Atypische Beschäftigung
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Inhaltsverzeichnis
- Definition und Abgrenzung zum Normalarbeitsverhältnis
- Entwicklung, Formen und Umfang
- Strukturmerkmale
- Atypische Beschäftigungsformen und Prekaritätsrisiken
- Langfristfolgen
Definition und Abgrenzung zum Normalarbeitsverhältnis
Das Normalarbeitsverhältnis ist definiert als unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis, das vollständig in die sozialen Sicherungssysteme integriert ist, eine Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis aufweist, d.h. nicht in Form von Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassung) ausgeübt wird, und eine Gebundenheit des Arbeitnehmers an Weisungen des Arbeitgebers vorgibt. Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind jeweils in mindestens einem dieser Definitionsmarkmale vom Normalarbeitsverhältnis abgegrenzt; sie umfassen mehrere, recht heterogene Formen. In der arbeits- und sozialpolitischen Diskussion wird diese Pluralisierung bzw. Differenzierung der Beschäftigungsverhältnisse kontrovers diskutiert: Erheblichen Flexibilisierungsvorteilen der Unternehmen und zusätzlichen Erwerbschancen bestimmter Arbeitnehmer(-gruppen) stehen deutliche soziale bzw. Prekaritätsrisiken der betroffenen Beschäftigten gegenüber, die langfristig auch die sozialen Sicherungssysteme belasten werden und die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes einschränken können.
Entwicklung, Formen und Umfang
In den letzten Jahrzehnten haben atypische Beschäftigungsverhältnisse erheblich zugenommen. Sie sind in Deutschland kräftiger gewachsen als in den meisten anderen Ländern der westlichen Welt. Inzwischen entfällt deutlich mehr als ein Drittel (fast 40%) der abhängigen Erwerbstätigkeit auf diese Formen (vgl. Tabelle 1), die im Prozess der Tertiarisierung der Wirtschaft (sektoraler Strukturwandel) bzw. Digitalisierung aller Voraussicht nach weiter an Bedeutung gewinnen wird. Atypische Erwerbsformen stellen den zunehmenden Ausnahmefall, Normalarbeitsverhältnisse den abnehmenden Regelfall dar. V.a. nach Einführung der Hartz-Gesetze ab dem Jahr 2003 nahmen die geringfügige Beschäftigung bzw. Mini-Jobs (Mini-Job) (§§ 8 und 8a SGB IV), Midi-Jobs (Midi-Job) sowie die Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassung) deutlich zu. Gleichzeitig nehmen im Zuge der umfassenden Arbeitsmarktreformen nicht zuletzt durch die verstärkte Aktivierung von Arbeitslosen die Arbeitslosigkeit und Nicht-Erwerbstätigkeit ab, die gesamte Erwerbstätigkeit hingegen zu.
Im Folgenden nicht berücksichtigt werden u.a. Auszubildende, Praktikanten, Beschäftigte mit Werkverträgen oder sog. Ein-Euro-Jobs (Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung; vgl. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach SGB II). Sowohl das Ausgangsniveau als auch die Entwicklungsdynamik der verschiedenen Formen atypischer Beschäftigungsverhältnisse unterscheiden sich deutlich (vgl. Tabelle 1):
Teilzeitbeschäftigung
Teilzeitarbeit mit weniger als 35 Wochenstunden ist mit mehr als einem Viertel aller abhängigen Beschäftigungsverhältnisse die am weitesten verbreitete atypische Form. Ihr säkularer Anstieg geht einher mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen, unzureichenden Betreuungseinrichtungen für Kinder sowie der Expansion des Dienstleistungssektors. Mehr als 80 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen (Feminisierung des Arbeitsmarktes).
Geringfügige Beschäftigung
Die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse haben nach ihrer Erweiterung zu Mini-Jobs im Rahmen der Hartz-Gesetze auf mehr als 20 Prozent (über sieben Mio.) zugenommen und stellen die zweithäufigste Form dar (Mini-Job). Wegen der Verteilung ihrer Risiken ist explizit zu unterscheiden zwischen ausschließlich ausgeübten Mini-Jobs (ca. 70%) und Mini-Jobs als Nebenerwerbstätigkeiten (ca. 30%) (sog. Mehrfach- oder Multi-Jobber). Die Einkommen betragen monatlich max. 450 Euro; eine rechtliche Begrenzung der Arbeitszeit besteht nicht, wird aber durch den jeweils geltenden Mindestlohn definiert.
