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Revision von Corona-Krise vom 01.04.2020 - 11:57

Corona-Krise

Definition: Was ist "Corona-Krise"?

 

 

 

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Inhaltsverzeichnis

    1. Überblick
    2. Soziologische/Politische/Wirtschaftliche Betrachtung
    3. Rechtliche Betrachtung

    Überblick

    Um die Jahreswende 2019/2020 entstandene weltweite Krisensituation aufgrund einer durch ein Virus ausgelösten weltweiten Pandemie (siehe auch: SARS-CoV-2, COVID-19). Zum Stand 1. April 2020 sind weltweit ca. 42.000 Tote zu beklagen. Das stetige deutliche Ansteigen dieser Zahl ist angesichts von nur sehr mühsam in den Griff zu bekommenden, mutmaßlich exponentiell steigender Infiziertenzahlen (am 1. April 2020 ca. 855.000 weltweit; sehr hohe Dunkelziffern sind zu gewärtigen) zu befürchten.

    In allen Ländern der Erde sind davon jeweils sämtliche gesellschaftlichen Subsysteme (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Familie, Religion) betroffen. Es handelt sich somit um eine globale Krise, eine Krise von historischem Ausmaß. Obwohl die Todeszahlen von Corona bei weitem nicht an die Sterblichkeitsraten historischer Pandemien (etwa der Pest im Mittelalter) heranreichen werden, wird durch das Virus doch die Fragilität auch modernster Hochleistungsgesellschaften evident und aufgedeckt. Vielerorts wurde sogar der Vergleich mit einem Krieg bemüht (zur rechtsmethodischen Implikation vgl. die Hinweise bei Subsumtion) - wenngleich es die moderne Gesellschaft schon seit Jahr und Tag hinnimmt, dass durch wirkliche Kriege Opferzahlen in weit höheren Dimensionen produziert werden. Sämtliche Staaten der Welt setzen auf das Mittel der Kontaktreduktion zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus - mit unterschiedlichen Umsetzungsmodalitäten im Einzelfall.
    Weltweite Kursabstürze der Börsen (mit mutmaßlich verursachter weltweiter Rezession) und massenhafte Einstellung der wirtschaftlichen Tätigkeit rund um den Globus, weltweit von Staaten ausgesprochene Total-Einreiseverbote bzw. Beschränkungen innerhalb von Staaten und der sehr weitgehend zum Erliegen gekommene Reiseverkehr sind nur einige Folgen.

    Aufgrund der Vernetzung wegen der Globalisierung gibt es umfassende negative Dominoeffekte, Sinn und Unsinn der Globalisierung ihrerseits wird wegen Corona in Frage gestellt. Die weltweit getroffene Maßnahme der Kontaktreduktion nimmt - notgedrungen - billigend in Kauf, dass dadurch eine globale Wirtschaftskrise ausgelöst wird. Trotz dieser negativen Wirkung ist, nach wissenschaftlich gesicherten Kenntnisstand im März 2020, Kontaktreduktion als Eindämmungsmaßnahme alternativlos. Ohne diese Maßnahme würden sich die negativen Folgen (Todeszahlen; Wirtschaftskrise) wegen der unkontrollierten Verbreitung des Virus sehr wahrscheinlich umso nachhaltiger und drastischer einstellen. Trotzdem ist im Frühjahr 2020 in Deutschland umstritten, inwieweit staatlicherseits getroffene Beschränkungen rechtlich zulässig sind, Vorwurf des Polizeistaats aufgrund überzogener und zu wenig limitierter Beschränkungen (vgl. dazu unten unter 3.). Im Frühjahr 2020 hatten sich weltweit einige Staaten dazu entschlossen, Kontaktreduktion bewusst lockerer zu handhaben, als dies in Deutschland verfügt wurde. Als Beispiel in Europa kann Schweden genannt werden.

