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neoklassische Wachstumstheorie

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    1. Begriff: Unter neoklassischer Wachstumstheorie werden wachstumstheoretische Arbeiten zusammengefasst, deren Methodik durch neoklassische Eigenschaften charakterisiert sind.

    2. Merkmale: a) Es wird davon ausgegangen, dass sämtliche Preise und Löhne flexibel sind. Folglich sind Märkte für Güter und Produktionsfaktoren jeweils durch einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage gekennzeichnet. Es herrscht vollkommene Konkurrenz.

    b) Der Produktionsprozess eines Landes wird anhand einer aggregierten Produktionsfunktion beschrieben: Das Sozialprodukt wird durch den Einsatz von physischem Kapital (Sachkapital) und Arbeit erzeugt. Es wird angenommen, dass das Einsatzverhältnis der Produktionsfaktoren variabel ist und dass die Grenzerträge der Produktionsfaktoren mit zunehmendem Einsatz sinken. Ferner beinhaltet die Produktionsfunktion einen als konstant angenommenen Faktor, mit dem berücksichtigt wird, dass die Produktivität der neu eingesetzten Faktoren im Zeitablauf steigt (etwa durch verbesserte Techniken und qualifiziertere Ausbildung). Allerdings wird dieser Faktor auch als „Restgröße” der Produktionsfunktion bezeichnet, weil alle Steigerungen des Outputs, die nicht auf einen rein zahlenmäßig erhöhten Einsatz der Faktoren Arbeit und Kapital zurückgeführt werden, diesem Faktor zugerechnet werden. Möglich ist damit auch, dass mit dieser Restgröße positive Einflüsse auf den Output gemessen werden, die nicht explizit in der Produktionsfunktion benannt sind.

    c) Die Ausstattung einer Volkswirtschaft mit Sachkapital (hier allg. als Kapital bezeichnet) erfolgt im Laufe der Zeit dadurch, dass ein Teil des Einkommens gespart wird. Da das Modell als geschlossene Volkswirtschaft konzipiert ist, beschreibt diese Ersparnisbildung zugleich den Umfang der Investitionen in neues Sachkapital. Der Kapitalbestand einer Volkswirtschaft ist im Zeitablauf ferner durch eine abnutzungsbedingte Wertminderung gekennzeichnet.

    3. Ziele: Die neoklassische Wachstumstheorie versucht zu erklären, unter welchen Bedingungen durch den Einsatz von originären Faktoren (wie natürlichen Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft) und produzierten Faktoren (wie Maschinen und erlerntem Fähigkeiten) wirtschaftliches Wachstum entsteht und dauerhaft sein kann.

    4. Methode: Im Mittelpunkt steht das Konzept des Wachstumsgleichgewichts (Steady State), das im Fall der neoklassischen Wachstumstheorie dadurch gekennzeichnet ist, dass die Wachstumsraten von Modellvariablen (also jeweils die zeitliche Veränderung der Variablen im Verhältnis zu ihrer Anfangsgröße) konstant sind. Das Wachstumsgleichgewicht ist ein Zustand, in dem sich alle Produzenten und Nachfrager optimal an die Güter- und Faktorpreise anpassen. Die Identifizierung eines solchen Zustands ist der erste Analyseschritt der neoklassischen Wachstumstheorie. Im zweiten wird geprüft, ob das Gleichgewicht stabil ist: Entwickeln sich Volkswirtschaften von unterschiedlichen Ausgangssituationen aus (oder nach Störungen) zu einem Wachstumsgleichgewicht hin? Im dritten Schritt wird geprüft, welche Veränderungen der Ergebnisse eintreten, wenn Annahmen in Bezug auf exogene Einflüsse verändert werden.

    5. Ansätze: Die zwei grundlegenden Ansätze werden durch die jeweilige Annahme in Bezug auf die Ersparnisbildung unterschieden: a) Exogene Ersparnisbildung: Das von Solow 1956 veröffentlichte Modell erklärt die Ersparnisbildung nicht durch das Verhalten der Bürger, sondern diese wird als gegeben angenommen. Solow zeigt, dass sich Ökonomien zu einem Gleichgewicht hin entwickeln, in dem Output und Kapitalstock mit derselben Rate wachsen wie das Arbeitsangebot (von dem angenommen wird, dass es mit dem Wachstum der Bevölkerung übereinstimmt). Weil das Verhältnis des pro Arbeitseinheit eingesetzten Kapitals die Kapitalintensität der Produktion beschreibt, kann man auch formulieren: Eine Wirtschaft ist im Gleichgewicht dadurch charakterisiert, dass die Kapitalintensität im Zeitablauf konstant ist. Aufgrund der Modellstruktur ist jede weitere durch die Kapitalintensität definierte Größe im Zeitablauf konstant: Die Faktorproduktivitäten (das Verhältnis Output zu eingesetzten Faktoren), die Verteilung des Einkommens (mit Preisen bewertete Erträge der Produktionsfaktoren) auf die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit, sowie die Faktorpreise. Aus der konstanten Arbeitsproduktivität folgt, dass die Produktion mit der Wachstumsrate des Arbeitseinsatzes (bzw. der Bevölkerung) wächst. Der zweite positive Einfluss auf die Produktion geht von der Sparquote aus: Je höher die Sparquote, die in diesem Fall der Investitionsquote entspricht, desto höher ist der Kapitalbestand einer Volkswirtschaft und desto höher ist damit die Kapitalintensität und folglich auch die Wachstumsrate des produzierten Outputs. Die Stabilitätsanalyse zeigt, dass sich das System im Zeitablauf hin zu einem Wachstumsgleichgewicht entwickelt: Im Normalfall liegt die anfängliche Kapitalintensität unter der gleichgewichtigen und es erfolgt ein Konvergenzprozess der Wirtschaft hin zum Gleichgewichtszustand. Dieser Anpassungsprozess ist dadurch gekennzeichnet, dass die Wachstumsraten des Pro-Kopf-Einkommens am Beginn des Aufholprozesses umso höher sind, desto weiter die anfängliche Kapitalintensität zu diesem Zeitpunkt vom Gleichgewicht entfernt ist.

