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Revision von Corona-Krise vom 08.05.2020 - 09:17

Corona-Krise

Definition: Was ist "Corona-Krise"?

 

 

 

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Inhaltsverzeichnis

    1. Überblick
    2. Soziologische/Philosophische/Politische/Wirtschaftliche Betrachtung
    3. Rechtliche Betrachtung

    Überblick

    Um die Jahreswende 2019/2020 in der chinesischen Stadt Wuhan ausgelöste, sich nach und nach weltweit entwickelnde Krisensituation aufgrund einer durch ein Virus verursachten weltweiten Pandemie (siehe auch: SARS-CoV-2, COVID-19). Zum Stand 8. Mai 2020 (1.20 Uhr) sind weltweit 269.602 Tote zu beklagen. Das weitere Ansteigen dieser Zahl ist angesichts von nur sehr mühsam in den Griff zu bekommenden, mutmaßlich weiter steigender Infiziertenzahlen zu befürchten. Dennoch sind in einigen Ländern bei den Zahlen auch erste Abflachungen von auf Graphiken dargestellten Kurven und es sind teilweise deutliche Rückgänge bei den Patientenzahlen registriert worden (Erkenntnisstand: 8. Mai 2020). Am 8. Mai 2020 (1.20 Uhr) gibt es rund 3.844 Mio. Fälle bestätigter Infizierter weltweit. Nach wie vor sind sehr hohe Dunkelziffern zu gewärtigen.

    In allen Ländern der Erde sind davon jeweils sämtliche gesellschaftlichen Subsysteme (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Familie, Religion) betroffen. Es handelt sich somit um eine globale Katastrophe, die eine Krise von historischem Ausmaß auslöst. Obwohl die Todeszahlen von Corona bei weitem nicht an die Sterblichkeitsraten früherer historischer Pandemien (etwa der Pest im Mittelalter oder der Spanischen Grippe 1918-1920) heranreichen werden, wird durch das Virus doch die Fragilität auch modernster Hochleistungsgesellschaften des 21. Jahrhunderts evident und aufgedeckt. Vielerorts wird sogar der Vergleich mit einem Krieg bemüht (zur rechtsmethodischen Implikation vgl. die Hinweise bei Subsumtion) - wenngleich es die moderne Gesellschaft schon seit Jahr und Tag hinnimmt, dass durch wirkliche Kriege Opferzahlen in weit höheren Dimensionen produziert werden.

    Wegen der von Staats wegen verfügten "Lockdowns" waren zunächst weltweite Kursabstürze der Börsen (mit mutmaßlich verursachter weltweiter Rezession) und massenhafte Einstellung der wirtschaftlichen Tätigkeit, rund um den Globus, die Folgen. Weltweit von Staaten ausgesprochene Total-Einreiseverbote bzw. Beschränkungen innerhalb von Staaten (z.B. Green-Card Stopp in den USA auf 60 Tage, vom US-Präs. am 20. April 2020 verkündet) und der sehr weitgehend zum Erliegen gekommene Reiseverkehr sind weitere Konsequenzen. Das deutsche Auswärtige Amt hat am 29. April 2020 die bestehende weltweite Reisewarnung bis Mitte Juni 2020 verlängert. Die weltweit getroffene Maßnahme der Kontaktreduktion nimmt - notgedrungen - billigend in Kauf, dass dadurch eine globale Wirtschaftskrise ausgelöst wird. Aufgrund der Vernetzung wegen der Globalisierung gibt es umfassende negative Dominoeffekte. Sinn und Unsinn der Globalisierung ihrerseits wird wegen Corona in Frage gestellt, das gilt auch für den schon vor Corona negativ konnotierten Neoliberalismus. Das beinhaltet u.a. kritische Rückfragen zu dem dem Kapitalismus innewohnenden Zwang, immerzu ein Wirtschaftswachstum generieren zu wollen bzw. zu müssen (vgl. dazu bei Wachstum - mit Weiterverlinkungen zu etlichen weiteren einschlägigen volkswirtschaftlichen Begriffen).

    An der Herstellung eines Impfstoffs wird weltweit mit Hochdruck gearbeitet, er ist frühestens mittelfristig in Sicht (Erkenntnisstand: Mai 2020). Die meisten Staaten der Welt setzen auf das Mittel der Kontaktreduktion zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus - mit unterschiedlichen Umsetzungsmodalitäten (betreffend Beginn der Einführung und der Art und Weise der Maßnahmen) im Einzelfall.
    In Deutschland gab es von staatlicher Seite zunächst den Erlass eines mindestens zweiwöchigen einheitlichen Kontaktverbots für Versammlungen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit (mit definierten engen Ausnahmen), Inkrafttreten: 23. März 2020. Der diesbezügliche Beschluss war am 22. März 2020 bei einer Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder gefasst worden. Am 1. April 2020 wurde verkündet, dass die Maßnahmen mindestens noch bis zum 20. April 2020 aufrechterhalten bleiben sollten. Daneben gab es etliche Sonderregelungen in den Bundesländern, zum Teil existieren Ausgangsbeschränkungen.
    Am 15. April 2020 annoncierte die Bundeskanzlerin nach Konsultationen mit den Ministerpräsidenten, dass mit dem 20. April 2020 das Inkrafttreten einiger Lockerungen, etwa für Geschäfte unter 800 qm., vorgesehen sei (die 800 qm.-Grenze wurde von verschiedenen Gerichten in Entscheidungen am 27. April 2020 kritisch gesehen, siehe unten 3.1). Schulen sollen ab dem 4. Mai 2020 schrittweise wieder öffnen. Ansonsten galt bis auf weiteres das Gebot des Mindestabstands von 1,5 m (bis mindestens 3. Mai 2020). Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten hatten am 15. April 2020 mitgeteilt, dass man am 30. April 2020 erneut eine Überprüfung vornehmen wolle. Am 23. April 2020 wurde erklärt, dass über Lockerungen erst am 6. Mai 2020 entschieden werden solle. Nach dem Treffen am 30. April 2020 informierten die politischen Entscheider über die Öffnungen von Zoos, Spielplätzen und Museen (mit Auflagen). Auch religiöse Veranstaltungen, unter Einhaltung von Vorsichtsmaßnahmen, sollen wieder erlaubt sein. Über Schulen, Kitas und Sport solle am 6. Mai 2020 entschieden werden. Die schon vorher bestehenden Kontaktbeschränkungen wurden bis 10. Mai 2020 verlängert. Unter den Bundesländern gab es schon Anfang Mai 2020 zu Lockerungen ein regelrechtes Wettrennen. Bei dem Treffen der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten am 6. Mai 2020 erklärte die Bundeskanzlerin dann, dass der Bund es weitgehend den Ländern überlassen werde, wie sie Lockerungsmaßnahmen umsetzen. Es geht um kontrollierte Öffnungen (Abstandsregelungen etc.) bei Schulen, Kitas, im Bereich des Sports und in der Gastronomie, die in der Verantwortung der Länder liegen. Wenn Lockerungen innerhalb einer Woche in einem Landkreis zu einem Anstieg von mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner führen, müssen Lockerungen wieder zurückgefahren werden ("Notbremse"). Weiter wurde am 6. Mai 2020 zwischen Bund und Ländern vereinbart, dass die bestehenden Kontaktbeschränkungen bis 5. Juni 2020 verlängert werden.  

