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Bildungspolitik

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    von Professor Dr. Dieter Timmermann

     

    I. Begriff

    Bildungspolitik ist die Gesamtheit der Entscheidungen, Handlungen, Handlungsprogramme und Regelungen, die von öffentlichen oder privaten Organisationen getroffen werden, um die Bedingungen für das Gelingen von Lernprozessen inhaltlich, organisatorisch und ressourcenmäßig zu gestalten.

     

    II. Begründung staatlicher Bildungspolitik

    Am Anfang staatlicher Bildungspolitik standen das Interesse des (preußischen) Staates an einer schreib-, lese- und rechenkundigen Beamten-, Offiziers- und Soldatenschaft, sowie die Erwartung, dass eine staatlich gewährte Volksbildung einerseits produktive Kräfte freisetzen und die wirtschaftliche Entwicklung fördern, andererseits die Bevölkerung in die bestehende Gesellschaft integrieren und soziale Unruhen verhindern werde. Aus dieser historischen Entwicklung erwuchs die These, Bildung sei ein öffentliches Gut, in gewissem Umfang gar ein meritorisches Gut. Daher gilt heute die Sicherung eines bestimmten Bildungsniveaus als ein aus dem Grundgesetz ableitbares gesellschaftliches Ziel und als staatliche Aufgabe. Aus den historischen Anfangsbedingungen entwickelte sich ein faktisches Monopol des Staates als Bildungsanbieter, der allein die vom Art. 72 GG geforderte Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse gewährleisten könne.

     

    III. Ökonomische Aspekte1. Allokationspolitik

    Interne Effizienz postuliert die Gestaltung der Lernbedingungen in einer solchen Weise, dass die Akteure „vor Ort” aus den ihnen zur Verfügung stehenden knappen Ressourcen den maximal möglichen Lernerfolg herausholen bzw. einen bestimmten Lernerfolg mit minimalen Kosten realisieren.

    Externe Effizienz bzw. optimale Allokation: Die Ressourcen im Bildungssystem sind so einzusetzen, dass auch im Vergleich zu ihren alternativen gesellschaftlichen Verwendungsmöglichkeiten der Beitrag des Bildungssystems zur gesellschaftlichen Wohlfahrt möglichst maximiert wird.

    2. Verteilungspolitik

    Verteilungspolitisch besteht die Relevanz der Bildungspolitik in ihrem Potenzial zur Nivellierung von Vermögens- und Einkommensungleichheit. Da die individuelle Qualifikation neben dem Besitz an Geld- und Sachkapital als wichtigste Erwerbsquelle gilt, besteht eine wichtige gesellschafts-, vermögens- und einkommenspolitische Funktion der Bildungspolitik darin, die Bildung von Humankapital (Human Capital) als Teil einer auf Chancengleichheit abzielenden Gesellschafts-, Vermögens- und Einkommenspolitik zu fördern. Die Gebührenfreiheit schulischer und hochschulischer Bildung, die Subventionierung von Erwachsenenbildung und Teilen der beruflichen Weiterbildung, die Ausbildungsförderung für Schüler und Studierende und neuerdings für Meister, sind Ausdruck einer auf Chancenausgleich und Verteilungsgerechtigkeit abstellenden Bildungspolitik.

    IV. Ziele

    Bildungspolitische Ziele bezeichnen Sollzustände des Bildungswesens, seiner Institutionen, der Lernbedingungen, aber auch der Lernerfolge, die mittels bildungspolitischen Handelns angestrebt werden. Sie sind den allgemeinen Leitzielen bzw. Normen der Gesellschaft verpflichtet.

    1. Allgemeine gesellschaftliche Normen als Hintergrundziele

    Bildungspolitische Ziele folgen aus den allgemeinen Bildungszielen. Diese sind großenteils identisch mit den allgemeinen Normen, die sich die Gesellschaften in übernationalen Deklarationen und Konventionen sowie in ihren nationalen Verfassungen gesetzt haben (Gerechtigkeitsziele, Gleichheitsziele, Wahrung der Menschenwürde, freie Entfaltung der Person, Schutz der Bedürftigen, Förderung des Wirtschaftswachstums, Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse). Der Ausgleich von Zielkonflikten stellt dabei eine besondere Herausforderung der Bildungspolitik dar.