    b) Endogene Ersparnisbildung: In der Produktionsbeschreibung stimmen die Modelle von F.A. Ramsey (1928; Ramsey-Modelle) sowie die Generationenmodelle von Samuelson (1958) und Diamond (1965) mit den neoklassischen Eigenschaften des Solow-Modells überein. Die Sparentscheidung der Bürger wird aber jeweils als Reflex ihrer Konsumentscheidungen im Zeitablauf beschrieben. Als methodisches Konzept wird ein repräsentativer Haushalt betrachtet, der durch die zeitliche Verteilung des Lebenskonsums seine Wohlfahrt maximiert. Die Konzepte unterscheiden sich in der Modellierung der gewählten Zeitstruktur: Ramsey-Modelle nehmen eine zeitkontinuierliche Betrachtung mit unendlichem Zeithorizont vor, Generationenmodelle dagegen teilen den Lebenszyklus in zwei zeitlich begrenzte Perioden Jugend und Alter (bzw. Erwerbsphase und Ruhestandsphase). Wenn in Generationenmodellen ein Vererbungsmotiv der Eltern berücksichtigt wird, entspricht das Ergebnis dem des Ramsey-Modells. Die Beschreibung des Wachstumsgleichgewichts und der Anpassung an ein solches stimmt in beiden Modelltypen mit der Aussage von Solow überein; allerdings ist nun die Kapitalintensität und damit das Pro-Kopf-Einkommen im Wachstumsgleichgewicht umso geringer, desto stärker die Präferenzen der Bürger für den gegenwärtigen Konsum sind.

    6. Folgerungen und Ergebnisse: Solow zeigt erstens, dass durch eine dauerhafte Erhöhung der Spar- bzw. Investitionsquote ein höheres Niveau eines gleichgewichtigen Wachstums erreicht werden kann, und zweitens, dass steigende Wachstumsraten nur während eines Anpassungsprozesses hin zu einem stabilen, stationären Gleichgewicht möglich sind. Mit diesen Ergebnissen widerlegt Solow die beiden zentralen Aussagen der keynesianischen Wachstumstheorie (postkeynesianische Wachstumstheorie), dass Wachstumsprozesse von Volkswirtschaften grundsätzlich zur Instabilität (Harrod) oder Stagnation (Domar) neigen. Solow selbst hat bereits 1957 im Rahmen einer empirischen Studie erste wichtige Konkretisierungen seines Modells vorgelegt. Er findet heraus, dass sich der Output einer Arbeitsstunde in den USA im Zeitraum zwischen 1909 und 1949 in etwa verdoppelt hat. Diese Entwicklung wird nur zu einem Anteil von 1/8 auf einen Anstieg des Kapitaleinsatzes pro Arbeitseinheit zurückgeführt; 7/8 des Wachstums wird durch die Restgröße totale Faktorproduktivität bestimmt. Dieses Ergebnis zeigt einerseits, dass technischem Fortschritt bei der Erklärung wirtschaftlichen Wachstums die entscheidende Rolle zukommt, aber andererseits auch die Schwäche des Erklärungsansatzes, weil eine Restgröße der Produktionsfunktion den größten Einfluss auf das Ergebnis hat.

    7. Aktuelle Entwicklung: Es hat rund drei Jahrzehnte gedauert, bis sich Ökonomen auf die Erklärung dieser Restgröße konzentriert haben. Diese Arbeiten werden als neue Wachstumstheorie (endogene Wachstumstheorie) bezeichnet, weil sie den technischen Fortschritt und damit das Wirtschaftswachstum explizit modelltheoretisch erklären wollen. Dabei wendet sich ein Teil dieser Arbeiten von der neoklassischen Analysemethodik ab und sieht gerade in der Modellierung von Marktunvollkommenheiten bessere Möglichkeiten zur Erklärung wirtschaftlicher Entwicklungen. Andere Arbeiten bleiben im neoklassischen Analyserahmen und versuchen, durch verschiedene Modifizierungen Fortschritte in der Erklärung von Wirtschaftswachstum zu erzielen. Interessanterweise hat sich dabei die Struktur des neoklassischen Wachstumsmodells von Solow als relativ robust erwiesen, wenn in die von Solow konzipierte Produktionsfunktion weitere Faktoren aufgenommen werden. Insbesondere die 1992 von Mankiw, Romer und Weil veröffentlichte Erweiterung um den Faktor Humankapital hat dazu geführt, dass die neoklassische Wachstumstheorie in der Tradition von Solow in der aktuellen Forschung nach wie vor eine zentrale Stellung einnimmt.

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