Kapitalismus
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1. Begriff: Historisierende und, v.a. durch die Vertreter des Marxismus, wertende Bezeichnung für die neuzeitlichen kapitalistischen Marktwirtschaften mit dominierendem Privateigentum an den Produktionsmitteln und dezentraler Planung des Wirtschaftsprozesses. Entstanden im deutschsprachigen Raum zu der Zeit, als angenommen wurde, dass die einzelnen Volkswirtschaften je nach Entwicklungsstufe eine nicht wiederholbare Spezifik aufwiesen und die einzelnen Stufen mit einer gewissen oder mit zwingender Gesetzmäßigkeit aufeinander folgten (historischer Materialismus, historische Schule). Der Kapitalismus wird unterschiedlich charakterisiert; er sei bestimmt:
(1) Durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln, verstanden als gesellschaftliches Verhältnis, das den Kapitalisten die unentgeltliche Aneignung der durch die arbeitenden Nichteigentümer hervorgebrachten Wertschöpfung ermögliche (Marxismus);
(2) durch das Vorherrschen der „kapitalistischen” Gesinnung, d.h. Erwerbsprinzip, Rationalität und Individualismus (Sombart), bzw. durch die rationale Arbeitsorganisation zur Gewinnerzielung auf Basis eines formalisierten Rechnungskalküls (Weber);
(3) durch das Vorherrschen von Großbetrieben (Knapp);
(4) durch die Dominanz des freien und dynamischen Unternehmertums (Schumpeter).
2. Auch die Ableitung unterschiedlicher Phasen des Kapitalismus selbst geschieht nicht einheitlich:
(1) Sombart unterscheidet z.B. Früh-, Hoch- und Spät-Kapitalismus;
(2) die marxistische Theorie unterscheidet Früh-, Konkurrenzkapitalismus, Monopolkapitalismus, Imperialismus und Staatsmonopolkapitalismus bzw. Spätkapitalismus.
3. Wirkungen: Der Kapitalismus sei, so die prinzipiell übereinstimmende Auffassung in den einzelnen Theorien, eine Übergangserscheinung und zerstöre sich mit systemimmanenter Zwangsläufigkeit selbst: a) Die marxistische Theorie leitet aus dem Entwicklungsschema des historischen Materialismus den Übergangscharakter des Kapitalismus ab.
b) Für Schumpeter führen die zunehmende Bürokratisierung des Wirtschaftsprozesses und die „Automatisierung” des technischen Fortschritts in immer größer werdenden Unternehmen sowie die zunehmende Zurückdrängung der Vertragsfreiheit durch kollektive Absprachen zu einem Funktionsverlust des unternehmerischen Privateigentums und zu seiner zunehmenden Sozialisierung.
c) Sombart sieht in der anwachsenden Marktvermachtung, in der Ersetzung des Individual- durch das Kollektivprinzip sowie in den zunehmenden Staatseingriffen in den Wirtschaftsprozess Indizien für die zukünftige zwangsläufige Vorherrschaft des Sozialismus.
4. Beurteilung: Die den zahlreichen Abgrenzungs- und Periodisierungsversuchen zugrunde liegenden Klassifikationsmerkmale sind nicht logisch zwingend und beruhen auf der individuellen Wertung des einzelnen Wissenschaftlers. Bei den Versuchen zur Periodisierung der Wirtschaftsgeschichte wird nicht beachtet, dass es Grundsachverhalte und -probleme des Wirtschaftens gibt, die in jeder Wirtschaftsordnung existieren bzw. gelöst werden müssen. Die marxistischen Kapitalismus-Definitionen und -Analysen sind durch die Falsifizierung der geschichtsphilosophischen und wirtschaftstheoretischen Grundannahmen ebenfalls widerlegt. Da schließlich wissenschaftslogisch keine zwingenden Aussagen über die zukünftige geschichtliche Entwicklung abgeleitet werden können, ist die im Kapitalismus-Begriff implizierte Annahme des Übergangscharakters nicht zu beweisen. Eine wissenschaftliche Betrachtung ist leichter möglich, wenn die wertenden Begriffe Kapitalismus und Sozialismus ersetzt werden durch wertfreie Bezeichnung wie Marktwirtschaft und zentralgeleitete Wirtschaft. An die Stelle der Ableitung vermeintlich zwangsläufiger Entwicklungsstufen kann dann eine ordnungstheoretische Analyse der Gestaltbarkeit des Wirtschaftsprozesses treten. Um die Frage, welche dieser beiden Wirtschaftsformen besser in der Lage ist das Wohl der Bevölkerung sicherzustellen, geht es auch in der sog. Kapitalismus-Sozialismus-Debatte.
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