    2. Spezifische Ziele

    Sie konkretisieren die Leistungserwartungen an das Bildungssystem. Da diese Leistungserwartungen sich widersprechen können, sind bildungspolitische Zielkonflikte u.U. nicht vermeidbar (z.B. zwischen dem Ziel, dem Beschäftigungssystem jeweils die Menge und Qualität an Qualifikationen bereitzustellen, die es benötigt, und dem Ziel, Bildungswege offen zu halten). Bei dem Anliegen der Bildungspolitik, die nachwachsenden Generationen jeweils in Traditionen, Wertvorstellungen und Verhaltensregeln einzugliedern und ihnen Kenntnisse zu vermitteln, die sie für die Lebensführung in der jeweiligen Gesellschaft benötigen, wird einerseits möglichst viel Gemeinsames und Einheitliches angestrebt, um die Identität der Gesellschaft als eine bestimmte Gesellschaft mit bestimmten Normen, Werten und Regeln zu gewährleisten, andererseits geht es um funktionale Differenzierung und individuelle Entfaltung; es stehen folglich ein Integrations- und ein Differenzierungsziel in Konflikt zueinander (Sozialisation versus Individualisierung). Ein weiteres fundamentales bildungspolitisches Spannungsverhältnis ergibt sich daraus, dass das Ziel der Bildungspolitik einerseits die Bewahrung der Gesellschaft ist, andererseits zugleich ihre Veränderung durch Innovationen, die aus dem Bildungssystem in die anderen gesellschaftlichen Bereiche hineinstrahlen.

    Aus den gesellschaftlichen Funktionen des Bildungssystems lassen sich folgende spezifische bildungspolitische Ziele herleiten: Verwahrung der Heranwachsenden in einem Schutzraum, Sozialisation und Integration der Heranwachsenden in die bestehende Gesellschaft, ihre Qualifizierung für berufliches Handeln sowie die Allokation und Selektion der Qualifikationen, Chancenausgleich bzw. Chancengleichheit und die Hilfe bei Selbstentfaltung, Selbstfindung und Sinnsuche (Persönlichkeitsentfaltung).

    V. Funktionen und Steuerungsmöglichkeiten

    Die allgemeinen Funktionen der Bildungspolitik gleichen denen staatlicher Gestaltung anderer Sachgebiete. Die Funktionsabläufe umfassen die Analyse der jeweiligen Ausgangsbedingungen und Problemlagen des Ressortbereichs einschließlich ihrer Randbedingungen und Entwicklungstendenzen (Prognose wahrscheinlicher Veränderungen wichtiger Handlungsparameter, Offenlegung des Handlungsspielraums, Klärung von und Entscheidung über Ziele sowie ressortinterne Integration der Willensbildung über die Gewichtung und Kombination von Zielen, Planung von Handlungsprogrammen mit zeitlich gestaffelten Zielen und Kostenkalkulationen, Zustimmung zu diesen Programmen bei den Interessierten, Durchsetzung des benötigten Ressourcenvolumens, Verteilung der Mittel auf Sachbereiche und innerhalb der Subsysteme, Koordination von Programmen mit anderen Ressorts, Veränderung von Institutionen, Regeln und Verfahren, Rekrutierung von Personal etc.). Solche allgemeinen staatlichen Gestaltungsfunktionen werden im Rahmen von Bildungspolitik angewendet auf die Ordnung und Gestaltung von Bildungsinstitutionen, Trägerschaft, Schulpflicht, Zugangsbedingungen, Prüfungsmodalitäten, Dauer von Bildungsgängen, Übergangsmöglichkeiten zwischen Bildungsgängen, Zertifikate, Mitbestimmung der Lernenden und gegebenenfalls ihrer Eltern auf den Autonomiespielraum der Bildungseinrichtungen. Darüber hinaus ist bildungspolitisch zu entscheiden über Lernziele, Lerninhalte, Didaktik und Methodik des Unterrichts, Lehr- und Lernmittel, Ausbildung von Pädagogen, über ihre Besoldung, Laufbahnen und Karriereleitern, über Zulassung und Förderung nichtstaatlicher Institutionen, über die finanzielle Förderung von Lernenden. Mit den genannten Entscheidungsobjekten sind zugleich die wichtigsten Steuerungsinstrumente bezeichnet, mit deren Hilfe bildungspolitisch bestimmt werden kann, wer wie viel Bildung auf welche Art in welchen Institutionen unter welchen Bedingungen unter Einsatz welcher Ressourcen und zu welchem Preis erhält. Der faktischen Steuerungskapazität sind indes trotz des umfangreichen Instrumentariums Grenzen gesetzt, die aus nur langfristig veränderbaren Einstellungen der Beteiligten, aus oft langen Wirkungsabläufen bildungspolitischer Maßnahmen und partikularisierten Interessen sowie einer starken Ideologisierung der Bildungspolitik resultieren.

