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Revision von Corona-Krise vom 22.04.2020 - 12:00

Corona-Krise

Definition: Was ist "Corona-Krise"?

 

 

 

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Inhaltsverzeichnis

    1. Überblick
    2. Soziologische/Philosophische/Politische/Wirtschaftliche Betrachtung
    3. Rechtliche Betrachtung

    Überblick

    Um die Jahreswende 2019/2020 in der chinesischen Stadt Wuhan ausgelöste, sich nach und nach weltweit entwickelnde Krisensituation aufgrund einer durch ein Virus verursachten weltweiten Pandemie (siehe auch: SARS-CoV-2, COVID-19). Zum Stand 21. April 2020 (23.26 Uhr) sind weltweit ca. 177.000 Tote zu beklagen. Das weitere Ansteigen dieser Zahl ist angesichts von nur sehr mühsam in den Griff zu bekommenden, mutmaßlich weiter steigender Infiziertenzahlen zu befürchten. Dennoch sind in einigen Ländern bei den Zahlen auch erste Abflachungen von auf Graphiken dargestellten Kurven und es sind Rückgänge bei den Patientenzahlen registriert worden (Erkenntnisstand: 20. April 2020). Am 21. April 2020 (23.26 Uhr) gibt es rund 2.559 Mio. Fälle bestätigter Infizierter weltweit. Sehr hohe Dunkelziffern sind zu gewärtigen.

    In allen Ländern der Erde sind davon jeweils sämtliche gesellschaftlichen Subsysteme (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Familie, Religion) betroffen. Es handelt sich somit um eine globale Katastrophe, die eine Krise von historischem Ausmaß auslöst. Obwohl die Todeszahlen von Corona bei weitem nicht an die Sterblichkeitsraten früherer historischer Pandemien (etwa der Pest im Mittelalter oder der Spanischen Grippe 1918-1920) heranreichen werden, wird durch das Virus doch die Fragilität auch modernster Hochleistungsgesellschaften des 21. Jahrhunderts evident und aufgedeckt. Vielerorts wird sogar der Vergleich mit einem Krieg bemüht (zur rechtsmethodischen Implikation vgl. die Hinweise bei Subsumtion) - wenngleich es die moderne Gesellschaft schon seit Jahr und Tag hinnimmt, dass durch wirkliche Kriege Opferzahlen in weit höheren Dimensionen produziert werden.

    Die meisten Staaten der Welt setzen auf das Mittel der Kontaktreduktion zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus - mit unterschiedlichen Umsetzungsmodalitäten (betreffend Beginn der Einführung und der Art und Weise der Maßnahmen) im Einzelfall. In Deutschland gab es zunächst den Erlass eines mindestens zweiwöchigen einheitlichen Kontaktverbots für Versammlungen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit (mit definierten engen Ausnahmen), Inkrafttreten: 23. März 2020. Der diesbezügliche Beschluss wurde am 22. März 2020 bei einer Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder gefasst. Am 1. April 2020 wurde verkündet, dass die Maßnahmen mindestens noch bis zum 20. April 2020 aufrechterhalten bleiben sollen. Daneben gibt es etliche Sonderregelungen in den Bundesländern, zum Teil existieren Ausgangsbeschränkungen.

    Am 15. April 2020 annoncierte die Bundeskanzlerin nach Konsultationen mit den Ministerpräsidenten mit 20. April 2020 das Inkrafttreten einiger Lockerungen, etwa für Geschäfte unter 800 qm. Schulen sollen ab dem 4. Mai 2020 schrittweise wieder öffnen. Ansonsten gilt weiter bis auf weiteres das Gebot des Mindestabstands von 1,5 m (bis mindestens 3. Mai 2020). Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten haben am 15. April 2020 mitgeteilt, dass man am 30. April 2020 erneut eine Überprüfung vornehmen will.

    Das Tragen von sog. Alltagsmasken wird dringend empfohlen, auf eine generelle Maskenpflicht konnte man sich am 15. April 2020 nicht einigen. Insbesondere wirtschaftsnahe Kreise reagierten enttäuscht. Auch die Kirchen, die nicht von den Lockerungen profitierten sollten, meldeten Bedenken an (siehe auch unten bei 3.1). Mecklenburg-Vorpommern verkündete am 17. April 2020, dass das Land im öffentlichen Nahverkehr eine generelle Maskentragepflicht ab 27. April 2020 einführen werde. In Sachsen gilt das ebenfalls, zusätzlich für den Einzelhandel, schon ab 20. April 2020. Die Einführung einer Maskentragepflicht haben auch Bayern und Thüringen am 20. April 2020 angekündigt, weitere Bundesländer wollen eigenen Angaben zufolge nachziehen. Schon seit 20. April 2020 sind in Sachsen überdies Gottesdienste mit bis zu 15 Teilnehmern erlaubt. Auch einzelne Städte im Bundesgebiet haben eine Maskenpflicht.

    Es wird demnach in Deutschland und in etlichen Ländern auf der Welt angesichts mutmaßlicher eintretender Verbesserungen über Lockerungen nachgedacht bzw. es werden diese bereits umgesetzt (Stand: 21. April 2020). So etwa verkündete US-Präs. Trump am 16. April 2020 für die USA einen Drei-Phasen Lockerungsplan für die USA ("Opening UP America Again"), noch ohne einen genauen Zeitplan.

