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Routinedaten im Gesundheitswesen
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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon
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1. Begriff: Routinedaten im Gesundheitswesen sind standardisierte Informationen, die v.a. zu Abrechnungszwecken mit den Leistungserbringern erhoben werden. Dies sind bspw. Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Renten- und Unfallversicherung (Sozialdaten), aber auch der amtlichen Statistik (z. B. Krankenhausdiagnose- oder DRG-Statistik, siehe auch Vergütungssystem). Im Gegensatz zu Primärdaten, die eigens für den wissenschaftlichen Verwendungszweck erzeugt werden, handelt es sich bei Routinedaten um bereits vorliegende Daten, die zunächst für andere, nicht primär wissenschaftliche Zwecke erhoben wurden.
2. Merkmale: Die zu Abrechnungszwecken zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen übermittelten Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung, um beispielhaft die am stärksten genutzten Routinedaten zu charakterisieren, sind durch Gesetzliche Bestimmungen (hier SGB V, vgl. Sozialgesetzbuch) und Verordnungen (GKV-Datenaustausch) weitgehend formalisiert und standardisiert. Unterschiede zeigen sich lediglich auf der technischen Ebene, also wie bei den Dateneignern die Versichertenstammdaten und die Versorgungsdaten organisiert sind. Für die wissenschaftliche Nutzung können die versorgungsrelevanten Daten nach projektspezifischen Vorgaben selektiert und i.d.R. in pseudonymisierter Form genutzt werden (siehe Pseudonym).
Die Vorteile der GKV-Routinedaten liegen zunächst in der Größe der in wissenschaftliche Auswertungen einschließbaren Population, in der Länge (Kontinuität) der beobachtbaren Zeiträume sowie in der Tatsache begründet, dass diese Daten einen weitgehend unverzerrten Blick auf die Versorgungsrealität gestatten. Weitere Vorzüge sind in der Erfassung der Nachfrage nach bestimmten Gesundheitsleistungen und der Aufschlüsselung nach soziodemographischen Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Versichertenstatus) zu sehen. Da Routinedaten aus dem Versorgungsalltag stammen, weisen sie in der Regel eine hohe externe Validität auf, sodass allgemeine Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit bei einer ausreichend großen Stichprobe grundsätzlich möglich sind. Weitere Vorteile der Routinedaten liegen insbes. in folgenden Eigenschaften und Informationen: Personenbezug, Populationsbezug, Arzt- und Institutionenbezug, Behandlungsdaten aller Sektoren, mögliche Zuordnung von Kosten und einer kostengünstigen Beschaffung. Diese Eigenschaften unterstreichen, dass Routinedaten eine wichtige Informationsquelle zur Darstellung der erbrachten Versorgungsleistungen (Output) sowie der Intensität ihrer Inanspruchnahme sind. Routinedaten-/Sekundärdaten stehen in Abwägung ihrer Vor- und Nachteile durchaus gleichberechtigt neben Primärdaten.
Die Nachteile der Nutzung von Routinedaten sind, dass die zu einem anderen Zweck erhobenen Daten nicht zwangsläufig für die erwünschte Fragestellung geeignet sein müssen. Dies führt dazu, dass nicht alle benötigten oder erklärenden Variablen in den Daten erfasst sind. Bei der wissenschaftlichen Nutzung und Analyse von Routinedaten kann dies „Verwirrung“ stiften. Die häufigsten Probleme sind Missclassification und Confounding. Diese lassen sich durch bestimmte Studiendesigns (z.B. Randomisierung, Matching) oder durch bestimmte statistische Verfahren (Stratifizierung, multivariate Analyse) kontrollieren. Auch die interne Validität bei Sekundärdaten bedarf der besonderen Überprüfung. Dementsprechend müssen zahlreiche Umformungs- und Validierungsschritte durchgeführt werden, damit die Rohdaten so aufbereitet werden können, dass sie für die wissenschaftliche Fragestellung der Sekundärnutzer verwendet werden können. Weitere Nachteile von Routinedaten liegen darin, dass die Daten oft nur mit Zeitverzug (time lag) zur Verfügung stehen und die Qualität der Erhebung häufig nicht nachvollzogen werden kann.
