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Verfügungsrechte

Definition: Was ist "Verfügungsrechte"?

Verfügungsrechte bestimmen, ökonomisch betrachtet, die in einer Gesellschaft anerkannten Handlungsspielräume und –anreize von Akteuren hinsichtlich knapper Ressourcen, die alternative Verwendungsmöglichkeiten haben. Definition und Zuordnung von Verfügungsrechten sind aus volkwirtschaftlicher Sicht maßgeblich für Höhe und Verteilung des Wohlstands in einer Gesellschaft.

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Inhaltsverzeichnis

    1. Begriff
    2. Verfügungsrechte und Haftung
    3. Staatliche Beschränkung privater Verfügungsrechte
    4. Verfügungsrechte als Institutionen
    5. Verfügungsrechte und Transaktionskosten
    6. Theorie der Verfügungsrechte

    Begriff

    1. Allgemein

    Property Rights. Aus ökonomischer Sicht sollen Verfügungsrechte die einem bestimmten Individuum zugeordnete Fähigkeit (Property Right) im Sinn der Chance heißen, eine bestimmte Entscheidung, im Besonderen ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen bezüglich eines bestimmten (knappen) Gutes betreffend, im Rahmen einer anerkannten sozialen Beziehung durchsetzen zu können. – Beispiele: Der Eigentümer E, der gegenüber beliebigen Dritten eine bestimmte Verfügung x über den Eigentumsgegenstand durchsetzen kann; der Arbeitnehmer A, der im Rahmen des mit B abgeschlossenen Arbeitsvertrages von jenem die Verrichtung v verlangen kann; der auf Märkten abgewickelte Gütertausch, bei dem eigentlich Verfügungsrechte über Güter getauscht werden. Der Begriff Gut umfasst sowohl materielle Güter (Personen- und Sachleistungen) als auch immaterielle Güter, nämlich „Rechte“ (z.B. Forderungen, Urheber- und Patentrechte) und „Verhältnisse“ (z.B. den Kundenstamm eines Unternehmens).
    Je höher die Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung, desto „stärker“ ist das entsprechende individuelle Verfügungsrechte und desto „strenger“ folglich die korrespondierende Beschränkung, die seine anerkannte Geltung den Handlungsmöglichkeiten anderer Individuen auferlegt. „Anerkannt“ verweist auf die Legitimation des Handelns oder Unterlassens als ein nach den für die betreffende soziale Interaktion gültigen Normen erlaubtes Verhalten. Man denkt zunächst an die staatlich autorisierten (Rechts-)Normen und die auf ihrer Grundlage privatautonom gestalteten Rechtsbeziehungen, v.a. Verträge; Verletzungen dieser Art von Normen können letztendlich mittels hoheitlich-legitimer Anwendung physischen Zwangs sanktioniert werden. Aber ebenso wie der ökonomische Begriff eines Verfügungsrechtes die juristische Begriffsbildung transzendiert, beinhaltet der hier verwendete Normbegriff gleichermaßen informelle Normen sozialer Kontrolle, namentlich gruppenspezifische Konventionen, die in Erwartung von Reziprozität befolgt werden, dass die anderen Gruppenmitglieder ihr Verhalten gleichermaßen an ihnen ausrichten. Viele Autoren sprechen im Übrigen dann nicht von Verfügungsrechten, sondern von bloßer Verfügungsmacht, wenn Handlungsmöglichkeiten unerlaubt wahrgenommen werden. Namentlich sei auf das ökonomisch zunehmend gravierende Problem hingewiesen, exklusive Verfügungsrechte an dem immateriellen Gut Information durchzusetzen, dessen unbefugte Nutzung durch geringe Übertragungs-(Kopier-)kosten sowie bei hoher Mobilität qualifizierter Arbeitskräfte begünstigt wird.


    2. Exklusive Verfügungsrechte

    Ein Individuum besitzt ein exklusives Verfügungsrecht, wenn es die betreffende Handlungsmöglichkeit praktisch sicher durchsetzen kann. Als Prototyp eines komplexen Bündels exklusiver ökonomischer Verfügungsrechte kann das dingliche Vollrecht des Eigentümers einer Sache gelten, der „mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen“ kann (§ 903 BGB; Privateigentum).


