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Stresstest
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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon
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Inhaltsverzeichnis
- Begriff
- Merkmale
- Ziele
- Entwicklung
- Aufsichtsrechtliche Vorgaben
- Probleme
- Beurteilung
- Aktuelle Entwicklungen und Ausblick
Stresstests dienen der Überprüfung der Verlustanfälligkeit von Kreditinstituten. Sie zeigen die Konsequenzen auf, für den Fall, dass außergewöhnliche, aber plausible Ereignisse eintreten. Dabei existieren zahlreiche unterschiedliche Verfahren von Stresstests, die jedoch einem gemeinsamen Ziel dienen: der Bestimmung der Widerstandsfähigkeit von Kreditinstituten in extremen Situationen. Insbesondere nach den Ereignissen der jüngsten Finanzmarktkrise haben sowohl Bankenaufsicht als auch die Kreditinstitute selbst verstärkt Stresstests durchgeführt, da sie einen zusätzlichen Beitrag zum traditionellen Risikomanagement und damit der Stabilität des gesamten Finanzsektors leisten können.
Begriff
Gesamtheit der Methoden und Analysetechniken zur Überprüfung der Verlustanfälligkeit von Kreditinstituten für den Fall, dass sich makroökonomische Faktoren stark ändern oder andere außergewöhnliche, aber plausible Ereignisse eintreten. Trotz der Vielfalt der jeweiligen Ausgestaltung weisen alle Stresstests die gleiche Grundstruktur auf, indem sie untersuchen, wie stark sich der Wert bspw. eines Wertpapier- oder Kreditportfolios bei einem angenommenen Schock in den Risikoparametern verändert. Stresstests können sowohl Markt-, Kredit- und Liquiditätsrisiken als auch zunehmend operationelle Risiken bewerten. Als Risikoparameter können u.a. eine Migration von Ratingnoten, eine Erhöhung der Verlustquoten für grundpfandrechtliche Sicherheiten, eine verstärkte Inanspruchnahme von Kreditlinien oder auch der gleichzeitige Ausfall der größten Kreditnehmer je nach unterstelltem Szenario verwendet werden. Zu unterscheiden sind Stresstests als Bestandteil des betrieblichen Risikomanagements (ökonomische Stresstests) von aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Anwendungen (regulatorische Stresstests). Organe der Bankenaufsicht führen ebenfalls Stresstests zur Prüfung der Robustheit einzelner Institute, Institutsgruppen oder des gesamten (nationalen) Finanzsystems durch.
Merkmale
a) Sensitivitätsanalysen
Univariate Sensitivitätsanalysen betrachten lediglich den isolierten Einfluss, den eine starke Veränderung eines einzelnen Risikofaktors auf ein bestimmtes Portfolio eines Kreditinstituts hat.
(1) Portfolioindividuelle Verfahren: Hierbei bestimmt die Bank individuell für sich den zu verändernden Risikofaktor. Zuvor ist eine Identifikation des wesentlichen Risikotreibers im jeweiligen Portfolio erforderlich.
(2) Standardisierte Verfahren: Derartige Sensitivitätsanalysen verwenden standardisierte Faktoren, wie z.B. Ratingklassen.
Beide Verfahren vernachlässigen jedoch Interdependenzen zwischen den verschiedenen Risikofaktoren. Ihr Vorteil liegt in der einfachen Durchführbarkeit, ihre Aussagekraft ist jedoch beschränkt, da sich in Stresssituationen nur selten lediglich einzelne Risikofaktoren verändern. Auch ist gerade die Kombination von mehreren Stressereignissen unter Umständen erst institutsgefährdend, wohingegen isolierte Schocks noch keine Gefährdung darstellen müssen. Ebenso werden Reaktionshandlungen der Banken auf sich verändernde Einflussfaktoren ausgeblendet. Sensitivitätsanalysen eignen sich daher nur für das kurzfristige Risikomanagement bzw. zur Abschätzung der Schäden von kurzzeitigen Schocks.
b) Szenarioanalysen
Multivariate Szenarioanalysen betrachten die gleichzeitige Veränderung mehrerer Risikofaktoren während eines Stressereignisses und beziehen hierbei auch die Korrelationen zwischen den jeweiligen Risikofaktoren mit ein. Herausfordernd ist hier insbesondere die Konstruktion realitätsnaher Szenarien.
