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Revision von Fluides Personalmanagement und Digitale Transformation vom 11.02.2019 - 19:36

Fluides Personalmanagement und Digitale Transformation

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Inhaltsverzeichnis

    1. Fluides Denken und Handeln
    2. Digitale Transformation managen
    3. Fluides Personalmanagement

    Fluides Denken und Handeln

    Die Intelligenzforschung unterscheidet zurückgehend auf das Intelligenzmodell von Cattell (1971) zwei miteinander verbundene Komponenten der Intelligenz: Die fluide und die kristalline Intelligenz. Vereinfacht formuliert, spiegelt letztere die Lernprozesse einer Person im Laufe ihres Lebens wider. Sie beinhaltet ihre Allgemeinbildung, das erworbene Wissen, ihre Erfahrungen, Erinnerungen, ihre Vorlieben und Fähigkeiten. Die kristalline Intelligenz aktualisiert sich besonders im Lernen aus Erfahrung und im Entwickeln bewährter Routinehandlungen. Die fluide Intelligenz wiederum zeigt sich darin, wie schnell Personen eine für sie unbekannte, oder sich plötzlich gegebene Situation erfassen und sich an diese anpassen können. Logisches Denken, Problemlösefähigkeiten, das Entwickeln neuer Ideen, aber auch Intuition und Mustererkennen werden ihr zugeschrieben. Fluide Intelligenz befördert bei Menschen insbesondere die Fähigkeit, sich an neue Herausforderungen heranzuwagen und zu adaptieren, ohne dass sie auf zurückliegende Lernerfahrungen zurückgreifen können. Die Performanz von Menschen und auch die von sozialen Systemen basiert auf der Kombination der beiden Intelligenzbereiche. Erforderlich für deren Leistungsvermögen sind daher zum einen das Konfrontieren mit Unbekanntem, sowie dessen neugieriges Erforschen und Verstehen. Zum anderen müssen Menschen bereit sein, aus der Begegnung mit dem Neuen zu lernen. Sie sollten Erfahrungswerte entwickeln und weiterentwickeln. Auch sollten sie bereit sein, sich mit Erfahrungswissen von anderen Menschen auseinanderzusetzen. Sie sollten sich hierzu positionieren und dieses ggf. in ihren persönlichen und abrufbaren Wissensbestand integrieren. Ebenso ist es erforderlich, dass die Menschen bereit sind zu erkennen, welche ihrer Erfahrungswerte obsolet geworden sind.

    Digitale Transformation managen

    Mit der Digitalen Transformation gehen eine Vielzahl von technikgestützten Innovations- und Veränderungsprozessen einher. Marktgegebenheiten werden ausgehebelt. Strukturbrüche, Turbulenzen oder (disruptive) Veränderungen, wie etwa in der Medien- und Touristikbranche, dem Handel oder der Logistikbranche treten in immer kürzeren Abständen auf. Erfahrungswerte, bspw. abgeleitet aus Lebenszyklusmodellen, verlieren an Bedeutung, da historische Parallelen fehlen. Die exponentielle Dynamik des digitalen Wandels und die Rahmenbedingungen, die über das Akronym V.U.C.A. adressiert werden, reduzieren die Vorlaufzeit für die Entwicklung unternehmensstrategischer Reaktionen zusehends. Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit werden zu zentralen Werttreibern für das Management von Unternehmen. Es zeichnen sich drei Interventionsstoßrichtungen ab, um die skizzierten Diskontinuitäten managen und damit das unternehmerische Risiko begrenzen zu können:
    (1) Regelmäßiges Hinterfragen der strategischen Positionierung des Unternehmens (Heitger/Doujak 2014);
    (2) Generelle und weitläufige Flexibilisierung des Ressourceneinsatzes und eingeschränktes Vorhalten unternehmenseigener Ressourcenbestände (Welge et. al. 2017);
    (3) Explorativer Einsatz von agilen Innovationsansätzen und Innovationsteams (Henrici 2017).
    Vier prinzipielle Gestaltungsarenen lassen sich somit unterscheiden, um auf die Anforderungen der Digitalen Transformation zu reagieren (siehe Abbildung 1).