    Soziologische/Politische/Wirtschaftliche Betrachtung

    1. Allgemein: In weiterer soziologischer Betrachtung sind wegen Corona etliche makrosoziologische Zusammenhänge im Blick. Nachfolgende Aufzählung in loser Schüttung: Das Verhalten der weltweiten Staatengemeinschaft insgesamt oder von Staaten untereinander in einer Notsituation; Diskussion über die Thematik Unilateralismus vs. Multilateralismus bzw. über die gebotene Anwendung praktikabler "Mischformen" von beiden; harsche Kritik und Zweifel der der Tauglichkeit der EU im allgemeinen und im besonderen; Ungleichheitsdiskussionen moderne Industrieländer vs. Entwicklungsländer; Fähigkeit der (effizienteren) Krisenbewältigung durch die unterschiedlichen Herrschaftsmodelle: Autokratie/Diktatur vs. Demokratie; Interaktion Verbände/Organisationen etc. innerhalb eines Staates; unterschiedliche Auswirkungen der Krise auf die Angehörigen unterschiedlicher gesellschaftlicher Klassen, etwa im Bereich der Arbeit: Home-Office-Möglichkeit vs. Notwendigkeit des "Front-Kampfs" im Supermarkt oder im Krankenhaus durch "Helden des Alltags").
    Nicht zuletzt wegen der Auswirkungen auf den zwischenmenschlichen Bereich, ausgelöst durch Kontaktsperren, Ausgangsbeschränkungen und Quarantänesituationen, sind auch viele mikrosoziologische Sachverhalte durch Corona virulent geworden, Stichworte: Angebot der Einkaufshilfe für einen unter häuslicher Quarantäne Stehenden, sog. Coronaparties etc.

    2. Staatliche Hilfsmaßnahmen: Der Bund und die Länder reagierten mit Nachtragshaushalten. Massive staatliche Hilfsmaßnahmen ("Bazooka", so Finanzminister Scholz) sollten Unternehmen (günstige Kredite, zu erhalten über KfW) und ihren Mitarbeitern (Kurzarbeitergeld) in der Notlage helfen. Die Bundesregierung initiierte beim Bund einen Nachtragshaushalt zur Ausgabe von zusätzlichen rd. 150 Mill. Euro (122,8 Mill. Euro, zzgl. veranschlagter Steuermindereinnahmen von 33,5 Mill. Euro). Weiter sollte ein Wirtschaftsstabilisierungsfond (WSF) Kredite bis zu 100 Mill. Euro abdecken, weitere 100 Mill. Euro als Kreditermächtigung sollten die Darlehensgewährung für Unternehmen (auszureichen über KfW) über den WSF absichern. Die Überschreitung der Obergrenze (vulgo: Schuldenbremse) wurde gemäß Art. 115 Absatz 2 Satz 6 GG extra beschlossen.

    Rechtliche Betrachtung

    Gerade in Krisensituationen ist das Recht als ordnungsschaffende und -erhaltende Instanz gefragt. Sämtliche Rechtskategorien (internationales Recht, Völkerrecht, supranationales Recht, nationales Recht, etc.) sind durch die Coronakrise betroffen (zum deutschen Schuldrecht etwa vgl. bei höhere Gewalt).

    1. Grundrechte/Polizeirecht: Insbesondere mit Bezug auf die Anwendung des Öffentlichen Rechts wollen es kritische deutsche Juristen im Frühjahr 2020 für ihre Mandanten wissen. Der Rechtsstaat und die gebotene Wahrung von Grundrechten angesichts der vielfältigen Beschränkungen sind diskutierte Dauerthemen. Die Notwendigkeit der Einschränkungen in dieser weiten Form auf Basis von § 28 Abs. 1 S. 1 2. HS Infektionsschutzgesetz (IfSG) wurde bezweifelt, denn es könne nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Mensch ein potenzieller Infektionsträger sei. Mit Beschl. vom 24.3.2020, 26 S 20.1252 hat das VG München die Wirkung der bayrischen Ausgangsbeschränkungen zugunsten zweier Einzelpersonen (den Antragstellern des Verfahrens) "aus formalen Gründen" vorläufig außer Kraft gesetzt (ähnlich VG München durch Beschlüsse vom 20. März 2020 hinsichtlich der verfügten Ladenschließung für den Einzelhandel). Das Gericht hatte die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Ausgangssperren allerdings nicht in Frage gestellt, lediglich ob der Freistaat Bayern die ausgesprochenen Ausgangsbeschränkungen per sog. Allgemeinverfügung (vgl. Art. 35 S. 2 BayVwVfG) veranlassen durfte, wurde seitens des VG in Abrede gestellt. VG München meinte, dass der Staat stattdessen durch eine Rechtsverordnung hätte handeln müssen. Der Freistaat ist dem gefolgt und hat die Beschränkungen formal in einer Rechtsverordnung (vom 24. März 2020) gefasst.

    (Rechtliche) Wertungen des Stichwortautors:

    Im Rechtsstaat ist es wichtig und es ist prägend für ihn, dass staatliches Handeln gerichtlich überprüft werden kann. Das soll sich gerade auch auf Formalvorschriften beziehen können, denn auch Formalvorschriften sind solche, an die die Exekutive nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Dass im Hinblick auf Formalvorschriften dennoch Abstriche denkbar sind, ergibt sich schon aus den §§ 44, 46 VwVfG. § 46 VwVfG lautet: Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Das BVerwG hat in einem Urteil vom 31.01.2019 (1 WB 28.17) grundsätzlich festgestellt, der Staat könne sich für einen Übergangszeitraum auf eine rechtswidrige (oder unzureichende) Rechtsgrundlage stützen, wenn ansonsten ein Zustand entstünde, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als die bisherige Lage.

    Ungeachtet dessen müssen sich staatliche Maßnahmen, auch in Form von durch Verwaltungshandeln gesetzten Recht, inhaltlich an höherrangigem Recht messen lassen. Das vor allem, wenn es sich - wie hier - wegen der Freiheitsbeschränkungen in bisher nicht gekannten Ausmaß um gravierende Grundrechtsverletzungen (Art. 2 Abs. 2; 8 Abs. 1; 11 Abs. 1; 12 Abs. 1; 14 Abs. 1 GG) handeln könnte. Indes: Sämtliche der genannten Grundrechte sind durch den Staat einschränkbar. Als Ermächtigungsgrundlage dienen in Bayern die einschlägigen Vorschriften des IfSG, konkretisiert durch die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung – BayIfSMV (vom 24. März 2020). Dass diese Verordnung ihrerseits wegen materieller Grundrechtsverstöße verfassungswidrig sein könnte, wird - unbeschadet des anderweitigen Ergebnisses einer ggf. noch durchzuführenden Detailprüfung - von Seiten des Autors bezweifelt. Die Verordnung wurde durch Beschluss des VGH München, vom 30.03.2020 (Az.: 20 NE 20.632), in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestätigt. Es entspricht den im März 2020 vorliegenden Erkenntnissen der Wissenschaft, dass der Ausbreitung des Virus durch die Verhängung von Kontaktverboten entgegen getreten werden muss. Der Staat muss auf dieser Basis, zumal in einer akuten Notsituation, auch vor dem Hintergrund rechtlicher Kategorien, berechtigt sein, entschlossen handeln dürfen können. In einer absoluten und akut systembedrohenden Notsituation sind jedem Handelnden im Übrigen auch Fehler erlaubt, das gilt auch zugunsten des Staates. Das Notstandsrecht des StGB mit seinen einschlägigen Tatbeständen, rechtfertigender bzw. entschuldigender Notstand (§§ 34, 35 StGB), regelt diesen allgemeinen Gedanken sehr anschaulich. Freiheitsgrundrechte und Zweifel an der Rechtmäßigkeit müssen - deren stetig möglich bleibende gerichtliche Überprüfbarkeit unterstellt - temporär hintanstehen. Zu dieser Überprüfung gehört auch die wegen der wirtschaftlichen Folgen der Beschränkungen im März 2020 diskutierte Abwägungsfrage Wirtschaft vs. Menschenleben. Aus Sicht des Stichwortautors ist es nicht zu beanstanden, dass sich die amtierende Bundesregierung im März 2020 für das Leben entschieden hat. Dass dadurch - sprichwörtlich - das Kind mit dem Bade ausgeschüttet würde, ist - auf Basis des wissenschaftlichen Kenntnisstands März 2020 - gerade wegen der ansonsten ungebremsten Virusverbreitung nicht anzunehmen. Ständiges Überprüfen und Nachjustieren der Maßnahmen sind geboten. Dazu gehört auch die bundesgesetzliche Nachbesserung beim IfSG.

