaben für aktive Maßnahmen an allen Ausgaben, sank langfristig und lag über die gesamten 1990er Jahren nur zwischen 30 und 40 Prozent. Bei im Trend steigender Arbeitslosigkeit nahmen ceteris paribus die Ausgaben für Entgeltersatzleistungen zu (Muss-Leistungen), während die Einnahmen zurückgingen. Weil auch die aktive Arbeitsmarktpolitik (Kann-Leistungen) primär aus den Beiträgen finanziert wurde, sank aus strukturellen Gründen der Spielraum für aktive Maßnahmen, die bei hoher Arbeitslosigkeit notwendig wären.
V. Instrumente und ihre theoretische Begründung
Die Instrumente des SGB III lassen sich entsprechend der Gesetzessystematik nach den Akteuren differenzieren:
- Leistungen an Arbeitnehmer umfassen u.a. die Verbesserung der Eingliederungsaussichten, die Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung, einer selbstständigen Tätigkeit, der Berufsausbildung und beruflichen Weiterbildung sowie die Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Die Verbesserung der Eingliederungsaussichten über Maßnahmen der Eignungsfeststellung und Trainingsmaßnahmen wie auch die Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung über Mobilitätshilfen lässt sich mit Hilfe der Suchtheorien begründen; letztere dienen v.a. der Beseitigung des regionalen Mismatch (Beveridge-Kurve). Die Maßnahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung zielen auf den Auf- und Ausbau des Humankapitals bzw. die Verhinderung seiner Entwertung infolge von Arbeitslosigkeit, sie zielen v.a. auf die Struktur, letztlich aber auch auf das Niveau der Beschäftigung. Die Förderungen für Existenzgründer (Gründungszuschuss) sollen Outsider stärken, indem sie ihnen einen Zutritt zum ersten Arbeitsmarkt ermöglichen, so dass Kalküle der Insider-Outsider-Theorien zur Anwendung kommen. Außerdem kann die Unterstützung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit sowohl im Sinne einer Verbesserung des Humankapitals (Humankapitaltheorien) als auch der Beseitigung eines qualifikatorischen Mismatch im Sinne der Suchtheorie wirken.
Vgl. auch Arbeitsmarkttheorien. - Leistungen an Arbeitgeber umfassen u.a. die Eingliederung von Arbeitnehmern, die Förderung der beruflichen Ausbildung sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Eingliederungszuschüsse bzw. Lohnsubventionen sollen Produktivitätsnachteile bestimmter Arbeitnehmergruppen (v.a. Ältere, Langzeitarbeitslose, Behinderte) kompensieren; Grundgedanken des neoklassischen Basismodells sowie der Insider-Outsider-Theorien kommen zum Tragen. Die Förderung von Maßnahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung findet ihre Begründung in der Humankapitaltheorie.
- Leistungen an institutionelle Träger umfassen u.a. die Förderung von Einrichtungen der beruflichen Aus- und Weiterbildung oder der beruflichen Rehabilitation, Zuschüsse zu Sozialplanmaßnahmen, Förderung von Arbeitsbeschaffungs-, Strukturanpassungs- und Infrastrukturmaßnahmen. Die institutionelle Förderung der Aus- und Weiterbildung hat eine humankapitaltheoretische Basis. Die Zuschüsse zu Sozialplanmaßnahmen bei Arbeitnehmern, die aufgrund geplanter Betriebsänderungen von Arbeitslosigkeit bedroht sind, setzen an den Insider-Outsider-Theorien an; dadurch werden die bereits Beschäftigten (Insider) geschützt. Demgegenüber hat die Förderung von Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) Bezüge zur Beschäftigungstheorie von Keynes. Im Gegensatz zur stärkeren Angebotsorientierung der bisher genannten Instrumente steht hier die Nachfrageorientierung im Sinne der Schaffung zusätzlicher, wenngleich nur temporärer Beschäftigungsmöglichkeiten im Vordergrund.
VI. Evaluation aktiver Arbeitsmarktpolitik
Die „traditionelle“ Wirkungs- bzw. Begleitforschung bezog sich auf die Beurteilung der direkten Effekte einzelner Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik nach dem jeweiligen Erfolgskriterium ausschließlich bei den Teilnehmern. Ausgewiesen wurden u.a.:
- Entlastungswirkungen auf den Arbeitsmarkt im Sinne vermiedener registrierter Arbeitslosigkeit, gemessen als Zahl der Teilnehmer an aktiven Maßnahmen.