    Aus Sicht des Stichwortautors ist es nicht zu beanstanden, dass sich die amtierende Bundesregierung und die Länder am 15. April 2020 weiter für das Leben entschieden und immer drängender werdenden Gegenvorschlägen (z.B.: politisch-rechtliche Einstufung der Infektion als allgemeines Lebensrisiko zur Begründung der raschen Aufhebung/Lockerung) weiter grundsätzlich widerstanden haben. Nicht zu beneiden ist der deutsche Staat um die anstehende Aufgabe, denn auch für Deutschland gilt aus Sicht des Stichwortautors: "Restarting America Means People will Die. So when we do it?" (vgl. Diskussion bei NYT Magazine, 10. April 2020, abgerufen am 13. April 2020, https://www.nytimes.com/2020/04/10/magazine/coronavirus-economy-debate.html). Immerhin wird die deutsche Staatsführung begleitet von einer Heerschar von Ratgebern. Viele Experten, auch selbst ernannte, kritische Bürger und andere agieren bzw. reagieren. Ratschläge sind zuweilen nicht als konstruktive Hinweise anzusehen, denn sie erschöpfen sich in bloßem Protest und Ablehnung.   

    Im Frühjahr 2020, zu Anfang der aufziehenden Pandemie, hatten sich weltweit einige Staaten zunächst dazu entschlossen, Kontaktreduktion bewusst lockerer bzw. gar nicht zu praktizieren. Manche Staaten haben das Problem unterschätzt bzw. negiert. Als Beispiel kann die USA angeführt werden. Neben Großbritannien, dessen Premierminister die Situation anfänglich ebenfalls nicht als Problem einschätzte, kann in Europa auch Schweden genannt werden. Im Gegensatz zu den beiden anderen genannten Ländern hatten die politischen Entscheider in Schweden die Gefahr immerhin schon früh gesehen, man wählte jedoch allem Anschein nach das falsche Mittel. Das Land erkannte allerdings im März/April, dass die Negativ-Zahlen zunahmen und entschloss sich, seinen zunächst eingeschlagenen liberalen Weg wenigstens teilweise zu revidieren und ebenfalls auf einen etwas strikteren Krisenkurs umzuschwenken (u.a. mehr Corona-Tests und Vorgaben der Kontaktreduktion).

    Wegen der von Staats wegen verfügten "Lockdowns" waren zunächst weltweite Kursabstürze der Börsen (mit mutmaßlich verursachter weltweiter Rezession) und massenhafte Einstellung der wirtschaftlichen Tätigkeit rund um den Globus, weltweit von Staaten ausgesprochene Total-Einreiseverbote bzw. Beschränkungen innerhalb von Staaten und der sehr weitgehend zum Erliegen gekommene Reiseverkehr nur einige Folgen. Die weltweit getroffene Maßnahme der Kontaktreduktion nimmt - notgedrungen - billigend in Kauf, dass dadurch eine globale Wirtschaftskrise ausgelöst wird. Aufgrund der Vernetzung wegen der Globalisierung gibt es umfassende negative Dominoeffekte. Sinn und Unsinn der Globalisierung ihrerseits wird wegen Corona in Frage gestellt, das gilt auch für den schon vor Corona negativ konnotierten Neoliberalismus. Das beinhaltet u.a. kritische Rückfragen zu dem dem Kapitalismus innewohnenden Zwang, immerzu ein Wirtschaftswachstum generieren zu wollen bzw. zu müssen (vgl. dazu bei Wachstum - mit Weiterverlinkungen zu etlichen weiteren einschlägigen volkswirtschaftlichen Begriffen).

    Trotz der negativen Wirkung ist, nach wissenschaftlich gesicherten Kenntnisstand im April 2020, Kontaktreduktion als Eindämmungsmaßnahme alternativlos. Ohne diese Maßnahme würden sich die negativen Folgen (Todeszahlen; Wirtschaftskrise) wegen einer dann unkontrollierten Verbreitung des Virus sehr wahrscheinlich umso nachhaltiger und drastischer einstellen. Es wird daher befürchtet und muss in die Abwägung mit einbezogen werden, ob (weitergehende) Lockerungen neue Infektionswellen provozieren könnten. Trotz eigenem Vorbehalt gegenüber voreiligen und ungesicherten Schlüssen: Die Richtigkeit dieser Überlegungen ist aus Sicht des Stichwortautors ablesbar an der gravierenden Situation solcher Orte bzw. Länder, die die Kontaktreduktion mutmaßlich zu spät eingeführt hatten. Konkretes Beispiel ist die überaus dramatische Situation von New York City im März/April 2020. Trotzdem ist im Frühjahr 2020 in Deutschland auch nach dem 15. April 2020 (s.o.) umstritten, ob Kontaktbeschränkungen wirklich das richtige Mittel der Wahl sind. Insbesondere wird im weiter über die angemessene Zeitdauer der Aufrechterhaltung der Kontaktbeschränkungen diskutiert. Diese und andere Themen sind auch auf rechtlicher Ebene in der streitigen Diskussion. Es ist weiter umstritten, ob staatlicherseits getroffene Beschränkungen rechtlich zulässig sind. Es gibt weiter den Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit aufgrund überzogener und zu wenig limitierter Beschränkungen (vgl. dazu unten unter 3.1.).

    Soziologische/Philosophische/Politische/Wirtschaftliche Betrachtung

    1. Allgemein

    In weiterer soziologischer Betrachtung sind wegen Corona etliche makrosoziologischen Zusammenhänge im Blick. Auch moralphilosophische und staatsphilosophische Diskurse, etwa zum Utilitarismus im Zusammenhang mit Triage, werden während der Corona-Krise geführt (zum Begriff und zu rechtlichen Implikationen siehe bei 3.2.).

