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Revision von Corona-Krise vom 25.06.2020 - 10:59

Corona-Krise

Definition: Was ist "Corona-Krise"?

 

 

 

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Inhaltsverzeichnis

    1. Überblick
    2. Soziologische/Philosophische/Politische/Wirtschaftliche Betrachtung
    3. Rechtliche Betrachtung

    Überblick

    Um die Jahreswende 2019/2020 in der chinesischen Stadt Wuhan ausgelöste, sich nach und nach weltweit entwickelnde Krisensituation aufgrund einer durch ein Virus verursachten weltweiten Pandemie (siehe auch: SARS-CoV-2, COVID-19). Zum Stand 25. Juni 2020 (4:33 Uhr) sind weltweit 482.162 Tote zu beklagen. Das weitere weltweitbezogene Ansteigen dieser Zahl ist angesichts von nur sehr mühsam in den Griff zu bekommenden, sehr wahrscheinlich weiter steigender Infiziertenzahlen zu befürchten. In einigen Ländern, etwa in Südamerika und Südasien (z.B. Brasilien und Indien - Stand: 25. Juni 2020), grassiert das Virus. Am 25. Juni 2020 (4:33 Uhr) gibt es weltweit rund 9.407 Mio. Fälle bestätigter Infizierter. Sehr hohe Dunkelziffern sind zu gewärtigen. Dennoch sind in etlichen Ländern bei den Zahlen auch erste Abflachungen von auf Graphiken dargestellten Kurven und es sind teilweise deutliche Rückgänge bei den Patientenzahlen registriert worden. Deswegen vielerorts umgesetzte Beschränkungslockerungen sind einem Risiko des erneuten sprunghaften Ansteigens von Negativ-Zahlen ausgesetzt. In Deutschland war aber insofern zuletzt Optimismus angebracht. Zwar gab es hier einige "Hot Spots" und erneute lokale Lockdowns (Landkreise Gütersloh und Warendorf in NRW). Die Zahlen in Deutschland insgesamt stiegen aber wegen der Lockerungen nicht signifikant, sie stagnierten zum Teil sogar (Erkenntnisstand: 25. Juni 2020).

    In allen Ländern der Erde sind davon jeweils sämtliche gesellschaftlichen Subsysteme (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Familie, Religion) betroffen. Es handelt sich damit um eine globale Katastrophe, die eine Krise von historischem Ausmaß auslöst. Obwohl die Todeszahlen von Corona bei weitem nicht an die Sterblichkeitsraten früherer historischer Pandemien (etwa der Pest im Mittelalter oder der Spanischen Grippe 1918-1920) heranreichen werden, wird durch das Virus doch die Fragilität auch modernster Hochleistungsgesellschaften des 21. Jahrhunderts evident und aufgedeckt. Vielerorts wird gar der Vergleich mit einem Krieg bemüht (zur rechtsmethodischen Implikation vgl. die Hinweise bei Subsumtion) - wenngleich es die moderne Gesellschaft schon seit Jahr und Tag hinnimmt, dass durch wirkliche Kriege Opferzahlen in weit höheren Dimensionen produziert werden.

    Wegen der von Staats wegen verfügten Lockdowns waren zunächst weltweite Kursabstürze der Börsen (mit mutmaßlich verursachter weltweiter Rezession) und massenhafte Einstellung der wirtschaftlichen Tätigkeit, rund um den Globus, die Folgen. Die Börsen hatten sich indes im Juni 2020 wieder weitgehend erholt. Weltweit von Staaten ausgesprochene Total-Einreiseverbote (z.B. Green-Card Stopp in den USA auf 60 Tage, vom US-Präs. am 20. April 2020 verkündet) bzw. Beschränkungen innerhalb von Staaten und der sehr weitgehend zum Erliegen gekommene Reiseverkehr waren weitere Konsequenzen. Das deutsche Auswärtige Amt hatte am 29. April 2020 die schon davor wegen Corona weltweit ausgesprochene Reisewarnung bis Mitte Juni 2020 verlängert. Bereits im Mai 2020 verhandelte der Bundesaußenminister mit europäischen Reiseländern über Lockerungen, um deutschen Urlaubern dort den Sommerurlaub zu ermöglichen. Am 3. Juni 2020 wurde die Aufhebung der allgemeinen Reisewarnung für 29 europäische Staaten ab 15. Juni 2020 verkündet (Sommermärchen 2020). Eine Reisewarnung für 130 Länder außerhalb der EU wurde bis zum 31. August 2020 verlängert.

    Die weltweit getroffene Maßnahme der Kontaktreduktion nimmt - notgedrungen - billigend in Kauf, dass dadurch eine globale Wirtschaftskrise ausgelöst wurde. Aufgrund der Vernetzung wegen der Globalisierung gab und gibt es umfassende negative Dominoeffekte. Sinn und Unsinn der Globalisierung ihrerseits wird wegen Corona in Frage gestellt, das gilt auch für den schon vor Corona negativ konnotierten Neoliberalismus. Das beinhaltete u.a. kritische Rückfragen zu dem dem Kapitalismus innewohnenden Zwang, immerzu ein Wirtschaftswachstum generieren zu wollen bzw. zu müssen (vgl. dazu bei Wachstum - mit Weiterverlinkungen zu etlichen weiteren einschlägigen volkswirtschaftlichen Begriffen).

    An der Herstellung eines Impfstoffs wird weltweit mit Hochdruck gearbeitet, er ist frühestens mittelfristig in Sicht (Erkenntnisstand: Juni 2020). Die meisten Staaten der Welt setzen auf das Mittel der Kontaktreduktion zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus - mit unterschiedlichen Umsetzungsmodalitäten (betreffend Beginn der Einführung und der Art und Weise der Maßnahmen) im Einzelfall.
    In Deutschland hatte es von staatlicher Seite zunächst den Erlass eines mindestens zweiwöchigen einheitlichen Kontaktverbots für Versammlungen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit gegeben (mit definierten engen Ausnahmen), Inkrafttreten: 23. März 2020. Der diesbezügliche Beschluss war am 22. März 2020 bei einer Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder gefasst worden. Am 1. April 2020 war verkündet worden, dass die Maßnahmen mindestens noch bis zum 20. April 2020 aufrechterhalten bleiben sollten. Daneben gab es etliche Sonderregelungen in den Bundesländern, zum Teil existieren Ausgangsbeschränkungen.
    Am 15. April 2020 annoncierte die Bundeskanzlerin nach Konsultationen mit den Ministerpräsidenten, dass mit dem 20. April 2020 das Inkrafttreten einiger Lockerungen, etwa für Geschäfte unter 800 qm., vorgesehen gewesen war (die 800 qm.-Grenze wurde von verschiedenen Gerichten in Entscheidungen am 27. April 2020 kritisch gesehen, siehe unten 3.1.). Schulen sollten ab dem 4. Mai 2020 schrittweise wieder öffnen. Ansonsten galt bis auf weiteres das Gebot des Mindestabstands von 1,5 m (bis mindestens 3. Mai 2020). Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten hatten dann am 15. April 2020 mitgeteilt, dass man am 30. April 2020 erneut eine Überprüfung vornehmen wollte. Am 23. April 2020 wurde erklärt, dass über Lockerungen erst am 6. Mai 2020 entschieden werden sollte. Nach dem Treffen am 30. April 2020 informierten die politischen Entscheider über die Öffnungen von Zoos, Spielplätzen und Museen (mit Auflagen). Auch religiöse Veranstaltungen, unter Einhaltung von Vorsichtsmaßnahmen, sollten wieder erlaubt sein. Über Schulen, Kitas und Sport sollte am 6. Mai 2020 entschieden werden. Die schon vorher bestehenden Kontaktbeschränkungen waren bis 10. Mai 2020 verlängert worden.

    Unter den Bundesländern gab es bereits Anfang Mai 2020 zu Lockerungen ein regelrechtes Wettrennen. Bei dem Treffen der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten am 6. Mai 2020 schließlich erklärte die Bundeskanzlerin dann, dass der Bund es weitgehend den Ländern überlassen werde, wie sie Lockerungsmaßnahmen umsetzen. Es ging um kontrollierte Öffnungen (Abstandsregelungen etc.) bei Schulen, Kitas, im Bereich des Sports und in der Gastronomie, die in der Verantwortung der Länder liegen. Wenn Lockerungen innerhalb einer Woche in einem Landkreis zu einem Anstieg von mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner führen, müssen Lockerungen wieder zurückgefahren werden ("Notbremse"). Weiter wurde am 6. Mai 2020 zwischen Bund und Ländern vereinbart, dass die bestehenden Kontaktbeschränkungen bis 5. Juni 2020 verlängert werden. Am 25. Mai 2020 wurde von Seiten des Bundes zunächst signalisiert, dass - weiter gelockerte (max. 10 Personen von zwei Haushalten) - Kontaktbeschränkungen bis am 5. Juli 2020 in Kraft bleiben sollten, am 26. Mai 2020 wurde dann insoweit der 29. Juni 2020 als Datum genannt. Bereits am 23. Mai 2020 hatte der thüringische Ministerpräsident verkündet, dass in seinem Land ab 6. Juni 2020 alle landesweiten Corona-Beschränkungen aufgehoben würden. Stattdessen sollte ein kreisbezogenes Alarmsystem eingeführt werden (später kam das dann so nicht). Das Land Sachsen erklärte am 25. Mai 2020, dass man ab 6. Juni 2020 ebenfalls einen solchen Weg gehen wolle. Andere Länder machten zu der von ihnen vorgesehenen Lockerungspraxis gleichartige Aussagen. Am 26. Mai 2020 erklärte MP Kretschmann (BW), dass die Corona-Krise nun weitgehend Ländersache sei. Es seien keine weiteren Konferenzen mit der Kanzlerin geplant (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/winfried-kretschmann-corona-politik-wird-alleinige-laendersache-a-b0aec6a3-cf26-4e3b-9d71-ddb27cab3573, Abruf: 27. Mai 2020). Per relativierender bzw. differenzierter Erklärung vom 27. Mai 2020 reagierte die Bundeskanzlerin. Am 17. Juni 2020 hatten sich die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder doch wieder zusammengefunden, um der Nation zwischen Bund und Ländern abgestimmte Regeln zu verkünden: Es wurde weiter die bundesweite Festsetzung des 1,5 m Abstandsgebots, das Festhalten an Hygieneregeln sowie das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen in bestimmten öffentlichen Bereichen bestätigt. Weiter wurden am 17. Juni 2020 der Beschluss zur Rückkehr zum Regelbetrieb in Schulen sowie das grundsätzliche weitere Verbot zum Abhalten von Großveranstaltungen (bis mindestens Ende Oktober 2020) mitgeteilt. Eine seit dem 16. Juni 2020 verfügbare Corona-Warn-App soll helfen, die Verbreitung des Virus zu unterbinden. Ihre Verwendung ist freiwillig.