     

    VI. Bildungspolitik in Deutschland

    1.Bildungs- und Kulturföderalismus als Grundprinzip

    Die Erfahrungen mit einem im Dritten Reich zentralisierten und den nationalsozialistischen Zwecken untergeordneten Bildungssystem hatten zur Folge, dass die Länder im Grundgesetz (Art. 70 Ziffer 1 GG) zunächst die ausschließliche Zuständigkeit für die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Bildungswesens, d.h. für die Kindergartenerziehung, für die Schul-, Hochschul- und Erwachsenen- bzw. Weiterbildung erhielten. Während für den Bereich des Hochschulwesens auch die Verwaltungs-, Planungs- und Finanzierungskompetenz in die Hände der Länder gelegt wurde, mussten sie sich diese Zuständigkeiten im Bereich der Kindergärten, Schulen und Erwachsenenbildung mit den Kommunen teilen. Die Kompetenz des Bundes blieb zunächst auf die Förderung der wissenschaftlichen Forschung und die rechtliche Regulierung der betrieblichen Berufsausbildung beschränkt. Die zuletzt genannte Zuständigkeit für die betriebliche Berufsausbildung wird bis heute aus der Zuständigkeit des Bundes sowohl für das Wirtschafts- und Arbeitsrecht (Art. 74 Ziffer 11 GG) als auch für das Berufsrecht und das Berufszugangsrecht (Art. 12 GG) abgeleitet. Betriebliche Berufsausbildung gilt gestern wie heute als genuine Aufgabe der Wirtschaft.

    2. Zentralisierungsschub 1969

    Ein wichtiger entscheidender Schritt in Richtung auf eine größere Zuständigkeit des Bundes wurde 1969 getan, als sich die Bundesregierung mittels einer zugunsten der Länder veränderten Verteilung des Steueraufkommens und mit einer Finanzierungsbeteiligung am Hochschul- und Wohnheimbau sowie an der Ausbildungs- und Graduiertenförderung eine grundgesetzliche Erweiterung ihrer Zuständigkeit im Bereich des Hochschulbaus, der Ausbildungsförderung und der Gesamtplanung des Bildungswesens erkaufte. Weitergehende Forderungen nach Kompetenzverlagerungen zugunsten des Bundes lehnten die Länder ab.

    3. Stärkung der föderativen Tendenzen seit Anfang der neunziger Jahre

    Die bildungspolitischen Auseinandersetzungen in der 1949 eingerichteten ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) sowie zwischen Ländern und Bund waren z.T. Ausdruck des Ringens um die politische Macht auf Bundesebene, z.T. spiegelten sie die Sorge der Länder um ihre Eigenstaatlichkeit wider. In den 80er Jahren erlahmten die bildungsreformerischen Kräfte, und der 1969 geschaffene Status quo der bildungspolitischen Zuständigkeiten blieb bis heute erhalten. Schien

    v.a. auch als Reaktion auf die Beschlüsse der europäischen Regierungschefs von Maastricht

    in Deutschland eine Strömung in Gang gekommen zu sein, die den Länderföderalismus und die Eigenständigkeit der Länder gegenüber Brüssel stärken wollte, so hat im Jahr 2003 eine intensive und breite Diskussion um den kooperativen Föderalismus zwischen Bund und Ländern und die darin eingebettet Kompetenzverteilung zwischen den beiden Ebenen eingesetzt. Im Hinblick auf die Bildungspolitik stehen v.a. die Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a und b, d.h. die gemeinsame Forschungsförderung der Großforschungseinrichtungen, die gemeinsame Bildungsplanung, das Hochschulrahmengesetz und die gemeinsame Hochschulbau- und Großgeräteförderung in der Diskussion und zur Disposition. Eine von Bund und Ländern eingesetzte Föderalismuskommission soll Entflechtungsvorschläge erarbeiten. Die Vorschläge werden auch die Existenz des Planungsausschusses für den Hochschulbau sowie der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung tangieren.