    Verfügungsrechte und Haftung


    Die einem Individuum zuerkannten exklusiven Verfügungsrechte gewähren ihm einerseits Freiheitsspielräume im Sinn der Autonomie, frei zwischen Alternativen wählen und sich derart als (sittliche) Person entfalten zu können, und bürden ihm andererseits moralisch die Verantwortung für jede von ihm getroffene Entscheidung auf. Dieser Verantwortung entspricht ökonomisch-instrumental das Prinzip unbeschränkter individueller Haftung: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen“ (Eucken). Doch gibt es einige gute Gründe für beschränkte Haftung, namentlich bei der Einstandspflicht für Gesellschaftsschulden, wenn sich die unternehmerische Funktion in der Aufbringung von Eigen-, also von Haftungskapital im Sinn eines vom Privatvermögen streng getrennten unternehmerischen Sondervermögens beschränkt. Der Haftungsanspruch, den eine Schadenhaftungsregel dem Geschädigten zubilligt, findet abgesehen von allen Schwierigkeiten konsensfähiger Schadensermittlung seine Grenze jedenfalls in der Zahlungsfähigkeit des Schädigers bzw. der für ihn haftbar zu machenden Person(en) oder Organisation. Nach dem tendenziell innovationsfreundlichen Prinzip der erlaubten Gefährdung bei (i.d.R.) umfangmäßig begrenzter Haftung (Liability Rule) dürfen legale Aktivitäten Verfügungsrechte Dritter mit der Maßgabe verletzen, dass der zurechenbar verursachte Schaden vom Verursacher den Geschädigten in Geld ausgeglichen werden muss. Dagegen kann nach dem Prinzip des strikten Erlaubnisvorbehalts eine fremde Verfügungsrechte potenziell beeinträchtigende Aktivität legal erst aufgenommen werden, nachdem die potenziell Gefährdeten zugestimmt haben. Bei Ausgestaltung dieses Erlaubnisvorbehalts als streng privates Verfügungsrecht (Property Rule) werden die Inhaber einen dem Vermögenseffekt ihres Rechtstitels und dem Grad ihrer Risikoaversion entsprechend hohen Verzichtspreis verlangen, was tendenziell innovationshemmend wirkt.
    Im Gegensatz zu einer Zunftordnung ist es für eine Wettbewerbsordnung kennzeichnend, dass keine Haftung für Vermögenseinbußen Dritter besteht, die auf eine nach der „Kampfordnung“ (Böhm) des Wettbewerbs zulässige Konkurrentenhandlung zurückzuführen sind. In einer wettbewerblichen Marktwirtschaft schützen exklusive Verfügungsrechte individuelle Entscheidungsbefugnisse, nicht jedoch historisch einmal erreichte Einkommens-, Gewinn- und Vermögenspositionen. Denn es liegt im Wesen dynamischen Wettbewerbs, dass sowohl die innovatorische Erschließung neuer marktverwertbarer Handlungsmöglichkeiten als auch nachstoßend imitierendes Konkurrentenhandeln bestehende Handlungsmöglichkeiten entwertet, genauer: Die diesen Handlungsmöglichkeiten spezifisch gewidmeten Ressourcen, soweit die darin versenkten Kosten auf den entsprechenden Produktmärkten nicht mehr zurückgewonnen werden können. Diese Wertvernichtung wird jedoch mehr als aufgewogen durch die zusätzlichen Gewinne des (der) erfolgreichen Konkurrenten und die zusätzlichen Vorteile, welche die Abnehmer aus billigeren bzw. besseren Produkten ziehen. In diesem Sinn verteilt Wettbewerb Verfügungsrechte im Ergebnis dorthin um, wo von ihnen der jeweils „wertvollste“ Gebrauch gemacht wird: Ein Vorgang, den Hayek als wissenschaffenden Such- und Entdeckungsprozess und Schumpeter als „schöpferische Zerstörung“ bezeichnet hat.