    Jedenfalls das Tragen von sog. Alltagsmasken war zunächst dringend empfohlen worden, auf eine generelle, gemeinsam vereinbarte Maskenpflicht hatte man sich jedoch am 15. April 2020 nicht einigen können. Mecklenburg-Vorpommern hatte dann am 17. April 2020 verkündet, dass das Land im öffentlichen Nahverkehr eine generelle Maskentragepflicht ab 27. April 2020 einführen werde. In Sachsen galt das ebenfalls, zusätzlich für den Einzelhandel, schon seit 20. April 2020. Die Einführung einer Maskentragepflicht hatten danach auch Bayern und Thüringen angekündigt. Danach hatten alle Bundesländer nach und nach die Maskentragepflicht eingeführt. Auch einzelne Städte im Bundesgebiet hatten zuvor schon eine Maskenpflicht verfügt. Schon seit 20. April 2020 waren in Sachsen Gottesdienste mit bis zu 15 Teilnehmern erlaubt, Anfang Mai 2020 wollten andere Bundesländer nach und nach nachziehen - was am 30. April 2020 bestätigt wurde. Am 29. April 2020 gab es zudem eine einschlägige Entscheidung des BVerfG (s.u. bei 3.1.).

    Es wird demnach in Deutschland und in etlichen Ländern auf der Welt angesichts mutmaßlicher eintretender Verbesserungen über Lockerungen nachgedacht bzw. es werden diese bereits umgesetzt (Stand: 25. Juni 2020). So etwa verkündete US-Präs. Trump bereits am 16. April 2020 für die USA einen Drei-Phasen Lockerungsplan für die USA ("Opening UP America Again"), noch ohne einen genauen Zeitplan.

    Im Frühjahr 2020, zu Anfang der aufziehenden Pandemie, hatten sich weltweit einige Staaten zunächst dazu entschlossen, Kontaktreduktion bewusst lockerer bzw. gar nicht zu praktizieren. Manche Staaten haben das Problem unterschätzt bzw. negiert. Das gilt z.B. für die deutschen Institutionen, die etwas zögerlich in die Gänge kamen. Zudem gibt es den Hinweis der höchst unzulänglichen Pandemievorsorge in Deutschland (https://www.zeit.de/2020/21/krisenvorsorge-coronavirus-pandemieplan-bundesregierung, Abruf: 29. Mai 2020). Als gravierendes Beispiel der anfänglichen Fehleinschätzung kann die USA angeführt werden. Neben Großbritannien, dessen Premierminister die Situation anfänglich ebenfalls nicht als Problem eingeschätzt hatte, kann in Europa ansonsten auch Schweden als möglicher Problemfall genannt werden. Im Gegensatz zu den beiden anderen genannten Ländern hatten die politischen Entscheider in Schweden die Gefahr immerhin schon früh gesehen. Man wählte jedoch bewusst einen "lockeren Weg". Schweden erkannte dann im März/April 2020, dass die Negativ-Zahlen zunahmen und entschloss sich, den eingeschlagenen sehr liberalen Weg wenigstens teilweise zu revidieren und ebenfalls auf einen etwas strikteren Krisenkurs umzuschwenken (u.a. mehr Corona-Tests und mehr Vorgaben der Kontaktreduktion). Die Negativ-Zahlen waren im April 2020, insbesondere im Vergleich zu den Nachbarländern Dänemark und Norwegen, weiter stark angestiegen. Ende April 2020 erfuhr daher eine innerhalb Schwedens unter Virologen schon seit Jahresbeginn 2020 geführte kontroverse Diskussion eine Verschärfung; eine These war, dass der Sonderweg Schweden (bewusst lockere Handhabung, auch mit dem Ziel der Herbeiführung einer sog. Herdenimmunität) gescheitert sei. Am 3. Juni 2020 hat der schwedische Chef-Epidemiologe (Tegnell) eingeräumt, dass er im Hinblick auf die von ihm empfohlene Strategie der lockeren Handhabung Fehler gemacht habe.

    Auch wenn es aufgrund der Beschlüsse vom 6. Mai 2020 nach so war, dass sich die Lockerungsbefürworter durchgesetzt hatten - aus Sicht des Stichwortautors war es nicht zu beanstanden, dass sich die amtierende Bundesregierung und die Länder am 15./30. April 2020 zunächst weiter für das Leben entschieden und immer drängender werdenden Gegenvorschlägen (z.B.: politisch-rechtliche Einstufung der Infektion als allgemeines Lebensrisiko zur Begründung der raschen Aufhebung/Lockerung) weiter grundsätzlich widerstanden hatten. Nicht zu beneiden ist der deutsche Staat (seit dem 6. Mai 2020 sind es im wesentlichen die Länder) um die im Mai/Juni 2020 permanent anstehende Abwägungsaufgabe (Menschenleben/Rechtsstaat/Wirtschaft/Soziales Zusammenleben), denn auch für Deutschland gilt aus Sicht des Stichwortautors: "Restarting America Means People will Die. So when we do it?" (vgl. Diskussion bei NYT Magazine, 10. April 2020, abgerufen am 13. April 2020, https://www.nytimes.com/2020/04/10/magazine/coronavirus-economy-debate.html).

    Darüber war (nicht nur) in Deutschland schon im April/Mai 2020 ein regelrechter Meinungskrieg, sogar eine Art von Glaubenskrieg (incl. der scheinbar unvermeidlichen gegenseitigen Ignoranz-Vorhaltungen) ausgebrochen. Dabei kann wegen der einmaligen Neuheit dieser Situation niemand genau wissen, was richtig oder falsch ist. Das zumindest teilweise gebotene Vorgehen nach "Versuch und Irrtum" ist auf Fehlschläge angelegt - nicht jeder vermag das zu durchblicken. Wirtschaftsverbände forderten einen Exit-Plan (https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-05/corona-wirtschaftskrise-bvmw-beschraenkungen-ausstieg; Abruf: 2. Mai 2020). Dagegen steht die - provokant formulierte - Überlegung vom "Menschenopfer für den Kapitalismus."(https://www.zeit.de/kultur/2020-04/corona-pandemie-kapitalismus-oekonomie-menschenleben; Abruf: 2. Mai 2020).

    Das Schlüsselwort heißt Güterabwägung. Die richtige und umsichtige Abwägung tut not auf allen Diskussionsebnen, wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch und rechtlich. Es ist sicher nicht von vornherein ein Fehler, notgedrungen auf Risiko (=Lockerung) zu gehen. Anhand des bis dahin gezeigten Verhaltens einiger öffentlicher Diskutanten, auch auf politischer Ebene, schien Anfang Mai 2020 eines aber wohl absehbar: Sollte die von einigen Virologen wegen der Öffnungen Anfang Mai 2020 vorhergesagte 2. Pandemiewelle kommen (danach sah es im Juni 2020 in Deutschland jedoch nicht aus), wird es keiner gewesen sein wollen. Immerhin wird die deutsche Staatsführung begleitet von einer Heerschar von Ratgebern. Viele Experten, auch selbst ernannte, kritische Bürger und andere agieren bzw. reagieren. "Ratschläge" sind zuweilen nicht als konstruktive Hinweise anzusehen, denn sie erschöpfen sich in bloßem Protest und Ablehnung ("Ich bin dagegen!").   

    Trotz der negativen Wirkung auf die Wirtschaft und auf das soziale Zusammenleben ist, jedenfalls nach Sicht des Stichwortautors (im Juni 2020), Kontaktreduktion als Eindämmungsmaßnahme grundsätzlich immer noch das richtige Mittel der Wahl. Ohne diese Maßnahme würden sich die negativen Folgen (Todeszahlen; Wirtschaftskrise) wegen einer dann unkontrollierten Verbreitung bzw. einer vermehrten Wiederkehr des Virus ("zweite Welle") vermutlich umso nachhaltiger und drastischer einstellen. Ablesbar ist das an Ausreißern, etwa an dem Fall Anfang Juni 2020 in Göttingen, wo es aufgrund angeblich undisziplinierten Verhaltens bei einem muslimischen Zuckerfest zu etlichen Neuinfektionen gekommen war. Die Befürchtung, dass (weitergehende) Lockerungen neue Infektionswellen provozieren könnten, muss daher nach wie vor in die Abwägung mit einbezogen werden. Trotz eigenem Vorbehalt gegenüber voreiligen und ungesicherten Schlüssen: Die Richtigkeit der Überlegung, die für Lockerungen eine weitergehende Zurückhaltung präferiert (als am 6. Mai 2020 beschlossen), ist aus Sicht des Stichwortautors auch ablesbar an der gravierenden Situation solcher Orte bzw. Länder, die die Kontaktreduktion anfänglich der Pandemie zu spät eingeführt hatten. Konkretes Beispiel war die überaus dramatische Situation von New York City im März/April 2020. Trotzdem ist im Frühjahr 2020, auch noch im Juni, in Deutschland umstritten, ob Kontaktbeschränkungen wirklich das richtige Mittel der Wahl sind. Virologen und einige Politiker warnten im Mai/Juni 2020 eindringlich vor zu weitgehend-schnell durchgeführten Lockerungen und vor den damit verbundenen Risiken, konnten sich aber gegenüber einer zunehmend unwillig werdenden deutschen Öffentlichkeit nicht so recht Gehör verschaffen. Am 23. April 2020 hatte es darüber auch im Deutschen Bundestag eine kontroverse Diskussion zwischen der Bundesregierung und der Opposition gegeben. Die FDP forderte am 10. Mai 2020 die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Bundestag, um die aus ihrer Sicht gegebenen anfänglichen Versäumnisse der Bundesregierung bei der Pandemiebekämpfung aufzuarbeiten.