    VII. Bildungspolitische Beratung

    Das Bedürfnis und die Notwendigkeit, sich über die Grundlagen der Bildungspolitik zu verständigen und Gesamtkonzepte für die Entwicklung des Bildungssystems zu erarbeiten, führten

    auf der Basis von Abkommen zwischen Bund und Ländern

    zur Einrichtung von Beratungsgremien, deren Auftrag in langfristiger gesamtstaatlicher Programm- bzw. Bildungsplanung bestand.

    1. Deutscher Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen

    Er wurde 1953 errichtet und hat 1965 in einer Reihe von Gutachten und Empfehlungen zu zahlreichen Problemen von Struktur und Inhalten des Bildungswesens und einzelner Teile des Bildungswesens Stellung genommen. Die Gesamttendenz der Äußerungen stellte auf einen behutsamen Umbau des Bildungssystems ab. Die Empfehlungen hatten aber nur sehr begrenzte Wirkungen in den Ländern, weshalb seine Arbeit 1965 beendet wurde.

    2. Wissenschaftsrat

    1957 wurde der Teilbereich der Hochschulen aus dem Verantwortungsbereich des Deutschen Ausschusses ausgegliedert und dem Wissenschaftsrat überantwortet, der seitdem und bis heute für die Hochschulentwicklung in der alten Bundesrepublik und seit 1990 im vereinten Deutschland eine maßgebliche Rolle spielt. Diese besondere Rolle des Wissenschaftsrats spiegelt zum einen die damalige starke Fokussierung der BBildungspolitik auf den Hochschulbereich wider, die durch den faktischen oder vermeintlichen Mangel an hoch qualifizierten Arbeitskräften erklärbar ist. Zum anderen hatte und hat der Wissenschaftsrat politische Wirkkraft aufgrund seiner politiknahen Empfehlungen.

    3. Deutscher Bildungsrat

    Dieses Maß an Politiknähe und Realistik wies der Deutsche Bildungsrat nicht auf, der 1965 als Nachfolgeorganisation des Deutschen Ausschusses eingerichtet wurde. Der Bildungsrat legte eine Fülle von Empfehlungen vor, die i.d.R. auf Gutachten und kritischen Analysen des bildungspolitischen Status quo beruhten. Die Politikempfehlungen des Bildungsrats richteten sich mehrheitlich auf langfristige und z.T. fundamentale Reformen des Bildungswesens, wobei der Hochschulbereich ausgeklammert wurde und der Zuständigkeit des Wissenschaftsrats überlassen blieb. Der Bildungsrat hat der Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland eine Fülle von Anregungen bereitgestellt und bis Anfang der 70er Jahre viel für die Integration unterschiedlicher, z.T. gegensätzlicher Konzepte und v.a. für deren rationale Diskussion getan. Diese integrative Wirkung verblasste zunehmend, so dass das Gremium 1975 seine Arbeit einstellen musste.

    4. Sonstige Beratungsgremien

    Neben diesen Beratungsgremien wurden Ausschüsse mit begrenzten Aufgaben eingerichtet:

    Der Planungsausschuss für den Hochschulbau, der gemäß Art. 91a GG seit 1969 tätig ist und die Hochschulbaumaßnahmen plant.

    Der Bundesausschuss für Berufsbildung, der gemäß § 50 BBiG von 1969 bis zur Errichtung des Bundesinstituts für Berufsbildung im Jahr 1976 eine beratende Funktion ausübte.

    Die von 1971 bis 1974 tätige Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung (Beispiel für einen Ad-hoc-Ausschuss), die neben einer umfangreichen Erhebung und Auswertung von Daten über Kosten und Erträge der betrieblichen Ausbildung eine Empfehlung zur Umlagefinanzierung der außerschulischen Berufsbildung erarbeitete.