Midi-Jobs
Diese, durch die Hartz-Gesetze eingeführten Beschäftigungsverhältnisse umfassen Einkommen in der „Gleitzone“ zwischen 450,01 und 850 Euro (Midi-Job). Nach einer deutlichen Expansion machen sie ca. vier Prozent der abhängig Beschäftigten aus.
Leiharbeitsverhältnisse
Leiharbeit konstituiert im Gegensatz zu den anderen Formen ein Dreiecksverhältnis zwischen Verleihunternehmen, Entleihunternehmen und Arbeitnehmer (Arbeitnehmerüberlassung). Sie hat vor allem seit ihrer weitgehenden Deregulierung durch die Hartz-Gesetze hohe Zuwachsraten zu verzeichnen und umfasst aktuell ca. drei Prozent der Gesamtbeschäftigung. Wenngleich in den 2000er-Jahren ein leichter Trend hin zu längeren Beschäftigungsdauern erkennbar ist, bleibt Leiharbeit die Beschäftigungsform, die – neben befristeteten Arbeitsverträgen (befristeter Arbeitsvertrag) – am stärksten konjunkturellen Schwankungen (prozyklisch) unterliegt, wie ihr Einbruch in der Finanzkrise 2008/2009 gezeigt hat.
Befristete Beschäftigungsverhältnisse
Befristung bedeutet, dass der der Arbeitsvertrag zu einem festgelegten Zeitpunkt endet, ohne dass die üblichen Kündigungsschutzregelungen gelten. Befristungen haben seit ihrer Erweiterung durch das Beschäftigungsförderungsgesetz (1985) allmählich auf derzeit ca. acht Prozent zugenommen (ohne Auszubildende). Inzwischen werden fast die Hälfte aller neuen Arbeitsverträge zunächst nur befristet abgeschlossen, sodass v.a. jüngere Arbeitnehmer betroffen sind.
Selbstständigkeit ohne Mitarbeiter
Der Anteil der Selbstständigen an allen Erwerbstätigen stieg auf ca. elf Prozent. Diese Entwicklung wurde in den 2000er-Jahren durch verschiedene arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gefördert (Arbeitsmarktpolitik), setzt sich aber nicht fort. Sie basierte ausschließlich auf der Zunahme der Solo-Selbstständigen, die im Gegensatz zu den „klassisch“ Selbstständigen (wie Ärzte, Anwälte, Architekten) keine weiteren Mitarbeiter haben. Sie machen inzwischen mehr als die Hälfte aller Selbstständigen aus. Formal gehören sie zwar nicht zu den atypisch Beschäftigten, sollten aber wegen ihrer häufig geringen Einkommen und unsicheren wirtschaftlichen Perspektiven bzw. Prekaritätsrisiken in die Betrachtung einbezogen werden.
Strukturmerkmale
Soziodemographische Struktur
In sämtlichen Formen (mit Ausnahme der Leiharbeit) sind Frauen überrepräsentiert, sodass die Probleme atypischer Beschäftigung eine ausgeprägte geschlechtsspezifische Dimension aufweisen. 55 Prozent aller Frauen arbeiten atypisch, bei den Männern sind es nur 16 Prozent. Beim Familienstand sind Alleinerziehende häufiger betroffen. Bezogen auf das Ausbildungsniveau sind Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung überproportional vertreten. Obwohl die Mehrheit der atypisch Beschäftigten über einen Berufsabschluss verfügt, arbeitet mehr als die Hälfte unter ihrem Ausbildungsniveau (Überqualifizierung). Zudem ist beim Berufseintritt ein hohes Bildungsniveau (Fachhochschul- bzw. Hochschulabschluss) bei befristet Vollzeitbeschäftigten häufiger anzutreffen als bei Personen in Normalarbeitsverhältnissen, bei denen der Anteil von Personen mit Berufsabschluss höher ist. Hinsichtlich des Alters sind jüngere Arbeitnehmer (15-24 Jahre) überrepräsentiert. Ausländer (v.a. aus Nicht-EU-Mitgliedsländern) befinden sich häufiger in atypischer Beschäftigung als Deutsche. Zudem sind atypische Beschäftigungsformen in Dienstleistungssektoren weiter verbreitet als in der Produktion, Leiharbeit hingegen im Verarbeitenden Gewerbe; Einsatzschwerpunkte liegen im Gastgewerbe, Handel, im Gesundheitswesen, Grundstücks- und Wohnungswesen, im Baugewerbe sowie in Erziehung und Unterricht. Teilweise handelt es sich um Sektoren mit niedrigem Lohnniveau.