    Die Regierungspolitik hatte am 6. Mai 2020 dem öffentlichen Druck nachgegeben. Trotzdem: Der Deutsche Richterbund informierte Anfang Mai 2020, dass über 1.000 Eilanträge bei deutschen Gerichten gegen die verschiedensten Coronabeschränkungen (Maskenpflicht, Reisebeschränkungen, Versammlungsverbote, Geschäftsöffnungen etc.) anhängig gewesen waren (https://www.deutschlandfunk.de/covid-19-medienbericht-bereits-1-000-eilantraege-bei.2932.de.html?drn:news_id=1128493, Abruf: 8. Mai 2020). Ab dem zweiten Maiwochenende (9. Mai 2020) kam es an Wochenenden in einigen größeren deutschen Städten zu Demonstrationen gegen die Corona Beschränkungen der Politik. Ihr Fett bekamen zum Teil auch die Wissenschaft und die "Lügenpresse" (Fake News) ab.

    Ganz heterogen war die Zusammensetzung der Demonstrantenschar auf denselben Demonstrationen: Extreme Linke; extreme Rechte; Verschwörungsapologeten; beflissene, liberale Bildungsbürger, die immer dabei sind wenn es gilt (Stuttgart 21 etc.; im Juni 2020 ganz aktuell: Rassendiskriminierung und Polizeigewalt) und die getrieben werden von einem ganz besonderen demokratischen Sendungsbewusstsein, mit stetem Drang zur öffentlichen Zur-Schau-Stellung ihrer staatskritischen Attitüde; normale Bürger, die ein Ventil für Verlustängste und -erfahrungen suchen; schließlich auch: sog. Wutbürger. In ihrer Haltung ebenso konsequent wie rechtswidrig, dass Demonstranten vorsätzlich gegen Corona-Auflagen verstießen. Zustände und Szenarien in Deutschland, die an Entwicklungen und Begebenheiten im US-Amerika unter Präs. Trump erinnern und über die der gebildete Mitteleuropäer bis vor kurzem nur fassungslose oder ironische Kommentare übrig gehabt hatte. Was das anbelangt - deutsche Beobachter brauchen nun nicht mehr über den großen Teich zu schauen, sie können ab jetzt vor der eigenen Haustür im Trüben fischen.

    Diese Demonstrationen flauten jedoch nach und nach ab (Stand: 25. Juni 2020). Auch verpuffte eine zwischenzeitlich öffentlich gewordene Bemühung, auf Basis von Corona eine politische Partei ins Leben rufen zu wollen. Die Bewegung "Widerstand 2020" hörte auf zu existieren, bevor sie existierte. Am Pfingstwochenende 2020 war alles sehr überschaubar geworden. Wenngleich selbst höhere Mächte bei manchen Zeitgenossen nichts ausrichten können - vielleicht der positive Einfluss des heiligen Geists? Oder - wegen aufkommenden Demonstrationen in Deutschland (am 6. Juni 2020) zu dem neuen Thema "Kampf gegen Rassendiskriminierung und Polizeigewalt" -, nur ganz profan, ein Anzeichen von irdisch-menschlicher Sprunghaftigkeit? Corona als Thema von Demonstrationen also plötzlich out...?  

    Bei der mit Bezug auf Corona - in jedem Stadium der Pandemie - generell unklaren Ausgangslage ist ebenso misslich, wie fast schon folgerichtig: Wie schon am Anfang der Pandemie bezüglich des Verhängens von Restriktionen, so Anfang Mai 2020 auch mit Bezug auf die Lockerungen - Bund und Länder bzw. die Länder untereinander sind uneinig (https://www.zeit.de/news/2020-05/05/bundeslaender-im-lockerungs-wettstreit, Abruf: 5. Mai 2020). Aus Sicht des Stichwortautors hat sich der Föderalismus als politisches Modell mit Bezug auf die Lösung eines derartigen Problems nicht bewährt und wenig tauglich erwiesen (siehe dazu auch unten bei 3.4.). Alle Themen waren und sind zudem auf rechtlicher Ebene in der streitigen Diskussion. Der schon zu Anfang der Pandemie erhobene Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit aufgrund überzogener und zu wenig limitierter Beschränkungen verstärkte sich. Ende April 2020 hatten Gerichte zunehmend die Unverhältnismäßigkeit von besonderes strikten Länderregelungen festgestellt, so etwa im Saarland (vgl. dazu unten unter 3.1.).

    Soziologische/Philosophische/Politische/Wirtschaftliche Betrachtung

    1. Allgemein

    In weiterer soziologischer Betrachtung sind wegen Corona etliche makrosoziologischen Zusammenhänge im Blick. Ausgelöst durch öffentlich geäußerte Extremansichten einiger Protagonisten (siehe 3.1.), wurden auch moralphilosophische und staatsphilosophische Diskurse, etwa allgemein zum Wert des Lebens, speziell von älteren Menschen, geführt. Utilitarismus-Betrachtungen, im Zusammenhang mit Triage, wurden während der Corona-Krise ebenfalls angestellt (zum Begriff Triage und zu rechtlichen Implikationen siehe bei 3.2.).

    Nachfolgende Aufzählung in loser Schüttung: Krise als Ursache von Kontrollverlusten auf allen Ebenen; das Verhalten der weltweiten Staatengemeinschaft insgesamt oder von Staaten untereinander in einer Notsituation (im April 2020 international gegen China erhobene schwere Vorwürfe der Täuschung bzw. betreffend Verursachung der Krise); der falsche Freund entpuppt sich - zumindest in der subjektiven Wahrnehmung - als solcher in der Not: tief enttäuschte Italiener und schmollende Franzosen wegen verfügter Grenzschließungen (Saarland/Lothringen); Diskussion über die Thematik Unilateralismus vs. Multilateralismus bzw. über die gebotene Anwendung praktikabler "Mischformen" von beiden; harsche Kritik und Zweifel an der Tauglichkeit der EU im allgemeinen und im besonderen; dto. gegenüber der WHO (US-Präs. Trump im April 2020 - er hatte die US-Zahlungen an die WHO am 14. April 2020 gestoppt und später den Austritt der USA verkündet); Ungleichheitsdiskussionen moderne Industrieländer vs. Entwicklungsländer; Fähigkeit der (effizienteren) Krisenbewältigung durch die unterschiedlichen Herrschaftsmodelle: Autokratie/Diktatur vs. Demokratie; (Neu-) Reflexionen zum Staatsverständnis und zur Verortung der Funktionen: Staat als Indikator für eine solidarische Zivilgesellschaft ?; Interaktion Verbände/Organisationen etc. innerhalb eines Staates; Renaissance der Wissenschaft ("Wahrheit"): Auch mancher populistisch agierende politische Führer gerät in die Bredouille, den Rat der eigentlich nicht wertgeschätzten Experten suchen zu müssen; unterschiedliche Auswirkungen der Krise auf die Angehörigen unterschiedlicher gesellschaftlicher Klassen, etwa mit Bezug auf die individuelle Wohnsituation oder im Bereich der Arbeit: Home-Office-Möglichkeit vs. Notwendigkeit des "Front-Kampfs" im Supermarkt oder im Krankenhaus durch von der Öffentlichkeit flugs als solche ernannte "Helden des Alltags" - "We're All on the Cruise Ship Now - Some of us get the privilege of cabin fever. Others bring room service." (Grabar, https://slate.com/business/2020/03/coronavirus-cruise-we-are-on-it.html, Abruf: 4. Mai 2020); eine ikonische Verdichtung der Rolle der Deutschen Hausfrau und Deutschen Mutter (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/familien-im-corona-stress-macht-die-kitas-auf-a-00000000-0002-0001-0000-000170604429; Abruf: 30. April 2020) weckt Erinnerungen an eine frühere Zeit.

    Nicht zuletzt wegen der Auswirkungen auf den zwischenmenschlichen Bereich, ausgelöst durch Kontaktsperren, Grenzschließungen, Ausgangsbeschränkungen und Quarantänesituationen, sind auch viele mikrosoziologischen und psychologischen bzw. medizinisch-klinischen Sachverhalte durch Corona virulent geworden, Stichworte (auch hier in loser Schüttung): Angebot der Einkaufshilfe für einen unter häuslicher Quarantäne Stehenden; Denunziantentum: Blockwart-Gehabe mancher selbsternannter Ordnungskräfte; sog. Coronaparties; Selbstverzicht, Selbstgenügsamkeit und Geduld als oftmals unerreichbare Tugendanforderungen; vielfach festzustellende mangelnde allgemeine Krisenresilienz (die Deutschen - ein Volk von Weicheiern?); der Mensch als Gewohnheitstier - Tennisspieler wollen nicht zu Hause bleiben, nein, sie wollen Tennis spielen und sich das partout nicht nehmen lassen (https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/saarlaendische_tennisvereine_klagen_gegen_coronaverordnung_100.html); hedonistisch-uneinsichtige Disziplinlosigkeit mancher Zeitgenossen, die schon nach relativ kurzer Zeit staatlicherseits auferlegter Gebots- und Verbotsnormen an ihre Grenzen stoßen: "Alle reden über die Grenze der Belastbarkeit, obwohl es den meisten gut geht." (Thomas Fischer, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/corona-niedriger-haengen-kolumne-a-896d0114-d6a2-4730-b059-a4e2f446ba2c, Abruf: 14. April 2020); psychische Beschädigungen, u.a. vermehrtes Aufscheinen des Phänomens der "disaster fatigue" etc.

