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Armut
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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon
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Inhaltsverzeichnis
Pauperismus, Deprivation.
Sozialökonomik
1. Begriff: Erscheint eine Notlage nicht mehr zeitlich begrenzt, sondern für die Lebenslage insgesamt bestimmend, wird die Lebenssituation als Armut bezeichnet, wobei herkömmlicherweise zwischen absoluter und relativer Armut unterschieden wird.
Absolute Armut bezieht sich auf das Fehlen eines physischen Existenzminimums. Die Grenze absoluter Armut wird für Entwicklungsländer anhand des Mangels lebensnotwendiger Mengen an Nährstoffen konkretisiert (und bleibt auch dabei noch „relativ”, d.h. an bestimmte Umweltbedingungen gebunden).
Für Schwellenländer und entwickelte Länder, v.a. für Sozialstaaten und Wohlfahrtsstaaten, kann Armut nur als relative Armut verstanden werden. Sie beginnt beim Fehlen eines soziokulturellen Existenzminimums, das letztlich nur durch den politischen Willensbildungsprozess oder aufgrund der zugrunde gelegten Normen und Zielvorstellungen in Bezug auf die Lebenslagen bestimmt werden kann.
2. Geschichte: Massenarmut und Hunger kennzeichneten das Schicksal breiter Bevölkerungsschichten bis zur industriellen Revolution und noch bis zum Beginn dieses Jahrhunderts., da das (schwankende) Verhältnis von Bevölkerungsentwicklung und Nahrungsmittelproduktion den Lebensstandard großer Teile der Bevölkerung bestimmte. Die Wirkungen ausbleibender Ernten und der dadurch ausgelösten Teuerungskrisen - in Europa zuletzt 1803/1804 und 1916/1917 - konnten im Zuge des Industrialisierungsprozesses nur allmählich gemildert werden. Zwar wurden durch die Industrialisierung zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen und zugleich die Produktivität in der Landwirtschaft verbessert, doch bewirkte sie zunächst auch ein rapides Bevölkerungswachstum, so dass Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten weiterhin nur zur Deckung des jeweiligen Existenzminimums ausreichten.
3. Armut im Sozialstaat: Bei der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion über Armut im Sozialstaat wird Armut überwiegend als Einkommensarmut erfasst, aber auch auf die Teilhabe an und die Integration in nicht monetär vermittelte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens bezogen (Ausgrenzung).
Bestimmung von Armut: Einkommensarmut wird in deutschen und europäischen Armutsstudien bei einem Einkommen von 50 Prozent des Durchschnittseinkommens angenommen; 40 Prozent des Durchschnittseinkommens werden als die Grenze für starke Armut, 60 Prozent des Durchschnittseinkommens als die Grenze für schwache Einkommensarmut verwendet. Daneben werden andere (statistisch verfügbare) Einkommensschwellen, wie die Besteuerungsgrenze bei der Einkommensteuer oder die Sozialhilfesätze als Indikatoren für Armut oder Armutsgefährdung herangezogen.
4. Armutsforschung: Der gegenwärtige Stand der Armutsforschung macht die zentrale Bedeutung von Entscheidungen über die Begriffe und Maßstäbe zur Bestimmung von Armut für Ausmaß und Umfang der Armutsprobleme in einer Gesellschaft deutlich.
Armutskonzepte:
(1) So findet sich in der Literatur als Armutsgrenze (Poverty Line) neben der verbreiteten Einkommensgrenze von 50 Prozent des in einer Gesellschaft erzielten Durchschnittseinkommens auch der Wert von 15 Prozent als Armutsgrenze. Andererseits könnten in der Vielfalt denkbarer Armutskonzepte die zuvor genannten 40-, 50-, oder 60-Prozent-Grenzen auch auf das Durchschnittseinkommen nur der jeweils nächsthöheren Schicht - also z.B. der ungelernten Arbeiter, die ihre Existenz aber durch eigene Arbeit sichern - bezogen werden.
(2) Die in der gegenwärtigen Armutsforschung praktizierte starke Relativierung des Armutsbegriffes nähert die Vorstellung von Armut so weit an die allgemeinere Vorstellung von gesellschaftlicher Schwäche der Lebenslage an, dass alle (personenbezogenen) „sozialen Probleme” als Gegenstand der Sozialpolitik (Theorie der Sozialpolitik) weitgehend als Armutsprobleme erscheinen.
(3) In der popularisierenden These von der Zwei-Drittel-Gesellschaft wird letztlich die Leistungsfähigkeit des Gesellschaftssystems, Massenarmut zu verhindern, in Frage gestellt. Mit diesem Ansatz werden zwar die sonst am Rande behandelten Aspekte der Fürsorge und Sozialhilfe stärker in die allgemeine Behandlung der Sozialpolitik integriert. Eine Sozialpolitik als vorwiegend auf Armutsprobleme und Ausgegrenzte bezogene Politik würde aber den (mühsam erworbenen) Stellenwert der Sozialpolitik als grundsätzlich für alle Bürger relevante, gesellschaftsgestaltende und die grundlegenden Ordnungsregeln ergänzende Politik stark beeinträchtigen.
Wirtschaftsethik
Armut war in der Geschichte immer auch ein Thema der Ethik. Von der freiwilligen Armut abgesehen, hat immer das Gebot gegolten, den Armen zu helfen. Mit der Umstellung der modernen Wirtschaft auf die Systemsteuerung seit dem 18. Jh. wird Armut zunehmend als Systemergebnis aufgefasst (Marx, Soziale Frage, Armut in der Dritten Welt). Dies hat zur Folge, dass die normativ geforderte Bekämpfung der Armut von personalen Vorstellungen (barmherziger Samariter, hl. Martin) auf Armutsbekämpfung durch (Wirtschafts-)Politik umgestellt werden muss. Wirtschaftsethik sieht die Bekämpfung der Armut nur im Rahmen einer geeigneten (Welt-)Ordnungs- und Sozialpolitik als Erfolg versprechend an.
Die ethische Begründung einer Bekämpfung von Armut zielt auf die Wirkung von Armut auf die Betroffenen ab. Sie sieht in der Armut eine Beeinträchtigung der Menschenwürde und Selbstentfaltungsmöglichkeiten und fordert normativ die Bekämpfung von Armut, wobei man oft in personale Kategorien und interventionistische Vorstellungen zurückfällt. Die ökonomisch begründete Bekämpfung der Armut geht von der Wirkung der Armut auf das Gesamtsystem, also auf Arme und Nicht-Arme, aus. Sie sieht das Bedrohungspotenzial der Armen (Kriminalität, Migration, Bevölkerungsexplosion, Umweltverschmutzung) und die unausgeschöpften Möglichkeiten (Potential Gains), die nicht realisiert werden können, wenn die Armen arm bleiben; sie plausibilisiert aus solchen Überlegungen die Vorzugswürdigkeit einer Ordnung, die zu einer Milderung oder Beseitigung von Armut führt.
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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon