Rätedemokratie
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1. Charakterisierung: Bisher nicht realisiertes Konzept einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung mit Gesellschaftseigentum an den Produktionsmitteln und gesamtgesellschaftlicher Planung der Produktions- und Verteilungsprozesse. Vertreten bes. von neomarxistischer Seite (Sozialismus, Marxismus) als ein Gegenentwurf zur Marktwirtschaft bzw., unter dem Stichwort des „Dritten Weges”, zu einer staatssozialistischen Zentralplanwirtschaft.
2. Aufbau: Die Gesellschaftsmitglieder sind dem Räteprinzip zufolge in den einzelnen Basiseinheiten (Betriebe, Wohngebiete, Universitäten etc.) als Urwahlgemeinschaften zusammengeschlossen. Aus ihrer Mitte wählen sie als ihre Vertretung Räte, deren Mitglieder an den Wählerwillen gebunden sind (imperatives Mandat) und zur Verhinderung elitärer Führungsstrukturen der Ämterrotation unterliegen. Aus der Mitte dieser Räte wiederum werden nach dem gleichen Prinzip übergeordnete (überregionale) Räte bis hinauf zum obersten Rat gewählt. Eine Übertragung von Handlungs- und Entscheidungskompetenzen an die nächsthöhere Ebene erfolgt nur soweit wie nötig (ähnlich wie vom Subsidiaritätsprinzip gefordert), damit der übergeordnete Rat die ihm übertragenen Funktionen erfüllen, aber nicht eigenmächtig ausfüllen kann.
3. Koordination: Die Handlungsrechte an den Produktionsmitteln sind den Betriebsangehörigen übertragen. Sie sind zu einem Betriebsparlament zusammengeschlossen, das die Mitglieder des betrieblichen Selbstverwaltungsrats wählt und ihm diejenigen Rechte überträgt, die zur Erfüllung seiner Aufgaben (organisatorische Umsetzung der Beschlüsse des Betriebsparlaments, Führung der laufenden Geschäfte, Vertretung des Betriebs nach außen) notwendig sind. Die einzelnen betrieblichen Räte wählen die Mitglieder übergeordneter Räte, denen daneben auch Nichtwerktätige (Rentner, Intellektuelle etc.) angehören. Aus der Mitte der überregionalen Räte wiederum werden Vertreter in den nächsthöheren Rat bis hinauf zum Wirtschaftsgeneralrat delegiert. Aufgabe des Wirtschaftsgeneralrats ist die Aufstellung des Volkswirtschaftsplans: Auf Basis der Bedarfsanmeldungen der untersten Gesellschaftseinheiten (individuelle und kollektive Bedürfnisse der dort organisierten Individuen) und zentral ermittelter Bedarfsgrößen (bes. Investitionsgüterbedarf) erstellt er mithilfe der Bilanzierungsmethode einen vorläufigen Planentwurf, der veröffentlicht und auf allen gesellschaftlichen Strukturebenen diskutiert wird. Diejenigen, deren Interessen nicht ausreichend berücksichtigt wurden, können entweder über die Instanzen des Rätesystems oder durch plebiszitäre Korrekturkampagnen ihre Ziele durchzusetzen versuchen. Nach entsprechenden Korrekturen durch den Wirtschaftsgeneralrat wird der endgültige Plan den einzelnen Betrieben in Form differenzierter Produktions- und Finanzauflagen übermittelt.
4. Funktionsprobleme: a) Die Ermittlung des notwendigen Produktionsumfangs auf Basis dezentraler Bedarfsanmeldung birgt die Gefahr überhöhter Güteranforderungen.
b) Die Ermittlung des zu erfüllenden Bedarfs und die Auswahl von Alternativen erfordert bei Weisungsgebundenheit der Entscheidungsberechtigten an den Willen ihrer Wähler langwierige Abstimmungsprozesse bei hohen Transaktionskosten.
c) Das Fehlen von Prämierungs- und Sanktionsmechanismen zur Erzwingung plankonformen Verhaltens der Betriebe und Arbeiter begünstigt individuelle Trittbrettfahrerstrategien.
d) Erfüllt ein einzelner Betrieb seine Planauflagen nicht, führt dies aufgrund der Interdependenzen zwischen allen Betriebsplänen zu lawinenartigen Folgestörungen in anderen Unternehmen und damit zur Nichterfüllung des gesamtwirtschaftlichen Plans.