    Staatliche Beschränkung privater Verfügungsrechte


    Dass über den Erlaubnisvorbehalt privat verfügt werden kann, ist freilich die Ausnahme gegenüber der säkular im Vordringen begriffenen Praxis staatlicher Genehmigungsvorbehalte, welche private durch politische Verfügungsrechte verdrängt, die in Repräsentativorganen und v.a. in bürokratischen Gremien ausgeübt werden. Auf diesem Wege hat man - angeleitet durch den Verfassungsgrundsatz, dass „Eigentum verpflichtet“ und sein Gebrauch „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ soll (Art. 14 II GG) - das private Vollrecht des Eigentümers (Eigentumsrecht) je nach seinem Gegenstand mehr oder weniger zahlreichen, regelmäßig mit einem bestimmten „öffentlichen Interesse“ begründeten Beschränkungen und Eingriffen, also hoheitlicher Regulierung und der ihr zu Gebote stehenden Zwangsgewalt, unterworfen. Wenn aber mit einem Verbot bzw. Gebot in die Verfügungsrechte eines Eigentümers von Produktionsmitteln eingegriffen wird, dann sieht der durch den zwangsbewehrten Eingriffsakt Belastete bestimmte Verfügungsrechte jedenfalls als teilweise entwertet („verdünnt“) an, mögen auch Ökonomen und Politiker zu dem - niemals zweifelsfrei begründbaren - Ergebnis gekommen sein, der staatliche Eingriff habe einen negativen externen Effekt wohlfahrtssteigernd korrigiert. Abgesehen von den enormen Schwierigkeiten, den behaupteten Effizienzgewinn durch eine empirisch verlässliche Kosten-Nutzen-Analyse zu belegen, sollte die Redeweise vom „öffentlichen Interesse“ oder dem „Wohl der Allgemeinheit“ nicht den Blick auf den stets gegenwärtigen Verteilungsaspekt verstellen, dass ex post immer Interessen und Wohlstand bestimmter Individuen in spezifischer Weise positiv oder negativ betroffen worden sind und dadurch wenigstens implizit politisch eine bestimmte Gewichtung erfahren haben.


    Verfügungsrechte als Institutionen


    Ein bestimmtes „Arrangement” individueller Verfügungsrechte, dem die auf Dauer angelegte Funktion zugeschrieben wird, in regelhafter Weise bestimmte Probleme der Koordination und Motivation individueller Handlungen zu lösen, wird Institution genannt (Neue Institutionenökonomik). Die sanktionsbewehrten Regeln, mit denen eine Institution individuelles Handeln anleitet, erzeugen nachhaltige Erwartungen verlässlichen Verhaltens bei denjenigen, deren individuelle Handlungsmuster vom Vertrauen in diese Institution geprägt sind.


    Verfügungsrechte und Transaktionskosten


    Institutionen konstituieren eine Handelnsordnung (Hayek) der Marktteilnehmer, indem sie Handlungsmöglichkeiten und Interessen der Beteiligten ex ante abgrenzen und ex post verteilen. Sie entlasten ferner von andernfalls aufzuwendenden Transaktionskosten. Würden etwa potenzielle Marktteilnehmer „alles“ über marktverwertbare Güter, über Qualitäts- und Preisvorstellungen potenzieller Produzenten und Abnehmen, über einsetzbare Verfahrens-, Organisations- und Führungstechniken und über die Verlässlichkeit der Kontrahenten wissen, dann gäbe es weder Koordinations- noch Kontrollprobleme. Infolge von Informations- und Transaktionskosten sind Verträge, die komplex(er)e Verhältnisse regeln, typischerweise unvollständig: Regelungslücken treten auf, weil die Vertragsparteien nicht sämtliche zukünftigen Eventualitäten vorausdenken können, Unklarheiten über das wirklich Vereinbarte sowie die eingegangenen Verpflichtungen bestehen bleiben und im Streitfall ein Dritter, etwa ein (Schieds-)Richter, nicht berechenbar zu entscheiden vermag, wozu die Parteien sich vertragsgemäß verpflichtet haben. Bei Unvollständigkeit eines Vertrages kommt es sowohl für die Vertragsplanung (ex ante) als auch die Vorteilsteilung aus dem Vertrag (ex post) entscheidend darauf an, welcher Vertragspartei vom Vertrag nicht erfasste und deshalb residuale Kontrollbefugnisse über vertragserhebliche Vermögensgüter (Nonhuman Wealth wie z.B. Anlagen, Lagerbestände, Kundenlisten, Patente etc.) zustehen.