    5. Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (und Forschungsförderung; BLK)

    1970 aufgrund von Art. 91b GG eingerichtete Kommission zur Vorbereitung einer gesamtstaatlichen Bildungspolitik.

    Planungsauftrag: Ein Bildungsgesamtplan. Die Kommission erhielt den Auftrag, einen langfristigen Rahmenplan für das gesamte Bildungswesen sowie mittelfristige Stufenpläne und Programme für die Durchführung vordringlicher Maßnahmen vorzubereiten. Sie sollte in Abstimmung mit dem Finanzplanungsrat ein gemeinsames langfristiges Bildungsbudget erarbeiten und die von der Konferenz der Regierungschefs zu verabschiedenden Pläne fortlaufend überprüfen und fortschreiben. Die Definition des Bildungswesens umfasste erstmals auch die vorschulischen Einrichtungen (Kindergärten, seitdem Elementarbereich genannt) sowie den Bereich der Weiterbildung (als vierten Bildungssektor); ausgeklammert blieb der Bereich der außerschulischen beruflichen Bildung. Bei der Erarbeitung des Bildungsgesamtplans griff die BLK auf ein umfassendes Konzept der Reorganisation und Umstrukturierung des Bildungswesens, den sog. Strukturplan für das Bildungswesen des Bildungsrats von 1970 zurück, der das Bildungswesen nicht mehr als ein nach Schulformen und Abschlüssen vertikal, d.h. hierarchisch gegliedertes System modellierte, sondern als ein horizontal gestuftes, das durchlässig sein sollte und das Bildungswesen aus fünf Teilsystemen rekonstruierte: Elementarbereich, Primarstufe, Sekundarbereich I, Sekundarbereich II, den tertiären Sektor und den quartären Bereich der Weiterbildung. Der Bildungsgesamtplan, den die Kommission 1973 verabschiedete, ist in großen Teilen eine Übersetzung dieses Strukturplans in reale und monetäre Größen (Schülerströme, Bildungsausgaben) sowie in Zeitschritte der Umsetzung. Die BLK nahm dieses neue Strukturmodell halbherzig in den Bildungsgesamtplan auf, insofern als die Planung alternativ, d.h. sowohl nach Bildungsstufen wie auch nach Institutionsarten vorgenommen wurde.

    Grenzen der Bildungsgesamtplanung: Der bildungspolitische Dissens kam in drei Minderheitsvoten zum Ausdruck, die besonders drei Reformvorhaben betrafen: Die Orientierungsstufe, die Gesamtschule und die Lehrerbildung. Die Minderheit plädierte für die Beibehaltung des gegliederten Schulwesens und eine entsprechend differenzierte Ausbildung und Besoldung der Lehrer. Ein weiterer Konflikt betraf die Finanzierung des Programms; es wurde vom Finanzplanungsrat als nicht finanzierbar bezeichnet. Dabei ging es v.a. um die Senkung der Schüler-Lehrer-Relationen und die daraus resultierende Steigerung der Personalkosten. Zudem weigerte sich der Finanzplanungsrat, einen bestimmten Gesamtanteil der Bildungsausgaben am öffentlichen Gesamthaushalt festzulegen. Der schließlich 1973 von den Regierungschefs verabschiedete Bildungsgesamtplan enthielt zwar Kostenkalkulationen, ließ aber die Frage der Finanzierbarkeit offen. 1974 erklärten die Staatssekretäre der Finanzministerien von Bund und Ländern in einem unveröffentlichten Papier den Bildungsgesamtplan als nicht finanzierbar und zwangen die BLK, in mittelfristig orientierten Fortschreibungen das Programm zeitlich zu strecken und sich bei den Zielen zu bescheiden. Der Versuch, den Bildungsgesamtplan im Jahr 1981 noch einmal langfristig fortzuschreiben, scheiterte.

    VIII. Phasen

    Man kann die Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland durch Phasen kennzeichnen, die zugleich deutlich machen, dass sie Konjunkturen (Aufmerksamkeitszyklen) unterliegt. R. Arnold und F. Marz unterscheiden bis Mitte der 70er Jahre die folgenden fünf Phasen.