    2. Nationale staatliche Hilfsmaßnahmen/EU

    Der Bund und die Länder reagierten mit Nachtragshaushalten. Massive staatliche Hilfsmaßnahmen ("Bazooka", so Finanzminister Scholz) sollten Unternehmen (günstige Kredite, zu erhalten über KfW) und ihren Mitarbeitern (Kurzarbeitergeld - mit Erhöhungsankündigung durch die Koalitionsspitzen, am 22. April 2020) in der Notlage helfen (vgl. näher bei Corona-Hilfen). Dazu gab es Verhandlungen zur staatlichen Unterstützung, evtl. in Form einer Staatsbeteiligung, von systemrelevanten Unternehmen. Das zu zählt als prominentes Beispiel die Lufthansa, wozu am 25. Mai 2020 eine Lösung in Form eines Neun-Mill. €-Hilfspakets verkündet wurde, u.a. mit Beteiligung des Bundes an der Lufthansa. Diese Rettung war allerdings im Juni 2020 vor einer Hauptversammlung am 25. Juni 2020 noch nicht in trockenen Tüchern (zu entschädigungsrechtlichen Implikationen der staatlichen Rettung der Lufthansa vgl. bei 3.3.). Die Bundesregierung initiierte beim Bund einen Nachtragshaushalt zur Ausgabe von zusätzlichen rd. 150 Mill. Euro (122,8 Mill. Euro, zzgl. veranschlagter Steuermindereinnahmen von 33,5 Mill. Euro). Weiter sollte ein Wirtschaftsstabilisierungsfond (WSF) Kredite bis zu 100 Mill. Euro abdecken, weitere 100 Mill. Euro als Kreditermächtigung sollten die Darlehensgewährung für Unternehmen (auszureichen über KfW) über den WSF absichern. Die Überschreitung der Obergrenze (vulgo: Schuldenbremse) wurde gemäß Art. 115 Absatz 2 Satz 6 GG extra beschlossen. Meldungen zufolge plante Bundesfinanzminister Scholz weiter das Auflegen eines 50-Milliarden-Konjunkturprogramms. Die EU stellte am 2. April 2020 gegenüber allen Mitgliedstaaten ein 100-Milliarden-Euro Darlehen zur Unterstützung der Kurzarbeits-Programme in den Mitgliedstaaten in Aussicht. Im übrigen gibt es eine Reihe von weiteren Vorschlägen, wie der Wirtschaft wieder auf die Beine geholfen werden kann. Beispielhaft sei der Vorschlag eines Marshall-Plans für Europa (von der Leyen) genannt. Am 9. April 2020 legte die EU einen Corona-Virus-Rettungsfonds (eine halbe Billion Euro) zum Schutz südlicher EU-Länder und angeschlagener Unternehmen (Darlehensabsicherung) auf, das Auflegen sog. Corona-Bonds war u.a. von Deutschland und den Niederlanden abgelehnt worden (Stand: Juni 2020). Im Verlauf des April/Mai 2020 wurden auf nationaler Ebene wie auf EU-Ebene das Auflegen weiterer Hilfsfonds beschlossen (auf EU-Ebene wurde ein Fonds von 540 Mill. € beschlossen) bzw. ins Auge gefasst. Am 14. Mai 2020 verabschiedete der Deutsche Bundestag das "Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite", auch neues InfektionsschutzG genannt. Es billigte neue Corona-Hilfen und regelte Themen zum Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld, einem Pflege-Bonus für Beschäftigte in der Altenpflege. Weiter ging es um Testverfahren, Grippe-Vorsorge und um die Ausstattung von Gesundheitsämtern. Am 27. Mai 2020 machte die EU-Kommission einen Vorschlag des Auflegens eines Wiederaufbau-Fonds mit dem Volumen von 750 Mrd. €. Auch im Juni 2020 wurden national (auf Bundes- und auf Länderebene) und EU-weit weitere Initiativen von Hilfsprogrammen (in Deutschland z.B. sog. Soforthilfen) angekündigt bzw. ergriffen.

    Rechtliche Betrachtung

    Gerade in Krisensituationen ist das Recht als ordnungsschaffende und -erhaltende Instanz gefragt (wenngleich die Herrschaft des Rechts gerade in Extremsituationen einer Erosionsgefahr unterliegen kann, vgl. dazu allgemein die Ausführungen bei Anspruchsgrundlage). Sämtliche Rechtskategorien (internationales Recht, Völkerrecht, supranationales Recht, nationales Recht, etc.) sind durch die Coronakrise betroffen (zum deutschen Schuldrecht etwa vgl. bei höhere Gewalt; siehe auch die allgemein-rechtliche Anlassgesetzgebung im PandemiefolgenabmilderungsG).

    1. Grundrechte/Polizeirecht

    Insbesondere mit Bezug auf die Anwendung des Öffentlichen Rechts wollten es kritische deutsche Juristen im Frühjahr 2020, schon nach den ersten Beschränkungen, für ihre Mandanten wissen. Grenzlinien zu juristischer Besserwisserei und Querulantentum verliefen zum Teil fließend. Indes: Die Mitte/Ende April 2020 anhand der zurückgehenden Infektionszahlen zu verzeichnenden Erfolge der bis dahin staatlich verordneten Kontaktreduktion und andere Ursachen (incl. der bis dahin gezeigten Disziplin und weitgehenden Kooperationsbereitschaft der Bürger) führten zunehmend zu kritischen Gerichtsentscheidungen, die die weitere Aufrechterhaltung von Beschränkungen in Frage stellten. Der Rechtsstaat und die gebotene Wahrung von Grundrechten angesichts der vielfältigen Beschränkungen waren und sind permanent diskutierte Dauerthemen.

    Die Notwendigkeit der Einschränkungen in dieser weiten Form auf Basis von § 28 Abs. 1 S. 1 2. HS Infektionsschutzgesetz (IfSG) wurde schon zu Anfang der Pandemie bezweifelt, denn es könne nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Mensch ein potenzieller Infektionsträger sei - so eine Argumentation. Mit Beschl. vom 24.3.2020, 26 S 20.1252 hatte das VG München die Wirkung der bayrischen Ausgangsbeschränkungen zugunsten zweier Einzelpersonen (den Antragstellern des Verfahrens) "aus formalen Gründen" vorläufig außer Kraft gesetzt (ähnlich VG München durch Beschlüsse vom 20. März 2020 hinsichtlich der verfügten Ladenschließung für den Einzelhandel). Das Gericht hatte die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Ausgangssperren allerdings nicht in Frage gestellt. Lediglich ob der Freistaat Bayern die ausgesprochenen Ausgangsbeschränkungen per sog. Allgemeinverfügung (vgl. Art. 35 S. 2 BayVwVfG) veranlassen durfte, wurde seitens des VG in Abrede gestellt. VG München meinte, dass der Staat stattdessen durch eine Rechtsverordnung hätte handeln müssen. Der Freistaat war dem gefolgt und hatte die Beschränkungen formal in einer Rechtsverordnung (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 24. März 2020) gefasst und am 27. März 2020 ein einschlägiges Gesetz erlassen (BayIfSG).

    (Rechtliche) Wertungen des Stichwortautors:

    Im Rechtsstaat ist es wichtig und es ist prägend für ihn, dass staatliches Handeln gerichtlich überprüft werden kann. Das soll sich gerade auch auf Formalvorschriften beziehen können, denn auch Formalvorschriften sind solche, an die die Exekutive nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Dass im Hinblick auf Formalvorschriften dennoch Abstriche denkbar sind, ergibt sich schon aus den §§ 44, 46 VwVfG. § 46 VwVfG lautet: Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Das BVerwG hatte zudem in einem früheren Urteil (vom 31.01.2019 - 1 WB 28.17) grundsätzlich festgestellt, der Staat könne sich für einen Übergangszeitraum auf eine rechtswidrige (oder unzureichende) Rechtsgrundlage stützen, wenn ansonsten ein Zustand entstünde, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als die bisherige Lage.

    Ungeachtet dessen müssen sich staatliche Maßnahmen, auch in Form von durch Verwaltungshandeln gesetzten Recht, inhaltlich an höherrangigem Recht messen lassen. Das vor allem, wenn es sich - wie hier - wegen der Freiheitsbeschränkungen in bisher nicht gekannten Ausmaß um gravierende Grundrechtsverletzungen (GG: Art. 2 Abs. 2, Freiheit der Person; Art. 3, Gleichheitsgrundsatz; Art. 4 Abs. 2, freie Religionsausübung; Art. 8 Abs. 1, Versammlungsfreiheit; Art. 11 Abs. 1, Freizügigkeit; Art. 12 Abs. 1, Berufsfreiheit; Art. 14 Abs. 1, Schutz des Eigentums) handeln könnte. Indes: Sämtliche der genannten Grundrechte sind durch den Staat einschränkbar. Das gilt wegen der sog. immanenten Schranken z.B. auch für Art. 8 Abs. 1 GG (BVerwG, NVwZ 1999, 991, 992). Als Ermächtigungsgrundlage dienen z.B. in Bayern die einschlägigen Vorschriften des IfSG, konkretisiert durch die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung – BayIfSMV (vom 24. März 2020) bzw. das BayIfSG (vom 27. März 2020).