    Theorie der Verfügungsrechte


    1. Charakterisierung

    Im walrasianischen Modell des allgemeinen ökonomischen Konkurrenzgleichgewichts (allgemeines Gleichgewicht) bei flexiblen Preisen treffen automatenhaft-rational entscheidende Produktions- und Konsumakteure ihre Entscheidungen selbstständig aufgrund vollständiger Information über die Preisverhältnisse und in Kenntnis sowohl aller werthaltigen Attribute und Tauschbedingungen für Ressourcen und Güter auf heutigen wie auf Zukunftsmärkten, als auch sämtlicher verfügbarer Produktionsverfahren. Konstante Skalenerträge vorausgesetzt, sind die relativen Marktpreise dann ein hinreichendes Instrument, um eine (pareto-)effiziente Allokation bei vollständiger Dezentralisierung sämtlicher ökonomischer Entscheidungen zu gewährleisten. Die überwältigende Vielfalt der in der Wirklichkeit anzutreffenden ökonomischen Institutionen und Organisationen, namentlich die Existenz von Unternehmen (Theorie der Unternehmung), ist in dieser Modellwelt weder von Belang noch in ihr erklärbar. In ihr genügt es, wenn die individuellen Verfügungsrechte klar definiert, exklusiv zugeordnet und ohne Transaktionskosten übertragbar sind. Die Ausgangsverteilung von Rechtstiteln ist dann nach der Aussage des Coase-Theorems für die Allokationseffizienz, von allfälligen Vermögenseffekten abgesehen, folgenlos. Im Bes. werden externe Effekte, sobald sie von nutzen- bzw. vermögensmaximierenden Individuen wahrgenommen werden, sofort dadurch „internalisiert“, dass die Verfügungsrechte denjenigen marktmäßig übertragen werden, die von ihnen „den wertvollsten Gebrauch“ machen. Der Staat ist auf die Definition und Durchsetzung von Rechtstiteln beschränkt; eine darüber hinausgehende staatliche Regulierung erscheint weder notwendig noch hilfreich.


    2. Beurteilung

    Bei allen Vorzügen dieses Modells für die theoretische Grundlegung neoklassischer ökonomischer Analyse hat eine jahrzehntelange Diskussion v.a. die folgenden Aspekte als für eine der Realität angemessene Betrachtung ökonomischen Verhaltens nicht vernachlässigbar erwiesen: Ökonomische Akteure kennzeichnet beschränkte Rationalität, sie stoßen an kognitive Grenzen ihrer Kapazität zur Informationsbeschaffung und -verarbeitung. Transaktionskosten treten auf, weil Informationen nicht kostenlos zur Verfügung stehen; es kann niemals vollständige Information, also auch keine allen Eventualitäten Rechnung tragende Vertragsgestaltung geben, und nicht selten sind Informationen zwischen Marktparteien asymmetrisch verteilt (Informationsasymmetrie). Ungeachtet „moralischer Präferenzen? ist im Allgemeinen mit einer Neigung zu rechnen, Informationsvorsprünge und darauf gründende Handlungsmöglichkeiten opportunistisch im Sinn von eigennützig gepaart mit einem „Schuss? Arglist zu nutzen. Entscheidungsspezifische Unsicherheit ist häufig nicht vernachlässigbar, kann aber möglicherweise durch geeignete institutionelle Arrangements vermindert werden.


    3. Entwicklung/Bedeutung

    Die als Verfügungsrechte bekannte Betrachtungsweise wurde von angelsächsischen Ökonomen wie Alchian, Coase, Demsetz, North und Williamson im Bemühen entwickelt, wenigstens einige der angeführten Aspekte ernsthaft in die neoklassische Modellanalytik des unter Restriktionen nutzen- bzw. vermögensmaximierenden Homo oeconomicus und der postulierten Tendenz zu Gleichgewichtsallokationen einzubeziehen. Befruchtend hat sich diese Betrachtungsweise v.a. für die ökonomische Theorie der Unternehmung, die Theorie staatlicher Regulierung und die Theorie wirtschaftlicher Entwicklung ausgewirkt. Man hatte auf diese Weise zur klassischen Einsicht eines Smith in die zentrale Bedeutung der Gestaltung von Institutionen für den Wohlstand einer großen Gesellschaft, in der sich die Menschen dominant selbstsüchtig verhalten, zurückgefunden.

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