Verfassung für Europa
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Europäische Verfassung, Europäischer Verfassungsvertrag. 1. Begriff/Bedeutung: Vom Europäischen Konvent war der Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa ausgearbeitet worden, der am 24.10.2004 vom Europäischen Rat unterzeichnet worden war. Dieser Verfassungsentwurf war seit Oktober 2003 von einer Regierungskonferenz der Mitgliedsstaaten diskutiert und sollte die Grundlage für die erste europäische Verfassung und eine demokratischere, transparentere und effizientere EU bilden. Die Ratifikation scheiterte jedoch, weil Frankreich und die Niederlande in Volksabstimmungen gegen die Annahme der Verfassung stimmten. Nach dem Scheitern wurde vom Europäischen Rat im Juni 2005 eine "Reflexionsphase" eingeleitet, die im Juni 2007 zu dem Beschluss des Rates über den EU-Reformvertrag (Vertrag von Lissabon) führte, der am 1.12.2009 in Kraft getreten ist (BGBl. II 2009 S. 1223).
2. Merkmale der Verfassung für Europa: Bei dem Verfassungsentwurf handelt es sich um einen einzigen Text, der in vier Teile gegliedert ist: Grundlegende Verfassungsbestimmungen (Ziele, Zuständigkeiten, Entscheidungsverfahren und Organe), Grundrechte-Charta, Politikbereiche sowie Schlussbestimmungen. Durch die Verfassung würden die bisherigen drei Säulen der Union integriert und die Union erhielte eine eigene Rechtspersönlichkeit. Die Zahl der Rechtsakte würde von heute ca. 15 auf sechs drastisch verringert werden (Gesetz und Rahmengesetz als rechtsverbindliche Gesetzgebungsakte, Verordnung und Beschluss als rechtsverbindliche Akte ohne Gesetzescharakter sowie unverbindliche Empfehlungen und Stellungnahmen). Der Verfassungsentwurf schlägt auch eine bessere Abgrenzung der Zuständigkeiten vor: Es wird unterschieden zwischen drei Arten von Zuständigkeiten, denen dann jeweils bestimmte Politikbereiche zugeordnet werden: Ausschließliche Zuständigkeiten, in denen nur die EU gesetzgeberisch tätig wird (Wettbewerb, Zollunion, Gemeinsame Handelspolitik, Währungspolitik in Währungsunion, Erhaltung der biologischen Meeresschätze); geteilte Zuständigkeiten, in denen EU oder Mitgliedsstaaten gesetzgeberisch tätig werden (Binnenmarkt, Asyl- und Einwanderungspolitik, justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit, Landwirtschaft/Fischerei, Transport und transeuropäische Netze, Energie, Sozialpolitik, wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt, Umwelt, Verbraucherschutz, Gesundheitswesen, Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe); Unterstützungs-, Koordinierungs- oder Ergänzungsmaßnahmen, in denen die EU keinerlei Harmonisierungsbefugnisse hat (Industrie, Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit, allg. und berufliche Bildung, Jugend, Sport, Kultur, Zivilschutz). Hinzu kommen die Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik sowie die GASP. Einige der genannten Bereiche erhielten mit der Verfassung erstmals eine Rechtsgrundlage: Öffentliche Gesundheit, Energie, Zivilschutz und Sport. Die Charta der Grundrechte sollte in die Verfassung integriert werden und damit Rechtsverbindlichkeit erlangen. Die Rolle der nationalen Parlamente bei der EU-Gesetzgebung sollte insofern verstärkt werden, dass alle Vorschläge der Kommission an die nationalen Parlamente geleitet werden und diese innerhalb von sechs Wochen Stellung nehmen können. Sollte ein Drittel der Parlamente der Meinung sein, dass das Subsidiaritätsprinzip (Subsidiarität) nicht gewahrt ist, hätte die Kommission den Gesetzesvorschlag überarbeiten müssen. Die Rolle der Sozialpartner und der Kirchen wurde betont und die Möglichkeit eröffnet, dass die Bürger mit einer Million Unterschriften die Kommission zur Vorlage eines Gesetzesvorschlags auffordern. Bei der Beschlussfassung sollte das Initiativmonopol der Europäischen Kommission systematisch auf die meisten Bereiche im Rahmen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ausgedehnt werden. Auch sollte die qualifizierte Mehrheit auf weitere Bereiche ausgedehnt und das Veto-Recht einzelner Mitgliedsstaaten eingeschränkt werden. Der Europäische Rat könnte auf der Basis einer sog. „Anpassungsklausel” einstimmig beschließen, die qualifizierte Mehrheit auf solche Bereiche auszudehnen, die bisher noch der Einstimmigkeit unterworfen waren. Die sog. „doppelte Mehrheit” (Mehrheit der Mitgliedsstaaten und 60 Prozent der EU-Bevölkerung) sollte ab dem Jahre 2009 Voraussetzung für das Zustandekommen einer qualifizierten Mehrheit sein. Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU (WSA) und Ausschuss der Regionen (AdR) waren zur Stellungnahme vorgesehen. Für die Mitgliedsstaaten war eine Klageerhebung beim EuGH vorgesehen. Mit der Schaffung eines EU-Außenministers sowie über die Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit einiger Mitgliedsstaaten sollte die EU ihre Rolle auf der internationalen Bühne stärken. Der EU-Außenminister sollte nach dem „Zwei-Hüte-Prinzip” gleichzeitig Vize-Präsident der Europäischen Kommission und Beauftragter des Rates für die GASP sein und sollte vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Kommissionspräsidenten ernannt werden. Die verstärkte Zusammenarbeit sollte auch auf den Bereich Verteidigung ausgedehnt werden. Hier wurde auch die Schaffung eines Rüstungsamtes vorgeschlagen. Dem Europäischen Rat sollte ein Präsident der EU für zweieinhalb Jahre vorsitzen (einmalige Verlängerung möglich). Das Rotationsprinzip der Ratspräsidentschaft sollte dahingehend reformiert werden, dass die Präsidentschaft ein Jahr lang (anstelle der heutigen sechs Monate) dauert. Die Kommission sollte ab ihrem Mandat im Jahre 2009 aus einem Präsidenten, einem Vize-Präsidenten und 13 Europäischen Kommissaren bestehen. Daneben sollte der Kommissionspräsident weitere Kommissare aus den übrigen Mitgliedsstaaten ernennen können, die jedoch kein Stimmrecht hätten.