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evolutorische Wachstumstheorie

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    1. Charakterisierung: Das wesentliche Merkmal evolutorischer Modelle zur Erklärung von Entwicklungs- bzw. Wachstumsprozessen besteht darin, dass sie sich vorrangig mit der Bedeutung und der Rolle von Neuerungen (Innovationen) für den Wachstumsprozess beschäftigen. Bereits bei Schumpeter stehen die Innovationen im Mittelpunkt und sowohl in der postkeynesianischen Wachstumstheorie als auch in der neoklassischen Wachstumstheorie spielt der technische Fortschritt, in dem sich die ökonomisch relevanten Neuerungen niederschlagen, eine wichtige Rolle (Wachstumstheorie). Neu ist dagegen die Art und Weise, wie der technische Fortschritt modelliert wird. Der technische Fortschritt ist in evolutorischen Modellen keine exogene Variable, sondern wird modellendogen durch das Suchen der Unternehmen nach Neuerungen beschrieben. Auf diese Weise bekommt der Unternehmer einen höheren Stellenwert beigemessen als in der traditionellen neoklassischen Wachstumstheorie.

    2. Die wesentlichen Elemente einer evolutorischen Wachstumstheorie werden an dem folgenden Modell von Nelson und Winter (1974) verdeutlicht: a) Neuerungen: Ein wesentlicher Unterschied zu den Modellen der postkeynesianischen und neoklassischen Wachstumstheorie besteht darin, dass es sich um kein analytisches Modell, sondern um ein Simulationsmodell handelt. Dies hat den Vorteil, dass nicht nur ein einziges repräsentatives Unternehmen modelliert wird, sondern eine größere Anzahl von Unternehmen mit unterschiedlicher Ausstattung und Verhaltensweisen ganz bestimmten Umfeldbedingungen ausgesetzt werden können. Auf diese Weise lässt sich relativ realitätsnah der Wettbewerbsprozess zwischen den Unternehmen abbilden. Darüber hinaus ist es möglich, Zeitpfade des aggregierten Produktionsniveaus, des Faktoreinsatzes und der Faktorpreise zu generieren. So kann die mikroökonomische Ebene mit der makroökonomischen verknüpft und anhand eines Vergleiches mit historischen Zeitreihen überprüft werden, wie gut der Ansatz in der Lage ist, empirische Beobachtungen zu erklären. Neben diesen Vorteilen weisen Simulationsmodelle aber auch eine Reihe von Nachteilen auf. R. Nelson und S. Winter sehen v.a. bei stochastischen Modellen die Gefahr, dass die Ergebnisse möglicherweise nicht repräsentativ sind; denn in solchen Modellen müssen Annahmen über die Verteilung verschiedener Variablen getroffen werden, und diese Annahmen müssen mit der Realität nicht übereinstimmen. Ein weiterer Nachteil ist häufig die geringe Transparenz der Ergebnisse; deren Interpretation wird schwierig, weil der modellendogen ablaufende Selektionsmechanismus im Nachhinein nur noch schwer zu durchschauen ist.

    b) Darstellung:
    (1) Annahmen: Das Modell besteht aus mehreren Unternehmen, die dasselbe homogene Gut herstellen. Sie verwenden dafür Arbeit und Sachkapital. In einer bestimmten Periode lässt sich ein Unternehmen durch die verwendete Produktionstechnik, welche sich wiederum mithilfe der beiden Inputkoeffizienten für Arbeit und Sachkapital beschreiben lässt, sowie durch den Bestand an Sachkapital charakterisieren. Annahmegemäß produzieren die Unternehmen stets mit voll ausgelasteten Kapazitäten. Für jede Periode lässt sich durch Aggregation der entsprechenden Variablen bei den existierenden Unternehmen das Outputniveau sowie die Arbeitsnachfrage bestimmen. Der Lohn lässt sich folglich mithilfe einer gegebenen Arbeitsangebotskurve für jede Periode berechnen. Die Bruttorendite des Kapitals ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Output (bei einem Preis von Eins) und den Lohnkosten, bezogen auf den Kapitalbestand.

    Technische Veränderungen ergeben sich dann, wenn die Unternehmen nach Neuerungen suchen, um das von ihnen angestrebte zufrieden stellende Niveau der Profitrate, das im Modell auf 16 Prozent gesetzt wird, zu realisieren. Der Suchprozess wird so modelliert, als existiere ein konstanter Pool technischer Alternativen, die durch unterschiedliche Faktorkoeffizienten charakterisiert sind und für deren Auffinden jeweils die gleiche Wahrscheinlichkeit besteht. Die Suche beschränkt sich auf Produktionsmöglichkeiten, deren Faktorkoeffizienten sich nur sehr wenig voneinander unterscheiden. Nelson und Winter sprechen hier von Local Search. Darüber hinaus lässt sich auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass relativ große Differenzen zwischen Faktorkoeffizienten auftreten, und damit das Ausmaß der Innovationssprünge in den Simulationsläufen variieren. Schließlich berücksichtigt das Modell auch die Möglichkeit, dass sich einzelne Unternehmen weniger der Suche nach besseren Produktionsmöglichkeiten widmen als der Imitation bewährter Techniken. Dass die Unternehmer bei der Einschätzung neuer Produktionstechniken oft Fehler machen, wird dadurch erfasst, dass sie die Inputkoeffizienten neuer Techniken um 20 Prozent zu hoch einschätzen und erst später ihre Einschätzung korrigieren.

    Der Bestand an Unternehmen, die als Anbieter auf dem Markt auftreten, ist keineswegs über den gesamten Simulationszeitraum konstant. Vielmehr können potenzielle Anbieter auf den Markt kommen (potenzieller Wettbewerb).


    (2) Beurteilung: Vorgehen und Ergebnisse zeigen, dass der evolutorische Ansatz nicht dem neoklassischen Paradigma entspricht, weicht er doch in zentralen Prämissen von diesem ab. So lassen sich die Unternehmen bei ihrer Investitionsentscheidung nicht von der Gewinnmaximierungsregel leiten, vielmehr streben sie nach der Realisierung eines zufrieden stellenden Niveaus. Außerdem existiert zu jedem Zeitpunkt eine beachtliche Vielfalt an Konstellationen von Inputs und Outputs bei den Unternehmen, so dass die Ergebnisse nicht paretooptimal (Pareto-Optimum) sein können, denn es gibt stets Unternehmen, die noch nicht die besten Produktionstechniken einsetzen, weil sie diese noch nicht entdeckt haben. Folglich wird zu keinem Zeitpunkt ein Gleichgewicht im paretianischen Sinn realisiert. Rechnet man die Annahme, ein ökonomisches System sei inhärent stabil und befinde sich stets im Gleichgewicht oder auf dem Weg dorthin, zum harten Kern des neoklassischen Paradigmas, so darf das hier präsentierte Modell nicht dazu gerechnet werden. Es gibt allerdings andere, analytische Evolutionsmodelle, die sich schwerpunktmäßig mit multiplen Gleichgewichten eines ökonomischen Systems bzw. mit dem Verlassen und Wiederfinden von Gleichgewichtszuständen auseinander setzen. Bei solchen Modellen handelt es sich um Weiterentwicklungen der Gleichgewichtsökonomik und folglich um neoklassische Evolutionsmodelle.

    3. Ausblick: Die Beschäftigung mit der Wachstumstheorie im Rahmen der neuen Wachstumstheorie und der evolutorischen Wachstumstheorie hat nicht nur zu Erkenntnisfortschritten innerhalb der genannten Paradigmata geführt, sondern zugleich einen Abbau der Mauern zwischen diesen Ansätzen eingeleitet. Bes. dadurch, dass die neoklassische Wachstumstheorie sich schrittweise von der Annahme vollständiger Konkurrenz löst, ergeben sich neue Möglichkeiten, die Einsichten der keynesianischen, der neoklassischen und der evolutorischen Wachstumstheorie zu kombinieren; denn bei unvollständiger, monopolistischer Konkurrenz gewinnt für den Unternehmer

    anders als beim Mengenanpasser

    die Absatzseite große Bedeutung, so dass sich neoklassischer Ansatz und keynesianische Nachfrageanalyse nicht mehr von vorneherein ausschließen, sondern kombiniert werden können. Dann findet auch

    trotz unterschiedlicher Akzentsetzung

    der innovierende Unternehmer den Freiraum, den er für sein aktives Handeln ausnutzen kann.

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