    Dass diese Regelwerke (auch solche in anderen Bundesländern) ihrerseits, wegen materieller Grundrechtsverstöße, verfassungswidrig sein könnten, wird - unbeschadet des anderweitigen Ergebnisses einer ggf. noch durchzuführenden Detailprüfung - von Seiten des Autors im Grundsatz bezweifelt. Im Rahmen dieses Stichworts z.B. nicht möglich ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen an Grundrechtseingriffe, die der sog. Parlamentsvorbehalt, mitunter Wesentlichkeitstheorie genannt (dazu etwa BVerfGE 47, 46, Tz. 117), gebietet. 

    Es gab im Frühjahr 2020, schon zu Anfang der Pandemie, eine ganze Reihe von einschlägigen Gerichtsentscheidungen. Sie können hier nicht alle aufgeführt werden. Die Verordnung wurde durch Beschluss des VGH München, vom 30.03.2020 (Az.: 20 NE 20.632), in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestätigt. Zudem hatte das BVerfG am 7.4.2020 einen Eilantrag gegen die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung abgewiesen (Az.: 1 BvR 755/20). Die Verordnung beschränke die Grundrechte zwar erheblich, so das BVerfG. Die Gefahren für Leib und Leben waren nach Auffassung des BVerfG - bezogen auf diesen Zeitpunkt - aber schwerer zu gewichten als die Einschränkungen der persönlichen Freiheit. Der Antragsteller hatte es für zu weitgehend gehalten, dass er seine Freunde nicht treffen, die Eltern nicht besuchen, nicht demonstrieren und keine neuen Menschen kennenlernen darf. Ebenso sinngemäß, mit Bezug auf das Grundrecht der Religionsausübung, das BVerfG mit Bestätigung von Gottesdienstverboten, vgl. Beschl. v. 10. April 2020 (Az.: 1 BvQ 28/20).

    Weil noch kein Impfstoff zur Hand ist, entspricht es nach wie vor, auch noch im Juni 2020, den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft, dass der Ausbreitung des Virus durch die Verhängung von Kontaktverboten entgegen getreten werden muss. Dass dies jedenfalls zu Anfang der Pandemie verfassungsrechtlich eine staatliche Legitimation für Beschränkungen bot, dürfte unstreitig sein. Der Staat musste auf dieser Basis, zumal in einer akuten Notsituation, auch vor dem Hintergrund rechtlicher Kategorien, berechtigt sein, entschlossen handeln dürfen zu können. In einer absoluten und akut systembedrohenden Notsituation sind jedem Handelnden im Übrigen auch Fehler erlaubt, das gilt auch zugunsten des Staates. Das Notstandsrecht des StGB mit seinen einschlägigen Tatbeständen, rechtfertigender bzw. entschuldigender Notstand (§§ 34, 35 StGB), regelt diesen allgemeinen Gedanken sehr anschaulich - "Not kennt kein Gebot". Freiheitsgrundrechte und Zweifel an der Rechtmäßigkeit müssen - jedoch deren ständig möglich bleibende gerichtliche Überprüfbarkeit unterstellt - temporär hintanstehen. Das alles galt in der Form jedenfalls für die Situation des Anfangsstadiums der Pandemie.

    Dass dadurch - sprichwörtlich - das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde, war - auf Basis des nationalen "Infektionsstatus" im April 2020 und des wissenschaftlichen Kenntnisstands (auch noch im Juni 2020) - wegen der ansonsten ungebremsten Virusverbreitung nicht anzunehmen. Ständiges Überprüfen und Nachjustieren der Maßnahmen mit stets aufs neue vorzunehmender Abwägung waren bzw. sind aber geboten. Die gesetzliche Nachbesserung beim IfSG, u.a. mit auf Corona zugeschnittenen Änderungen bei § 28 Abs. 1 IfSG (umgesetzt mit G. vom 27. März 2020, BGBl. I, 587), war vom Bund schon davor erledigt worden. Der stetige Blick auf die Lockerungsbeschlüsse der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten (vom 15./30. April bzw. ab dem 6. Mai bis in den Juni 2020), und Details von deren Umsetzung, gehörten daher auf den Prüfstand von Gerichten. Mit den eingetretenen Erfolgen bei der Pandemiebekämpfung steigerte sich der Abwägungs- und Rechtfertigungsdruck auf den Staat enorm: "In der Krise sind nicht die Maßnahmen der Lockerung rechtfertigungsbedürftig, sondern die Aufrechterhaltung von Beschränkungen der Grundrechte (Papier, https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87805428/corona-krise-verfassungsrechtler-papier-sieht-freiheitsrechte-in-gefahr.html, Abruf: 2. Mai 2020). "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Sinn und Zweck eines Verfassungsstaates in erster Linie der Schutz der Freiheit ist." Der Gesundheitsschutz rechtfertige nicht jedweden Freiheitseingriff (Papier, ebd.). Aus Sicht des Stichwortautors ist dem zu entgegnen: Abstrakt alles korrekt, jedoch: Wie führten diese Überlegungen Anfang Mai 2020 praktisch weiter...?

    Alles in allem ist kritischen Geistern aus Sicht des Stichwortautors, auch noch im Juni 2020, zuzurufen: Das Konzept des deutschen Rechtsstaats mit seinen elementaren Grundrechtseinrichtungen und -garantien (dazu gehört die grundrechtliche Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) überzeugt. Andere Länder können da nicht mithalten, dafür muss nicht einmal nach Ungarn oder Polen geschaut werden. Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) z.B. sind elementare Grundrechte. Diese sind als sog. Freiheitsgrundrechte Teil der demokratischen Ausübung grundrechtlicher Freiheit mit Bezug auf Kontrolle, Kritik und Einflussnahme auf das politische Gemeinwesen. Sie grundsätzlich ausüben zu können, gehört zum Programm des GG dazu. Meinungsfreiheit wird im übrigen unabhängig von Themen oder davon gewährt, welche Qualität oder welcher Wert einer Meinung zukommt. Damit sollen, auch aus Sicht des Stichwortautors, den seit Mitte April 2020 vermehrt und im Mai 2020 sogar noch verstärkt erhobenen Gegenvorstellungen (Demonstrationen und gerichtliche Eilanträge) die Berechtigung dazu nicht abgesprochen werden, im Gegenteil. 

    Mancher Demonstrant mag sich aber auch an das Prinzip des Vertrauens, Vertrauen in eine verantwortungs- und rechtsbewusste Staatsführung, erinnern lassen. Anstelle Demonstrationsteilnahme - ein Ventil kann eine ehrenamtliche Hilfe, etwa die Besorgung von Einkäufen für ältere Mitbürger sein. Man kann sich als kritischer Bürger auch einmal fügen und das persönliche Durchhaltevermögen und seine Enthaltsamkeit trainieren und austesten. Bei einer Bewerbung auf die Stellenausschreibung auf die Position eines Eremiten jedenfalls würden viele Zeitgenossen als Bewerber schon bei der groben Vor-Auswahl aussortiert werden. Das gilt auch für die Tennisspieler (s.o. bei 2.1.), die anstelle der Einübung ihres Aufschlags vielleicht besser mal ihre kognitiven Fertigkeiten trainiert hätten und zu Hause geblieben wären. Auch: Ein Recht auf gerichtliche Kontrolle innezuhaben, bedeutet nicht unbedingt, es immer auszuüben zu müssen.

    Es ist jedenfalls unergiebig, wenn, zum Teil mit Verweis auf düstere frühere Zeiten, beschwörende Wachsamkeitsappelle in die Welt gesetzt werden. Der Staat hat, verfassungsrechtlich gesehen, mit Bezug auf Grundrechtseinschränkungen zunächst grundsätzlich nichts falsch gemacht. Diese schon seit der ersten Auflage dieses Stichworts vertretene Sicht wurde von gerichtlichen Eilrechtsentscheidungen nach und nach bestätigt. Allerdings - und das ist auch die Auffassung des Stichwortautors - müssen sich angesichts zu verzeichnender Erfolge bei der Virusbekämpfung besonders stringente Maßnahmen doch einer verfassungsrechtlichen Prüfung stellen. Insofern kippte der Saarländische Verfassungsgerichtshof am 28. April 2020 (Beschluss - Lv 7/20) die im Saarland von Anfang an verhängte relativ weitgehende Ausgangsbeschränkung.

    Eine (verfassungs-)rechtliche Auseinandersetzung mit Detailthemen ist auch ansonsten, außerhalb der Befassung von Gerichten, nicht entbehrlich (instruktiv dazu etwa Guckelberger, in NVwZ-Extra Aufsätze-Online, https://rsw.beck.de/cms/?toc=NVwZ.2002). Denn es führten und führen in Ländern gemachte handwerklich-rechtliche Fehler bei der Abfassung von Beschränkungsregeln bzw. bei deren Umsetzung von Anfang an zum Befund der Rechtswidrigkeit. Mancher Beschränkungsregel hat man angesehen, dass ihr Schöpfer bei ihrer Abfassung Neuland betreten hat. Auch waren Themen wie das der rechtlichen Problematik Allgemeinverfügung vs. Rechtsverordnung, der mangelnden Bestimmtheit von Verbotsnormen und die Landeskindern vorenthaltenen österlichen Urlaubsreisefreuden in Mecklenburg-Vorpommern in der Diskussion. Die vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages am 15. April 2020 veröffentlichte Entdeckung, dass Teile des BayIfSG (u.a. wegen der Zwangsverpflichtungen von medizinischen und pflegerischen Personal) wegen eines Konflikts mit dem IfSG verfassungswidrig seien, gehört ebenfalls in diese Kategorie. Angerufene Gerichte haben das zum Teil korrigiert, sofern Fehler nicht von den Verursachern selbst schon vorher behoben wurden.