    Nachfolgende Aufzählung in loser Schüttung: Krise als Ursache von Kontrollverlusten auf allen Ebenen; das Verhalten der weltweiten Staatengemeinschaft insgesamt oder von Staaten untereinander in einer Notsituation; Diskussion über die Thematik Unilateralismus vs. Multilateralismus bzw. über die gebotene Anwendung praktikabler "Mischformen" von beiden; harsche Kritik und Zweifel an der Tauglichkeit der EU im allgemeinen und im besonderen; dto. gegenüber der WHO (US-Präs. Trump im April 2020 - er hat die US-Zahlungen an die WHO am 14. April 2020 gestoppt); Ungleichheitsdiskussionen moderne Industrieländer vs. Entwicklungsländer; Fähigkeit der (effizienteren) Krisenbewältigung durch die unterschiedlichen Herrschaftsmodelle: Autokratie/Diktatur vs. Demokratie; (Neu-) Reflexionen zum Staatsverständnis und zur Verortung der Funktionen: Staat als Indikator für eine solidarische Zivilgesellschaft ?; Interaktion Verbände/Organisationen etc. innerhalb eines Staates; Renaissance der Wissenschaft ("Wahrheit"): Auch mancher populistisch agierende politische Führer gerät in die Bredouille, den Rat der eigentlich nicht wertgeschätzten Experten suchen zu müssen; unterschiedliche Auswirkungen der Krise auf die Angehörigen unterschiedlicher gesellschaftlicher Klassen, etwa mit Bezug auf die individuelle Wohnsituation oder im Bereich der Arbeit: Home-Office-Möglichkeit vs. Notwendigkeit des "Front-Kampfs" im Supermarkt oder im Krankenhaus durch von der Öffentlichkeit flugs als solche ernannte "Helden des Alltags".

    Nicht zuletzt wegen der Auswirkungen auf den zwischenmenschlichen Bereich, ausgelöst durch Kontaktsperren, Ausgangsbeschränkungen und Quarantänesituationen, sind auch viele mikrosoziologischen und psychologischen bzw. medizinisch-klinischen Sachverhalte durch Corona virulent geworden, Stichworte (auch hier in loser Schüttung): Angebot der Einkaufshilfe für einen unter häuslicher Quarantäne Stehenden; Denunziantentum: Blockwart-Gehabe mancher selbsternannter Ordnungskräfte; sog. Coronaparties; Selbstverzicht und Geduld als zuweilen unerreichbare Tugendanforderungen; der Mensch als "Gewohnheitstier" - Tennisspieler wollen partout Tennis spielen und sich das nicht nehmen lassen(https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/saarlaendische_tennisvereine_klagen_gegen_coronaverordnung_100.html); hedonistisch-uneinsichtige Disziplinlosigkeit mancher Zeitgenossen, die schon nach relativ kurzer Zeit staatlicherseits auferlegter Gebots- und Verbotsnormen an ihre Grenzen stoßen: "Alle reden über die Grenze der Belastbarkeit, obwohl es den meisten gut geht." (Thomas Fischer, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/corona-niedriger-haengen-kolumne-a-896d0114-d6a2-4730-b059-a4e2f446ba2c, Abruf: 14. April 2020); psychische Beschädigungen, u.a. vermehrtes Aufscheinen des Phänomens der "disaster fatigue" etc.

    2. Nationale staatliche Hilfsmaßnahmen/EU

    Der Bund und die Länder reagierten mit Nachtragshaushalten. Massive staatliche Hilfsmaßnahmen ("Bazooka", so Finanzminister Scholz) sollten Unternehmen (günstige Kredite, zu erhalten über KfW) und ihren Mitarbeitern (Kurzarbeitergeld) in der Notlage helfen. Dazu gibt es Verhandlungen zur staatlichen Unterstützung, evtl. in Form einer Staatsbeteiligung, von systemrelevanten Unternehmen, Beispiel Lufthansa (zu rechtlichen Implikationen vgl. bei 3.3.). Die Bundesregierung initiierte beim Bund einen Nachtragshaushalt zur Ausgabe von zusätzlichen rd. 150 Mill. Euro (122,8 Mill. Euro, zzgl. veranschlagter Steuermindereinnahmen von 33,5 Mill. Euro). Weiter sollte ein Wirtschaftsstabilisierungsfond (WSF) Kredite bis zu 100 Mill. Euro abdecken, weitere 100 Mill. Euro als Kreditermächtigung sollten die Darlehensgewährung für Unternehmen (auszureichen über KfW) über den WSF absichern. Die Überschreitung der Obergrenze (vulgo: Schuldenbremse) wurde gemäß Art. 115 Absatz 2 Satz 6 GG extra beschlossen. Meldungen zufolge plant Bundesfinanzminister Scholz weiter das Auflegen eines 50-Milliarden-Konjunkturprogramms. Die EU stellte am 2. April 2020 gegenüber allen Mitgliedstaaten ein 100-Milliarden-Euro Darlehen zur Unterstützung der Kurzarbeits-Programme in den Mitgliedstaaten in Aussicht. Im übrigen gibt es eine Reihe von weiteren Vorschlägen, wie der Wirtschaft wieder auf die Beine geholfen werden kann. Beispielhaft sei der Vorschlag eines Marshall-Plans für Europa (von der Leyen) genannt. Am 9. April 2020 legte die EU einen Corona-Virus-Rettungsfonds (eine halbe Billion Euro) zum Schutz südlicher EU-Länder und angeschlagener Unternehmen (Darlehensabsicherung) auf, das Auflegen sog. Corona-Bonds war u.a. von Deutschland und den Niederlanden abgelehnt worden.