    1. Phase der „Restauration und Improvisation” (1945–1948)

    Diese kurze Phase kennzeichnet die Zeit unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in der es darum ging, die Bildungseinrichtungen überhaupt funktionsfähig zu machen. Am Ende stand die Restauration des gegliederten Bildungssystems der Weimarer Republik.

    2. Phase der „Vereinheitlichung und Koordinierung” (1949–1955)

    Die zweite Phase begann mit der Gründung der KMK und umfasst die Periode, in der die Bundesländer sich in der Bildungspolitik abzustimmen begannen und ihre Politik stärker koordinierten. In diese Phase fällt die Gründung des Deutschen Ausschusses.

    3. Phase „Effektivierung des Bestehenden” (1956–1962)

    In der dritten Phase begann die Bildungspolitik auf einen wahrgenommenen Mangel an akademischen Arbeitskräften zu reagieren und den Ausbau der Fachschulen und technischen Hochschulen in den Blick zu nehmen. In dieser Phase wurde 1957 der Wissenschaftsrat gegründet, und es erfolgte eine erste kritische Darstellung der Schwächen des Schulsystems im „Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinen öffentlichen Schulwesens” des Deutschen Ausschusses (1959).

    4. Phase „Mobilisierung der Bildungsreserven” (1963–1969)

    In dieser Phase rief G. Picht die „Deutsche Bildungskatastrophe” aus, legte die KMK ihre erste Lehrerbedarfsprognose vor, die einen erheblichen Lehrermangel bis 1970 voraussagte, postulierte R. Dahrendorf das „Bürgerrecht auf Bildung”, wurde die ökonomische Bedeutung von Bildung wiedererkannt (Renaissance der Bildungsökonomie) und in ersten empirischen Studien das Problem der ungleichen Bildungschancen entdeckt. Es ist die Phase, in der der Deutsche Ausschuss durch den Bildungsrat ersetzt wurde, der auf die bildungspolitischen Diskussionen erheblichen Einfluss nimmt. Es ist schließlich die Phase, in der die Große Koalition in einem konsensuellen Kraftakt die bildungspolitisch entscheidenden Grundgesetzänderungen vornahm, das Berufsbildungsgesetz und das Arbeitsförderungsgesetz verabschiedete, anschließend allerdings von der sozialliberalen Koalition abgelöst wurde.

    6. Phase der „großen Bildungsreform” (1969–1973)

    In diese Phase fallen die großen bildungspolitischen Reformentwürfe wie der „Strukturplan für das Bildungswesen” des Bildungsrats, die „Empfehlungen zur Struktur und zum Ausbau des Bildungswesens im Hochschulbereich nach 1970” des Wissenschaftsrats, der Bildungsbericht '70 der Bundesregierung, der eine „Bildungsreform aus einem Guss” zwecks Verwirklichung gleicher Bildungs- und Lebenschancen entwarf, die Gründung der BLK, die Verabschiedung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Bafög), die Arbeit der 1970 vom Bundestag eingesetzten „Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung” (Edding-Kommission) und schließlich die Verabschiedung des Bildungsgesamtplans.

    Die sich nach dieser Reformperiode anschließende Phase der Bildungspolitik lässt sich schwieriger einordnen. Man kann die gesamte Phase seit 1974 z.B. als die Phase des Scheiterns der Bildungsreform, der Resignation der Reformer oder als Phase der Ernüchterung, der pragmatischen Kompromisse oder auch der kostenneutralen Öffnung des Bildungswesens bezeichnen. Die Phase ist generell durch die Absage an eine gesamtstaatliche Bildungsplanung in der Tradition des Bildungsgesamtplans geprägt, Planung ist als politische Handlungsstrategie verlagert worden auf die Ebene der einzelnen Bildungsinstitution, deren Handlungsfähigkeit durch Gewährung größerer Autonomiespielräume gestärkt werden soll.

