Niedriglohnsektor
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1. Begriff: a) Allgemein: gesetzlich zulässige Bezahlung von Arbeitskräften unterhalb von Tariflöhnen oder dem durchschnittlichen Lohnniveau auf dem regulären Arbeitsmarkt.
b) Speziell: Gemäß OECD oder ILO – und damit gemäß international akzeptierter Konvention – Entrichtung eines Bruttostunden- oder -monatsverdienstes an Erwerbstätige, der – auf Vollzeitbasis umgerechnet – unterhalb von zwei Dritteln des jeweiligen (nationalen) Medianbruttoverdienstes eines Vollzeitbeschäftigten liegt.
2. Merkmale: Der Grenzwert für den Niedriglohn lag z.B. 2010 in Deutschland bei gut zehn Euro pro Stunde bzw. gut 1.900 Euro pro Monat. Der Niedriglohnsektor ist in den 2000er Jahren stark expandiert und umfasst inzwischen mehr als 20 Prozent der abhängig Beschäftigten. Zu dieser Entwicklung, die vor allem seit Einführung der Hartz-Gesetze politisch intendiert war, hat wesentlich die sichtbare Zunahme der atypischen Beschäftigung beigetragen (Atypische Beschäftigung).
3. Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Bewertung: Eine Beurteilung aus arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sicht bleibt umstritten:
- Einerseits wird in der Aktivierung des Niedriglohnsektors ein Ansatz zur Verringerung der Arbeits- bzw. Erwerbslosigkeit (Arbeitslosigkeit), dem größten Armutsrisiko, und zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit gesehen. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass im Niedriglohnsektor die Anreize, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, nur gering ausgeprägt seien, da das niedrige Einkommen kaum die Bedürftigkeitsgrenze für den Bezug von Sozialhilfe übersteige („Sozialhilfefalle”), mithin das Lohnabstandgebot verletzt sei. Konzepte für einen Ausstieg aus der Sozialhilfe liegen vor in Form der verschiedenen Modelle des sog. Kombilohns (Kombilohn-Modelle), bei dem bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit z.B. ein Zuschuss zu den Sozialversicherungsbeiträgen und ein Zuschlag zum Kindergeld (Mainzer Modell) oder ein Lohnzuschuss, der nur teilweise auf die Sozialhilfe angerechnet wird (Einstiegsgeld nach § 16b SGB II), gewährt wird. Weitergehende Konzepte sehen – wie in den USA und Großbritannien – einen staatlichen „Lohnzuschlag für Geringverdienende” vor, der auch Arbeitseinkommen erfasst, die den Bedarf für den Sozialhilfebezug überschreiten. Solche Ansätze stellen grundsätzlich eine Alternative zur reinen bedarfsorientierten Grundsicherung dar.
- Andererseits führen die Herausbildung einer Zwei-Klassengesellschaft auf dem Arbeitsmarkt, eine geringe Beschäftigungsstabilität und -fähigkeit (Beschäftigungsfähigkeit) bei einer gleichzeitig (zu) geringen Statusmobilität vor allem bezogen auf Übergangsbewegungen in Richtung eines Normalarbeitsverhältnisses sowie erkennbare soziale bzw. Prekaritätsrisiken einer zunehmenden Zahl von Beschäftigten dazu, dass die Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherung über hinreichend hohe Beiträge auch von dieser Seite langfristig infrage gestellt wird. So beläuft sich z.B. die Zahl der Aufstocker, die neben ihrer Erwerbstätigkeit zusätzlich Arbeitslosengeld II beziehen müssen, um die Grundsicherung zu erreichen (Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach SGB II), bereits auf rund 1,2 Mio. abhängig Beschäftigte. Da der Anteil des Niedriglohnsektors in Deutschland in den vergangenen Jahren auch im internationalen Vergleich überproportional ausgebaut wurde, ist die früher vor allem aus den USA bekannte Working-Poor-Problematik (Erwerbsarmut bzw. Armut trotz Vollzeiterwerbstätigkeit) in Deutschland angekommen. Eine (Teil-)Lösung dieses Problems wird in dem 2015 in Deutschland eingeführten allgemeinen, flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gesehen. Außerdem wird in neuerer Zeit immer öfter die Einführung eines (solidarischen) Bürgergeldes bzw. (bedingungslosen) Grundeinkommens (Bedingungsloses Grundeinkommen) diskutiert (siehe auch die Negative Einkommensteuer, die jeder Bürger ohne bzw. mit geringem Einkommen erhält, und die das Existenzminimum abdeckt).