Neue Institutionenökonomik
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Geschichte
Die Neue Institutionenökonomik (NIÖ) ist eine seit den 1970er-Jahren aufstrebende Forschungsrichtung der Volkswirtschaftslehre. Zu ihren Vorläufern gehören Coase, Demsetz, Alchian, Olson, Buchanan und Tullock, zu ihren Hauptbegründern zählen u.a. Williamson, Jensen und Meckling. Im deutschen Sprachraum hat v.a. Richter die NIÖ vorangetrieben, u.a. durch die institutionenökonomische Neuausrichtung der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft und folgerichtige Umbenennung in Journal of Institutional and Theoretical Economics in den 1980er-Jahren. Die NIÖ ist heute eine etablierte weltweite Forschungsrichtung mit eigenen Organisationen, hervorzuheben sind die Jahrestagungen der ISNIE (International Society for New Institutional Economics).
In der neoklassischen Theorie (Neoklassik) gilt der institutionelle Rahmen (von Tauschprozessen) als gegeben, die NIÖ untersucht demgegenüber, wie er entsteht und welche Wirkungen er entfaltet. Sie fragt auch normativ, wie Institutionen gestaltet werden sollten, um effizient zu wirken. Die NIÖ ist sowohl als Kritik, aber auch als Weiterentwicklung der Neoklassik zu verstehen. Ähnlich der deutschen historischen Schule (Schmoller) und der Alten Institutionenökonomik kritisiert sie die Verbannung von Institutionen in den nicht hinterfragten Datenkranz, v.a. im Methodischen (analytisch-formale Analyse) und in der Annahme individueller Rationalität folgt sie aber vielfach der Neoklassik. Nicht einfach ist auch die Abgrenzung zu verwandten und überlappenden Forschungsansätzen wie der ökonomischen Analyse des Rechts, dem Property-Rights-Ansatz (Verfügungsrechte), der Neuen Politischen Ökonomie, Public Choice und etwa dem Prinzipal-Agent-Ansatz (Prinzipal-Agent-Theorie). In ihrem Zentrum steht auf jeden Fall die Transaktionskostenökonomik (Williamson), die die Annahme einer Welt ohne Transaktionskosten, also vollständige Informationen, unzweideutige Verfügungsrechte usw., aufgibt und dementsprechend von der vollständigen Konkurrenz divergierende institutionelle Gegebenheiten nicht als historisch bedingte Irrationalitäten deutet, sondern durch das Vorliegen von Transaktionskosten zu erklären versucht und Märkten keine prinzipielle Überlegenheit als Steuerungsmechanismus mehr unterstellt wird.
Begriff und Methode
Die NIÖ bedarf eines abstrakten Institutionenbegriffs, da zwar ökonomische Tauschprozesse im Zentrum ihrer Analyse stehen, neuere Arbeiten sich aber auch mit dem politischen, kulturellen, religiösen und sportlichen Bereich befassen. Wenngleich es keine allseits akzeptierte Definition des Begriffs gibt (eine solche hat aber z.B. auch die Soziologie nach 100 Jahren Forschung nicht hervor gebracht), lassen sich Institutionen als Systeme informeller und formaler Normen oder Regeln kennzeichnen, die menschliches Verhalten in eine bestimmte Richtung lenken (sollen) und sich hierbei bestimmter Anreiz- und Strafinstrumente bedienen. Der Zweck von Institutionen besteht in der Erreichung einer jeweiligen Zielfunktion (Gewinnmaximierung, oder auch die Erlangung kollektiven religiösen Heils). Institutionen können spontan entstehen (Zigarettenwährung nach 1945) oder geplant sein (Zentralbankverfassungen).
Das methodische Leitbild der NIÖ besteht im methodischen Individualismus, die analytische Basiseinheit ist das seinen Nutzen maximierende Individuum, das auch zu opportunistischen Handlungsweisen (z.B. Betrug) neigt, wo sich dies lohnt. Das Kunststück der Institutionenausgestaltung besteht darin, durch das Anreiz- und Strafsystem diese nutzenmaximierenden Individuen zu veranlassen, produktiv zu kooperieren (Gefangenendilemma) und nicht auf unproduktive und opportunistische Weise ihren Nutzen bis hin zu Raub, Mord und Erpressung zu verfolgen. Der Misserfolg vieler sich entwickelnder Volkswirtschaften beruht auf der mangelnden Lösung dieses institutionellen Grundproblems und weist auf die Bedeutung der NIÖ auch für die allgemeinere Wirtschaftspolitik hin. Die Grundvermutung der NIÖ lautet, dass sich die Strukturen von Institutionen so entwickeln, dass der Nettoertrag der Transaktionen maximiert wird. Obwohl sich empirisch der Anteil der Transaktionskosten am Bruttosozialprodukt bzw. Bruttoinlandprodukt sich im letzten Jahrhundert ungefähr verdoppelte, stieg die Arbeitsproduktivität um das Zehnfache. Die Empfehlung der NIÖ lautet, die am Besten gegen opportunistisches Verhalten schützende Institution oder Organisationsform (Markt, vertikale Integration usw.) zu wählen, die auch Ehrlichkeit lohnender als Unehrlichkeit macht und insofern eine selbstdurchsetzende Kraft besitzt.