    IX. Aktuelle Felder/Aktionsfelder (Auswahl)

    1. Elementarbereich

    Im Elementarbereich geht es vorrangig um die Schaffung eines Platzangebotes, das die hohe Nachfrage nach Einrichtungsplätzen decken kann. Das Hauptproblem besteht zur Zeit v.a. für die Kommunen als den Hauptfinanziers für diese Investitionsausgaben darin, die erforderlichen Finanzmittel aufzubringen. Dieser Finanzierungsdruck auf die Gemeinden und Länder wird in Zukunft zunehmen, da einerseits im Gefolge der Diskussion um die Ergebnisse der PISA-Untersuchungen und neuerer Einsichten der modernen Hirnforschung der Bildungsauftrag der Kindergärten verstärkt und eine höheres

    international längst übliches

    Ausbildungsniveau der Erzieherinnen an Fachhochschulen (bei höherer Besoldung) verlangt wird, da andererseits Zahl und Anteil der Ganztagseinrichtungen wird erheblich wachsen müssen, um angesichts des anstehenden Rückgangs der erwerbsfähigen Bevölkerung Müttern den Zugang zu ganztätiger Berufstätigkeit zu ermöglichen.

    2. Schulbereich

    Im Schulbereich besteht eine Aufgabe für die B. darin, die z. T. noch anwachsenden Schülerzahlen zu bewältigen, ohne dass zusätzliche Finanzmittel für die Einstellung zusätzlicher Lehrer/innen verfügbar sind. Die zur Zeit präferierten Strategien stellen auf freiwillige Mehrarbeit der Lehrer/innen (Geld statt Stellen) oder auf politisch verordnete Mehrarbeit ohne Gehaltsausgleich und seit 2004 auf höhere Lehrdeputate der beamteten Lehrer ab. Zugleich besteht das Problem, die „Vergreisung” der Lehrerkollegien (stetig wachsender Anteil der über 50-Jährigen in den Kollegien) zu vermeiden. Die zweite Strategie setzt auf die Innovativität der einzelnen Schulen und Kollegien und hofft, die anstehenden Probleme durch Gewährung größerer Handlungs- und Entscheidungsautonomie für die Einzelschulen lösen zu können, d.h. Schulklima und Unterrichtsqualität zu verbessern. Durch die Ergebnisse der TIMSS-Studie (Third in International Mathematics and Science Study) und der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) sind das deutsche Schulsystem und die Schulpolitik der Länder unter starke Kritik und entsprechenden Druck geraten. Die Schulpolitik in den Ländern reagiert relativ einheitlich auf die Befunde der Studien, in dem einerseits eine größere Selbstständigkeit der Schulen (z.B. das Projekt „selbststständige Schule” in Nordrhein-Westfalen) angestrebt wird, andererseits die Normierung der gewünschten Lernergebnisse zumindest auf Länderebene (Lernstandards in den Kernfächern Deutsch und Mathematik) durch landeseinheitliche Prüfungen ein Politikziel ist. Die Kultusministerkonferenz hat sieben Handlungsfelder definiert, in denen sie mit dem Ziel besserer Lernleistungen der Schüler und Schülerinnen agiert. Es sind dies:


    (1) Verbesserung der Sprachkompetenz bereits im vorschulischen Bereich;


    (2) bessere Verzahnung von Vorschule und Grundschule mit dem Ziel frühzeitiger Einschulung;


    (3) Verbesserung der Grundschulbildung und durchgängige Verbesserung der Lesekompetenz und des grundlegenden Verständnisses mathematischer und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge;


    (4) wirksame Förderung bildungsbenachteiligter Kinder, insbesondere jener mit Migrationshintergrund;


    (5) konsequente Qualitätssicherung durch verbindliche Standards, Kerncurricula, zentrale Abschlussprüfungen und Evaluation;


    (6) Verbesserung der Professionalität der Lehrertätigkeit, insbesondere im Hinblick auf diagnostische und methodische Kompetenz;


    (7) Ausbau von schulischen Ganztagsangeboten und von Fördermöglichkeiten.

    Hierzu gehört das Ganztagsschulförderprogramm der Bundesregierung, die den Ausbau von Ganztagsschulen vor allem im Grundschulbereich seit 2003 mit insgesamt 4 Mrd. Euro fördert.