Profile
Abgesehen von einigen Gemeinsamkeiten in den Strukturmerkmalen weisen die Formen atypischer Beschäftigung spezifische Profile auf. Gut die Hälfte der Midi-Jobber sind Studierende und Rentner, bei den Mini-Jobbern sind es knapp 30 Prozent. Nur wenige jüngere Beschäftigte leisten Teilzeitarbeit, relativ viele dagegen Leiharbeit. Midi-Jobber arbeiten – im Unterschied zu den anderen Gruppen – relativ häufig im Verarbeitenden Gewerbe. Das Gastgewerbe wiederum beschäftigt überproportional viele Mini- und Midi-Jobber. Während der Einsatz von Leiharbeit vorrangig in Mittel- und Großbetrieben erfolgt, setzen kleine und mittlere Betriebe eher geringfügig Beschäftigte ein. Außerdem weisen Kleinstbetriebe befristete Beschäftigungsverhältnisse seltener auf als größere Betriebe.
Atypische Beschäftigungsformen und Prekaritätsrisiken
Abgrenzungen und Kriterien zur Messung von Prekarität
Empirische Studien zeigen, dass atypisch Beschäftigte wesentlich häufiger und meistens auch höheren sozialen Risiken ausgesetzt sind als Arbeitnehmer in Normalarbeitsverhältnissen. In der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion werden die Begriffe atypische und prekäre Beschäftigung häufig synonym gebraucht, obwohl sie strikt getrennt werden sollten. Tatsächlich schwankt der Grad der Prekarität sowohl zwischen den Formen atypischer Beschäftigung als auch nach den verwandten Kriterien der Prekarität und den formulierten Grenzwerten. Prekärität ist überproportional häufig bei atypischer Beschäftigung, sie kann aber auch Normalarbeitsverhältnisse erfassen (Bsp. Niedriglohnbezieher; vgl. Niedriglohnsektor).
Zudem sind von beiden Seiten des Arbeitsmarktes gewünschte und somit freiwillig eingegangene Formen atypischer Beschäftigung von deren unfreiwilligen Varianten zu unterscheiden. Nur Letztere werden vielfach als gesellschaftspolitisch ungewollt deklariert. Die notwendige Abgrenzung sollte in jedem Fall sowohl kurz- und mittel- als auch die in der aktuellen Diskussion häufig vernachlässigten langfristigen Risiken berücksichtigen. Sie können nicht nur während, sondern auch nach der Phase der Erwerbstätigkeit eintreten.
Identifizieren und Messen lässt sich Prekarität grundsätzlich anhand von vier Kriterien:
a) Subsistenzsicherndes Einkommen (Existenzminimum): Um die ursprünglich vor allem aus den angelsächsischen Ländern bekannte Working-Poor-Problematik (Armut in bzw. trotz Arbeit) zu vermeiden, sollte das Lohneinkommen – gemäß international akzeptierter Konvention – mindestens 60% des mittleren Lohns bzw. Gehalts (genauer: des Medians des Nettoäquivalenzeinkommens) betragen (Armutsgefährdungsgrenze).
b) Beschäftigungsstabilität: Atypische Beschäftigung sollte immer auch die Option auf eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit beinhalten, um nicht als prekär zu gelten. Diese Kontinuität kann sowohl auf dem betriebsinternen, berufsfachlichen als auch auf dem externen Arbeitsmarkt erreicht werden (Segmentationstheorien; vgl. Arbeitsmarkttheorien). Sie ist weiter gefasst als die früher häufig angestrebte Arbeitsplatzstabilität und sollte idealerweise mit einer Übertrittsoption in ein Normalarbeitsverhältnis ausgestattet sein.