    Rechtliche Betrachtung

    Gerade in Krisensituationen ist das Recht als ordnungsschaffende und -erhaltende Instanz gefragt (wenngleich die Herrschaft des Rechts gerade in Extremsituationen einer Erosionsgefahr unterliegen kann, vgl. dazu allgemein die Ausführungen bei Anspruchsgrundlage). Sämtliche Rechtskategorien (internationales Recht, Völkerrecht, supranationales Recht, nationales Recht, etc.) sind durch die Coronakrise betroffen (zum deutschen Schuldrecht etwa vgl. bei höhere Gewalt; siehe auch die allgemein-rechtliche Anlassgesetzgebung im PandemiefolgenabmilderungsG).

    1. Grundrechte/Polizeirecht

    Insbesondere mit Bezug auf die Anwendung des Öffentlichen Rechts wollen es kritische deutsche Juristen im Frühjahr 2020 für ihre Mandanten wissen. Grenzlinien zu juristischer Besserwisserei und Querulantentum verlaufen zum Teil fließend. Der Rechtsstaat und die gebotene Wahrung von Grundrechten angesichts der vielfältigen Beschränkungen sind diskutierte Dauerthemen. Die Notwendigkeit der Einschränkungen in dieser weiten Form auf Basis von § 28 Abs. 1 S. 1 2. HS Infektionsschutzgesetz (IfSG) wurde bezweifelt, denn es könne nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Mensch ein potenzieller Infektionsträger sei. Mit Beschl. vom 24.3.2020, 26 S 20.1252 hat das VG München die Wirkung der bayrischen Ausgangsbeschränkungen zugunsten zweier Einzelpersonen (den Antragstellern des Verfahrens) "aus formalen Gründen" vorläufig außer Kraft gesetzt (ähnlich VG München durch Beschlüsse vom 20. März 2020 hinsichtlich der verfügten Ladenschließung für den Einzelhandel). Das Gericht hatte die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Ausgangssperren allerdings nicht in Frage gestellt, lediglich ob der Freistaat Bayern die ausgesprochenen Ausgangsbeschränkungen per sog. Allgemeinverfügung (vgl. Art. 35 S. 2 BayVwVfG) veranlassen durfte, wurde seitens des VG in Abrede gestellt. VG München meinte, dass der Staat stattdessen durch eine Rechtsverordnung hätte handeln müssen. Der Freistaat ist dem gefolgt und hat die Beschränkungen formal in einer Rechtsverordnung (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 24. März 2020) gefasst und am 27. März 2020 ein einschlägiges Gesetz erlassen (BayIfSG).

    (Rechtliche) Wertungen des Stichwortautors:

    Im Rechtsstaat ist es wichtig und es ist prägend für ihn, dass staatliches Handeln gerichtlich überprüft werden kann. Das soll sich gerade auch auf Formalvorschriften beziehen können, denn auch Formalvorschriften sind solche, an die die Exekutive nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Dass im Hinblick auf Formalvorschriften dennoch Abstriche denkbar sind, ergibt sich schon aus den §§ 44, 46 VwVfG. § 46 VwVfG lautet: Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Das BVerwG hat in einem Urteil vom 31.01.2019 (1 WB 28.17) grundsätzlich festgestellt, der Staat könne sich für einen Übergangszeitraum auf eine rechtswidrige (oder unzureichende) Rechtsgrundlage stützen, wenn ansonsten ein Zustand entstünde, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als die bisherige Lage.

    Ungeachtet dessen müssen sich staatliche Maßnahmen, auch in Form von durch Verwaltungshandeln gesetzten Recht, inhaltlich an höherrangigem Recht messen lassen. Das vor allem, wenn es sich - wie hier - wegen der Freiheitsbeschränkungen in bisher nicht gekannten Ausmaß um gravierende Grundrechtsverletzungen (GG: Art. 2 Abs. 2, Freiheit der Person; Art. 4 Abs. 2, freie Religionsausübung; Art. 8 Abs. 1, Versammlungsfreiheit; Art. 11 Abs. 1, Freizügigkeit; Art. 12 Abs. 1, Berufsfreiheit; Art. 14 Abs. 1, Schutz des Eigentums) handeln könnte. Indes: Sämtliche der genannten Grundrechte sind durch den Staat einschränkbar. Das gilt wegen der sog. immanenten Schranken z.B. auch für Art. 8 Abs. 1 GG (BVerwG, NVwZ 1999, 991, 992). Als Ermächtigungsgrundlage dienen z.B. in Bayern die einschlägigen Vorschriften des IfSG, konkretisiert durch die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung – BayIfSMV (vom 24. März 2020) bzw. das BayIfSG (vom 27. März 2020). Dass diese Regelwerke (auch solche in anderen Bundesländern) ihrerseits wegen materieller Grundrechtsverstöße verfassungswidrig sein könnten, wird - unbeschadet des anderweitigen Ergebnisses einer ggf. noch durchzuführenden Detailprüfung - von Seiten des Autors bezweifelt. Es gibt im Frühjahr 2020 eine ganze Reihe von einschlägigen Gerichtsentscheidungen. Sie können hier nicht alle aufgeführt werden. Die Verordnung wurde durch Beschluss des VGH München, vom 30.03.2020 (Az.: 20 NE 20.632), in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestätigt. Zudem hat das BVerfG am 7.4.2020 einen Eilantrag gegen die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung abgewiesen (Az.: 1 BvR 755/20). Die Verordnung beschränke die Grundrechte zwar erheblich, so das BVerfG. Die Gefahren für Leib und Leben sind nach Auffassung des BVerfG aber schwerer zu gewichten als die Einschränkungen der persönlichen Freiheit. Der Antragsteller hatte es für zu weitgehend gehalten, dass er seine Freunde nicht treffen, die Eltern nicht besuchen, nicht demonstrieren und keine neuen Menschen kennenlernen darf. Ebenso sinngemäß, mit Bezug auf das Grundrecht der Religionsausübung, das BVerfG mit Bestätigung von Gottesdienstverboten, vgl. Beschl. v. 10. April 2020 (Az.: 1 BvQ 28/20).