(1) Historische Szenarien (auch „Lookback-Szenarien“): Mittels historischer Simulationen werden in der Vergangenheit stattgefundene, extreme Konstellationen der Risikofaktoren auf das aktuell bestehende Portfolio angewandt. Hierdurch können Fragestellungen z.B. wie stark sich der Wert eines Aktienportfolios verändert, sollten die Russlandkrise aus dem Jahr 1998 oder die Ereignisse des 11. September 2001 erneut eintreten, beantwortet werden. Problematisch hierbei ist, dass die Anwendung historischer Daten bzw. Szenarien vernachlässigt, dass sich Krisen nur äußerst selten in identischer Ausprägung wiederholen und sich die Portfoliozusammensetzung bspw. durch neue Produkte seit dem vergangenen Ereignis stark verändert haben kann. Ebenso können strukturelle Änderungen, wie z.B. die Euro-Einführung stattgefunden haben, sodass die Verwendung einer historischen Datenbasis nur eingeschränkt möglich ist.
(2) Hypothetische Szenarien: Derartige selbst erstellte Szenarien basieren auf den wesentlichen Risikofaktoren des zu stressenden Portfolios. Diese werden einzeln oder in Kombination geschockt. Korrelationen und nichtlineare Abhängigkeiten können ebenfalls mit einbezogen werden. Unter Einfluss des hypothetischen Szenarios wird das Portfolio im Anschluss neu bewertet, sodass der entstandene Verlust berechnet werden kann. Häufig verwendete Krisenszenarien sind bspw. Änderungen von Zinskurven und Schocks von Aktienmärkten, Credit-Spreads oder Währungen.
(3) Hybride Szenarien: Bei Hybridszenarien werden die Reaktionen, die Risikofaktoren während historisch beobachteter Stresssituationen gezeigt haben, mit weiteren Risikoszenarien verknüpft, um daraus neuartige Szenarien zu generieren. Die Marktbewegungen der Vergangenheit bzw. deren Einfluss auf die Risikofaktoren werden nicht gesondert betrachtet, sondern dienen lediglich als Konstruktionselement.
Ziele
Stresstests dienen der Bewertung des Risikos extremer Ereignisse, die nur eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit haben. Auf diese Weise soll die Verlustanfälligkeit von Kreditinstituten in besonderen Situationen bestimmt werden, um frühzeitig mögliche Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Sie dienen ebenfalls als Informationsquelle der Bankenaufsicht, die durch die regelmäßige Durchführung von Stresstests wichtige Erkenntnisse zur Risikolage der Kreditinstitute und damit auch über die Stabilität des Finanzsystems als Ganzes erhält. So wird bspw. überprüft, ob ein Kreditinstitut auch bei Eintritt bestimmter negativer Entwicklungen weiterhin in der Lage ist, seine aufsichtsrechtlichen Liquiditäts- und Eigenkapitalvorschriften zu erfüllen.
Entwicklung
Erhebungen der Deutschen Bundesbank zeigen, dass die Bedeutung von Stresstests hinsichtlich ihrer Anwendung in Kreditinstituten seit dem Jahr 2000 stark zugenommen hat. Insbesondere im Marktrisikobereich führen nahezu alle großen Institute regelmäßig Stresstests durch. Etwas geringer liegt die Anwendungshäufigkeit im Kredit- und Liquiditätsrisikobereich, wo die Kreditinstitute größere Modellierungsprobleme zu bewältigen haben. Aktuell werden insbesondere Stresstests zum Liquiditätsrisiko und zu operationellen Risiken zunehmend relevanter. In der Vergangenheit wurden Stresstests sowohl seitens der Kreditinstitute als auch durch die Bankenaufsicht eine geringere Bedeutung beigemessen. Vor Ausbruch der Subprime-Krise kamen vornehmlich vergangenheitsorientierte Methoden zum Einsatz. Außerdem wurden die daraus gewonnenen Erkenntnisse nur unzureichend in tatsächliche Steuerungs- und Entscheidungsprozesse des oberen Managements eingebunden.