    3. Hochschulbereich

    Im Hochschulbereich setzt die Politik ebenfalls auf möglichst kostenneutrale Maßnahmen. Dazu gehören zum einen interne Umstrukturierungen zwischen Universitäten und Fachhochschulen, aber auch innerhalb der Institutionen selbst, zum anderen die Gewährung finanzieller Autonomie, von der man sich einen effizienteren Umgang mit den verfügbaren Ressourcen verspricht. Schließlich sollen durch reduzierte Vorgaben für die Studiengänge (Eckwerte) die Studiengänge wieder in angemessener Zeit studierbar gemacht werden, und durch ein weit gefächertes Evaluationsinstrumentarium (Veranstaltungsbeurteilung, Lehrberichte) soll die Lehre gestrafft und verbessert werden. Längerfristig angelegte Strukturpläne (Solidarpakt in Baden-Württemberg, Qualitätspakt in Nordrhein-Westfalen) erzwangen einerseits Abgaben von Personalstellen der Hochschulen an die Länder, andererseits hochschulinterne Umstrukturierungen und Innovationen; sie führen landesweit zu Restrukturierungen. Mittlerweile unterziehen sich die meisten Hochschulen einem grundlegenden Prozess der Studienstrukturreform (sog. Bologna-Prozess), in welchem die traditionellen Diplom-, Magister und z.T. auch die Lehramtsstudiengänge in eine konsekutive Bachelor-Master Struktur überführt werden. Begleitet wird dieser Prozess durch Akkreditierung und Evaluationen von Studiengängen sowie von weit reichenden Organisationsentwicklungsprozessen in den Hochschulen, die den Hochschulleitungen und Dekanen mehr Handlungs- und Entscheidungsspielräume sowohl im Verhältnis zu den Wissenschaftsministerien als auch nach innen in die Hochschulen hinein einräumen. Die Professorenschaft wird ab dem Jahr 2005 leistungsabhängig besoldet, leistungsabhängige Globalhaushalte, Kosten-Leistungsrechnung und Controlling werden sukzessive in die Hochschulen zwecks größerer Ressourcentransparenz und Effizienz von Management, Lehre und Forschung eingeführt. Die Personalstruktur unterliegt ebenfalls einem strukturellen Wandel, die Habilitation soll ihre Funktion in Berufungen verlieren, die Juniorprofessur soll an ihre Stelle treten.

    4. Berufsbildung

    Die Berufsbildungspolitik sorgt sich zur Zeit wieder um ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen in den Betrieben. Finanzielle Anreize v.a. in den neuen Bundesländern, Ausbildungsappelle und die Suche nach neuen Finanzierungsformen stehen im Vordergrund der politischen Überlegungen, auch wenn die Bundesregierung im Jahr 2004 per Gesetz eine Ausbildungsplatzabgabe für den Fall beschlossen hat, dass das Ausbildungsplatzangebot um weniger als 15 Prozent über der Nachfrage liegt.

    5. Weiterbildung

    Die Weiterbildungspolitik steht ebenfalls vor dem Hauptproblem knapper finanzieller Ressourcen. Während die Betriebe ihre Weiterbildungsaktivitäten kaum reduziert haben, sie aber stärker selbst durchführen und von externen Anbietern abziehen, zugleich aber auch die Teilnehmer/innen stärker an den Kosten beteiligen (z.B. durch Verlagerung der Maßnahmen in Zeiten außerhalb der Arbeitszeit), ist die Bundesagentur für Arbeit gezwungen, die Anspruchsgrundlagen in größeren Abständen zu verändern, um die aus der hohen Arbeitslosigkeit resultierende hohe Nachfrage nach ihren Maßnahmen ihren verfügbaren Mitteln anzupassen. Öffentliche bzw. öffentlich geförderte Einrichtungen (wie z.B. die Volkshochschulen) sehen sich seit einigen Jahren gezwungen, die Kursgebühren zu erhöhen. Novellierungen von Weiterbildungsgesetzen (z.B. 1999 in Nordrhein-Westfalen) haben vorrangig die Funktion, die Anspruchsinflation einzudämmen. Es scheint, als sei die B. in den neunziger Jahren generell dem Diktat der knappen Kassen ausgeliefert. Es ist abzuwarten, wie die Politik die Finanzierungsempfehlungen der Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens aufgreifen wird.

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