Direkt zum Inhalt

Industriepolitik, Konzeptionen

GEPRÜFTES WISSEN
Über 200 Experten aus Wissenschaft und Praxis.
Mehr als 25.000 Stichwörter kostenlos Online.
Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

zuletzt besuchte Definitionen...

    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    1. Die Vertreter einer vorausschauenden Strukturplanung (positive Strukturanpassung, Picking the Winners) weisen dem Staat die Aufgabe zu, den Strukturwandel (struktureller Wandel) so zu beeinflussen, dass zukunftsträchtige Branchen rascher wachsen können und strukturschwache Branchen dementsprechend schneller schrumpfen. So sei es möglich, das Wachstum einer Volkswirtschaft insgesamt zu erhöhen sowie mehr Arbeitsplätze und Einkommen zu schaffen.

    2. Vertreter einer ordnungspolitisch orientierten Industriepolitik wenden dagegen ein, dass eine erfolgreiche Strukturplanung nur möglich sei, wenn staatliche Instanzen bessere Informationen über die künftige Wirtschaftsentwicklung hätten als private Wirtschaftssubjekte. Sie verweisen darauf, dass die sektorale Produktionsstruktur im Rahmen einer Marktwirtschaft das Ergebnis zahlreicher dezentraler Entscheidungsprozesse ist, die sich an der Veränderung der relativen Güter- und Faktorpreise orientieren. Da das System der relativen Preise das effizienteste aller denkbaren Informationssysteme sei, würden staatliche Planungseingriffe zwangsläufig zu verzerrten Produktionsstrukturen und gesamtwirtschaftlichen Effizienzverlusten führen. Aus dieser Sicht ist es gar nicht möglich, die gesamtwirtschaftlich optimale Produktionsstruktur vom Staat vorzugeben, da die dazu nötigen Informationen nicht verfügbar seien. Die sektorale Struktur einer Volkswirtschaft sei „zwar das Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs” (Hayek). Der Industriepolitik komme demnach primär die Aufgabe zu, Hindernisse für den Strukturwandel aus dem Weg zu räumen, anstatt den Strukturwandel unmittelbar zu lenken.

    3. Vergleich der beiden Konzeptionen: Welche dieser beiden Grundkonzeptionen gesamtwirtschaftlich vorteilhafter ist, hängt aus theoretischer Sicht entscheidend davon ab, welche Rolle Pfadabhängigkeiten oder Hysterese-Effekten im Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung zukommt. Diese Effekte werden bes. im Rahmen der neuen Wachstumstheorie analysiert. Wenn damit gerechnet werden kann, dass sich die sektorale Struktur einer Volkswirtschaft ohne größere Friktionen flexibel an die jeweiligen komparativen Vor- und Nachteile gegenüber anderen Volkswirtschaften anpasst, führen staatliche Markteingriffe in die Sektorstruktur zwangsläufig zu gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlusten, da das Ausnutzen der international unterschiedlichen komparativen Kosten (komparative Vorteile) behindert wird. Wenn die Industriestruktur jedoch historische Beharrungstendenzen aufweist und nur unvollkommen auf Änderungen nationaler komparativer Vorteile reagiert, dann kann es gesamtwirtschaftlich sinnvoll sein, den Strukturwandel gezielt in eine Richtung zu lenken, die ein besseres Ausnutzen heutiger oder künftiger komparativer Vorteile erlaubt. Die Frage nach dem „richtigen” industriepolitischen Konzept lässt sich damit nicht rein theoretisch lösen, sondern bedarf der empirischen Analyse der Determinanten des sektoralen Strukturwandels.