Aufsichtsrechtliche Vorgaben
In zahlreichen Passagen des Rahmenwerks der neuen Baseler Eigenkapitalvereinbarungen (Basel II), den hierzu folgenden EU-Richtlinien und der Solvabilitätsverordnung (SolvV) werden Anforderungen an Stresstests formuliert. Aufgrund der starken Heterogenität der Kreditinstitute wurde auf eine einheitliche Vorgabe interner Stresstests aufsichtsrechtlich jedoch verzichtet. Die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) legen daher die konkrete Ausgestaltung eigener Stresstests in die Verantwortung des einzelnen Kreditinstituts. Institute, die zur Ermittlung der aufsichtlichen Mindesteigenkapitalanforderungen interne ratingbasierte Modelle nutzen (IRBA-Institute), müssen den § 123 der Solvabilitätsverordnung (SolvV) berücksichtigen, der Anforderungen an Stresstests bei der Einschätzung der Angemessenheit der Kapitalausstattung stellt. Mit Veröffentlichung der geänderten MaRisk im Jahr 2009 gelten in Deutschland neue bankaufsichtliche Rahmenbedingungen, die die Vorgaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und des Europäischen Ausschusses der Bankenaufsichtsbehörden (CEBS) umsetzen und präzisieren. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) schreibt nunmehr vor, dass das den MaRisk unterliegende Institut regelmäßig angemessene Stresstests für alle wesentlichen Risiken durchzuführen hat. Insbesondere Risikokonzentrationen und Risiken aus außerbilanziellen Geschäften werden stärker berücksichtigt. Ebenso wird betont, dass die Ergebnisse von Stresstests stärker bei der Beurteilung der Risikotragfähigkeit des Instituts zu berücksichtigen sind. Näheres hierzu regelt der Abschnitt AT 4.3.2 „Risikosteuerungs- und -controllingprozesse“ der MaRisk.
Weitere Leitlinien, bspw. der CEBS zur empfohlenen Ausgestaltung von Stresstests, betonen derzeit die wachsende Bedeutung sog. „Reverse Stresstests“, bei denen vornehmlich das Risikodeckungspotential betrachtet wird. Durch Vorgabe einer Gesamtverlusthöhe wird untersucht, ab welcher Schwelle die Risikofaktoren verschiedener Szenarien für das Institut existenzbedrohend werden.
Probleme
Die Aussagekraft von Stresstests wird durch eine Vielzahl von Faktoren stark beeinflusst. So sind die gewonnenen Resultate häufig nur schwer interpretierbar, da in der Praxis häufig viele Szenarien simultan durchgeführt werden. Die Vielzahl der Ergebnisse kann somit den Erkenntnisgewinn des Stresstests reduzieren. Weiterhin wird zu den jeweiligen angenommenen Szenarien häufig die Eintrittswahrscheinlichkeit nur unzureichend bestimmt. Ferner werden Interdependenzen der Risikofaktoren nicht ausreichend berücksichtigt und mögliche Gegenreaktionen der Kreditinstitute auf Stressereignisse ausgeblendet. Folglich sind die Ergebnisse von Stresstests stets kritisch zu hinterfragen. Kreditinstitute sollten dennoch auf den Resultaten von Stresstests aufbauend konkrete Maßnahmenpläne vorbereiten.