c) Beschäftigungsfähigkeit: Um dauerhaft Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten, ist nicht nur ein Berufsabschluss Voraussetzung. Um die Beschäftigungsfähigkeit langfristig zu sichern, sind nicht nur Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit (Gesundheitsförderung) sondern auch Zugangsmöglichkeiten zu überbetrieblicher und betrieblich-beruflicher Weiterbildung notwendig. Letztere sind bei den atypischen Formen faktisch sehr eingeschränkt. Nur durch ihre Erweiterung lässt sich ein „Teufelskreis“ bzw. der „Drehtüreffekt“ zwischen atypischer Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Nicht-Erwerbstätigkeit, prekären Arbeitsverhältnissen und erneuter Arbeits- oder Erwerbslosigkeit etc. vermeiden bzw. durchbrechen.
d) Vollständige Integration in die sozialen Sicherungssysteme: Die Integration in die sozialen Sicherungssysteme sollte möglichst umfassend sein. Zur Vermeidung von Altersarmut sind aufgrund der engen Koppelung zwischen Beiträgen und Rentenhöhe (Äquivalenzprinzip) hinreichend hohe Beitragszahlungen v.a. in die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) unumgänglich.
Prekaritätsrisiken
a) Kurzfristige Risiken: Beim Einkommen bestehen für alle Formen atypischer Beschäftigung erhöhte Prekaritätsrisiken, die bei Mini-Jobbern und Leiharbeitnehmern besonders ausgeprägt sind. Für Letztere ist die Wahrscheinlichkeit, nur einen Niedrig- bzw. Prekaritätslohn (auf Stundenlohnbasis) zu erhalten, aufgrund der Beschäftigungsform bei ansonsten gleichen Merkmalen (wie Qualifikation, Alter, Geschlecht) mehr als viermal (Frauen) bzw. mehr als sechs mal (Männer) höher als bei Beschäftigten mit Normalarbeitsverhältnissen. Ein noch höheres Prekaritätsrisiko tragen Mini-Jobber, die ex definitione kein subsistenzsicherndes Lohneinkommen erreichen können. Für Teilzeitbeschäftigte ist das Risiko, lediglich einen Prekaritätslohn zu erhalten, jedoch nur unwesentlich größer als bei Normalbeschäftigten. Im Niedriglohnsektor, der gemäß international akzeptierter Definition Entgelte von weniger als zwei Drittel des nationalen Medianbruttolohns (aller Vollzeitbeschäftigten) pro Stunde oder pro Monat umfasst, befinden sich überwiegend atypisch Beschäftigte. Seine auch im internationalen Vergleich überproportionale Ausweitung seit den 2000er-Jahren auf mehr als 20 Prozent aller Arbeitsverhältnisse in Deutschland ist wesentlich auf die Expansion atypischer Beschäftigung zurückzuführen. Über 70 Prozent der Mini-Jobber verdienten bis zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns (Mindestlohn) weniger als 8,50 Euro pro Stunde, fast 40 Prozent der Midi-Jobber arbeiteten Vollzeit.
b) Mittelfristige Risiken: Weitere Nachteile bei sämtlichen Formen atypischer Beschäftigung (mit Ausnahme der längeren bzw. unbefristeten Teilzeitarbeit) ergeben sich bei der Beschäftigungsstabilität. Hierbei leiden Leiharbeitnehmer besonders unter der geringen bzw. häufig unterbrochenen Beschäftigungsdauer. Für sie ist die Wahrscheinlichkeit, nach einem Jahr Beschäftigung den Arbeitsplatz zu verlieren, mehr als dreimal so hoch wie bei einem vergleichbaren Arbeitnehmer in einem Normalarbeitsverhältnis. Etwa die Hälfte aller Leiharbeitsverhältnisse dauert weniger als drei Monate. Neueinstellungen erfolgen häufig befristet, sodass v.a. jüngere Arbeitnehmer überproportional häufig betroffen sind. Wesentlich sind die Übergangsquoten in Normalarbeitsverhältnisse, die mit zunehmendem Qualifikationsniveau steigen.