    a) Weitgehend unstrittig ist die empirische Beobachtung, dass die sektorale Produktionsstruktur von Ländern im Zeitablauf recht stabil ist. Daraus kann aber noch nicht geschlossen werden, dass die Sektorstruktur durch Hystereseeffekte geprägt ist, denn die Persistenz von Sektorstrukturen könnte auch das Ergebnis einer Persistenz der jeweiligen komparativen Vor- und Nachteile sein. Entscheidend ist vielmehr, ob die historisch gewachsene sektorale Struktur eines Landes auch dann bestehen bleibt, wenn sie aufgrund eines veränderten volkswirtschaftlichen Umfeldes in Widerspruch gerät zu den komparativen Vorteilen des betreffenden Landes. Gegen die These einer derart verstandenen strukturellen Hysterese sprechen die ausgeprägten Schrumpfungsprozesse arbeitsintensiver Industrien in hoch entwickelten Ländern, die sich in den vergangenen Jahrzehnten infolge der verschärften Weltmarktkonkurrenz aus Niedriglohnländern ergeben haben. Gleichwohl kann die Frage der Struktur-Hysterese nicht als eindeutig empirisch geklärt angesehen werden. Der Streit zwischen den Verfechtern einer ordnungspolitisch orientierten Industriepolitik und einer Politik der positiven Strukturanpassung wird also wohl auch künftig anhalten.

    b) Die in den westlichen Industrieländern praktizierte Industriepolitik bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. In den Grundsatzerklärungen der Regierungen wird zumeist die Verbesserung der allg.  Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln als oberstes Ziel genannt, während in der Praxis immer wieder einzelne Branchen oder auch Unternehmen gezielt gefördert werden. Dabei geben rein ökonomische Argumente nur selten den Ausschlag; oftmals wird „politischen Zwängen” der Vorrang eingeräumt. Von allen Bereichen der Wirtschaftspolitik steht die Industriepolitik wohl am stärksten unter dem Druck von Interessengruppen.

    Vgl. auch Industriepolitik.

    Mit Ihrer Auswahl die Relevanz der Werbung verbessern und dadurch dieses kostenfreie Angebot refinanzieren: Weitere Informationen

    Mindmap "Industriepolitik, Konzeptionen"

    Hilfe zu diesem Feature
    Mindmap Industriepolitik, Konzeptionen Quelle: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/industriepolitik-konzeptionen-37097 node37097 Industriepolitik Konzeptionen node38913 Industriepolitik node37097->node38913 node49032 Wachstumstheorie node37097->node49032 node39238 Interessengruppen node37097->node39238 node43599 struktureller Wandel node37097->node43599 node40081 komparative Vorteile node37097->node40081 node53876 Sharing Economy node53876->node39238 node48506 Wirtschaftsförderung node48506->node38913 node46038 Regulierung node38913->node46038 node44539 Rent Seeking node38913->node44539 node28649 Arbeitsteilung node27867 Bruttoinlandsprodukt (BIP) node49032->node28649 node49032->node27867 node49737 Verband node38186 Lobbyismus node39238->node49737 node39238->node44539 node39238->node38186 node43599->node49032 node48492 Wirtschaftsstruktur node43599->node48492 node27943 Dienstleistungssektor node43599->node27943 node32453 Drei-Sektoren-Hypothese node43599->node32453 node42153 sektoraler Strukturwandel node43599->node42153 node33953 Freihandel node49867 Tigerstaaten node49867->node40081 node46701 Preis node31660 Außenhandel node31660->node40081 node40081->node33953 node40081->node46701 node42153->node49032 node42303 sektorale Strukturpolitik node42303->node38913
    Mindmap Industriepolitik, Konzeptionen Quelle: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/industriepolitik-konzeptionen-37097 node37097 Industriepolitik Konzeptionen node43599 struktureller Wandel node37097->node43599 node40081 komparative Vorteile node37097->node40081 node39238 Interessengruppen node37097->node39238 node49032 Wachstumstheorie node37097->node49032 node38913 Industriepolitik node37097->node38913

    News SpringerProfessional.de

    Autoren der Definition und Ihre Literaturhinweise/ Weblinks

    Literaturhinweise SpringerProfessional.de

    Bücher auf springer.com

    Sachgebiete