    Mit Beschluss vom 15. April 2020 (1 BvR 828/20) stellte das BVerfG fest, dass ein Versammlungsverbot der Stadt Gießen im Einzelfall gegen Art. 8 GG verstieß. Der Antragsteller wollte unter dem Motto "Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen“ Versammlungen abhalten. Der Antragsgegner (Stadt Gießen) hatte nach Auffassung des BVerfG irrtümlich angenommen, es bestehe ein generelles Verbot von Versammlungen von mehr als zwei Personen, die nicht dem gleichen Hausstand angehören. Das BVerfG verwies zurück an den Antragsgegner zur erneuten Entscheidung.

    Kritisch auseinander setzen musste man sich sicher mit dem Umstand, dass die Kirchen nicht von den am 15. April 2020 verkündeten Lockerungen profitieren sollten. Warum Märkte mit der 800 qm-Grenze, nicht aber auch Gottesdienste, mit vergleichbaren Sicherheitsvorkehrungen, in Kirchen? Wie schon in Vorauflagen dieses Stichworts rechtlich im Grundsatz gesehen - das BVerfG hatte am 29. April 2020 (1 BvQ 44/20) (anhand des vorgelegten Einzelfalls) festgestellt, dass Freitagsgebete im muslimischen Fastenmonat Ramadan auch in der Corona-Krise nicht generell verboten werden dürfen. Es erteilte der vorangegangenen Entscheidung des OVG Niedersachsen eine Absage. Das hatte gemeint, Gottesdienste seien eher wie Konzerte oder Sportveranstaltungen zu bewerten. Unmittelbar nach dem 15. April 2020 waren bereits zwischen den Kirchen und dem Staat Verhandlungen aufgenommen worden, ob doch auch im Bereich der Gottesdienste vorzeitige Lockerungen vorzusehen seien. Dies ist aufgrund der am 30. April 2020 bzw. am 6. Mai 2020 verkündeten Entscheidungen geschehen. Sachsen hatte bereits zum 20. April 2020 eine Lockerung vorgenommen (s.o. bei 1.).

    Der BayVGH (Beschl. v. 27. April 2020, Az.: 20 NE 20.793) hatte die bayerische Verkaufsflächenregelung der 800 qm-Grenze wegen Benachteiligung großer Geschäfte wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz als verfassungswidrig erachtet. Eine im Einzelhandel tätige Warenhauskette hatte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die bayerischen Corona-Regelungen gestellt. Das Gericht setzte die bayerische Vorschrift wegen der Pandemie-Notlage "ausnahmsweise" dennoch nicht außer Kraft. Am 27. April gab es zur 800 qm-Grenze ebenfalls Entscheidungen der OVG'e im Saarland und in Niedersachsen.

    Zusammenfassend: Auch wenn das deutsche Recht weitgehend auf der Maxime der Einzelfallbetrachtung beruht, sei hier trotzdem die allgemeine Feststellung erlaubt, dass die Beschränkungsmaßnahmen auch unter Beachtung des Grundrechtsschutzes derzeit (Stand: 25. Juni 2020) grundsätzlich (immer noch) verhältnismäßig und damit von den Bürgern grundsätzlich hinzunehmen waren und sind (in diesem Sinne, zur Situation im März 2020, wohl auch Guckelberger, ebd.). Alle vorgenannten Einzelfälle tun dem keinen Abbruch. Immerhin - die "Einzelfälle" kritischer gerichtlicher Entscheidungen häuften sich ab Ende April 2020, was auch der Stichwortautor konzediert.

    Es ergibt sich daraus, dass der im April/Mai 2020 u.a. von Juristen öffentlich kolportierte Spruch "Die Stunde der Exekutive muss nun vorbei sein." so nicht haltbar bzw. mindestens missverständlich war. Die Exekutive handelte in der Corona-Krise stets auf Basis von rechtlichen Ermächtigungsgrundlagen, zum Teil in Form von Parlamentsgesetzen bzw. von Rechtsverordnungen (mögen auch das Verwaltungshandeln bzw. die Rechtsgrundlagen rechtlich nicht immer in jedem Detail passen bzw. gepasst haben) und sie wurde zudem laufend und vermehrt von Gerichten überprüft. Auch im Juni 2020 sind einschlägige Rechtsstreite anhängig. Soweit hier richtig bekannt, hat sich die Exekutive von kritischen Gerichtsentscheidungen leiten lassen.

    Manchem besonderen Vorschlag stand aus Sicht des Stichwortautors die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit auf die Stirn geschrieben. Dazu gehörte der Anfang April 2020 gemachte Vorschlag, Menschen über 65 Jahre und Menschen aus Risikogruppen aus dem Alltag "herauszunehmen" und sie weiter Kontakte vermeiden zu lassen (in England Segmentation and Shielding genannt). Jüngere, die weniger gefährdet sind, könnten nach und nach kontrolliert wieder in den Produktionsprozess integriert werden. Eine derartige vom Staat angeordnete "Schutzkasernierung" von sog. Risikogruppen verstieße jedoch - neben weiteren Grundrechten - gegen Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde).

    Die demgegenüber, mit Verweis auf einen aufgrund der "Grenzen" der sog. Objektformel (Art. 1 Abs. 1 GG), gegebenen Hinweise auf einen angeblich nur begrenzt bestehenden Schutz von Schwachen (vgl. in der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Diensts des Deutschen Bundestages, vom 8. April 2020, dort S. 37/38,  https://www.bundestag.de/resource/blob/690718/d37f86a0d2630831d13f70f16f63911b/WD-3-079-20-pdf-data.pdf, Abruf: 13. Mai 2020), überzeugen nicht. Eine solche Herleitung aus den Ansätzen des BVerfG ist nicht möglich, sie missinterpretiert das BVerfG. Sie bedeutet eine unsachgemäße Umfunktionierung und nicht nachvollziehbare Schlussfolgerung aus dem allgemeinen Ansatz des BVerfG (BVerfGE 30, 1, 25 f.), bezogen auf "Der Mensch". Daraus abzuleiten, dass bestimmte Menschen oder bestimmte Menschengruppen, nämlich solche, die "sich nicht selbst schützen können", sich deswegen besonders "fügen" müssten, kann dem BVerfG nicht unterlegt werden. Art. 1  Abs. 1 GG schützt den Wert- und Achtungsanspruch eines jeden Menschen im Sinne einer Gleichberechtigung, er gewährt eine elementare Basisgleichheit. Diese gilt für alle Menschen, die aufgrund vorhandener geistiger Kräfte zu einem selbstbestimmten Leben in der Lage sind - unabhängig von Merkmalen wie z.B. des Lebensalters oder bei körperlichen Gebrechen. Aber auch solche Menschen, die mangels nicht mehr vorhandener geistiger Kräfte nicht für sich selbst entscheiden können, genießen den gleichen Schutz. Dafür gibt es in Deutschland Schutzmechanismen und Institute wie z.B. den der Betreuung. Die Vorgaben von Art. 1 GG sind im übrigen unumstößlich (Art. 79 Abs. 3 GG).

    Auch wenn er sich nachträglich entschuldigt hat und wenn man ihm zu Gute halten will, dass nachfolgende Aussage aus einem Kontext (betreffend die Lebensgefährdung von vielen kleinen Kindern) herausgerissen wurde, - besonders arg und eigentlich außerhalb jeglicher verfassungsrechtlichen wie moralischen Dimension sind die Äußerungen von OB Palmer aus Tübingen: „Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Es müsse daher unterschiedliche Sicherheitsvorkehrungen für Junge und Ältere geben.(https://www.welt.de/politik/deutschland/article207575263/Boris-Palmer-Retten-Menschen-die-in-halbem-Jahr-sowieso-tot-waeren.html; Abruf: 29. April 2020). Diese Verlautbarungen erinnern an die Logik von Nazi-Euthanasieprogrammen, Stichwort: "lebensunwertes Leben". Es mag sich daraus sogar ein Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat (§ 185 StGB, als sog. Kollektivbeleidigung) ergeben.  

    Es gab den öffentlichen Aufruf einer Heidelberger Rechtsanwältin zum Widerstand (Art. 20 Abs. 4 GG), zu artikulieren über eine geplante Demonstration am Ostersamstag, gegen "eklatant verfassungswidrige" Freiheitsbeschränkungen durch die Corona-Verordnungen ("Coronoia 2020"). Ihr Eilantrag beim BVerfG (1 BvQ 26/20) hatte keinen Erfolg, er wurde als unzulässig abgewiesen. Es wurde im April 2020 gegen sie ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Strafrechtlich ein Fall, für den die Irrtumslehre einschlägig sein dürfte. Womöglich ist es auch ein Fall nach § 20 StGB ("Schuldunfähigkeit"), vgl. https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/rechtsanwaeltin-bahner-heidelberg-corona-skepsis-grdunrechte-psychiatrie-verschwoerung/ (Abruf: 18. April 2020). Ob Erlaubnis(Tatbestands)irrtum oder ob indirekter Verbotsirrtum, oder was auch immer - aus Sicht des Stichwortautors gilt die Empfehlung, das Grundstudium zum Grundgesetz (sog. kleiner öffentlich-rechtlicher Schein) zu repetieren.