3. Unterscheidung von anderen Begriffen: Routinedaten werden auch Sekundärdaten genannt, da sie aus vorherigen Erhebungen, Beobachtungen oder Experimenten stammen. Die Sekundärdatenanalyse beschreibt somit die wissenschaftliche Auswertung von Daten, die primär zu anderen Zwecken erhoben wurden.
4. Ziele: Primäres Ziel von Routinedaten, hier konkret der GKV-Daten, ist die Erfassung von – meist abrechnungsrelevanten – Informationen aus der medizinischen Routineversorgung. Ziele der Nutzung der Routinedaten als Sekundärdaten sind bspw. die Beantwortung von epidemiologischen Fragestellungen, von Fragen der Versorgungsforschung, der Qualitätssicherung oder die Erkenntnisgewinnung für gesundheitsökonomische Studien.
Die genannten Merkmale und die mit der wissenschaftlichen Nutzung dieser Daten verbundenen Zielsetzungen gelten in ähnlicher Weise für die Routinedaten anderer Sozialversicherungsträger und weiterer Dateneigner.
5. Maßnahmen bzw. Instrumente: In Anlehnung an die im Jahre 2000 veröffentlichte „Gute Epidemiologische Praxis“ (GEP) wurde erstmalig im Jahr 2005 ein Standard für die Verwendung und Auswertung von Routinedaten im Gesundheitswesen etabliert, der zugleich Grundlage für vertragliche Absprachen zwischen Primärnutzern (wie bspw. Krankenkassen) und Sekundärnutzern (wie bspw. Forschungsinstituten) sein soll. Die erste Version der „Guten Praxis Sekundärdatenanalyse“ (GPS) wurde von der Arbeitsgruppe Erhebung und Nutzung von Sekundärdaten (AGENS) der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) veröffentlicht. Bis 2014 erfuhr die GPS zwei weitere Revisionen. Formal orientiert an der GEP, aber durchaus als eigenständiger methodischer Standard zu verstehen, umfasst die GPS insgesamt elf Leitlinien, die von ethischen Prinzipien über Qualitätssicherungsmaßnahmen bis hin zur verantwortungsvollen Kommunikation der Analyseergebnisse reichen. Hierbei wurden insbes. weitere Empfehlungen zur Leitlinie Datenschutz ergänzt.
Im Jahre 2014 wurde das Standardwerk „Handbuch Sekundardatenanalyse“, welches erstmals im Jahr 2005 erschienen ist, in der zweiten, vollständig überarbeiteten Auflage veröffentlicht.
6. Aktuelle Diskussion: Die Nutzung von Routinedaten im Gesundheitswesen hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Mittlerweile beschäftigen sich die unterschiedlichsten Fachdisziplinen mit Routinedaten. Ihr Einsatzspektrum reicht von der Versorgungsforschung über gesundheitsökonomische Analysen bis hin zur Verwendung für Modellierungen im Medical Decision Making und Health Technology Assessment (HTA). Auch vom Gesetzgeber wurde die Bedeutung dieser Datenquellen für die Gesundheitsberichtserstattung, Evaluation und Steuerung unseres Gesundheitssystems erkannt. Die zunehmenden technischen Möglichkeiten haben ebenso dazu geführt, dass größere Datenmengen unkompliziert verarbeitet werden können. Dabei nimmt die Analyse- und Aussagefähigkeit mit der Größe des erhobenen Datenmaterials zu, da eine bessere Repräsentanz der Versichertenpopulation gegeben ist. Sekundärdatenanalysen werden zunehmend als Datengrundlage der Gesundheitswissenschaft und der Gesundheitspolitik genutzt.
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