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StaRUG
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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon
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Mit dem StaRUG (Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen) gibt es seit 01.01.2021 einen gesetzlichen Rahmen, der die früheren Anforderungen an ein Krisen- und Risikofrüherkennungssystem präzisiert und erweitert. Die geforderte Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen erfordert Risikoanalyse und Risikoaggregation. Das Gesetz erweitert zudem die Möglichkeiten der Restrukturierung eines Unternehmens zur Vermeidung einer Insolvenz (z.B. speziell über Restrukturierungspläne). Es betrifft alle „haftungsbeschränkten Unternehmensträger“, d.h. insbesondere Aktiengesellschaften, alle GmbHs und GmbH & Co. KGs.
Das StaRUG ist nicht nur relevant für Unternehmen in der Krise, sondern für alle Unternehmen, weil es auch Anforderungen an die Krisenfrüherkennung und damit das Risikomanagement formuliert. Verletzungen dieser Pflichten implizieren Haftungsrisiken für Vorstände bzw. Geschäftsführer.
§ 1 StaRUG enthält folgende Regelung:
„§ 1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern
(1) Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. …“
Der erste Satz entspricht weitgehend den Anforderungen des KonTraG (§ 91 AktG), demzufolge Systeme zur Früherkennung von „bestandsgefährdenden Entwicklungen“ einzurichten sind. Schon aus den Erläuterungen zum KonTraG ist bekannt, und in den diversen Standards festgehalten, dass die Krisenfrüherkennung ein Risikofrüherkennungssystem erfordert (siehe z.B. IDW PS 340 n.F. (2020) und DIIR RS Nr. 2, vgl. Gleißner/Kimpel, 2019), das durch Risikoanalysen aufzeigt, welcher „Grad der Bestandsgefährdung“ sich aus den bestehenden Risiken und dem Risikodeckungspotenzial ergibt. Die „bestandsgefährdenden Entwicklungen“ sind nämlich meist das Ergebnis der Kombinationseffekte mehrerer Einzelrisiken, was eine Risikoaggregation (Monte-Carlo-Simulation) erforderlich macht. Bestandsgefährdungen ergeben sich aus einer Gefahr der Illiquidität. Bestandsgefährdende Entwicklungen durch (drohende) Illiquidität sind in der Regel das Resultat der Verletzung von Mindestanforderungen an das Rating oder der Verletzung von Kreditvereinbarungen (Covenants), die zu Kreditkündigungen führen können. Entsprechend sind die Implikationen von Risiken auf das Rating und Covenants zu betrachten.
§ 1 StaRUG geht über KonTraG hinaus. Die Geschäftsleiter werden nun verpflichtet, „geeignete Gegenmaßnahmen“ zu ergreifen, spätestens wenn eine schwere Krise droht. Es werden also eine Planung von Gegenmaßnahmen und eine „unternehmerische Entscheidung“ (§ 93 AktG) zu Krisenbewältigungsmaßnahmen gefordert (vgl. § 14 StaRUG zur Wirksamkeit).
Gleichzeitig mit der Initiierung von Gegenmaßnahmen ist gem. § 1 StaRUG das Überwachungsgremium, also bei einer AG der Aufsichtsrat, zu informieren. Diese Information sollte neben einer Einschätzung der Gefährdungslage auch die von der Geschäftsleitung vorgesehenen „geeigneten Gegenmaßnahmen“ enthalten und deren Wirksamkeit erläutern. Aufgrund der Bedeutung sind Entscheidungen über „geeignete Gegenmaßnahmen“ bis hin zur Entscheidung über einen Restrukturierungsplan als „unternehmerische Entscheidung“ (§ 93 AktG) anzusehen. Erforderlich ist hierfür eine Entscheidungsvorlage, die insbesondere über bestehende Handlungsoptionen und die mit der Entscheidung verbundenen Veränderungen des Risikoumfangs – speziell des Insolvenzrisikos – informiert. In der Regel wird die „unternehmerische Entscheidung“ über diese Maßnahmen aufgrund ihrer großen Bedeutung unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch den Aufsichtsrat gesetzt („unternehmerische Entscheidungen unter Vorbehalt“). Ab welchem Grad der Gefährdung des Unternehmens Gegenmaßnahmen zu initiieren sind und der Aufsichtsrat zu informieren ist, ist im Gesetz nicht explizit festgelegt. Der Schwellenwert sollte daher vom Überwachungsorgan (Aufsichtsrat) festgelegt werden.