Zusätzliche Nachteile atypisch Beschäftigter ergeben sich infolge der eingeschränkten Teilnahme an betrieblich-beruflicher Weiterbildung zur Sicherung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit. Diese Benachteiligung lässt sich kaum durch eigeninitiierte Weiterbildungsaktivitäten der Beschäftigten ausgleichen: Zum einen schränkt die hohe Beschäftigungsinstabilität den Zugang zum Lernort Betrieb ein, zum anderen fehlen aufgrund der niedrigeren Einkommen die finanziellen Ressourcen zur eigenverantwortlichen Organisation. Gesamtwirtschaftlich kann eine Unterinvestition in Humankapital resultieren, die aufgrund des demographischen Wandels besonders problematisch ist und wachstumshemmend wirkt (Humankapitaltheorien, Arbeitsmarkttheorien).
c) Langfristige Risiken: Die Integration in die sozialen Sicherungssysteme (v.a. in die gesetzliche Rentenversicherung) ist sowohl infolge der geringeren Beiträge als auch der häufigeren Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit (u.a. durch Arbeitslosigkeit) deutlich eingeschränkt. Mittel- und langfristig steht das Risiko von Altersarmut (v.a. bei Mini- und Midi-Jobbern) wieder auf der sozialpolitischen Agenda. Die politisch durchgesetzten weiteren Absenkungen des Rentenniveaus verstärken die durch die Ausweitung atypischer Beschäftigung verursachten Prekaritätsprobleme. Bedroht sind v.a. Frauen, die mehreren Prekaritätsrisiken ausgesetzt sind: Sie arbeiten überwiegend in Niedriglohnbranchen des Dienstleistungssektors und außerdem in atypischen Beschäftigungsformen mit Benachteiligungen bei der beruflichen Weiterbildung.
Langfristfolgen
Die Prekaritätsrisiken, die bei bestimmten Personen- bzw. Problemgruppen am Arbeitsmarkt (z.B. Frauen, Ausländer, Ältere) häufig kumulativ auftreten, sind gravierend, weil atypische Beschäftigung oft kein reines Übergangsphänomen in individuellen Erwerbsbiographien darstellt. Aufwärtsmobilität (im Sinne eines Übergangs in Normalarbeitsverhältnisse) findet nur in begrenztem Maße statt; häufiger sind Wechsel zwischen verschiedenen Formen atypischer Beschäftigung (Klebeeffekt) sowie wiederholte Phasen der Arbeitslosigkeit (Prekaritätsfalle). Von der bei der Reform der Arbeitsmarktstrukturen (Hartz-Gesetze) vielfach erwarteten „Sprungbrett“- oder „Brückenfunktion“ im Sinne eines Übergangs von atypischen in Normalarbeitsverhältnisse kann in empirischer Perspektive kaum die Rede sein. Analysen zeigen eher eine deutliche Pfadabhängigkeit. Kommt es zu Beendigungen von Arbeitsverhältnissen, münden Beschäftigte aus Normalarbeitsverhältnissen eher wieder in solche, atypisch Beschäftigte eher wieder in derartigen Beschäftigungsformen (Segmentationstheorien; vgl. Arbeitsmarkttheorien). Für die erste Gruppe ist nach beendeten Beschäftigungsverhältnissen auch das Risiko, arbeitslos zu werden bzw. zu bleiben, wesentlich geringer als für die zweite. Die geringe Statusmobilität verstärkt die Prekaritätsrisiken mit zunehmender Zeitdauer.
Die in der politischen und wissenschaftlichen Debatte häufig unbeachteten langfristigen Folgen reichen über die Phase der Erwerbstätigkeit hinaus in die des Ruhestands hinein. Da das System der Alterssicherung nach wie vor auf kontinuierlichen Erwerbskarrieren in Normalarbeitsverhältnissen basiert, erreichen die individuell erworbenen Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen häufig kein subsistenzsicherndes Niveau, sodass ergänzende Sozialleistungen notwendig werden (Grundsicherung im Alter). Diese müssen aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden. Weiterhin ist auch der Zugang zu Systemen betrieblicher Altersvorsorge infolge durchschnittlich relativ kurzer Beschäftigungszeiten erheblich eingeschränkt. Schließlich verhindern die niedrigen Einkommen eine freiwillige Eigenvorsorge. Diese resultieren nicht selten aus einer geringeren als der gewünschten Arbeitszeit. Angesichts dieser Bedingungen ist eine allein auf vermehrte Eigenverantwortung setzende Politik kaum geeignet, die aufgezeigten Probleme zu beseitigen.
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Interne Verweise
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