    Es entspricht den im März/April 2020 vorliegenden gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft, dass der Ausbreitung des Virus durch die Verhängung von Kontaktverboten entgegen getreten werden muss. Der Staat muss auf dieser Basis, zumal in einer akuten Notsituation, auch vor dem Hintergrund rechtlicher Kategorien, berechtigt sein, entschlossen handeln dürfen zu können. In einer absoluten und akut systembedrohenden Notsituation sind jedem Handelnden im Übrigen auch Fehler erlaubt, das gilt auch zugunsten des Staates. Das Notstandsrecht des StGB mit seinen einschlägigen Tatbeständen, rechtfertigender bzw. entschuldigender Notstand (§§ 34, 35 StGB), regelt diesen allgemeinen Gedanken sehr anschaulich - "Not kennt kein Gebot". Freiheitsgrundrechte und Zweifel an der Rechtmäßigkeit müssen - jedoch deren ständig möglich bleibende gerichtliche Überprüfbarkeit unterstellt - temporär hintanstehen.

    Dass dadurch - sprichwörtlich - das Kind mit dem Bade ausgeschüttet würde, ist - auf Basis des nationalen "Infektionsstatus" im April 2020 und des wissenschaftlichen Kenntnisstands März/April 2020 - wegen der ansonsten ungebremsten Virusverbreitung nicht anzunehmen. Ständiges Überprüfen und Nachjustieren der Maßnahmen mit stets aufs neue vorzunehmender Abwägung sind aber geboten. Die gesetzliche Nachbesserung beim IfSG, u.a. mit auf Corona zugeschnittenen Änderungen bei § 28 Abs. 1 IfSG (umgesetzt mit G. vom 27. März 2020, BGBl. I, 587), wurde vom Bund schon davor erledigt. Der stetige Blick auf die Lockerungsbeschlüsse der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten (vom 15. April 2020), und deren Details der Umsetzung, gehört daher ggf. auf den Prüfstand von Gerichten.

    Alles in allem ist kritischen Geistern aus Sicht des Stichwortautors zuzurufen: Das Konzept des deutschen Rechtsstaats mit seinen elementaren Grundrechtseinrichtungen und -garantien (dazu gehört die grundrechtliche Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) überzeugt. Andere Länder können da nicht mithalten, dafür muss nicht einmal nach Ländern wie Ungarn oder Polen geschaut werden. Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) z.B. sind elementare Grundrechte. Diese sind als sog. Freiheitsgrundrechte Teil der demokratischen Ausübung grundrechtlicher Freiheit mit Bezug auf Kontrolle, Kritik und Einflussnahme auf das politische Gemeinwesen. Sie grundsätzlich ausüben zu können, gehört zum Programm des GG dazu. Meinungsfreiheit wird im übrigen unabhängig von Themen oder davon gewährt, welche Qualität oder welcher Wert einer Meinung zukommt. Damit soll, auch aus Sicht des Stichwortautors, den im April 2020 vermehrt aufkommenden, allgemein gegen Corona-Reglementierungen beantragten Demonstrationen dieses Recht nicht abgesprochen werden, im Gegenteil. Das gilt auch für eine evtl. gerichtlich zu erstreitende Ermöglichung von Demonstrationen. Mancher Demonstrant mag sich aber auch an das Prinzip des Vertrauens, Vertrauen in eine verantwortungs- und rechtsbewusste Staatsführung, erinnern lassen. Anstelle Demonstrationsteilnahme - ein Ventil kann eine ehrenamtliche Hilfe, etwa die Besorgung von Einkäufen für ältere Mitbürger sein. Man kann sich als kritischer Bürger auch einmal fügen und das persönliche Durchhaltevermögen trainieren und austesten. Ein Recht auf gerichtliche Kontrolle innezuhaben, bedeutet nicht unbedingt, es immer auszuüben zu müssen. Es ist jedenfalls unergiebig, wenn, zum Teil mit Verweis auf düstere frühere Zeiten, beschwörende Wachsamkeitsappelle in die Welt gesetzt werden. Der Staat macht aktuell, verfassungsrechtlich gesehen, mit Bezug auf Grundrechtseinschränkungen grundsätzlich nichts falsch. Diese schon seit Vorauflagen dieses Stichworts vertretene Sicht wurde von gerichtlichen Eilrechtsentscheidungen nach und nach bestätigt.