    Jedenfalls das Tragen von sog. Alltagsmasken war zunächst dringend empfohlen worden, auf eine generelle Maskenpflicht hatte man sich am 15. April 2020 nicht einigen können. Mecklenburg-Vorpommern hatte am 17. April 2020 verkündet, dass das Land im öffentlichen Nahverkehr eine generelle Maskentragepflicht ab 27. April 2020 einführen werde. In Sachsen gilt das ebenfalls, zusätzlich für den Einzelhandel, schon seit 20. April 2020. Die Einführung einer Maskentragepflicht hatten dann auch Bayern und Thüringen am 20. April 2020 angekündigt. Danach hatten alle Bundesländer nach und nach die Maskentragepflicht eingeführt. Auch einzelne Städte im Bundesgebiet hatten zuvor schon eine Maskenpflicht verfügt. Schon seit 20. April 2020 waren in Sachsen Gottesdienste mit bis zu 15 Teilnehmern erlaubt, Anfang Mai 2020 wollten andere Bundesländer nach und nach nachziehen - was am 30. April 2020 bestätigt wurde. Am 29. April 2020 gab es zudem eine einschlägige Entscheidung des BVerfG (s.u. bei 3.1).

    Es wird demnach in Deutschland und in etlichen Ländern auf der Welt angesichts mutmaßlicher eintretender Verbesserungen über Lockerungen nachgedacht bzw. es werden diese bereits umgesetzt (Stand: 7. Mai 2020). So etwa verkündete US-Präs. Trump am 16. April 2020 für die USA einen Drei-Phasen Lockerungsplan für die USA ("Opening UP America Again"), noch ohne einen genauen Zeitplan.

    Im Frühjahr 2020, zu Anfang der aufziehenden Pandemie, hatten sich weltweit einige Staaten zunächst dazu entschlossen, Kontaktreduktion bewusst lockerer bzw. gar nicht zu praktizieren. Manche Staaten haben das Problem unterschätzt bzw. negiert. Als Beispiel kann die USA angeführt werden. Neben Großbritannien, dessen Premierminister die Situation anfänglich ebenfalls nicht als Problem eingeschätzt hatte, kann in Europa auch Schweden genannt werden. Im Gegensatz zu den beiden anderen genannten Ländern hatten die politischen Entscheider in Schweden die Gefahr immerhin schon früh gesehen. Man wählte jedoch allem Anschein nach das falsche Mittel. Schweden erkannte zwar im März/April, dass die Negativ-Zahlen zunahmen und entschloss sich, seinen zunächst eingeschlagenen sehr liberalen Weg wenigstens teilweise zu revidieren und ebenfalls auf einen etwas strikteren Krisenkurs umzuschwenken (u.a. mehr Corona-Tests und mehr Vorgaben der Kontaktreduktion). Allerdings waren in Schweden die Umstände doch auch weiterhin relativ locker gehandhabt worden. Die Negativ-Zahlen sind im April 2020 stark, insbesondere im Vergleich zu den Nachbarländern Dänemark und Norwegen, angestiegen. Ende April 2020 erfuhr daher eine innerhalb Schwedens unter Virologen schon seit Jahresbeginn 2020 geführte kontroverse Diskussion eine Verschärfung; eine These war, dass der Sonderweg Schweden (bewusst lockere Handhabung, auch mit dem Ziel der Herbeiführung einer sog. Herdenimmunität) gescheitert sei.

    Auch wenn es am 8. Mai 2020 allem Anschein nach so ist, dass sich die Lockerungsbefürworter durchgesetzt haben - aus Sicht des Stichwortautors war es nicht zu beanstanden, dass sich die amtierende Bundesregierung und die Länder am 15./30. April 2020 zunächst weiter für das Leben entschieden und immer drängender werdenden Gegenvorschlägen (z.B.: politisch-rechtliche Einstufung der Infektion als allgemeines Lebensrisiko zur Begründung der raschen Aufhebung/Lockerung) weiter grundsätzlich widerstanden hatten. Nicht zu beneiden ist der deutsche Staat (seit dem 6. Mai 2020 sind es im wesentlichen die Länder) um die im Mai 2020 permanent anstehende Abwägungsaufgabe (Menschenleben/Rechtsstaat/Wirtschaft/Soziales Zusammenleben), denn auch für Deutschland gilt aus Sicht des Stichwortautors: "Restarting America Means People will Die. So when we do it?" (vgl. Diskussion bei NYT Magazine, 10. April 2020, abgerufen am 13. April 2020, https://www.nytimes.com/2020/04/10/magazine/coronavirus-economy-debate.html). Darüber ist (nicht nur) in Deutschland im April/Mai 2020 ein regelrechter Meinungskrieg, sogar eine Art von Glaubenskrieg (incl. der scheinbar unvermeidlichen gegenseitigen Ignoranz-Vorhaltungen) ausgebrochen. Dabei kann wegen der einmaligen Neuheit dieser Situation niemand genau wissen, was richtig oder falsch ist. Wirtschaftsverbände fordern einen Exit-Plan (https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-05/corona-wirtschaftskrise-bvmw-beschraenkungen-ausstieg; Abruf: 2. Mai 2020). Dagegen steht die - provokant formulierte - Überlegung vom "Menschenopfer für den Kapitalismus."(https://www.zeit.de/kultur/2020-04/corona-pandemie-kapitalismus-oekonomie-menschenleben; Abruf: 2. Mai 2020). Das Schlüsselwort heißt Güterabwägung. Die richtige Abwägung tut not auf allen Diskussionsebnen, wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch und rechtlich. Es ist sicher nicht von vornherein ein Fehler, notgedrungen auf Risiko (=Lockerung) zu gehen. Anhand des bis dahin gezeigten Verhaltens einiger öffentlicher Diskutanten, auch auf politischer Ebene, scheint Anfang Mai 2020 eines aber wohl absehbar: Sollte die von einigen Virologen wegen der Öffnungen vorhergesagte 2. Pandemiewelle kommen, wird es keiner gewesen sein wollen. Immerhin wird die deutsche Staatsführung begleitet von einer Heerschar von Ratgebern. Viele Experten, auch selbst ernannte, kritische Bürger und andere agieren bzw. reagieren. "Ratschläge" sind zuweilen nicht als konstruktive Hinweise anzusehen, denn sie erschöpfen sich in bloßem Protest und Ablehnung ("Ich bin dagegen!").   

    Trotz der negativen Wirkung auf die Wirtschaft und auf das soziale Zusammenleben ist, jedenfalls nach Sicht des Stichwortautors (im Mai 2020), Kontaktreduktion als Eindämmungsmaßnahme grundsätzlich immer noch das richtige Mittel der Wahl. Ohne diese Maßnahme werden sich die negativen Folgen (Todeszahlen; Wirtschaftskrise) wegen einer dann unkontrollierten Verbreitung bzw. einer vermehrten Wiederkehr des Virus ("zweite Welle") sehr wahrscheinlich umso nachhaltiger und drastischer einstellen. Die Befürchtung, dass (weitergehende) Lockerungen neue Infektionswellen provozieren könnten, muss jedenfalls in die Abwägung mit einbezogen werden (siehe schon die Ausführungen soeben). Trotz eigenem Vorbehalt gegenüber voreiligen und ungesicherten Schlüssen: Die Richtigkeit der Überlegung, die für Lockerungen eine wesentlich weitergehende Zurückhaltung präferiert (als am 6. Mai 2020 beschlossen), ist aus Sicht des Stichwortautors ablesbar an der gravierenden Situation solcher Orte bzw. Länder, die die Kontaktreduktion anfänglich der Pandemie zu spät eingeführt hatten. Konkretes Beispiel war die überaus dramatische Situation von New York City im März/April 2020. Trotzdem ist im Frühjahr 2020, auch noch im Mai, in Deutschland umstritten, ob Kontaktbeschränkungen wirklich das richtige Mittel der Wahl sind. Virologen und einige Politiker warnten im Mai 2020 eindringlich vor zu weitgehend-schnell durchgeführten Lockerungen und vor den damit verbundenen Risiken, konnten sich aber gegenüber einer zunehmend unwilligen deutschen Öffentlichkeit nicht so recht Gehör verschaffen. Am 23. April 2020 hatte es darüber auch im Deutschen Bundestag eine kontroverse Diskussion zwischen der Bundesregierung und der Opposition gegeben. Die Politik gab am 6. Mai 2020 dem Druck nach. Trotzdem: Der Deutsche Richterbund informierte Anfang Mai 2020, dass über 1.000 Eilanträge bei deutschen Gerichten gegen die verschiedensten Coronabeschränkungen (Maskenpflicht, Reisebeschränkungen, Versammlungsverbote, Geschäftsöffnungen etc.) anhängig waren (https://www.deutschlandfunk.de/covid-19-medienbericht-bereits-1-000-eilantraege-bei.2932.de.html?drn:news_id=1128493, Abruf: 8. Mai 2020). 