    Abbildung 1: Gestaltungsarenen der Digitalen Transformation (Bartscher/Nissen 2019)

    Orientiert an Abbildung 1 ist also zu erwarten, dass das Top-Management eines Unternehmens regelmäßig evidenzbasiert überprüft, welche seiner Produkte bzw. Dienstleistungen sich in welcher Gestaltungsarena befinden. Arena (A) erfordert einen schnellen, aber geordneten Rückzug, Arena (B) eine permanente Marktbeobachtung, sowie Kostenoptimierung und das Mitnehmen von Erträgen, solange diese noch zu erwirtschaften sind. In Arena (C) geht es darum, die aktuelle Technologieführerschaft zu pflegen, auszubauen und skalierfähig zu gestalten, um dann in einen attraktiven Zukunftsmarkt (D) eintreten zu können. In Arena (D) gilt das Prinzip der schöpferischen Zerstörung (Schumpeter); hier wird danach gestrebt, über beständiges Erfinden, Ergänzen, Verwerfen, Neukonzipieren von skalierbaren technologischen Lösungen marktbezogene Standards zu setzen, um so eine überdurchschnittliche Produzentenrente zu erwirtschaften – wenn meist auch nur zeitlich begrenzt.

    Fluides Personalmanagement

    Für das Personalmanagement eines Unternehmens bedeuteten diese Entwicklungen zum einen, dass alle Aktivitäten, Konzepte und Tools mit personalem Bezug regelmäßig zu hinterfragen sind. Zum anderen ist allen vier skizzierten Gestaltungsarenen inhärent, den personalen Ressourceneinsatz zu flexibilisieren und, wo erforderlich (Arena A & B), zeitnah zu reduzieren. Personale Flexibilität kann unternehmensintern gestaltet werden, indem Mitarbeitende immer wieder andere Aufgabengebiete übernehmen, sowie die hierfür benötigten erweiterten oder neuen Kompetenzfelder erlernen. Alternativ können personale Kapazitäten in Tochtergesellschaften verlagert oder an marktbegleitende Unternehmen übertragen werden. Bei Bedarf werden dann von diesen Firmen Produkte oder Dienstleistungen zugekauft.
    Um die mit der Flexibilisierung einhergehenden personalen Planungs- und Entscheidungsprozesse (u.a. staff simulation, restructuring, compensation & benefits) professionell gestalten zu können, ist ein leistungsfähiges, digital gestütztes People-/Workforce-Analytics Voraussetzung. Kern der Planungsprozesse ist dabei das Kompetenz-Matching. Seitens der Unternehmen (Beschäftigungsgeber) sind zunächst die für die jeweilige Aufgabenerledigung benötigten aktuellen und zukünftigen Kompetenzen bzw. Kompetenzfelder, sowie deren Halbwertszeit und Migration, möglichst detailliert zu umschreiben. Mit Blick auf die Mitarbeiter (Beschäftigungsnehmer) ist dann festzustellen, welche dieser Kompetenzen bzw. Kompetenzfelder erstere aktuell bereits qualitativ und quantitativ abdecken, oder durch entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen zeitnah bzw. zukünftig abdecken können. Qualitative und quantitative Lücken in den Kompetenzfeldern können zudem über externe Beschäftigungsnehmer abgedeckt werden. Dies kann mittels Recruiting, über Zeitarbeit, oder über Werk-/Dienstleistungsverträge erfolgen. Die Flexibilisierung des Ressourceneinsatzes bedeutet in Bezug auf die Arbeitssysteme, dass bislang gefestigte Arbeitsstrukturen aufgehoben werden. Hierbei ist zwischen interner und externer Flexibilisierung zu unterscheiden. „Bei der internen wird eine schwankende Nachfrage nach Arbeitskraft mit Betriebszugehörigkeit aber flexiblem Arbeitseinsatz geregelt. Externe Flexibilisierung meint flexiblen Arbeitseinsatz zwischen Unternehmen. Die schwankende Arbeitsnachfrage wird u.a. durch Entlassungen und Einstellungen geregelt“ (Wendler 2019). Der externen Flexibilisierung sind zudem das Outsourcing, Offshoring und auch die befristeten Arbeitsverhältnisse von Vertragskräften, etwa über regionales und globales Crowdsourcing, zuzuordnen.