    2. Triage

    Darunter versteht man die aufzulösende Notsituation, die entsteht, wenn Krankenhäuser nicht mehr über ausreichende Kapazitäten verfügen, um alle Notfallpatienten zu versorgen. Es muss dann entschieden werden, wem in welcher Reihenfolge geholfen wird – und wer aufgrund dieser Entscheidung möglicherweise stirbt. Zu den u.a. wegen der wirtschaftlichen Folgen der Beschränkungen im März/April 2020 diskutierten Abwägungsthemen Wirtschaft vs. Menschenleben bzw. Lebensschutz./.Freiheitsrechte wurde diese Thematik im Zusammenhang mit Corona erörtert. Z.B.: Darf man ältere Menschen eines bestimmten Alters bei der Intensivversorgung ausklammern zu Gunsten jüngerer Corona-Patienten?  "Das Grundgesetz folgt...der Logik, dass jede Antastung, jede Preisgabe der Würde des Menschen verboten ist: Leben darf nicht gegen Leben verrechnet werden." (wörtlich: Schmidt/Bleibtreu-Hofmann, GG.-Komm. 2018, Art. 1 Rn. 19, Hervorhebung auch bei Hofmann). Eine trotzdem von Staats wegen vorgenommene Inanspruchnahme von Nichtstörern kann nur innerhalb einer allgemeinen Aufopferungspflicht möglich sein. In diesem Zusammenhang wird das Aufopfern des Lebens nur für zumutbar erachtet, "wenn es um den Bestand des Gemeinwesens oder die Existenz der freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung geht". (Schmidt/Bleibtreu-Hofmann, ebd.). Da die Entscheidung über einen konkret-individuellen Einzelfall, 65-Jähriger vs. 20-Jähriger, schwerlich über Wohl und Wehe dieser überragenden Rechtsgüter wird befinden können, ist es damit grundrechtswidrig, dem 65-Jährigen allein wegen seines Alters das Nachsehen zu geben. Weil die Intensivbettenversorgung in Deutschland ausreichend war, ist hier kein Fall der Triage bekannt geworden (Stand: bis Juni 2020).

    3. Entschädigungsrecht

    Ein auf der Basis des bisher bestehenden Staatshaftungsrechts gegebener Rechtsanspruch von Unternehmen auf Erhalt staatlicher Entschädigungen, etwa in Form der Einrichtung einer Staatsbeteiligung, wird hier nicht gesehen. Speziell das Thema Staatsbeteiligung als Umsetzungsmodell der Stützmaßnahme ist im Zusammenhang mit der Lufthansa diskutiert worden. (Die Rettung der Lufthansa vor der Insolvenz durch den deutschen Staat verzögerte sich wegen des Auftritts des Aktionärs Thiele und war vor einer Hauptversammlung der Lufthansa am 25. Juni 2020 noch nicht in trockenen Tüchern, Stand: 25. Juni 2020.) Eine Entschädigungsfrage betrifft allgemein alle von Coronaverfügungen nachteilig betroffene Wirtschaftsunternehmen in Deutschland. Nachdem die spezialgesetzliche Entschädigungsvorschrift des § 56 IfSG mangels Tatbestandsmäßigkeit nach hier vertretener Ansicht nicht greift (u.a.: es geht hier nicht um "Verdienstausfälle" im Sinne der Norm), kommt allenfalls ein Anspruch aus allgemeinen Instituten in Betracht (vgl. die Abgrenzung zu den verschiedenen Instituten des Staatshaftungsrechts bei Berwanger, NVwZ 2017, 1348, 1349 ff.). 

    Eine allgemeine staatliche Gefährdungshaftung als Risikohaftung, wonach der Staat verschuldensunabhängig für den Eintritt von bestimmten ihm zuzurechnenden Risiken haftet, wird von der h.M. bisher dogmatisch abgelehnt. Ob Corona hier zu einem Umdenken führen wird, wird sich in der Zukunft zeigen. Insofern ist darauf hinzuweisen, dass die vom Staat wegen der Corona-Krise aktuell (im Frühjahr 2020) getroffenen Hilfsmaßnahmen zu Gunsten der Wirtschaft jegliche Haftungsdimension einer staatlichen Gefährdungshaftung solchen Zuschnitts übersteigen. Denn der Staat tritt hier, u.a. durch das Auflegen von Konjunkturprogrammen und Rettungsfonds (vgl. bei Corona-Hilfen) für ein eingetretenes Risiko ein, das seinen Ursprung gänzlich außerhalb seines Einflussbereichs genommen hat.

    Das spiegelt sich auch an der Haltung und dem Auftritt der Bittsteller aus der Wirtschaft: "Wir haben die letzten Jahre bestens und erfolgreich gewirtschaftet, das hier trifft uns total unverschuldet, also, Du musst uns bitte helfen" (sinngemäß Vorstandsvorsitzender Spohr von der Lufthansa). Mit Marktwirtschaft und dem bestehenden unternehmerischen Risiko für Wirtschaftsunternehmen hat diese Logik ungefähr soviel zu tun, wie der Osterhase mit Weihnachten. Eine Vielzahl von Unternehmen, auch schon vor Lufthansa und vor Corona, gehen jahrein, jahraus unverschuldet den Weg in die Insolvenz. Der Staat hilft da nicht.
    Immerhin: Der Staat sah sich in der Bankenkrise 2008 gezwungen, zum Schutz der Gesamtwirtschaft und der Bürger mit sehr viel Geld ein marodes und gescheitertes System retten zu müssen. Diese Rettung kam seinerzeit auch den identifizierten Verursachern der Krise aus der Finanzwirtschaft (Banken und ihren Managern) zugute. In den Augen der kritischen Öffentlichkeit wurden sie auf Kosten der Steuerzahler für die eigenen Fehlleistungen gar noch zusätzlich belohnt. Mehr als nur ein kleiner Webfehler, mit dem sehr viel Vertrauen verloren ging. Die Erinnerung daran hält nach. Aktuelle Manager, gerade auch aus der Realwirtschaft, deren Unternehmen in der Corona-Krise unverschuldet in Not geraten sind, können sich auf einen solch krassen Präzedenzfall stützen - wenn auch nicht mit rechtlicher Relevanz.

    Wenn der Staat der Lufthansa (und anderen) jetzt hilft, dann hat das jedenfalls nichts mit der Erfüllung von Rechtsansprüchen, gar mit einer Haftung im Sinne des Staatshaftungsrechts, zu tun. Auch aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) kann man keinen Hilfeanspruch herleiten (BVerfGE 110, 412, 445).

    Ein Anspruch aus sog. enteignenden Eingriff - allein ein solcher könnte mit Bezug auf die anfänglich der Pandemie verfügten Restriktionen theoretisch in Betracht kommen - ist nicht ersichtlich. Klassischer Fall eines solchen Anspruchs sind Sachverhalte von existenzbedrohenden Schädigungen von Gewerbebetrieben aufgrund ausbleibender Kundschaft in ihren Geschäften, die sich als Folgen von langwierigen (rechtmäßigen) Straßenbauarbeiten ergeben hatten. Der diesen Fällen innewohnende sog. Sonderopfergedanke ist prägend für diesen Anspruch. Daran fehlt es aber bei Coronafällen, denn der Lockdown trifft weitgehend alle Gewerbetreibenden. Alle müssen das Opfer bringen. Daher gibt es bei einzelnen auch keine zu überschreitenden individuellen (Sonder-)Opfergrenzen. Weiter ist zudem das Merkmal der schadensauslösenden Kausalität fraglich. Umsatzausfälle beruhen auch auf anderweitigen, außerhalb Deutschlands getroffenen Maßnahmen und Umständen (nicht intakte Lieferketten, Einreiseverbote anderer Staaten usw.). Im übrigen ginge ein Anspruch aus enteignenden Eingriff auf Entschädigungszahlung in Geld, nicht auf eine Staatsbeteiligung (Fall Lufthansa).

    Zumindest theoretisch ist - einzelfallabhängig - ein Anspruch aus sog. enteignungsgleichem Eingriff denkbar. Dieser Begriff bezeichnet Entschädigungsansprüche wegen rechtswidrigem Eingriffshandeln des Staates, das zu Schäden bei Bürgern (incl. Gewerbebetrieben) geführt hat. Das kann sich auf eine - gerichtlicherseits festgestellte - rechtswidrige Verhängung von Restriktionen bzw. auf die rechtswidrig zu spät verfügte Lockerung beziehen. Beispiel: Die von der Gastronomie seit Mitte/Ende April 2020 zunehmend als zu lange kritisierte Aufrechterhaltung der Restriktionen. Wie gesagt, theoretisch: Ein Kläger (z.B. ein Restaurantbesitzer) hätte zumindest Kausalitätsprobleme bei der Darlegung eines Anspruchs zu bewältigen. Überdies ist zu berücksichtigen, dass der Staat durch vielfältige Unterstützung, u.a. mit Rettungsfonds, zur Stelle ist.

    Abschließend zum Thema Entschädigung: Wenn sich der Staat wegen der historisch einmaligen Notsituation aufgrund Corona zur weitreichenden Unterstützung von Wirtschaftsunternehmen entschließt, entspringt dies seinen aktuell getroffenen Entscheidungen. In der Praxis wirken erst diese, rechtlich-konstitutiv, verpflichtend. Dass der Staat bei der Umsetzung und der Hilfegewährung auch den Gleichheitsgedanken wahren muss, ist ihm rechtlich ebenfalls vorgegeben.