    Bei der mit Bezug auf Corona - in jedem Stadium der Pandemie - generell unklaren Ausgangslage ist ebenso misslich, wie fast schon folgerichtig: Wie schon am Anfang der Pandemie bezüglich des Verhängens von Restriktionen, so Anfang Mai 2020 auch mit Bezug auf die Lockerungen - Bund und Länder bzw. die Länder untereinander sind uneinig (https://www.zeit.de/news/2020-05/05/bundeslaender-im-lockerungs-wettstreit, Abruf: 5. Mai 2020). Aus Sicht des Stichwortautors hat sich der Föderalismus als politisches Modell mit Bezug auf die Lösung eines derartigen Problems selbst diskreditiert und als untauglich erwiesen (siehe dazu auch unter bei 3.4). Alle Themen sind zudem auch auf rechtlicher Ebene in der streitigen Diskussion. Der schon von Anfang an erhobene Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit aufgrund überzogener und zu wenig limitierter Beschränkungen verstärkte sich. Ende April 2020 haben Gerichte zunehmend die Unverhältnismäßigkeit von besonderes strikten Länderregelungen festgestellt, so etwa im Saarland (vgl. dazu unten unter 3.1.).

    Soziologische/Philosophische/Politische/Wirtschaftliche Betrachtung

    1. Allgemein

    In weiterer soziologischer Betrachtung sind wegen Corona etliche makrosoziologischen Zusammenhänge im Blick. Ausgelöst durch öffentlich geäußerte Extremansichten einiger Protagonisten (siehe 3.1.), wurden auch moralphilosophische und staatsphilosophische Diskurse, etwa allgemein zum Wert des Lebens, speziell von älteren Menschen, geführt. Utilitarismus-Betrachtungen, im Zusammenhang mit Triage, wurden während der Corona-Krise angestellt (zum Begriff Triage und zu rechtlichen Implikationen siehe bei 3.2.).

    Nachfolgende Aufzählung in loser Schüttung: Krise als Ursache von Kontrollverlusten auf allen Ebenen; das Verhalten der weltweiten Staatengemeinschaft insgesamt oder von Staaten untereinander in einer Notsituation (im April 2020 international gegen China erhobene schwere Vorwürfe der Täuschung bzw. betreffend Verursachung der Krise); Diskussion über die Thematik Unilateralismus vs. Multilateralismus bzw. über die gebotene Anwendung praktikabler "Mischformen" von beiden; harsche Kritik und Zweifel an der Tauglichkeit der EU im allgemeinen und im besonderen; dto. gegenüber der WHO (US-Präs. Trump im April 2020 - er hat die US-Zahlungen an die WHO am 14. April 2020 gestoppt); Ungleichheitsdiskussionen moderne Industrieländer vs. Entwicklungsländer; Fähigkeit der (effizienteren) Krisenbewältigung durch die unterschiedlichen Herrschaftsmodelle: Autokratie/Diktatur vs. Demokratie; (Neu-) Reflexionen zum Staatsverständnis und zur Verortung der Funktionen: Staat als Indikator für eine solidarische Zivilgesellschaft ?; Interaktion Verbände/Organisationen etc. innerhalb eines Staates; Renaissance der Wissenschaft ("Wahrheit"): Auch mancher populistisch agierende politische Führer gerät in die Bredouille, den Rat der eigentlich nicht wertgeschätzten Experten suchen zu müssen; unterschiedliche Auswirkungen der Krise auf die Angehörigen unterschiedlicher gesellschaftlicher Klassen, etwa mit Bezug auf die individuelle Wohnsituation oder im Bereich der Arbeit: Home-Office-Möglichkeit vs. Notwendigkeit des "Front-Kampfs" im Supermarkt oder im Krankenhaus durch von der Öffentlichkeit flugs als solche ernannte "Helden des Alltags" - "We're All on the Cruise Ship Now - Some of us get the privilege of cabin fever. Others bring room service." (Grabar, https://slate.com/business/2020/03/coronavirus-cruise-we-are-on-it.html, Abruf: 4. Mai 2020); eine ikonische Verdichtung der Rolle der Deutschen Hausfrau und Deutschen Mutter (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/familien-im-corona-stress-macht-die-kitas-auf-a-00000000-0002-0001-0000-000170604429; Abruf: 30. April 2020) weckt Erinnerungen an eine frühere Zeit.

    Nicht zuletzt wegen der Auswirkungen auf den zwischenmenschlichen Bereich, ausgelöst durch Kontaktsperren, Ausgangsbeschränkungen und Quarantänesituationen, sind auch viele mikrosoziologischen und psychologischen bzw. medizinisch-klinischen Sachverhalte durch Corona virulent geworden, Stichworte (auch hier in loser Schüttung): Angebot der Einkaufshilfe für einen unter häuslicher Quarantäne Stehenden; Denunziantentum: Blockwart-Gehabe mancher selbsternannter Ordnungskräfte; sog. Coronaparties; Selbstverzicht und Geduld als zuweilen unerreichbare Tugendanforderungen; der Mensch als Gewohnheitstier - Tennisspieler wollen nicht zu Hause bleiben, nein, sie wollen Tennis spielen und sich das partout nicht nehmen lassen (https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/saarlaendische_tennisvereine_klagen_gegen_coronaverordnung_100.html); hedonistisch-uneinsichtige Disziplinlosigkeit mancher Zeitgenossen, die schon nach relativ kurzer Zeit staatlicherseits auferlegter Gebots- und Verbotsnormen an ihre Grenzen stoßen: "Alle reden über die Grenze der Belastbarkeit, obwohl es den meisten gut geht." (Thomas Fischer, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/corona-niedriger-haengen-kolumne-a-896d0114-d6a2-4730-b059-a4e2f446ba2c, Abruf: 14. April 2020); psychische Beschädigungen, u.a. vermehrtes Aufscheinen des Phänomens der "disaster fatigue" etc.

    2. Nationale staatliche Hilfsmaßnahmen/EU

    Der Bund und die Länder reagierten mit Nachtragshaushalten. Massive staatliche Hilfsmaßnahmen ("Bazooka", so Finanzminister Scholz) sollten Unternehmen (günstige Kredite, zu erhalten über KfW) und ihren Mitarbeitern (Kurzarbeitergeld - mit Erhöhungsankündigung durch die Koalitionsspitzen, am 22. April 2020)  in der Notlage helfen. Dazu gibt es Verhandlungen zur staatlichen Unterstützung, evtl. in Form einer Staatsbeteiligung, von systemrelevanten Unternehmen, Beispiel Lufthansa (zu rechtlichen Implikationen vgl. bei 3.3.). Die Bundesregierung initiierte beim Bund einen Nachtragshaushalt zur Ausgabe von zusätzlichen rd. 150 Mill. Euro (122,8 Mill. Euro, zzgl. veranschlagter Steuermindereinnahmen von 33,5 Mill. Euro). Weiter sollte ein Wirtschaftsstabilisierungsfond (WSF) Kredite bis zu 100 Mill. Euro abdecken, weitere 100 Mill. Euro als Kreditermächtigung sollten die Darlehensgewährung für Unternehmen (auszureichen über KfW) über den WSF absichern. Die Überschreitung der Obergrenze (vulgo: Schuldenbremse) wurde gemäß Art. 115 Absatz 2 Satz 6 GG extra beschlossen. Meldungen zufolge plant Bundesfinanzminister Scholz weiter das Auflegen eines 50-Milliarden-Konjunkturprogramms. Die EU stellte am 2. April 2020 gegenüber allen Mitgliedstaaten ein 100-Milliarden-Euro Darlehen zur Unterstützung der Kurzarbeits-Programme in den Mitgliedstaaten in Aussicht. Im übrigen gibt es eine Reihe von weiteren Vorschlägen, wie der Wirtschaft wieder auf die Beine geholfen werden kann. Beispielhaft sei der Vorschlag eines Marshall-Plans für Europa (von der Leyen) genannt. Am 9. April 2020 legte die EU einen Corona-Virus-Rettungsfonds (eine halbe Billion Euro) zum Schutz südlicher EU-Länder und angeschlagener Unternehmen (Darlehensabsicherung) auf, das Auflegen sog. Corona-Bonds war u.a. von Deutschland und den Niederlanden abgelehnt worden (Stand: Ende April 2020).

    Rechtliche Betrachtung

    Gerade in Krisensituationen ist das Recht als ordnungsschaffende und -erhaltende Instanz gefragt (wenngleich die Herrschaft des Rechts gerade in Extremsituationen einer Erosionsgefahr unterliegen kann, vgl. dazu allgemein die Ausführungen bei Anspruchsgrundlage). Sämtliche Rechtskategorien (internationales Recht, Völkerrecht, supranationales Recht, nationales Recht, etc.) sind durch die Coronakrise betroffen (zum deutschen Schuldrecht etwa vgl. bei höhere Gewalt; siehe auch die allgemein-rechtliche Anlassgesetzgebung im PandemiefolgenabmilderungsG).

    1. Grundrechte/Polizeirecht

    Insbesondere mit Bezug auf die Anwendung des Öffentlichen Rechts wollten es kritische deutsche Juristen im Frühjahr 2020 schon nach den ersten Beschränkungen für ihre Mandanten wissen. Grenzlinien zu juristischer Besserwisserei und Querulantentum verliefen zum Teil fließend. Indes: Die Mitte/Ende April 2020 anhand der Infektionszahlen zu verzeichnenden Erfolge der bis dahin staatlich verordneten Kontaktreduktion und anderer Ursachen (incl. der bis dahin gezeigten Disziplin und weitgehenden Kooperationsbereitschaft der Bürger) führen zunehmend zu kritischen Gerichtsentscheidungen, die die weitere Aufrechterhaltung von Beschränkungen in Frage stellen. Der Rechtsstaat und die gebotene Wahrung von Grundrechten angesichts der vielfältigen Beschränkungen sind permanent diskutierte Dauerthemen. Die Notwendigkeit der Einschränkungen in dieser weiten Form auf Basis von § 28 Abs. 1 S. 1 2. HS Infektionsschutzgesetz (IfSG) wurde schon zu Anfang der Pandemie bezweifelt, denn es könne nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Mensch ein potenzieller Infektionsträger sei. Mit Beschl. vom 24.3.2020, 26 S 20.1252 hatte das VG München die Wirkung der bayrischen Ausgangsbeschränkungen zugunsten zweier Einzelpersonen (den Antragstellern des Verfahrens) "aus formalen Gründen" vorläufig außer Kraft gesetzt (ähnlich VG München durch Beschlüsse vom 20. März 2020 hinsichtlich der verfügten Ladenschließung für den Einzelhandel). Das Gericht hatte die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Ausgangssperren allerdings nicht in Frage gestellt, lediglich ob der Freistaat Bayern die ausgesprochenen Ausgangsbeschränkungen per sog. Allgemeinverfügung (vgl. Art. 35 S. 2 BayVwVfG) veranlassen durfte, wurde seitens des VG in Abrede gestellt. VG München meinte, dass der Staat stattdessen durch eine Rechtsverordnung hätte handeln müssen. Der Freistaat ist dem gefolgt und hat die Beschränkungen formal in einer Rechtsverordnung (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 24. März 2020) gefasst und am 27. März 2020 ein einschlägiges Gesetz erlassen (BayIfSG).

    (Rechtliche) Wertungen des Stichwortautors:

    Im Rechtsstaat ist es wichtig und es ist prägend für ihn, dass staatliches Handeln gerichtlich überprüft werden kann. Das soll sich gerade auch auf Formalvorschriften beziehen können, denn auch Formalvorschriften sind solche, an die die Exekutive nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Dass im Hinblick auf Formalvorschriften dennoch Abstriche denkbar sind, ergibt sich schon aus den §§ 44, 46 VwVfG. § 46 VwVfG lautet: Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Das BVerwG hat in einem Urteil vom 31.01.2019 (1 WB 28.17) grundsätzlich festgestellt, der Staat könne sich für einen Übergangszeitraum auf eine rechtswidrige (oder unzureichende) Rechtsgrundlage stützen, wenn ansonsten ein Zustand entstünde, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als die bisherige Lage.

    Ungeachtet dessen müssen sich staatliche Maßnahmen, auch in Form von durch Verwaltungshandeln gesetzten Recht, inhaltlich an höherrangigem Recht messen lassen. Das vor allem, wenn es sich - wie hier - wegen der Freiheitsbeschränkungen in bisher nicht gekannten Ausmaß um gravierende Grundrechtsverletzungen (GG: Art. 2 Abs. 2, Freiheit der Person; Art. 3, Gleichheitsgrundsatz; Art. 4 Abs. 2, freie Religionsausübung; Art. 8 Abs. 1, Versammlungsfreiheit; Art. 11 Abs. 1, Freizügigkeit; Art. 12 Abs. 1, Berufsfreiheit; Art. 14 Abs. 1, Schutz des Eigentums) handeln könnte. Indes: Sämtliche der genannten Grundrechte sind durch den Staat einschränkbar. Das gilt wegen der sog. immanenten Schranken z.B. auch für Art. 8 Abs. 1 GG (BVerwG, NVwZ 1999, 991, 992). Als Ermächtigungsgrundlage dienen z.B. in Bayern die einschlägigen Vorschriften des IfSG, konkretisiert durch die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung – BayIfSMV (vom 24. März 2020) bzw. das BayIfSG (vom 27. März 2020). Dass diese Regelwerke (auch solche in anderen Bundesländern) ihrerseits wegen materieller Grundrechtsverstöße verfassungswidrig sein könnten, wird - unbeschadet des anderweitigen Ergebnisses einer ggf. noch durchzuführenden Detailprüfung - von Seiten des Autors im Grundsatz bezweifelt. Es gibt im Frühjahr 2020 eine ganze Reihe von einschlägigen Gerichtsentscheidungen. Sie können hier nicht alle aufgeführt werden. Die Verordnung wurde durch Beschluss des VGH München, vom 30.03.2020 (Az.: 20 NE 20.632), in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestätigt. Zudem hatte das BVerfG am 7.4.2020 einen Eilantrag gegen die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung abgewiesen (Az.: 1 BvR 755/20). Die Verordnung beschränke die Grundrechte zwar erheblich, so das BVerfG. Die Gefahren für Leib und Leben waren nach Auffassung des BVerfG - bezogen auf diesen Zeitpunkt - aber schwerer zu gewichten als die Einschränkungen der persönlichen Freiheit. Der Antragsteller hatte es für zu weitgehend gehalten, dass er seine Freunde nicht treffen, die Eltern nicht besuchen, nicht demonstrieren und keine neuen Menschen kennenlernen darf. Ebenso sinngemäß, mit Bezug auf das Grundrecht der Religionsausübung, das BVerfG mit Bestätigung von Gottesdienstverboten, vgl. Beschl. v. 10. April 2020 (Az.: 1 BvQ 28/20).

    Weil noch kein Impfstoff zur Hand ist, entspricht es nach wie vor, auch noch im Mai 2020, den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft, dass der Ausbreitung des Virus durch die Verhängung von Kontaktverboten entgegen getreten werden muss. Dass dies jedenfalls zu Anfang der Pandemie verfassungsrechtlich eine staatliche Legitimation für Beschränkungen bot, dürfte unstreitig sein. Der Staat musste auf dieser Basis, zumal in einer akuten Notsituation, auch vor dem Hintergrund rechtlicher Kategorien, berechtigt sein, entschlossen handeln dürfen zu können. In einer absoluten und akut systembedrohenden Notsituation sind jedem Handelnden im Übrigen auch Fehler erlaubt, das gilt auch zugunsten des Staates. Das Notstandsrecht des StGB mit seinen einschlägigen Tatbeständen, rechtfertigender bzw. entschuldigender Notstand (§§ 34, 35 StGB), regelt diesen allgemeinen Gedanken sehr anschaulich - "Not kennt kein Gebot". Freiheitsgrundrechte und Zweifel an der Rechtmäßigkeit müssen - jedoch deren ständig möglich bleibende gerichtliche Überprüfbarkeit unterstellt - temporär hintanstehen. Das alles galt in der Form jedenfalls für die Situation des Anfangsstadiums der Pandemie.

    Dass dadurch - sprichwörtlich - das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde, war - auf Basis des nationalen "Infektionsstatus" im April 2020 und des wissenschaftlichen Kenntnisstands März/April 2020 - wegen der ansonsten ungebremsten Virusverbreitung nicht anzunehmen. Ständiges Überprüfen und Nachjustieren der Maßnahmen mit stets aufs neue vorzunehmender Abwägung waren bzw. sind aber geboten. Die gesetzliche Nachbesserung beim IfSG, u.a. mit auf Corona zugeschnittenen Änderungen bei § 28 Abs. 1 IfSG (umgesetzt mit G. vom 27. März 2020, BGBl. I, 587), wurde vom Bund schon davor erledigt. Der stetige Blick auf die Lockerungsbeschlüsse der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten (vom 15./30. April bzw. 6. Mai 2020), und deren Details der Umsetzung, gehört daher auf den Prüfstand von Gerichten. Mit den eingetretenen Erfolgen bei der Pandemiebekämpfung steigert sich der Abwägungs- und Rechtfertigungsdruck auf den Staat enorm: "In der Krise sind nicht die Maßnahmen der Lockerung rechtfertigungsbedürftig, sondern die Aufrechterhaltung von Beschränkungen der Grundrechte (Papier, https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87805428/corona-krise-verfassungsrechtler-papier-sieht-freiheitsrechte-in-gefahr.html, Abruf: 2. Mai 2020). "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Sinn und Zweck eines Verfassungsstaates in erster Linie der Schutz der Freiheit ist." Der Gesundheitsschutz rechtfertige nicht jedweden Freiheitseingriff (Papier, ebd.). Aus Sicht des Stichwortautors ist dem zu entgegnen: Abstrakt alles korrekt, jedoch: Wie führen diese Überlegungen Anfang Mai 2020 praktisch weiter...?

    Alles in allem ist kritischen Geistern aus Sicht des Stichwortautors, auch noch im Mai 2020, zuzurufen: Das Konzept des deutschen Rechtsstaats mit seinen elementaren Grundrechtseinrichtungen und -garantien (dazu gehört die grundrechtliche Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) überzeugt. Andere Länder können da nicht mithalten, dafür muss nicht einmal nach Ländern wie Ungarn oder Polen geschaut werden. Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) z.B. sind elementare Grundrechte. Diese sind als sog. Freiheitsgrundrechte Teil der demokratischen Ausübung grundrechtlicher Freiheit mit Bezug auf Kontrolle, Kritik und Einflussnahme auf das politische Gemeinwesen. Sie grundsätzlich ausüben zu können, gehört zum Programm des GG dazu. Meinungsfreiheit wird im übrigen unabhängig von Themen oder davon gewährt, welche Qualität oder welcher Wert einer Meinung zukommt. Damit sollen, auch aus Sicht des Stichwortautors, den seit Mitte April 2020 vermehrt und Anfang Mai 2020 sogar noch verstärkt erhobenen Gegenvorstellungen (Demonstrationen und gerichtliche Eilanträge) die Berechtigung dazu nicht abgesprochen werden, im Gegenteil. Mancher Demonstrant mag sich aber auch an das Prinzip des Vertrauens, Vertrauen in eine verantwortungs- und rechtsbewusste Staatsführung, erinnern lassen. Anstelle Demonstrationsteilnahme - ein Ventil kann eine ehrenamtliche Hilfe, etwa die Besorgung von Einkäufen für ältere Mitbürger sein. Man kann sich als kritischer Bürger auch einmal fügen und das persönliche Durchhaltevermögen trainieren und austesten. Das gilt auch für Tennisspieler, die anstelle der Einübung ihres Aufschlags vielleicht besser mal ihre kognitiven Fertigkeiten trainieren und zu Hause bleiben sollten (s.o. bei 2.1). Auch: Ein Recht auf gerichtliche Kontrolle innezuhaben, bedeutet nicht unbedingt, es immer auszuüben zu müssen.

    Es ist jedenfalls unergiebig, wenn, zum Teil mit Verweis auf düstere frühere Zeiten, beschwörende Wachsamkeitsappelle in die Welt gesetzt werden. Der Staat hat, verfassungsrechtlich gesehen, mit Bezug auf Grundrechtseinschränkungen zunächst grundsätzlich nichts falsch gemacht. Diese schon seit Vorauflagen dieses Stichworts vertretene Sicht wurde von gerichtlichen Eilrechtsentscheidungen nach und nach bestätigt. Allerdings - und das ist auch die Auffassung des Stichwortautors - müssen sich angesichts zu verzeichnender Erfolge bei der Virusbekämpfung besonders stringente Maßnahmen doch einer verfassungsrechtlichen Prüfung stellen. Insofern kippte der Saarländische Verfassungsgerichtshof am 28. April 2020 (Beschluss - Lv 7/20) die im Saarland von Anfang an verhängte sehr weitgehende Ausgangsbeschränkung.

