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Experimentelle Wirtschaftsforschung

Definition: Was ist "Experimentelle Wirtschaftsforschung"?
Im Rahmen der experimentellen Wirtschaftsforschung werden kontrollierte Laborexperimente, Feldexperimente und Simulationen durchgeführt. Diese dienen vorrangig dazu, wirtschaftswissenschaftliche Theorien einer strengen Überprüfung zu unterziehen oder wirtschaftsbezogene Verhaltensmuster unter kontrollierten Rahmenbedingungen aufzudecken. Typischerweise haben die Teilnehmer an Experimenten nach vorgegebenen Spielregeln Entscheidungen zu treffen, die unmittelbare monetäre Konsequenzen für sie selbst aufweisen. Die experimentelle Wirtschaftsforschung kann spätestens seit der Jahrtausendwende als vollständig etablierte Forschungsmethode angesehen werden.

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    I. Begriff

    Unter experimenteller Wirtschaftsforschung versteht man den Bereich der empirischen Wirtschaftswissenschaft, in dem kontrollierte Experimente durchgeführt werden, um Theorien zu überprüfen oder neue Regelmäßigkeiten zu entdecken. Die Experimente werden zumeist als Laborexperimente, mitunter jedoch auch als Feldexperimente oder in Form von Computersimulationen umgesetzt. Im Folgenden beschränken wir uns auf die Betrachtung von Laborexperimenten.

    II. Wesen und Inhalt von Laborexperimenten

    In ökonomischen Laborexperimenten werden Entscheidungs- oder Interaktionsstrukturen eingerichtet, in denen Menschen (die Probanden) unter festgelegten Regeln Entscheidungen treffen, deren monetären Konsequenzen später in geltender Währung ausgezahlt werden. Die experimentelle Methode verfügt über zwei grundsätzliche Vorzüge, die der traditionellen Feldforschung fehlen: Zum einen können die Laborstrukturen durch den Experimentleiter perfekt kontrolliert werden, so dass beispielsweise bekannt ist, über welche Informationen die Entscheidungsträger zum Entscheidungszeitpunkt verfügen. Zum anderen sind Experimente beliebig wiederhol- und damit auch überprüfbar.

    Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche Experimentziele: Einerseits dienen Experimente dazu, ökonomische Theorien unter Idealbedingungen zu überprüfen. Die Kontrollmöglichkeiten des Experimentleiters ermöglichen es, Modellannahmen möglichst detailgetreu abzubilden. Damit wird eine für die Theorie ideale Experimentwelt geschaffen, von der zu erwarten ist, dass sie dem theoretischen Modell ideale Voraussetzungen für eine mögliche Bestätigung schafft. Unterscheidet sich das Laborverhalten der Probanden dennoch grundlegend von den theoretischen Vorhersagen, so muss das theoretische Modell in Frage gestellt werden.

    Die zweite experimentelle Zielsetzung entspricht derjenigen aus ingenieurwissenschaftlichen Windkanaltests. Es wird versucht, die realen Handlungsbedingungen möglichst wirklichkeitsnah abzubilden. Unabhängig von der zugrunde liegenden Theorie geht es bei diesen Windkanaltests darum, bestimmte institutionelle Arrangements auf ihre Auswirkungen hin zu überprüfen.

    III. Wichtigste Forschungszweige

    Grundsätzlich lässt sich die experimentelle Methode auf das gesamte Spektrum der Wirtschaftswissenschaft anwenden. Dennoch haben sich in den vergangenen Jahrzehnten drei zentrale Anwendungsbereiche herauskristallisiert: In Marktexperimenten wird versucht, wettbewerbliche Marktprozesse im Labor zu erfassen. In Experimenten zur Entscheidungstheorie wird angestrebt, das isolierte einzelwirtschaftliche Entscheidungsverhalten im Detail zu erkunden. In der experimentellen Spieltheorie werden Handlungssituationen untersucht, in denen die Akteure in einer wechselseitigen strategischen Abhängigkeit stehen.

    1. Marktexperimente

    Im Rahmen von Marktexperimenten werden im Labor virtuelle Märkte eingerichtet, auf denen fiktive Güter gehandelt werden. Gelingt es Anbietern, ihre Produkte zu Preisen zu verkaufen, die über ihren Kosten liegen, so wird der resultierende Überschuss im Anschluss an das Experiment bar ausgezahlt. Analog führt auch ein günstiger Erwerb durch die Nachfrager zu realen Geldeinnahmen für die Experimentteilnehmer.