Konkrete Hinweise, welche Charakteristika das Frühwarnsystem aufweisen soll, enthält das StaRUG also nicht, weil die Anforderungen zur Früherkennung möglicher bestandsgefährdender Entwicklungen nahezu identisch aus § 91 AktG entnommen wurden. Die betriebswirtschaftlichen Implikationen und Anforderungen, die sich aus § 91 Abs. 2 AktG – dem Kontroll- und Transparenzgesetz (KonTraG) – ergeben, sind seit 1998 in Schrifttum und Standards bereits präzise dargelegt worden (Gleißner, 2017c und 2018 sowie Berger et al., 2021). Dieser Stand des Wissens ist entsprechend relevant für die Interpretation von StaRUG (siehe dazu Scherer, 2014). Die Früherkennung von schweren Krisen bzw. bestandsgefährdenden Entwicklungen erfordert ein Risikofrüherkennungssystem, weil Krisen das Resultat eingetretener Risiken sind. Die Anforderungen an ein solches Risikofrüherkennungssystem sind zusammengefasst in Standards, wie dem DIIR RS Nr. 2 (Deutsches Institut für interne Revision) oder dem neuen IDW Prüfungsstandard 340 n.F. (2020) sowie in ergänzender Fachliteratur und wissenschaftlichen Stellungnahmen (siehe z.B. Gleißner, 2018; Angermüller et al., 2020; Gleißner/Kimpel, 2019; Romeike, 2008; Gleißner, 2017a; Vanini/Rieg, 2021; Berger et al., 2021 sowie Schmidt/Henschel, 2021). Notwendig ist insbesondere eine systematische Identifikation und sachgerechte Quantifizierung der Risiken sowie eine Risikoaggregation, da bestandsgefährdende Entwicklungen meist aus Kombinationseffekten von Einzelrisiken resultieren. Bei dieser Risikoaggregation werden die quantifizierten Risiken in den Kontext der Unternehmensplanung gestellt, um zu analysieren, welche Auswirkungen die Risiken auf die die zukünftigen Cashflows und das Rating haben. Zur Aufdeckung „bestandsgefährdende Entwicklungen“ erfordert die Aggregation von Risiken mit Bezug auf die Unternehmensplanung den Einsatz von stochastischen Simulationsverfahren (Monte-Carlo-Simulation), da Risiken nicht addierbar sind. Aus der so beachteten Bandbreite des Ergebnisses (Cashflows) kann dann auf die Höhe möglicher risikobedingter Verluste und damit auf den Bedarf an Eigenkapital und Liquidität zur Risikodeckung sowie die Insolvenzwahrscheinlichkeit und die „Wahrscheinlichkeit einer bestandsgefährdenden Entwicklung“ geschlossen werden („Gefährdungswahrscheinlichkeit“).
Eine Implikation aus § 1 StaRUG ist, dass das Gesetz nun alle haftungsbegrenzten Gesellschaften und damit speziell auch Tochtergesellschaften von Konzernen und in der Rechtsform einer GmbH anspricht. Die Geschäftsführer solcher Tochtergesellschaften sind nun eigenständig verantwortlich, durch eine Risikoanalyse und Risikoaggregation mögliche „bestandsgefährdende Entwicklungen“ aufzuzeigen. Erreicht werden soll so eine bessere Verankerung des Risikomanagements in den Tochtergesellschaften, da nun die Geschäftsleiter ein Eigeninteresse daran haben, sich mit den für ihre Gesellschaften relevanten Risiken zu befassen (da sonst Haftungsrisiken bestehen).
Durch §§ 32,43 und 57 StaRUG wurden zudem Pflichten und Haftung der Organmitglieder erweitert. Im Krisenfall ist nun explizit auf die Wahrung der Interessen der „Gesamtheit der Gläubiger“ zu achten. Daraus ergibt sich eine Erweiterung der Innenhaftung von Geschäftsleitern, die nun potenziell auch für einen durch ihr Fehlverhalten den Gläubigern entstandenen Schaden unmittelbar haften.
Die Möglichkeit der Unternehmensabsicherung durch ein Restrukturierungsprogramm bei einer erkannten Bestandsgefährdung wurde durch das StaRUG deutlich erweitert (§ 2 ff. StaRUG).
Bislang gab es den Weg über eine sog. außergerichtliche Sanierung oder aber über den Weg eines gerichtlichen Sanierungsverfahrens, insbesondere der Eigenverwaltung oder eines Schutzschirmverfahrens (siehe Kühne/Lienhard, 2020). Eine außergerichtliche Sanierung ist grundsätzlich nur möglich, wenn alle Vertragspartner den erforderlichen Sanierungsmaßnahmen zustimmen. Dies ist in einem gerichtlichen Sanierungsverfahren nicht erforderlich, allerdings wird ein solches Verfahren veröffentlicht. Gerade dies wollen einige Unternehmen bzw. Unternehmer nicht. Der „präventive Restrukturierungsrahmen“ des StaRUG versucht die Vorteile beider Verfahrenswege zu verbinden. Zum einen soll das Verfahren tendenziell nach nicht öffentlich sein. Auf der anderen Seite soll auch die Möglichkeit bestehen, einzelne Vertragspartner auch gegen deren Willen zur Zustimmung zu zwingen, um damit den Weg für die Sanierung freizumachen. Ebenso sollen einzelne Verträge auch einseitig beendet werden können, wenn dies zur Sanierung des Unternehmens erforderlich ist.
Kernelement der präventiven Restrukturierung ist der Restrukturierungsplan. Der Inhalt orientiert sich grundsätzlich an den Regelungen des Insolvenzplans (Nickert et al., 2019). Der Restrukturierungsplan ist in einen darstellenden Teil und in einen gestaltenden Teil unterteilt. Der darstellende Teil enthält eine Beschreibung des Unternehmens und eine Ursachenanalyse der bestehenden Krise, sowie die für die Krisenbewältigung erforderlichen Maßnahmen. Der gestaltende Teil beinhaltet dann die konkrete Umsetzung der erforderlichen Restrukturierungsmaßnahmen. Beispielweise können hier Verzichte auf Gläubigerforderungen, Sanierungsbeiträge von Investoren sowie eventuelle gesellschaftsrechtliche Strukturierungsmaßnahmen aufgenommen werden (vgl. Exler/Werner, 2020).
Ein Restrukturierungsbeauftragter steuert die Restrukturierung. Er ist ein für den jeweiligen Einzelfall geeigneter, in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahrener Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder eine sonstige natürliche Person mit vergleichbarer Qualifikation zu bestellen, die von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängig ist und die aus dem Kreis aller zur Übernahme des Amtes bereiten Personen auszuwählen ist.
Teilweise in Anlehnung an Gleißner/Lienhard/Kühne, 2021.
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