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Psychische Gefährdungsbeurteilung
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1. Begriff: Das ArbSchG verpflichtet seit 01.01.2014 alle deutschen Unternehmen explizit, auch die psychischen Belastungen ihrer Beschäftigten bei der Arbeit zu ermitteln, zu beurteilen und zu dokumentieren, sowie entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen zu ergreifen (§3, §5 ArbSchG). Folglich wird der Arbeitsschutz, der sich bislang auf die physische Belastung fokussiert hat, um den wesentlichen Faktor der psychischen Gefährdung erweitert. Zentrales Instrument dabei ist die psychische Gefährdungsbeurteilung (GBU).
2. Merkmale: Durch eine GBU werden Belastungen in den Bereichen Arbeitsaufgabe bzw. Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen und Arbeitsumgebung ermittelt.
Der Gesetzgeber stellt in Deutschland explizit keine konkreten Anforderungen an die Durchführung und Gestaltung einer GBU. Dadurch wird der Individualität und Vielfalt der einzelnen Unternehmen und ihrer Beschäftigten Rechnung getragen. Maßgebliche Rahmenbedingungen beschreiben die Leitlinien der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Die GDA-Leitlinien empfehlen zur Prozessgestaltung einer GBU sieben Schritte:
a) Festlegen von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten
b)Ermitteln der Gefährdungen
c) Beurteilen der Gefährdungen
d) Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen
e) Durchführung der Maßnahmen
f) Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen
g)Fortschreiben der GBU
Eine GBU stellt demnach keine einmalige Untersuchung der betrieblichen Rahmenbedingungen, sondern vielmehr einen stetigen Prozess zur Optimierung des Arbeitsschutzes dar.
In der Praxis bedeutet dies, dass in einem Intervall von etwa drei Jahren oder bei entscheidenden betrieblichen Veränderungen (u.a. Struktur-, Standort- oder Betriebsgrößenveränderung), eine aktuelle Beurteilung der Gefährdungen durchgeführt werden sollte.
3. Ziele: Bei der GBU handelt es sich nicht darum, die psychischen Risikofaktoren oder gar Erkrankungen des Individuums zu diagnostizieren. Vielmehr sollen Behinderungen im Arbeitsalltag identifiziert werden, welche sich negativ auf die Gesundheit auswirken können. Auf Basis dieser Erkenntnisse können präventive Arbeitsschutzmaßnahmen zur Verbesserung und Stabilisierung der psychischen Gesundheit bei der Arbeit ergriffen werden.
4. Maßnahmen bzw. Instrumente: Da im Rahmen der Arbeit eine Vielzahl an psychischen Belastungsfaktoren existiert, ist es sinnvoll, bei der Durchführung einer GBU Schwerpunkte zu setzen. Aus diesem Grund gibt es auch kein Standardverfahren zur Durchführung einer psychischen GBU. Vielmehr sollten Durchführung und Gestaltung immer den individuellen Ansprüchen des Unternehmens angepasst werden. Dabei hat der Betriebsrat nach Urteilen des Bundesarbeitsgerichts eine Mitbestimmungspflicht.
In jedem Falle empfiehlt sich die Kombination mehrerer Erhebungsverfahren, um sowohl Aspekte der Verhältnisse im Unternehmen, als auch des individuellen Verhaltens und Erlebens der Beschäftigten erheben zu können. Eine Kombination aus quantitativen Fragebogen und qualitativen Interviews oder Gruppendiskussionen erscheint für die Ableitung und Planung von wirksamen Arbeitsschutzmaßnahmen ideal.
5. Wirkungen der Maßnahmen bzw. Instrumente: Anders als im technischen Arbeitsschutz wirkt bereits die Datenerhebung im Rahmen der Gefährdungsanalyse auf die Befragten. Daher sollten die Durchführenden über ausreichend Erfahrung und Kompetenz im Umgang mit psychometrischen Analyseinstrumenten verfügen, um mögliche Reaktionen auffangen zu können.
6. Probleme: Bei unzureichendem Vertrauen in den Prozess, die Erhebungsinstrumente oder die Durchführenden kann die Güte der erhobenen Daten beeinträchtigt sein. Daher sollte der Prozess mit größtmöglicher Transparenz und aktiver Beteiligung der Beschäftigten gestaltet und Sorgen der Mitarbeiter von Anfang an ernst genommen und diskutiert werden.
Die Geschäftsführung sollte in jedem Falle aktiv im Prozess beteiligt sein, andernfalls kann die Akzeptanz der Beurteilung und der abgeleiteten Maßnahmen in der Belegschaft sinken, was deren Wirksamkeit negativ beeinträchtigt.
7. Aktuelle Entwicklungen: Diagnosen psychischer Erkrankungen haben in den letzten Jahren beständig zugenommen. Seit 2012 stellen psychische Erkrankungen in den Statistiken der großen Krankenkassen die zweit- oder dritthäufigste Krankheitsursache dar. Für Arbeitgeber ist nicht nur deren wachsende Häufigkeit bedeutsam, sondern vor allem die lange Arbeitsunfähigkeitsdauer.
8. Beurteilung des Begriffes: Der Begriff ist an sich eher unglücklich gewählt, da er den Prozess der stetigen Verbesserung des Arbeitsschutzes und der Gesundheitsförderung der Beschäftigten auf die Analyse möglicher Gefährdungen reduziert. Zudem werden lediglich die negativ konnotierten Aspekte der Arbeit in den Fokus gerückt und die – vor allem für die psychische Gesundheit bedeutsamen – gesundheitsförderlichen Aspekte der Arbeit vernachlässigt.
9. Ausblick: Es bleibt abzuwarten, ob Unternehmen die Möglichkeiten einer GBU zur nachhaltigen Entwicklung ihres Unternehmens erkennen. Der Return on Invest und die Möglichkeiten zur Organisationsentwicklung sind bei dieser Form der professionellen Gestaltung von Präventionsmaßnahmen erheblich.
Letztendlich fördert eine erfolgreiche GBU auch die Entwicklung der Unternehmenskultur. Denn nur wenn sich die Werte, Normen und Ansichten aller Beteiligten auf ein gemeinsames Verständnis von Gesundheit und Wirtschaftlichkeit einigen, dieses beständig diskutieren und neuen Herausforderungen anpassen, ermöglicht der Prozess ein in körperlicher, geistiger, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht gesundes Unternehmen.
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