    Ein zentraler Aspekt von Marktexperimenten besteht darin, die Auswirkungen unterschiedlicher Handelsregeln im Hinblick auf ihre Markteffizienz zu untersuchen. Eine herausragende Bedeutung nimmt in diesem Zusammenhang die doppelte Auktion ein, die Smith, Nobelpreisträger des Jahres 2002, 1962 in die Literatur einführte. Die doppelte Auktion, in der Anbieter und Nachfrager öffentlich sichtbar verbindliche Kauf- bzw. Verkaufsofferten abgeben können, orientiert sich an den Handelsregeln von Waren-, Kapital- oder Devisenbörsen. Gleichwohl macht es einen erheblichen Unterschied, ob die doppelte Auktion auf Vermögensmärkten oder auf Gütermärkten, in denen die Käufer- und Verkäuferrollen eindeutig festgelegt sind, eingesetzt wird. In hunderten von doppelten Auktionen in Gütermärkten zeigte sich, dass diese Art der Marktorganisation zu bemerkenswert hohen Effizienzgraden führt. Typischerweise werden auf solchen Labormärkten 95 bis 100 Prozent der theoretisch möglichen Handelsgewinne realisiert. Im Gegensatz dazu wurde deutlich, dass doppelte Auktionen auf Vermögensmärkten regelmäßig zur Entwicklung spekulativer Blasen führen. Das Blasenphänomen nimmt allerdings deutlich ab, wenn die Marktteilnehmer bereits Erfahrung aufweisen, d.h. wenn sie bereits zuvor an doppelten Auktionen für Vermögenswerte teilgenommen haben.

    Eine zweite sehr bedeutende experimentelle Marktform wird als Posted-Offer-Markt bezeichnet. Hier legen die Anbieter zu Beginn einer Handelsperiode ihre Angebotspreise unwiderruflich fest; eine Preisänderung ist erst zum Beginn der nächsten Periode möglich. Die Posted-Offer-Marktform ist den typischen Konsumgütermärkten nachempfunden. Wie schon in doppelten Auktionen ist auch in Posted-Offer-Märkten eine starke Annäherung der Marktpreise und -mengen an die theoretischen Gleichgewichtswerte zu erkennen. Allerdings erfolgt der Anpassungsprozess an das Gleichgewicht nur unvollständig und deutlich langsamer als bei doppelten Auktionen, so dass die Effizienz insgesamt geringer ist.

    2. Experimente zur Entscheidungstheorie

    Experimente zur Entscheidungstheorie dienen dem Zweck, Theorien einzelwirtschaftlichen Verhaltens einer experimentellen Überprüfung zu unterziehen, systematische Abweichungen von Theorie und Verhalten festzustellen, um schließlich neue Verhaltenstheorien zu formulieren. Im Zentrum dieser Forschung steht häufig die Abweichung des Laborverhaltens vom so genannten Erwartungsnutzenkonzept, in dem die Akteure ihren Entscheidungen den mathematischen Erwartungswert ihres Nutzens maximieren. Dabei zeigt sich, dass eine Vielzahl vermeintlich irrelevanter Aspekte das Entscheidungsverhalten der Probanden deutlich beeinflusst. So ist beispielsweise festzustellen, dass die Darstellung eines Entscheidungsproblems, d.h. die konkrete Wortwahl ohne Veränderung der substanziellen Informationen, regelmäßig einen spürbaren Einfluss auf die Entscheidungen der Akteure aufweist.

    Die Vielzahl und Systematik der Abweichungen vom Erwartungsnutzenkonzept initiierte die Formulierung alternativer Ansätze. Die vielleicht prominenteste Alternative zum Erwartungsnutzen bildet die Prospect-Theorie, die 1979 von Kahneman, Nobelpreisträger im Jahr 2002, und Tversky vorgestellt wurde. Zentrales Merkmal ihres Ansatzes ist ein eher risikofreudiges Verhalten, wenn es um die Vermeidung von Verlusten geht, und ein eher risikoscheues Verhalten, falls die Individuen zwischen möglichen Gewinnchancen wählen können.