    4. Föderales Verfassungsrecht

    Bezogen auf die systemrechtlichen Gegebenheiten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wird die föderale Ordnung des Grundgesetzes in Teilen, z.B. mit Bezug auf die sog. Subsidiarität, in Frage gestellt. Kritiker monierten schon zu Anfang der Pandemie u.a. die Langsamkeit und die Ungeeignetheit der im föderalen Modell des GG (Gesetzgebung und Verwaltung betreffend) bewusst angelegten Uneinheitlichkeit. Während zum Teil gravierende Länderunterschiede bei der Unterstützung von in Not geratener Unternehmen kritisiert werden, wirkt die im Hinblick auf die Gefahrenabwehr zur Lösung eines derartigen Problems festzustellende Uneinheitlichkeit ebenfalls nachteilig. Einfachgesetzlich zeigt sich das u.a. am IfSG. Verhängte Ausgangsbeschränkungen (z.B. in Bayern, das zudem den Katastrophenfall ausgerufen hatte, auch im Saarland), als grundrechtsbeschränkende Maßnahmen, sollten den steigenden Infektionszahlen in diesen Ländern entgegenwirken.
    Am frühen Abend des 22. März 2020 avisierte die Bundeskanzlerin, nach einer Telefonkonferenz mit allen Ministerpräsidenten der Länder, den o.g. Erlass eines mindestens zweiwöchigen einheitlichen Kontaktverbots für Versammlungen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit.
    Noch am Abend des 22. März 2020 gab es - zur Überraschung der Öffentlichkeit - divergierende bzw. relativierende Erklärungen einiger Bundesländer, u.a. von Bayern, das über seinen Landesvater erklären ließ, seine zuvor erlassene weitergehende Ausgangssperre in Bayern habe weiterhin zusätzlich Bestand. Andere Landesväter reklamierten ebenfalls jeweils für sich, mit ihrem Land schon vorab den "richtigen" Weg aufgezeigt zu haben. Das gegensätzliche Eifern unter Landesvätern hatte nach dem 15. April/30. April 2020 weiter zugenommen und steuerte am 6. Mai 2020 auf einen weiteren Showdown zu. Thüringen setzte durch die Erklärung seines Ministerpräsidenten am 23. Mai 2020, dass ab 6. Juni 2020 die allgemeinen Corona-Beschränkungen im Land aufgehoben werden, einen weiteren Meilenstein in diesem Prozess; dazu gesellte sich Sachsen per Erklärung vom 25. Mai 2020, auch andere Länder wollten Lockerungen. Am 26. Mai 2020 wurde schließlich die Sache zur alleinigen Länderangelegenheit erklärt (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/winfried-kretschmann-corona-politik-wird-alleinige-laendersache-a-b0aec6a3-cf26-4e3b-9d71-ddb27cab3573, Abruf: 27. Mai 2020).

    Wertungen des Stichwortautors dazu: 

    Ein einziges Tohuwabohu: Eine im Grundsatz durchaus gute Idee (Föderalismus) - und was daraus gemacht wurde und wie es insbesondere gegenüber dem Volk kommuniziert wurde. Das beruht zum einen auf der vorgegebenen Verfassungslage (über deren Änderung für einen solchen Fall nachgedacht werden sollte). Es hängt aber auch maßgeblich damit zusammen, dass handelnde Akteure, einerseits getrieben von politischen Notwendigkeiten, teilweise auch von persönlichen Eitelkeiten, die Aufgabe nicht im Team lösen konnten und noch immer (Stand: Juni 2020) nicht können. Auf höherer Abstraktionsebene geht es um das Verhältnis Recht und Politik, und umgekehrt. Konkret: Das Verlassen des Hauses vs. Kontaktverbot, oder beides, in einigen Ländern irgendwie kombiniert - ganz gleich, wer hier im "Wettbewerb" um das Finden des ursprünglich, zu Anfang der Pandemie, "richtigen" Ansatzes in der Sache Recht gehabt hatte, das rechtliche Nebeneinander, ja Gegeneinander ließ sich schwerlich durch die Begründung einer vorgeblich besonderen Situation ("Grenzländer", betr. Bayern und Saarland - wegen den angrenzenden Risikogebieten Österreich und Frankreich/Grand Est) halten. Dass im "Kleingedruckten" des Beschlusses vom 22. März 2020 die Möglichkeit weitergehender Regelungen in Ländern oder Landkreisen angemerkt war, tut dieser Kritik keinen Abbruch.

    Die systemisch angelegte Unfähigkeit zum Finden einer einheitlichen Lösung ist aufgrund ihrer Nachteiligkeit (Verwirrung und Verunsicherung der Bürger, Vertrauensverlust in die politische Führung) ein relativ klares Argument zur partiellen Abkehr vom Föderalprinzip, hin zu mehr Unitarismus. Das zeigt sich an dem mit Bezug auf die Tragweite weitgehend belanglosen, aber dennoch einprägsamen Beispiel der in einem Bundesland für Ottonormalverbraucher verfügten Baumarktschließung, was zum "Grenzverkehr" ins Nachbar-Bundesland in die dort ohne jegliche Restriktion geöffneten Baumärkte geführt hat (https://www.fnp.de/frankfurt/corona-krise-aerger-frankfurt-bayern-stehen-baumarkt-schlange-13641747.html, Abruf: 14. April 2020). Weiter muss auch die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen in der Corona-Pandemie von Bundesland zu Bundesland verschieden gewertet werden (Papier, https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87805428/corona-krise-verfassungsrechtler-papier-sieht-freiheitsrechte-in-gefahr.html, Abruf: 12. Mai 2020), was einer dringend anzustrebenden Komplexitätsreduktion weiter abträglich ist. 

    Von einem "gesunden Wettbewerb" unter den Ländern (Thüringens Innenminister am 1. April 2020) zu sprechen, erscheint im Zusammenhang mit Corona schon rein sprachlich grenzwertig. Die Umschreibung mit "Kakophonie" trifft es aus Sicht des Stichwortautors besser, "Angela Merkel und die wilde 16" (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/news-angela-merkel-bundeslaender-autoindustrie-bundesliga-salomon-kalou-norddeutschland-a-61907002-1716-43cf-8665-07a0efbc6b9e, Abruf: 5. Mai 2020). Statements wie "Der Geist ist insgesamt so einheitlich, dass das für einen föderalen Staat fast schon ein Wunder ist" (Bundeskanzlerin Merkel am 15. April 2020 in einer Pressekonferenz) wirken nicht überzeugend. Bereits am 6. Mai 2020 sah es so aus, dass die Bundeskanzlerin kapituliert hatte (vgl. auch https://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-in-der-corona-krise-das-ende-der-kanzlerindemokratie-a-3f98f45a-95e0-4eea-95d2-5bf053d2cc41; Abruf: 10. Mai 2020). Die weitere Abfolge des Prozesses bis zum 26. Mai 2020 (Kretschmann, s.o.) bestätigt das. Den Ländern sei gesagt: Zwar gehören Maskenbälle zum historisch angelegten europäischen Kulturgut, sogar auch Sujet einer Oper (Verdi 1859). Die Oper handelt im Übrigen auch von Intrigen. Die Art von Maskenbällen, wie sie in Deutschland von den Ländern während der Corona-Krise angeboten werden, bieten sicher ein schlechtes Schauspiel.

    Als eine Art intellektueller Taschenspielertrick ist es anzusehen, wenn die - im Vergleich zu anderen Modellen (USA, Frankreich, Italien, Spanien) - in Deutschland anhand von Zahlen zweifellos zu verbuchenden Erfolge bei der anfänglichen Pandemiebekämpfung dem deutschen föderalen System zugeschrieben werden (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-05/corona-krise-deutschland-foederalismus-lokale-schutzmassnahmen-lockerungen; Abruf: 12. Mai 2020). Zum einen sind Erfolge kein zwingender Beleg für die Ursächlichkeit gerade des deutschen Föderalismus dafür - zumal die ursprünglichen Beschränkungen in Deutschland, zumindest im Grundsatz, zentral verfügt worden waren. Zum anderen ist nicht belegt, dass Umstände anderswo - ggf. auch Misserfolge - ursächlich auf (angebliche) Nachteile dortiger Systemvoraussetzungen zurückzuführen sind. Das kann auch ganz andere Ursachen haben, etwa wegen der jeweiligen Altersstruktur oder z.B. in Form nachhaltiger Fehlleistungen politischer Spitzenentscheider - unabhängig von der jeweiligen Systemstruktur (Speziell zum Auftritt einiger auswärtiger Staatsmänner mit ganz speziellen Eigenheiten, mit Bildung von Parallelen, vgl. Lobo (https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/donald-trump-wladimir-putin-boris-johnson-jair-bolsonaro-die-alptraumtaenzer-kolumne-a-57c9a5c4-34cd-4fcd-ab2f-277c1e033269; Abruf: 24. Mai 2020). Zudem hat Deutschland wohl auch von Lerneffekten (Italien!) profitiert. Im Übrigen ist jeglichem monokausalen Ansatz eine Absage zu erteilen.   

    Jedenfalls erscheint bei der Abwehr einer derartigen alle betreffenden Gefahrensituation eine in der Sache einheitliche Lösung durch den Zentralstaat wesentlich zielführender - zumindest mit Bezug auf die großen Leitlinien. Auch wenn zu den Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 19, 83 ff. GG (mit dem IfSG ) rechtlich noch einiges zu klären und vielleicht noch zu ändern ist - bestehenden signifikanten lokalen Besonderheiten kann Rechnung getragen werden, etwa über spezifische Kanalisierungen von Anordnungsbefugnissen gegenüber den Ländern. Das impliziert, dass - selbstverständlich - der Zentralstaat auf die Mitwirkung subsidiärer Strukturen (bis hin auf die Tätigkeit des örtlichen Gesundheitsamts) essentiell angewiesen ist. Der Forderung nach und die Möglichkeit der Einrichtung einer zentralen Lenkung tut das keinen Abbruch.

    Der Sachverhalt mag, im Übrigen und ganz Nebenbei, auch dazu anregen darüber nachzudenken, das Patriarchat bei politischen Spitzenämtern weiter auszudünnen (vgl. dazu allgemein die Ausführungen bei Frauenquote). Natürlich wird der Vorschlag zu mehr Unitarismus vermutlich im Theoretischen verharren, denn männliche Entscheider, zumindest solche mit dem charakterlichen Zuschnitt einiger im Frühjahr 2020 handelnder Personen, werden nicht an der Einebnung des eigenen Sandkastens mitwirken.

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    Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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