    Eine (verfassungs-)rechtliche Auseinandersetzung mit Detailthemen ist auch ansonsten, außerhalb der Befassung von Gerichten, nicht entbehrlich (instruktiv dazu etwa Guckelberger, in NVwZ-Extra Aufsätze-Online, https://rsw.beck.de/cms/?toc=NVwZ.2002). Denn es führten und führen in Ländern gemachte handwerklich-rechtliche Fehler bei der Abfassung von Beschränkungsregeln bzw. bei deren Umsetzung von Anfang an zum Befund der Rechtswidrigkeit. Das gilt z.B. für Themen wie das der rechtlichen Problematik Allgemeinverfügung vs. Rechtsverordnung, der mangelnden Bestimmtheit von Verbotsnormen und die Landeskindern vorenthaltenen österlichen Urlaubsreisefreuden in Mecklenburg-Vorpommern. Auch die vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages am 15. April 2020 veröffentlichte Entdeckung, dass Teile des BayIfSG (u.a. Zwangsverpflichtungen von medizinischen und pflegerischen Personal) wegen eines Konflikts mit dem IfSG verfassungswidrig seien, gehört in diese Kategorie. Angerufene Gerichte können und müssen das ggf. korrigieren, sofern Fehler nicht von den Verursachern selbst behoben werden.

    Mit Beschluss vom 15. April 2020 (1 BvR 828/20) stellte das BVerfG fest, dass ein Versammlungsverbot der Stadt Gießen im Einzelfall gegen Art. 8 GG verstieß. Der Antragsteller wollte unter dem Motto "Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen“ Versammlungen abhalten. Der Antragsgegner (Stadt Gießen) hatte nach Auffassung des BVerfG irrtümlich angenommen, es bestehe ein generelles Verbot von Versammlungen von mehr als zwei Personen, die nicht dem gleichen Hausstand angehören. Das BVerfG verwies zurück an den Antragsgegner zur erneuten Entscheidung.

    Kritisch auseinander setzen musste man sich sicher mit dem Umstand, dass die Kirchen nicht von den am 15. April 2020 verkündeten Lockerungen profitieren sollten. Warum Märkte mit der 800 qm-Grenze, nicht aber auch Gottesdienste, mit vergleichbaren Sicherheitsvorkehrungen, in Kirchen? Wie schon in Vorauflagen dieses Stichworts rechtlich im Grundsatz gesehen - das BVerfG hatte am 29. April 2020 (1 BvQ 44/20) (anhand des vorgelegten Einzelfalls) festgestellt, dass Freitagsgebete im muslimischen Fastenmonat Ramadan auch in der Corona-Krise nicht generell verboten werden dürfen. Es erteilte der vorangegangenen Entscheidung des OVG Niedersachsen eine Absage. Das hatte gemeint, Gottesdienste seien eher wie Konzerte oder Sportveranstaltungen zu bewerten. Unmittelbar nach dem 15. April 2020 waren bereits zwischen den Kirchen und dem Staat Verhandlungen aufgenommen worden, doch auch im Bereich der Gottesdienste vorzeitige Lockerungen vorzusehen. Dies wird aufgrund der am 30. April 2020 bzw. am 6. Mai 2020 verkündeten Entscheidungen gelockert werden. Sachsen hatte bereits zum 20. April 2020 eine Lockerung vorgenommen (s.o. bei 1.).

    Der BayVGH (Beschl. v. 27. April 2020, Az.: 20 NE 20.793) hat die bayerische Verkaufsflächenregelung der 800 qm-Grenze wegen Benachteiligung großer Geschäfte wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz als verfassungswidrig erachtet. Eine im Einzelhandel tätige Warenhauskette hatte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die bayerischen Corona-Regelungen gestellt. Das Gericht setzte die bayerische Vorschrift wegen der Pandemie-Notlage "ausnahmsweise" dennoch nicht außer Kraft. Am 27. April gab es zur 800 qm-Grenze ebenfalls Entscheidungen der OVG'e im Saarland und in Niedersachsen.

    Zusammenfassend: Auch wenn das deutsche Recht weitgehend auf der Maxime der Einzelfallbetrachtung beruht, sei hier trotzdem die allgemeine Feststellung erlaubt, dass die Beschränkungsmaßnahmen auch unter Beachtung des Grundrechtsschutzes derzeit (Stand: 8. Mai 2020) grundsätzlich (immer noch) verhältnismäßig und damit von den Bürgern grundsätzlich hinzunehmen sind (in diesem Sinne, zur Situation im März 2020, wohl auch Guckelberger, ebd.). Alle vorgenannten Einzelfälle tun dem keinen Abbruch. Immerhin - die "Einzelfälle" kritischer gerichtlicher Entscheidungen häuften sich ab Ende April 2020, was auch der Stichwortautor konzediert.

    Es ergibt sich daraus, dass der im April/Mai 2020 u.a. von Juristen öffentlich kolportierte Spruch "Die Stunde der Exekutive muss nun vorbei sein." so nicht haltbar bzw. mindestens missverständlich ist. Die Exekutive handelte in der Corona-Krise stets auf Basis von rechtlichen Ermächtigungsgrundlagen, zum Teil in Form von Parlamentsgesetzen bzw. von Rechtsverordnungen (mögen auch das Verhandlungshandeln bzw. die Rechtsgrundlagen rechtlich nicht immer in jedem Detail passen bzw. gepasst haben) und sie wird zudem laufend und vermehrt von Gerichten überprüft. Soweit hier richtig bekannt, hat sich die Exekutive von kritischen Gerichtsentscheidungen leiten lassen.

    Manchem besonderen Vorschlag stand aus Sicht des Stichwortautors die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit auf die Stirn geschrieben. Dazu gehört der Anfang April 2020 gemachte Vorschlag, Menschen über 65 Jahre und Risikogruppen aus dem Alltag "herauszunehmen" und sie weiter Kontakte vermeiden zu lassen. Jüngere, die weniger gefährdet sind, könnten nach und nach kontrolliert wieder in den Produktionsprozess integriert werden. Eine derartige vom Staat angeordnete "Schutzkasernierung" von sog. Risikogruppen verstieße jedoch - neben weiteren Grundrechten - gegen Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde). Art. 1  Abs. 1 GG schützt auch einen Wert- und Achtungsanspruch eines jeden Menschen im Sinne einer Gleichberechtigung, er gewährt eine elementare Basisgleichheit. Diese gilt unabhängig von Merkmalen wie z.B. des Lebensalters. Die Vorgaben von Art. 1 GG sind unumstößlich (Art. 79 Abs. 3 GG).

    Auch wenn er sich nachträglich entschuldigt hat und wenn man ihm zu Gute halten will, dass nachfolgende Aussage aus einem Kontext (betreffend die Lebensgefährdung von vielen kleinen Kindern) herausgerissen wurde, - besonders arg und eigentlich außerhalb jeglicher verfassungsrechtlichen wie moralischen Dimension sind die Äußerungen von OB Palmer aus Tübingen: „Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Es müsse daher unterschiedliche Sicherheitsvorkehrungen für Junge und Ältere geben.(https://www.welt.de/politik/deutschland/article207575263/Boris-Palmer-Retten-Menschen-die-in-halbem-Jahr-sowieso-tot-waeren.html; Abruf: 29. April 2020). Diese Verlautbarungen erinnern an die Logik von Nazi-Euthanasieprogrammen, Stichwort: "lebensunwertes Leben". Es mag sich daraus sogar ein Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat (§ 185 StGB, als sog. Kollektivbeleidigung) ergeben.  