Beurteilung
In den vergangenen Jahren hatte sich das Konzept des Value at Risk (VaR) als Standard zur Beurteilung des Risikogehalts von Portfolios und Einzelpositionen durchgesetzt. Hierauf basiert ebenfalls die Berechnung der Mindesteigenkapitalanforderungen der Bankenaufsicht. Die Beurteilung des Risikos auf alleiniger Grundlage einer einzigen mathematischen Kennzahl gilt jedoch mittlerweile als unzureichend. Insbesondere die Berücksichtigung der Verluste in extremen Marktsituationen (sog. „fat tails“) werden mit den gängigen Value-at-Risk-Ansätzen nicht ausreichend berücksichtigt. So haben die Erfahrungen mit extremen Marktbedingungen gezeigt, dass Ereignisse aus den Randbereichen der Wahrscheinlichkeitsverteilung deutlich häufiger eintreten, als es die zumeist unterstellte Standardnormalverteilung prognostiziert. Ebenso schränkt die Bindung an eine historische Datenbasis die Ausgestaltbarkeit der Risikoermittlung in erheblichem Maße ein. Stresstests stellen somit eine sinnvolle Ergänzung zum gängigen Risikomaß des Value-at-Risk-Ansatzes dar. Sie können das Risiko extremer Ereignisse, die nur eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit aufweisen, bewerten. Durch den Verzicht auf Annahmen über statistische Verteilungen der Renditen können neben historischen auch hypothetische Szenarien betrachtet werden. Weiterhin wird durch die Simulierung von außergewöhnlichen Marktsituationen auch das Phänomen der „fat tails“ berücksichtigt. Somit ermöglichen Stresstests in Kombination mit dem Value-at-Risk-Konzept eine bessere Kenntnis und somit auch eine bessere Steuerung der Risiken komplexer Portfolios.
Aktuelle Entwicklungen und Ausblick
Die European Banking Authority (EBA) hat im August 2011 die Ergebnisse eines EU-weiten Stresstest unter 90 Kreditinstituten aus 20 Ländern veröffentlicht. Hierbei wurden zwei aufeinander aufbauende Szenarien untersucht: Im Basisszenario wurde geprüft, wie sich das Eigenkapital der Banken verändert, wenn das Wirtschaftswachstum der Euro-Zone in den Jahren 2011 und 2012 der Prognose der Europäischen Kommission entspricht. Im Krisenszenario wurde die Kapitalausstattung unter deutlich schlechteren Rahmenbedingungen simuliert. Neben einem negativen Wirtschaftswachstum wurden Aktienkurseinbrüche, ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, ein Zusammenbrechen der Immobilienmärkte und eine deutliche Reduktion der Kurse für Staatsanleihen unterstellt. Besonders die Ausfallwahrscheinlichkeit für griechische Staatspapiere wurde deutlich angehoben. Der Stresstest diente in erster Linie der Schaffung von Transparenz über die Widerstandsfähigkeit des europäischen Bankensystems. Er galt als bestanden, wenn das Kernkapital des jeweiligen Kreditinstituts auch im strengsten Stressszenario nicht unter 5 Prozent der risikogewichteten Aktiva fiel. Hiernach gemessen hat sich das deutsche Bankensystem als robust erwiesen. Alle teilnehmenden deutschen Banken haben den Test bestanden. Europaweit konnten acht Banken die Anforderungen des Tests nicht erfüllen: fünf davon stammen aus Spanien, zwei aus Griechenland, eine aus Österreich. Durchgefallene Institute müssen bis zum Jahresende ihre Kapitalpuffer erhöhen. Diejenigen Institute, die nur knapp bestanden haben, werden künftig strenger beaufsichtigt. Der 2011 durchgeführte Stresstest wies somit deutlich strengere Anforderungen und Konsequenzen als noch im Jahr 2010 auf. An der Durchführung des Tests wurden jedoch auch zahlreiche Aspekte öffentlich stark diskutiert. Insbesondere die starke Zunahme an einzureichenden Daten und die mangelnde Anerkennung von stillen Einlagen als hartes Kernkapital wurden Gegenstand der Kritik.
Stresstests von Kreditinstituten werden zukünftig sowohl im regulatorischen Umfeld als auch im betrieblichen Risikomanagement weiter an Bedeutung gewinnen. Herausfordernd bleibt die methodische Weiterentwicklung, wie auch die Interpretation und Integration der resultierenden Ergebnisse in die Risikosteuerung von Banken. Gelingt diese, können Stresstests zum Qualitäts- und Unterschiedsmerkmal gegenüber Wettbewerbern werden.
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