- Vermittlungsquoten als Anteil der Vermittlungen seitens der Arbeitsämter an allen Vermittlungen oder an allen Neubesetzungen von Stellen.
- Verbleibsquoten als Anteil der Teilnehmer an allen Teilnehmern, die zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. sechs Monate) nach Abschluss der Maßnahme nicht mehr arbeitslos gemeldet sind; hierbei ist ihr neuer Status irrelevant.
- Eingliederungsquoten als Anteil der Teilnehmer, die eine bestimmte Zeit nach Maßnahmenende wieder (sozialversicherungspflichtig) beschäftigt sind.
Sämtliche Indikatoren lassen jedoch keine Aussagen zu über die kausale Wirksamkeit der jeweiligen Maßnahme, da Erfolg auch bei Nicht-Teilnahme zustande kommen kann. Neuere mikroökonometrische Evaluationsstudien versuchen dieses Problem der Selektionsverzerrung deshalb durch Einführung einer Kontrollgruppe zu lösen. Die Personen in der Kontrollgruppe sind im Idealfall in allen beobachtbaren und nicht beobachtbaren Charakteristika mit den Personen in der Gruppe der Teilnehmenden identisch. Das einzige Unterscheidungsmerkmal ist die Teilnahme an der betrachteten Maßnahme. In der älteren Forschung dominierten dagegen einfache „Vorher-Nachher-Vergleiche“, von denen nicht unbedingt auf Erfolg oder Misserfolg einer Maßnahme geschlossen werden kann.
Die „moderne“ Evaluationsforschung analysiert die Programme bzw. Instrumente passiver sowie v.a. aktiver Arbeitsmarktpolitik im Hinblick auf den wirkungsvollen und effizienten Einsatz erheblicher, aber knapper öffentlicher Ressourcen. Im günstigsten Fall erlauben daraus abzuleitende Handlungsempfehlungen eine nachhaltige Politikberatung. Eine quantitativ und qualitativ neue Stufe leitete die gesetzlich vorgeschriebene, auf breiterer Datenbasis durchgeführte, methodisch innovative sowie vom Umfang her einmalige Evaluationsforschung zu den Hartz-Gesetzen ein. Zu unterscheiden sind zwei Dimensionen: Effizienz zielt auf eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Mitteleinsatz und Grad der Zielerreichung im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse (z.B. bei Vermittlungsleistungen der Agenturen für Arbeit). Effektivität misst die Wirksamkeit, deren Erfolgskriterien sein können: (Wieder-)Beschäftigung, Stabilität bzw. Dauer von Beschäftigungsverhältnissen, Einkommen nach Teilnahme an einer Maßnahme. Zu unterscheiden sind die direkten Effekte auf Teilnehmer von den indirekten Effekten auf Nicht-Teilnehmer sowie die gesamte Volkswirtschaft (u.a. Höhe der Arbeitslosigkeit bzw. der Beschäftigung). Wie die sozialwissenschaftliche Begleit-, später die Implementations- und Evaluationsforschung belegen, hat der Einsatz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen und Instrumente häufig neben direkten auch indirekte, von der Arbeitsverwaltung nicht-intendierte Folgen, welche die Erreichung der erhofften (Beschäftigungs-)Ziele beeinträchtigten oder verhinderten. Hierzu gehörten v.a.:
- Verdrängungseffekte, d.h. Teilnehmer an Maßnahmen (wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) besetzen (reguläre) Arbeitsplätze, die Nichtteilnehmer eingenommen hätten, oder subventionierte Unternehmen erhöhen ihren Marktanteil zulasten anderer, möglicherweise sogar wettbewerbsfähigerer Unternehmen. Die erhofften Nettoeffekte für die Beschäftigungshöhe treten nicht auf bzw. können längerfristig sogar negativ sein, wenn private Investitionen und Firmenneugründungen verhindert werden.
