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Sitztheorie
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1. Nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum dt. internationalen Gesellschaftsrecht beurteilte sich die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes. Das galt auch dann, wenn eine Gesellschaft in einem anderen Staat wirksam gegründet worden ist und anschließend ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt. Folge einer Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland war, dass eine nach dem Recht des anderen Staates wirksam gegründete Gesellschaft ihre vertraglichen Rechte vor dt. Gerichten nicht durchsetzen konnte, solange sie nicht nach den Regeln des dt. Gesellschaftsrechts neu gegründet worden war.
2. Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. z.B. das Urteil vom 9.3.1999 zu Centros) ist die Sitztheorie mit dieser Folge nicht mit der in Art. 43 und 48 EGV garantierten Niederlassungsfreiheit vereinbar (vgl. neben der Entscheidung zu Centros auch die zu Überseering undInspire Art Ltd.). Der BGH hat die Konsequenz gezogen und die Sitztheorie zumindest im Anwendungsbereich des EU-Rechts zugunsten der Gründungstheorie aufgegeben. Dies bedeutet, dass eine Gesellschaft, die unter dem Schutz der im EGV garantierten Niederlassungsfreiheit steht, berechtigt ist, ihre vertraglichen Rechte in jedem Mitgliedsstaat geltend zu machen, wenn sie nach der Rechtsordnung des Staates, in dem sie gegründet worden ist und in dem sie auch nach der Verlegung des Verwaltungssitzes weiterhin ihren satzungsmäßigen Sitz hat, hinsichtlich des geltend gemachten Rechts rechtsfähig ist. Die neue Rechtsprechung eröffnet zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten bei der Wahl des Gesellschaftssitzes und der Rechtsform in der EU. Dies ist v.a. für Fragen der Kapitalausstattung und Haftungsbegrenzung von Bedeutung. Ob die neue Rechtsprechung auch für außerhalb der EU gegründete Gesellschaften gilt, bleibt offen.
3. Steuerrecht: Steuerlich bedeutet die Aufgabe der Sitztheorie für europäische Gesellschaften, dass Briefkastengesellschaften in Staaten der EU und des EWR auch für steuerliche Zwecke anerkannt werden müssen und somit zur Einkommensteuerverlagerung herangezogen werden können.
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