    2. Föderales Verfassungsrecht: Bezogen auf die systemrechtlichen Gegebenheiten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wird die föderale Ordnung des Grundgesetzes in Teilen in Frage gestellt. Kritiker monieren u.a. die Langsamkeit und die Ungeeignetheit der im föderalen Modell des GG (Gesetzgebung und Verwaltung betreffend) bewusst angelegten Uneinheitlichkeit, die jedenfalls im Hinblick auf die Gefahrenabwehr bei der Lösung eines derartigen Problems festzustellen sei. Einfachgesetzlich zeigt sich das u.a. am IfSG. Verhängte Ausgangssperren (z.B. in Bayern, das zudem den Katastrophenfall ausgerufen hatte) bzw. -beschränkungen anderer Bundesländer (z.B. das Saarland), als grundrechtsbeschränkende Maßnahmen, sollten den steigenden Infektionszahlen in diesen Ländern entgegenwirken.
    Am frühen Abend des 22. März 2020 avisierte die Bundeskanzlerin, nach einer Telefonkonferenz mit allen Ministerpräsidenten der Länder, den Erlass eines mindestens zweiwöchigen einheitlichen Kontaktverbots für Versammlungen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit (mit definierten engen Ausnahmen), Inkrafttreten: 23. März 2020 (am 28. März 2020 wurde vom Bundeskanzleramt erklärt, dass Maßnahmen mindestens noch bis zum 20. April 2020 aufrechterhalten bleiben sollten). Von einer bundesweit zu verhängenden Ausgangssperre wurde Abstand genommen.
    Noch am Abend des 22. März 2020 gab es - zur Überraschung der Öffentlichkeit - divergierende bzw. relativierende Erklärungen einiger Bundesländer, u.a. von Bayern, das über seinen Landesvater erklären ließ, seine zuvor erlassene weitergehende Ausgangssperre in Bayern habe weiterhin zusätzlich Bestand. Andere Landesväter reklamierten ebenfalls jeweils für sich, mit ihrem Land schon vorab den "richtigen" Weg aufgezeigt zu haben.

    Wertungen des Stichwortautors dazu: 

    Das Verlassen des Hauses vs. Kontaktverbot, oder beides, in einigen Ländern irgendwie kombiniert - ganz gleich, wer hier im Wettbewerb um das Finden des "richtigen" Ansatzes in der Sache Recht haben mag, das rechtliche Nebeneinander, ja Gegeneinander lässt sich schwerlich durch die Begründung einer vorgeblich besonderen Situation ("Grenzländer") halten. Die systemisch angelegte Unfähigkeit zum Finden einer einheitlichen Lösung ist aufgrund ihrer Nachteiligkeit (Verwirrung und Verunsicherung der Bürger, Vertrauensverlust in die politische Führung) ein relativ klares Argument zur partiellen Abkehr vom Föderalprinzip. Besser erscheint eine in der Sache einheitliche Lösung durch den Zentralstaat. Dass dem Bund im Übrigen verboten wäre, etwaigen lokalen Besonderheiten differenzierend Rechnung tragen zu können, so etwa in Form von Vorbehalten oder Ermächtigungen zugunsten der Landesgesetzgebung, kann dem GG (insbesondere Art. 72 Abs. 2) gerade nicht entnommen werden. Der Sachverhalt mag, im Übrigen und ganz Nebenbei, auch dazu anregen darüber nachzudenken, das Patriarchat bei politischen Spitzenämtern weiter auszudünnen.

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