- Substitutionseffekte, d.h. durch die Veränderung der Lohnrelationen (z.B. durch Eingliederungszuschüsse, Weiterbildungsmaßnahmen) geht die Arbeitsnachfrage nach anderen, nicht geförderten Arbeitskräften zurück. Unternehmen ersetzen ihre Arbeitskräfte durch staatlich geförderte Arbeitslose. Im Nettoeffekt bleibt die Beschäftigungshöhe konstant. Es findet lediglich eine Umverteilung des Arbeitslosigkeitsrisikos bzw. der Arbeitsmarktchancen statt.
- Mitnahmeeffekte, d.h. das Arbeitsmarktergebnis wäre auch ohne Durchführung der Maßnahme (z.B. Lohnsubventionen, Einstellungs- und Eingliederungszuschüsse) eingetreten. Die private Arbeitsnachfrage wird finanziell unterstützt, jedoch nicht erhöht.
- Steuereffekte, d.h. die Maßnahmen wirken durch Beeinflussung der Abgabenbelastung auf die Nicht-Teilnehmer. Diese führt zunächst zu einem Wohlfahrtsverlust. Wenn dann der expansive Impuls auf die reguläre Beschäftigung geringer (stärker) ausfällt als die damit implizierte Arbeitskostensteigerung, verringert (verbreitert) sich die Steuerbasis.
Die Ergebnisse der inzwischen vorliegenden Evaluationsstudien sind keinesfalls einheitlich hinsichtlich der Wirkungen der vorhandenen Vielzahl von Instrumenten und Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik. Deutliche Unterschiede bestehen u.a.
- zwischen West- und Ostdeutschland,
- hinsichtlich der Untersuchungs- bzw. Beobachtungszeiträume (kurz- versus mittel- und langfristige Effekte),
- hinsichtlich der Zielvariablen bzw. des Erfolgsmaßstabes (u.a. rasche versus dauerhafte (Re-)Integration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt),
- hinsichtlich der Folgen auf Mikro- und Makroebene, wobei letztere auch Kreislauf- und Beschäftigungseffekte einschließt, sowie
- hinsichtlich der einzelnen Maßnahmen und Instrumente.
Insgesamt zeigt sich, dass die Niveaueffekte im Sinne eines Abbaus von Arbeitslosigkeit bzw. der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze wohl gering sind. Aktuelle Studien geben Anlass zu einer eher skeptischen Beurteilung der Wirkungen bestimmter Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik. V.a. für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Strukturanpassungsmaßnahmen und Personal-Service-Agenturen sowie die neuen Arbeitsgelegenheiten für erwerbsfähige Hilfebedürftige können keine verbesserten Chancen der Wiedereingliederung ermittelt werden. Dieses Ergebnis mag auch dadurch zustande kommen, dass eine höhere „Passgenauigkeit” im Sinne einer besseren Zielgruppenorientierung sowie größerer Betriebsnähe einzelner Maßnahmen notwendig wäre. Die Personal-Service-Agenturen wurden inzwischen wieder abgeschafft, die Strukturanpassungsmaßnahmen 2004 mit den rechtlich veränderten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zusammengefasst. Bei der Förderung der beruflichen Weiterbildung sind die Effekte grundsätzlich positiv zu bewerten, die langfristigen (Wiedereingliederungs-)Wirkungen vermutlich günstiger als die kurzfristigen.
Positive Resultate i.S. der Integration in den Arbeitsmarkt erzielen betriebsnahe Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik (wie zeitlich befristete Eingliederungszuschüsse trotz möglicher Mitnahme- und Substitutionseffekte, Gründungsförderung oder betriebliche Trainingsmaßnahmen). Kurz- und mittelfristige Förderdauern von Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik scheinen wirksamer zu sein als langfristige. In methodischer Hinsicht ist anzumerken, dass bisher mit Hilfe mikroökonometrischer Verfahren v.a. bestimmte Instrumente, recht kurze Zeiträume sowie reine Arbeitsmarkteffekte untersucht wurden. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass in Zukunft internationale Vergleiche der EU- bzw. OECD-Länder in Bezug auf die Effizienz und Effektivität der Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik eine wichtigere Rolle spielen werden.
Über die Wirkungen auf individueller Ebene, d.h. auf die Arbeitsmarktchancen der Geförderten liegen mehr Ergebnisse bzw. Erkenntnisse vor als über die auf gesamtwirtschaftlicher Ebene, d.h. auf andere Akteure bzw. Nicht-Teilnehmer.
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