    Es gab den öffentlichen Aufruf einer Heidelberger Rechtsanwältin zum Widerstand (Art. 20 Abs. 4 GG), zu artikulieren über eine geplante Demonstration am Ostersamstag, gegen "eklatant verfassungswidrige" Freiheitsbeschränkungen durch die Corona-Verordnungen ("Coronoia 2020"). Ihr Eilantrag beim BVerfG (1 BvQ 26/20) hatte keinen Erfolg, er wurde als unzulässig abgewiesen. Es wurde im April 2020 gegen sie ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Strafrechtlich ein Fall, für den die Irrtumslehre einschlägig sein dürfte. Womöglich ist es auch ein Fall nach § 20 StGB ("Schuldunfähigkeit"), vgl. https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/rechtsanwaeltin-bahner-heidelberg-corona-skepsis-grdunrechte-psychiatrie-verschwoerung/ (Abruf: 18. April 2020). Ob Erlaubnis(Tatbestands)irrtum oder ob indirekter Verbotsirrtum, oder was auch immer - aus Sicht des Stichwortautors gilt die Empfehlung, das Grundstudium zum Grundgesetz (sog. kleiner öffentlich-rechtlicher Schein) zu repetieren.

    2. Triage

    Darunter versteht man die aufzulösende Notsituation, die entsteht, wenn Krankenhäuser nicht mehr über ausreichende Kapazitäten verfügen, um alle Notfallpatienten zu versorgen. Es muss dann entschieden werden, wem in welcher Reihenfolge geholfen wird – und wer aufgrund dieser Entscheidung möglicherweise stirbt. Zu den u.a. wegen der wirtschaftlichen Folgen der Beschränkungen im März/April 2020 diskutierten Abwägungsthemen Wirtschaft vs. Menschenleben bzw. Lebensschutz./.Freiheitsrechte wird diese Thematik im Zusammenhang mit Corona erörtert. Z.B.: Darf man ältere Menschen eines bestimmten Alters bei der Intensivversorgung ausklammern zu Gunsten jüngerer Corona-Patienten?  "Das Grundgesetz folgt...der Logik, dass jede Antastung, jede Preisgabe der Würde des Menschen verboten ist: Leben darf nicht gegen Leben verrechnet werden." (wörtlich: Schmidt/Bleibtreu-Hofmann, GG.-Komm. 2018, Art. 1 Rn. 19, Hervorhebung auch bei Hofmann). Eine trotzdem von Staats wegen vorgenommene Inanspruchnahme von Nichtstörern kann nur innerhalb einer allgemeinen Aufopferungspflicht möglich sein. In diesem Zusammenhang wird das Aufopfern des Lebens nur für zumutbar erachtet, "wenn es um den Bestand des Gemeinwesens oder die Existenz der freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung geht". (Schmidt/Bleibtreu-Hofmann, ebd.). Da die Entscheidung über einen konkret-individuellen Einzelfall, 65-Jähriger vs. 20-Jähriger, schwerlich über Wohl und Wehe dieser überragenden Rechtsgüter wird befinden können, ist es damit grundrechtswidrig, dem 65-Jährigen allein wegen seines Alters das Nachsehen zu geben. Weil die Intensivbettenversorgung in Deutschland ausreichend war, ist hier kein Fall der Triage bekannt geworden (Stand: bis Mai 2020).

    3. Entschädigungsrecht

    Ein auf der Basis des bisher bestehenden Rechts gegebener Rechtsanspruch von Unternehmen auf Erhalt staatlicher Entschädigungen, etwa in Form der Einrichtung einer Staatsbeteiligung, wird hier nicht gesehen. Dieses Thema ist im Zusammenhang mit der Lufthansa diskutiert worden. Die Entschädigungsfrage betrifft alle von Coronaverfügungen nachteilig betroffene Wirtschaftsunternehmen in Deutschland. Nachdem die spezialgesetzliche Entschädigungsvorschrift des § 56 IfSG mangels Tatbestandsmäßigkeit nach hier vertretener Ansicht nicht greift (u.a.: es geht hier nicht um "Verdienstausfälle" im Sinne der Norm), kommt allenfalls ein Anspruch aus allgemeinen Instituten in Betracht (vgl. die Abgrenzung zu den verschiedenen Instituten des Staatshaftungsrechts bei Berwanger, NVwZ 2017, 1348, 1349 ff.). Eine allgemeine staatliche Gefährdungshaftung als Risikohaftung, wonach der Staat verschuldensunabhängig für den Eintritt von bestimmten ihm zuzurechnenden Risiken haftet, wird von der h.M. bisher dogmatisch abgelehnt. Ob Corona hier zu einem Umdenken führen wird, wird sich in der Zukunft zeigen. Insofern ist darauf hinzuweisen, dass die vom Staat wegen der Corona-Krise aktuell (im Frühjahr 2020) getroffenen Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft jegliche Haftungsdimension einer staatlichen Gefährdungshaftung solchen Zuschnitts übersteigen. Denn der Staat tritt hier, u.a. durch das Auflegen von Konjunkturprogrammen und Rettungsfonds für ein Risiko ein, das seinen Ursprung gänzlich außerhalb seines Einflussbereichs genommen hat. Das spiegelt sich auch an der Haltung und dem Auftritt der Bittsteller aus der Wirtschaft: "Wir haben die letzten Jahre bestens und erfolgreich gewirtschaftet, das hier trifft uns total unverschuldet, also, Du musst uns helfen" (sinngemäß Vorstandsvorsitzender Spohr von der Lufthansa). Wenn der Staat hilft, dann hat das nichts mit der Erfüllung von Rechtsansprüchen, gar mit einer Haftung im Sinne des Staatshaftungsrechts, zu tun. Auch aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) kann man keinen Hilfeanspruch herleiten (BVerfGE 110, 412, 445).

    Ein Anspruch aus sog. enteignenden Eingriff - allein ein solcher könnte mit Bezug auf die anfänglich der Pandemie verfügten Restriktionen in Betracht kommen - ist nicht ersichtlich. Klassischer Fall eines solchen Anspruchs sind Sachverhalte von existenzbedrohenden Schädigungen von Gewerbebetrieben aufgrund ausbleibender Kundschaft in ihren Geschäften, die sich als Folgen von langwierigen (rechtmäßigen) Straßenbauarbeiten ergeben hatten. Der diesen Fällen innewohnende sog. Sonderopfergedanke ist prägend für diesen Anspruch. Daran fehlt es aber bei Coronafällen, denn der Lockdown trifft weitgehend alle Gewerbetreibenden. Alle müssen das Opfer bringen. Daher gibt es bei einzelnen auch keine zu überschreitenden individuellen (Sonder-)Opfergrenzen. Weiter ist zudem das Merkmal der schadensauslösenden Kausalität fraglich. Umsatzausfälle beruhen auch auf anderweitigen, außerhalb Deutschlands getroffenen Maßnahmen (nicht intakte Lieferketten, Einreiseverbote anderer Staaten usw.). Im übrigen ginge ein Anspruch aus enteignenden Eingriff auf Entschädigungszahlung in Geld, nicht auf eine Staatsbeteiligung (Fall Lufthansa).

    Zumindest theoretisch ist - einzelfallabhängig - ein Anspruch aus sog. enteignungsgleichem Eingriff denkbar. Dieser Begriff bezeichnet Entschädigungsansprüche wegen rechtswidrigem Eingriffshandeln des Staates, das zu Schäden bei Bürgern (incl. Gewerbebetrieben) geführt hat. Das kann sich auf eine - gerichtlicherseits festgestellte - rechtswidrige Verhängung von Restriktionen bzw. auf die rechtswidrig zu spät verfügte Lockerung beziehen. Beispiel: Die von der Gastronomie seit Mitte/Ende April 2020 zunehmend als zu lange kritisierte Aufrechterhaltung der Restriktionen. Wie gesagt, theoretisch: Ein Kläger (z.B. ein Restaurantbesitzer) hätte zumindest Kausalitätsprobleme bei der Darlegung eines Anspruchs zu bewältigen. Überdies ist zu berücksichtigen, dass der Staat durch vielfältige Unterstützung, u.a. mit Rettungsfonds, zur Stelle ist.

    Abschließend zum Thema Entschädigung: Wenn sich der Staat wegen der historisch einmaligen Notsituation aufgrund Corona zur weitreichenden Unterstützung von Wirtschaftsunternehmen entschließt, entspringt dies seinen aktuell getroffenen Entscheidungen. In der Praxis wirken erst diese, rechtlich-konstitutiv, verpflichtend. Dass der Staat bei der Umsetzung und der Hilfegewährung auch den Gleichheitsgedanken wahren muss, ist ihm rechtlich ebenfalls vorgegeben.

    4. Föderales Verfassungsrecht

    Bezogen auf die systemrechtlichen Gegebenheiten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wird die föderale Ordnung des Grundgesetzes in Teilen, z.B. mit Bezug auf die sog. Subsidiarität, in Frage gestellt. Kritiker monierten schon zu Anfang der Pandemie u.a. die Langsamkeit und die Ungeeignetheit der im föderalen Modell des GG (Gesetzgebung und Verwaltung betreffend) bewusst angelegten Uneinheitlichkeit. Während zum Teil gravierende Länderunterschiede bei der Unterstützung von in Not geratener Unternehmen kritisiert werden, wirkt die im Hinblick auf die Gefahrenabwehr zur Lösung eines derartigen Problems festzustellende Uneinheitlichkeit ebenfalls nachteilig. Einfachgesetzlich zeigt sich das u.a. am IfSG. Verhängte Ausgangsbeschränkungen (z.B. in Bayern, das zudem den Katastrophenfall ausgerufen hatte, auch im Saarland), als grundrechtsbeschränkende Maßnahmen, sollten den steigenden Infektionszahlen in diesen Ländern entgegenwirken.
    Am frühen Abend des 22. März 2020 avisierte die Bundeskanzlerin, nach einer Telefonkonferenz mit allen Ministerpräsidenten der Länder, den o.g. Erlass eines mindestens zweiwöchigen einheitlichen Kontaktverbots für Versammlungen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit.
    Noch am Abend des 22. März 2020 gab es - zur Überraschung der Öffentlichkeit - divergierende bzw. relativierende Erklärungen einiger Bundesländer, u.a. von Bayern, das über seinen Landesvater erklären ließ, seine zuvor erlassene weitergehende Ausgangssperre in Bayern habe weiterhin zusätzlich Bestand. Andere Landesväter reklamierten ebenfalls jeweils für sich, mit ihrem Land schon vorab den "richtigen" Weg aufgezeigt zu haben. Das gegensätzliche Eifern unter Landesvätern hat nach dem 15. April/30. April 2020 weiter zugenommen und steuerte am 6. Mai 2020 auf einen weiteren Showdown zu.

    Wertungen des Stichwortautors dazu: 

    Das Verlassen des Hauses vs. Kontaktverbot, oder beides, in einigen Ländern irgendwie kombiniert - ganz gleich, wer hier im "Wettbewerb" um das Finden des "richtigen" Ansatzes in der Sache Recht gehabt hatte, das rechtliche Nebeneinander, ja Gegeneinander ließ sich schwerlich durch die Begründung einer vorgeblich besonderen Situation ("Grenzländer", betr. Bayern und Saarland - wegen den angrenzenden Risikogebieten Österreich und Frankreich/Grand Est) halten. Dass im "Kleingedruckten" des Beschlusses vom 22. März 2020 die Möglichkeit weitergehender Regelungen in Ländern oder Landkreisen angemerkt war, tut dieser Kritik keinen Abbruch.

    Die systemisch angelegte Unfähigkeit zum Finden einer einheitlichen Lösung ist aufgrund ihrer Nachteiligkeit (Verwirrung und Verunsicherung der Bürger, Vertrauensverlust in die politische Führung) ein relativ klares Argument zur partiellen Abkehr vom Föderalprinzip, hin zu mehr Unitarismus. Das zeigt sich an dem mit Bezug auf die Tragweite weitgehend belanglosen, aber dennoch einprägsamen Beispiel der in einem Bundesland für Ottonormalverbraucher verfügten Baumarktschließung, was zum "Grenzverkehr" ins Nachbar-Bundesland in die dort ohne jegliche Restriktion geöffneten Baumärkte geführt hat (https://www.fnp.de/frankfurt/corona-krise-aerger-frankfurt-bayern-stehen-baumarkt-schlange-13641747.html, Abruf: 14. April 2020). 

    Von einem "gesunden Wettbewerb" unter den Ländern (Thüringens Innenminister am 1. April 2020) zu sprechen, erscheint im Zusammenhang mit Corona schon rein sprachlich grenzwertig. Die Umschreibung mit "Kakophonie" trifft es aus Sicht des Stichwortautors besser, "Angela Merkel und die wilde 16" (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/news-angela-merkel-bundeslaender-autoindustrie-bundesliga-salomon-kalou-norddeutschland-a-61907002-1716-43cf-8665-07a0efbc6b9e, Abruf: 5. Mai 2020). Statements wie "Der Geist ist insgesamt so einheitlich, dass das für einen föderalen Staat fast schon ein Wunder ist" (Bundeskanzlerin Merkel am 15. April 2020 in einer Pressekonferenz) wirken nicht überzeugend. Am 6. Mai 2020 sah es jedenfalls so aus, dass die Bundeskanzlerin kapituliert hatte. Den Ländern sei gesagt: Zwar gehören Maskenbälle zum historisch angelegten europäischen Kulturgut, sogar auch Sujet einer Oper (Verdi 1859). Die Oper handelt im Übrigen auch von Intrigen. Die Art von Maskenbällen, wie sie in Deutschland von den Ländern während der Corona-Krise angeboten werden, bieten sicher ein schlechtes Schauspiel. 

    Jedenfalls erscheint bei der Abwehr einer derartigen alle betreffenden Gefahrensituation eine in der Sache einheitliche Lösung durch den Zentralstaat wesentlich zielführender. Dass dem Bund im Übrigen verboten wäre, etwaigen lokalen Besonderheiten differenzierend Rechnung tragen zu können, so etwa in Form von Vorbehalten oder Ermächtigungen zugunsten der Landesgesetzgebung, kann dem GG (insbesondere Art. 72 Abs. 2) gerade nicht entnommen werden, im Gegenteil. Der Sachverhalt mag, im Übrigen und ganz Nebenbei, auch dazu anregen darüber nachzudenken, das Patriarchat bei politischen Spitzenämtern weiter auszudünnen. Natürlich wird der Vorschlag zu mehr Unitarismus vermutlich im Theoretischen verharren, denn männliche Entscheider, zumindest solche mit dem charakterlichen Zuschnitt einiger im Frühjahr 2020 handelnder Personen, werden nicht an der Einebnung des eigenen Sandkastens mitwirken.

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