    Zu erwarten ist, dass mit den Gestaltungsarenen der Digitalen Transformation auch die Schwerpunkte in den Gestaltungsfeldern des Personalmanagements variieren. In der Rückzugs-Arena (A) werden Personalanpassungsmaßnahmen, sowie Betriebsübergänge dominieren. In der Arena (B) mit ihren Effizienz-Innovationen für gesättigte Märkte ist die Personalarbeit vorwiegend geprägt durch Personalkostenmanagement, digitalisieren von Personalprozessen, verlagern von Personalkapazitäten und Zukauf von externen Dienstleistungen. Arena (C) ist geprägt durch inkrementelle Innovationen für Relaunch und Marktübergang. Als Schwerpunkte für das Personalmanagement sind daher erforderlich: Aus-/Aufbau- und Selektion von Kompetenzen, Big Data und Flexicurity (eine in den Niederlanden entwickelte Kompromissformel zur Flexibilisierungstendenz, die vier zentrale Konzepte miteinander verbindet: das Konzept der Übergangsarbeitsmärkte, eine beschäftigungssichernde Tarif- und Betriebspolitik, das lebensbegleitende Lernen und einer Reform der Alterssicherung in Richtung Grundsicherung oder hin zu einem System flexibler Anwartschaften; vgl. z.B. http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=102&langId=de; abgerufen am 12.01.2019). Unternehmen fordern und fördern ein lebensbegleitendes Lernen seitens ihrer Mitarbeiter. Die disruptiven Innovationen für Zukunftsmärkte in Arena (D) erfordern eine Unternehmenskultur, die u.a. geprägt ist durch eine starke Kundenorientierung, durch Eigeninitiative und Agilität, durch digitale Technologien und digitalisierte Prozesse und damit einhergehend durch eine hohe Informationstransparenz, Vernetzung und Kollaboration. Ebenso kennzeichnend sind autonome Arbeitsbedingungen, Digital Leadership, lebensbegleitendes Lernen sowie hohe Innovationsbereitschaft (Maitland/Thomson 2014, Schaefer et al. 2017). In dieser Arena sind für das Personalmanagement erfolgversprechend: Differenzielle Personalpolitik, Ausbau- und Selektion von Kompetenzen (Digital Literacy), Big Data, Selektive Mitarbeiterbindung, progressiver Auftritt als attraktiver Arbeitgeber, Arbeitsrecht in einer digitalisierten Arbeitswelt.
    Über alle vier Arenen wird deutlich, dass in digitalen Transformationsprozessen die Halbwertszeit von Kompetenzen reduziert und damit das Erfahrungswissen generell entwertet wird. Für die Beschäftigungsnehmer bedeutet dies, dass sie kontinuierlich neues Erfahrungswissen aufbauen und innovative Kompetenzen entwickeln müssen. Unternehmen sind hingegen gefordert, Arbeitsformate und Lernstrukturen zu entwickeln, die insbesondere fluide aber auch kristalline Intelligenzformen fördern. Alternativ bzw. ergänzend sind leistungsfähige Rekrutierungsprozesse von Nöten, die u.a. bei Menschen ein Screening von fluider Intelligenz und „… von teils zertifizierten, teils informell erworbenen Qualifikationen innerhalb von zunehmend individualisierten Kompetenzportfolios …“ (Stifterverband 2018) ermöglichen. Zu berücksichtigen ist hierbei u.a., inwieweit die jeweilige Person befähigt ist, künstliche Intelligenzformen (KI) in ihre Arbeit einzubinden.
    Das Konzept des Fluiden Personalmanagements verdeutlicht, dass innerhalb der einzelnen Gestaltungsarenen der Digitalen Transformation unterschiedliche Anforderungen an die Ausgestaltung der Personalarbeit gestellt werden. So können Unternehmen über einzelne ihrer Produkte und Dienstleistungen zeitgleich in allen vier Arenen tätig sein. Angesichts der diskontinuierlichen und disruptiven Änderungen in den marktprägenden Rahmenbedingungen muss die Personalarbeit daher flexibel, anpassungsfähig, dynamisch, reaktionsschnell, innovativ und beweglich gestaltet sein. Daneben wird ersichtlich, dass das Fluide Personalmanagement durch zwei generelle Stoßrichtungen geprägt ist: Zum einen durch das Erkennen, Einwerben und das Weiterentwickeln von menschlichen Kompetenzträgern mit ausgeprägter fluider Intelligenz. Zum anderen ist aber auch zu berücksichtigen, dass durch die digitalen Technologien, insbesondere durch die Künstliche Intelligenz (KI), sowie durch die digitalisierten Prozesse die Beschäftigungsverhältnisse für Arbeitnehmer zunehmend flexibel gestaltet sein werden. Diese können dabei einerseits durch Anpassung und Marktübergang, sowie andererseits durch digitale Arbeitswelten geprägt sein.

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