    Zwar lässt dies eine (verfassungs-)rechtliche Auseinandersetzung mit Detailthemen nicht entbehrlich erscheinen (instruktiv dazu etwa Guckelberger, in NVwZ-Extra Aufsätze-Online, https://rsw.beck.de/cms/?toc=NVwZ.2002). Denn es führen in Ländern gemachte handwerklich-rechtliche Fehler bei der Abfassung von Beschränkungsregeln bzw. bei deren Umsetzung zum Befund der Rechtswidrigkeit. Das gilt z.B. für Themen wie das der rechtlichen Problematik Allgemeinverfügung vs. Rechtsverordnung, der mangelnden Bestimmtheit von Verbotsnormen und die Landeskindern vorenthaltenen österlichen Urlaubsreisefreuden in Mecklenburg-Vorpommern. Auch die vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages am 15. April 2020 veröffentlichte Entdeckung, dass Teile des BayIfSG (u.a. Zwangsverpflichtungen von medizinischen und pflegerischen Personal) wegen eines Konflikts mit dem IfSG verfassungswidrig seien, gehört in diese Kategorie. Angerufene Gerichte können und müssen das ggf. korrigieren, sofern Fehler nicht von den Verursachern selbst behoben werden.

    Mit Beschluss vom 15. April 2020 (1 BvR 828/20) stellte das BVerfG fest, dass ein Versammlungsverbot der Stadt Gießen im Einzelfall gegen Art. 8 GG verstieß. Der Antragsteller wollte unter dem Motto "Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen“ Versammlungen abhalten. Der Antragsgegner (Stadt Gießen) hat nach Auffassung des BVerfG irrtümlich angenommen, es bestehe ein generelles Verbot von Versammlungen von mehr als zwei Personen bestehe, die nicht dem gleichen Hausstand angehören. Das BVerfG verwies zurück an den Antragsgegner zur erneuten Entscheidung.

    Kritisch auseinander setzen muss man sich sicher mit dem Umstand, dass die Kirchen nicht von den am 15. April 2020 verkündeten Lockerungen profitieren sollten. Warum Märkte mit der 800 qm-Grenze, nicht aber auch Gottesdienste, mit vergleichbaren Sicherheitsvorkehrungen, in Kirchen? Diesseits wird davon ausgegangen, dass ein angerufenes Gericht, sollten die Kirchen oder einzelne Gläubige den Weg gehen, dies korrigieren wird. Unmittelbar nach dem 15. April 2020 wurde bekannt, dass zwischen den Kirchen und dem Staat Verhandlungen aufgenommen worden sind, doch auch im Bereich der Gottesdienste vorzeitige Lockerungen vorzusehen. Sachsen hat bereits zum 20. April 2020 eine Lockerung vorgenommen (s.o. bei 1.).

    Der Richtigkeit der hier getroffenen allgemeinen Feststellung, wonach die Beschränkungsmaßnahmen auch unter Beachtung des Grundrechtsschutzes derzeit (Stand: 20. April 2020) grundsätzlich verhältnismäßig und damit von den Bürgern hinzunehmen sind (in diesem Sinne wohl auch Guckelberger, ebd.), tun alle diese Einzelfälle aber keinen Abbruch.

    Es ergibt sich ebenfalls, dass der im April 2020 u.a. von Juristen zuweilen öffentlich kolportierte Spruch "Die Stunde der Exekutive müsse nun vorbei sein." nicht haltbar ist. Die Exekutive handelt in der Corona-Krise auf Basis von Parlamentsgesetzen (mag das auch nicht in jedem Detail immer rechtlich passen) und sie wird zudem laufend von Gerichten überprüft.

    Manchem besonderen Vorschlag steht aus Sicht des Stichwortautors die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit auf die Stirn geschrieben. Dazu gehört der Anfang April 2020 gemachte Vorschlag, Menschen über 65 Jahre und Risikogruppen aus dem Alltag "herauszunehmen" und sie weiter Kontakte vermeiden zu lassen. Jüngere, die weniger gefährdet sind, könnten nach und nach kontrolliert wieder in den Produktionsprozess integriert werden. Eine derartige vom Staat angeordnete "Schutzkasernierung" von sog. Risikogruppen verstieße jedoch - neben weiteren Grundrechten - gegen Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde). Art. 1  Abs. 1 GG schützt auch einen Wert- und Achtungsanspruch eines jeden Menschen im Sinne einer Gleichberechtigung, er gewährt eine elementare Basisgleichheit. Diese gilt unabhängig von Merkmalen wie z.B. des Lebensalters. Die Vorgaben von Art. 1 GG sind unumstößlich (Art. 79 Abs. 3 GG).

    Es gab den öffentlichen Aufruf einer Heidelberger Rechtsanwältin zum Widerstand (Art. 20 Abs. 4 GG), zu artikulieren über eine geplante Demonstration am Ostersamstag, gegen "eklatant verfassungswidrige" Freiheitsbeschränkungen durch die Corona-Verordnungen ("Coronoia 2020"). Ihr Eilantrag beim BVerfG (1 BvQ 26/20) hatte keinen Erfolg, er wurde als unzulässig abgewiesen. Es wurde im April 2020 gegen sie ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Strafrechtlich ein Fall, für den die Irrtumslehre einschlägig sein dürfte. Womöglich ist es auch ein Fall nach § 20 StGB ("Schuldunfähigkeit"), vgl. https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/rechtsanwaeltin-bahner-heidelberg-corona-skepsis-grdunrechte-psychiatrie-verschwoerung/ (Abruf: 18. April 2020). Ob Erlaubnis(Tatbestands)irrtum oder ob indirekter Verbotsirrtum, oder was auch immer - aus Sicht des Stichwortautors gilt die Empfehlung, das Grundstudium zum Grundgesetz (sog. kleiner öffentlich-rechtlicher Schein) zu repetieren.

    2. Triage

    Darunter versteht man die aufzulösende Notsituation, die entsteht, wenn Krankenhäuser nicht mehr über ausreichende Kapazitäten verfügen, um alle Notfallpatienten zu versorgen. Es muss dann entschieden werden, wem in welcher Reihenfolge geholfen wird – und wer aufgrund dieser Entscheidung möglicherweise stirbt. Zu den u.a. wegen der wirtschaftlichen Folgen der Beschränkungen im März/April 2020 diskutierten Abwägungsthemen Wirtschaft vs. Menschenleben bzw. Lebensschutz./.Freiheitsrechte wird diese Thematik im Zusammenhang mit Corona erörtert. Z.B.: Darf man ältere Menschen eines bestimmten Alters bei der Intensivversorgung ausklammern zu Gunsten jüngerer Corona-Patienten?  "Das Grundgesetz folgt...der Logik, dass jede Antastung, jede Preisgabe der Würde des Menschen verboten ist: Leben darf nicht gegen Leben verrechnet werden." (wörtlich: Schmidt/Bleibtreu-Hofmann, GG.-Komm. 2018, Art. 1 Rn. 19, Hervorhebung auch bei Hofmann). Eine trotzdem von Staats wegen vorgenommene Inanspruchnahme von Nichtstörern kann nur innerhalb einer allgemeinen Aufopferungspflicht möglich sein. In diesem Zusammenhang wird das Aufopfern des Lebens nur für zumutbar erachtet, "wenn es um den Bestand des Gemeinwesens oder die Existenz der freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung geht". (Schmidt/Bleibtreu-Hofmann, ebd.). Da die Entscheidung über einen konkret-individuellen Einzelfall, 65-Jähriger vs. 20-Jähriger, schwerlich über Wohl und Wehe dieser überragenden Rechtsgüter wird befinden können, ist es damit grundrechtswidrig, dem 65-Jährigen allein wegen seines Alters das Nachsehen zu geben.

    3. Entschädigungsrecht

    Ein auf der Basis des bisher bestehenden Rechts gegebener Rechtsanspruch von Unternehmen auf Erhalt staatlicher Entschädigungen, etwa in Form der Einrichtung einer Staatsbeteiligung, wird hier nicht gesehen. Dieses Thema ist im Zusammenhang mit der Lufthansa diskutiert worden. Die Entschädigungsfrage betrifft alle von Coronaverfügungen nachteilig betroffene Wirtschaftsunternehmen in Deutschland. Nachdem die spezialgesetzliche Entschädigungsvorschrift des § 56 IfSG mangels Tatbestandsmäßigkeit nach hier vertretener Ansicht nicht greift (u.a.: es geht hier nicht um "Verdienstausfälle" im Sinne der Norm), kommt allenfalls ein Anspruch aus allgemeinen Instituten in Betracht (vgl. die Abgrenzung zu den verschiedenen Instituten des Staatshaftungsrechts bei Berwanger, NVwZ 2017, 1348, 1349 ff.). Eine allgemeine staatliche Gefährdungshaftung als Risikohaftung, wonach der Staat verschuldensunabhängig für den Eintritt von bestimmten ihm zuzurechnenden Risiken haftet, wird von der h.M. bisher dogmatisch abgelehnt. Ob Corona hier zu einem Umdenken führen wird, wird sich in der Zukunft zeigen. Insofern ist darauf hinzuweisen, dass die vom Staat wegen der Corona-Krise aktuell (im Frühjahr 2020) getroffenen Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft jegliche Haftungsdimension einer staatlichen Gefährdungshaftung solchen Zuschnitts übersteigen. Denn der Staat tritt hier für ein Risiko ein, das seinen Ursprung gänzlich außerhalb seines Einflussbereichs genommen hat. 

    Auch ein Anspruch aus sog. enteignenden Eingriff - allein ein solcher kommt wegen der anzunehmenden Rechtmäßigkeit der Lockdowns in Betracht - ist nicht ersichtlich. Klassischer Fall eines solchen Anspruchs sind Sachverhalte von existenzbedrohenden Schädigungen von Gewerbebetrieben aufgrund ausbleibender Kundschaft in ihren Geschäften, die sich als Folgen von langwierigen (rechtmäßigen) Straßenbauarbeiten ergeben hatten. Der diesen Fällen innewohnende sog. Sonderopfergedanke ist prägend für diesen Anspruch. Daran fehlt es aber bei Coronafällen, denn der Lockdown trifft weitgehend alle Gewerbetreibenden. Alle müssen das Opfer bringen. Daher gibt es bei einzelnen auch keine zu überschreitenden individuellen (Sonder-)Opfergrenzen. Weiter ist zudem das Merkmal der schadensauslösenden Kausalität fraglich. Umsatzausfälle beruhen auch auf anderweitigen, außerhalb Deutschlands getroffenen Maßnahmen (nicht intakte Lieferketten, Einreiseverbote anderer Staaten usw.). Im übrigen ginge ein Anspruch aus enteignenden Eingriff auf Entschädigungszahlung in Geld, nicht auf eine Staatsbeteiligung (Fall Lufthansa).
    Wenn sich der Staat wegen der historisch einmaligen Notsituation aufgrund Corona zur weitreichenden Unterstützung von Wirtschaftsunternehmen entschließt, entspringt dies seinen aktuell getroffenen Entscheidungen. Erst diese wirken, rechtlich-konstitutiv, verpflichtend. Dass der Staat bei der Umsetzung und der Hilfegewährung auch den Gleichheitsgedanken wahren muss, ist ihm rechtlich ebenfalls vorgegeben.

    4. Föderales Verfassungsrecht

    Bezogen auf die systemrechtlichen Gegebenheiten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wird die föderale Ordnung des Grundgesetzes in Teilen, z.B. mit Bezug auf die sog. Subsidiarität, in Frage gestellt. Kritiker monieren u.a. die Langsamkeit und die Ungeeignetheit der im föderalen Modell des GG (Gesetzgebung und Verwaltung betreffend) bewusst angelegten Uneinheitlichkeit. Während zum Teil gravierende Länderunterschiede bei der Unterstützung von in Not geratener Unternehmen moniert werden, wirkt die im Hinblick auf die Gefahrenabwehr zur Lösung eines derartigen Problems festzustellende Uneinheitlichkeit ebenfalls nachteilig. Einfachgesetzlich zeigt sich das u.a. am IfSG. Verhängte Ausgangsbeschränkungen (z.B. in Bayern, das zudem den Katastrophenfall ausgerufen hatte, auch im Saarland), als grundrechtsbeschränkende Maßnahmen, sollten den steigenden Infektionszahlen in diesen Ländern entgegenwirken.
    Am frühen Abend des 22. März 2020 avisierte die Bundeskanzlerin, nach einer Telefonkonferenz mit allen Ministerpräsidenten der Länder, den o.g. Erlass eines mindestens zweiwöchigen einheitlichen Kontaktverbots für Versammlungen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit.
    Noch am Abend des 22. März 2020 gab es - zur Überraschung der Öffentlichkeit - divergierende bzw. relativierende Erklärungen einiger Bundesländer, u.a. von Bayern, das über seinen Landesvater erklären ließ, seine zuvor erlassene weitergehende Ausgangssperre in Bayern habe weiterhin zusätzlich Bestand. Andere Landesväter reklamierten ebenfalls jeweils für sich, mit ihrem Land schon vorab den "richtigen" Weg aufgezeigt zu haben. Das gegensätzliche Eifern unter Landesvätern hat nach dem 15. April 2020 weiter zugenommen.

    Wertungen des Stichwortautors dazu: 

    Das Verlassen des Hauses vs. Kontaktverbot, oder beides, in einigen Ländern irgendwie kombiniert - ganz gleich, wer hier im "Wettbewerb" um das Finden des "richtigen" Ansatzes in der Sache Recht haben mag, das rechtliche Nebeneinander, ja Gegeneinander lässt sich schwerlich durch die Begründung einer vorgeblich besonderen Situation ("Grenzländer", betr. Bayern und Saarland - wegen den angrenzenden Risikogebieten Österreich und Frankreich/Grand Est) halten. Dass im "Kleingedruckten" des Beschlusses vom 22. März 2020 die Möglichkeit weitergehender Regelungen in Ländern oder Landkreisen angemerkt war, tut dieser Kritik keinen Abbruch.

    Die systemisch angelegte Unfähigkeit zum Finden einer einheitlichen Lösung ist aufgrund ihrer Nachteiligkeit (Verwirrung und Verunsicherung der Bürger, Vertrauensverlust in die politische Führung) ein relativ klares Argument zur partiellen Abkehr vom Föderalprinzip, hin zu mehr Unitarismus. Das zeigt sich an dem mit Bezug auf die Tragweite weitgehend belanglosen, aber dennoch einprägsamen Beispiel der in einem Bundesland für Ottonormalverbraucher verfügten Baumarktschließung, was zum "Grenzverkehr" ins Nachbar-Bundesland in die dort ohne jegliche Restriktion geöffneten Baumärkte geführt hat (https://www.fnp.de/frankfurt/corona-krise-aerger-frankfurt-bayern-stehen-baumarkt-schlange-13641747.html, Abruf: 14. April 2020). 

    Von einem "gesunden Wettbewerb" unter den Ländern (Thüringens Innenminister am 1. April 2020) zu sprechen, erscheint im Zusammenhang mit Corona schon rein sprachlich grenzwertig. Die Umschreibung mit "Kakophonie" trifft es aus Sicht des Stichwortautors besser. Statements wie "Der Geist ist insgesamt so einheitlich, dass das für einen föderalen Staat fast schon ein Wunder ist" (Bundeskanzlerin Merkel am 15. April 2020 in einer Pressekonferenz) wirken nicht überzeugend. Zwar gehören Maskenbälle zum historisch angelegten europäischen Kulturgut, sogar auch Sujet einer Oper (Verdi 1859). Sie handelt auch von Intrigen. Die Art von Maskenbällen, wie sie in Deutschland während der Corona-Krise stattfinden, bieten sicher ein schlechtes Schauspiel. 

    Jedenfalls erscheint bei der Abwehr einer derartigen alle betreffenden Gefahrensituation eine in der Sache einheitliche Lösung durch den Zentralstaat wesentlich zielführender. Dass dem Bund im Übrigen verboten wäre, etwaigen lokalen Besonderheiten differenzierend Rechnung tragen zu können, so etwa in Form von Vorbehalten oder Ermächtigungen zugunsten der Landesgesetzgebung, kann dem GG (insbesondere Art. 72 Abs. 2) gerade nicht entnommen werden, im Gegenteil. Der Sachverhalt mag, im Übrigen und ganz Nebenbei, auch dazu anregen darüber nachzudenken, das Patriarchat bei politischen Spitzenämtern weiter auszudünnen. Natürlich wird der Vorschlag zum mehr Unitarismus vermutlich im Theoretischen verharren, denn männliche Entscheider, zumindest solche mit dem charakterlichen Zuschnitt einiger im Frühjahr 2020 handelnder Personen, werden nicht an der Einebnung des eigenen Sandkastens mitwirken.

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