    3. Experimentelle Spieltheorie

    Die nichtkooperative Spieltheorie untersucht menschliches Verhalten in Situationen, in denen sich wenige Akteure in einem Verhältnis der wechselseitigen strategischen Abhängigkeit befinden. Als zentrales Gleichgewichtskonzept gilt in diesem Zusammenhang bis heute das von Nash, Nobelpreisträger des Jahres 1994, eingeführte Nash-Gleichgewicht, in dem kein Akteur seine Auszahlung dadurch verbessern kann, dass er als einziger Teilnehmer einen Strategiewechsel vornimmt.

    Anwendungsgebiete der experimentellen Spieltheorie sind v.a. bilaterale Verhandlungen, das Angebotsverhalten von Unternehmen auf „engen” Märkten mit einer geringen Anzahl von Konkurrenten (Oligopole), die spontane Bereitstellung öffentlicher Güter, Koordinationsprobleme, die Ausnutzung von First-Mover-Vorteilen sowie Fairnessspiele. Viele der Untersuchungen zeigen, dass das Nash-Gleichgewicht in der Tat einen Anziehungspunkt für das Verhalten der Experimentteilnehmer darstellt. Besonders wenn die Probanden Gelegenheit zum Lernen haben, stellt sich in den meisten Spielen eine deutliche Bewegung in Richtung des Gleichgewichts ein. Jedoch muss auch festgestellt werden, dass die ebenso regelmäßig zu findenden Abweichungen vom Gleichgewicht so groß ausfallen, dass das Nash-Gleichgewichtskonzept nur eingeschränkt zur Vorhersage menschlichen Verhaltens geeignet ist. So zeigt sich beispielsweise in Verhandlungsexperimenten, dass Kommunikationsmöglichkeiten, die aus Sicht der nichtkooperativen Spieltheorie bedeutungslos sein müssten, einen erheblichen Einfluss auf das Zustandekommen und den Inhalt von Einigungen aufweisen.

    IV. Aktuelle Entwicklungen

    Seit Anfang/Mitte der 1990er-Jahre etabliert sich eine Reihe neuer Themen im Themenkatalog der experimentellen Forschung. Diese setzen an der Formulierung eines neuen Gleichgewichtskonzepts, an der begrenzten Rationalität der Akteure sowie den Motivationen für menschliches Verhalten an.

    Als vielleicht bedeutendstes neues Gleichgewichtskonzept sei hier das der stochastischen Spieltheorie, z.B. das von R. McKelvey und T. Palfrey (1995) eingeführte „Quantal-Response-Gleichgewicht”, angeführt, das eine Verallgemeinerung des Nash-Gleichgewichts darstellt, in dem auch suboptimalen Handlungsalternativen eine positive, auszahlungsabhängige Eintrittswahrscheinlichkeit zugeordnet wird.

    Ein weiterer, aktuell viel diskutierter Forschungszweig beschäftigt sich mit sozialen Präferenzen. Im Gegensatz zum üblichen Modell des Homo oeconomicus berücksichtigen die einschlägigen Ansätze auch andere Aspekte menschlicher Motivation als den streng materiell eigennützigen. Als Beispiele lassen sich Elemente der Verteilungsgerechtigkeit und der Reziprozität anführen.

    Eine dritte aktuelle Richtung stellen dynamische Modelle des Lernverhaltens dar. Besonders erfolgreiche Lernmodelle entsprechen häufig einer Kombination aus Verstärkungslernen und Erwartungslernen. Im Fall des Verstärkungslernens steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum zukünftig eine bestimmte Strategie wählt, mit zwei Einflussfaktoren:

    – Schon allein die vergangene Wahl einer Strategie an sich erhöht die zukünftige Wahrscheinlichkeit ihrer Wahl.

    – In der Vergangenheit überdurchschnittlich erfolgreiche Strategien werden noch häufiger gewählt als andere.

    Erwartungslernen (Belief Learning) beinhaltet, dass aus dem vergangenen Handeln der anderen Akteure Erwartungen bezüglich ihres zukünftigen Verhaltens abgeleitet werden. Mit diesen Erwartungen wählen die Akteure geeignete (u.U. optimale) eigene Strategien. Auch die modernen Lerntheorien haben bemerkenswerte Erklärungserfolge aufzuweisen.

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