Dennoch erscheinen uns Institutionen in der realen Welt und ihre Resultate recht unvollkommen. Dies hängt damit zusammen, dass auch für Institutionen kein Nirwanaprinzip gilt: Sie stiften Nutzen, aber ihre Einrichtung verursacht auch über rein technische Erfordernisse (z.B. Telefongebühren) hinausgehende Kosten, die als Transaktionskosten bezeichnet werden. Bei der Institution des formalen Vertrages zwischen Tauschpartnern etwa entstehen sie durch die Inspektion und Messung des Tauschgegenstandes, die Suche der Vertragspartner, die Überwachung und Durchsetzung des Vereinbarten, usw. Als klassischer Ausdruck für eine Welt begrenzter Rationalität, unsicherer Zukunftszustände und dem Vorliegen von Transaktionskosten gilt der relationale Vertrag (Vertrag), der nicht alle Eventualitäten genau regelt und dessen Lücken durch die Ungewissheit der Zukunft zu erklären sind. Als zweitbeste Alternative bietet sich die vorherige Festlegung eines für beide Seiten akzeptablen und bindenden Entscheidungsverfahrens an.
Konzepte und Richtungen
Williamson stellt folgende Entscheidungsvariablen, die auf die Unternehmensebene abzielen, in den Vordergrund: Die eingeschränkte Rationalität der Akteure, der Grad ihres möglichen Opportunismus, die Häufigkeit der Transaktionen, die Unsicherheit über die Umweltzustände und die Spezifizität der Investitionen, d.h. wie eng die Investitionen eines Akteurs an einen bestimmten Tauschpartner gebunden sind (Asset Specificity, das Problem der Ausnutzung bei Abhängigkeit, d.h. das Hold-up-Problem, spezifische Investitionen). Von diesen Variablenausprägungen hängt es ab, ob ein einfacher Markttausch, vertikale Integration, gegenseitige Beteiligungen, Franchiseverträge oder andere Formen zu wählen sind (effiziente Firmengrenze). Eine stark ausgeprägte Hold-up-Situation mag z.B. vertikale Integration nahe legen. Das Problem besteht darin, dass zumeist mit den Vorteilen eines neuen Arrangements auch Nachteile einhergehen (bei einer Fusion z.B. Anreizverschlechterungen, Hierarchienachteile; hybride Organisationsformen bieten eine Lösung) und es zur präzisen Bestimmung einer nur schwer zu leistenden Quantifizierung der Effekte bedürfte. Der starke Anspruch der NIÖ besteht dennoch darin, aus der Konstellation der genannten Variablen eindeutig die angemessene Governance oder Kontrollstruktur ableiten zu können, mit der Vermutung, dass sich diese in der realen Welt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch durchsetzten wird. Zahlreiche empirische Studien versuchen, diesen Anspruch an Fallbeispielen einzulösen.
Auch der Property-Rights-Ansatz, ursprünglich u.a. von Demsetz bereits in den 1960er-Jahren formuliert, geht davon aus, dass die Ausgestaltung der Verfügungs- und Eigentumsrechte die Allokation und wirtschaftliche Nutzung auf vorhersehbare Weise beeinflusst. Spezifisch zugeschriebene, z.B. individuelle Eigentumsrechte an Ressourcen, sorgen für ihren effizienten Einsatz, da der Ertrag ungeschmälert dem Verfügenden zufließt. Eine Volkswirtschaft ist demnach - etwas vereinfacht formuliert - um so effizienter, je unbeschränkter der Privatbesitz an den Produktionsmitteln ausfällt. Auf der Mikroebene entspricht dieses Resultat den Analysen von Alchian und Demsetz, die das Problem des Sich-Drückens bei Teamarbeit durch die Ernennung eines Mitglieds zum Aufseher (Residual Claimant) vorschlagen, der sich den Residualerlös aneignen kann. Das Gegenteil wäre eine im kollektiven Besitz befindliche Ressource (z.B. kommunales Weideland), die zur Übernutzung führen würde (die Tragödie der Allmende, die allerdings etwas entgegen den geschichtlichen Tatsachen voraussetzt, dass es keine gruppenspezifischen Nutzungsnormen gab). Eine weitere These lautet, dass der Druck auf eine Spezifizierung der Eigentumsrechte wächst, wenn die betreffenden Ressourcen wertvoller werden.
Der Principal-Agent-Ansatz, der prominent etwa von Jensen und Meckling vertreten wird, geht von einem auftraggebenden Prinzipal aus, der mit einem Agenten einen Vertrag über eine zu erbringende Leistung abschließt. Der Agent versucht gemäß der Annahme individueller Nutzenorientierung, nicht den Vertrag bestmöglich zu erfüllen, sondern seinen eigenen Nutzen z.B. durch gemächlichen Arbeitseinsatz oder dem teilweisen Umleiten der Ergebnisse des Leistungseinsatzes in die eigene Tasche zu mehren. Das Problem ist, dass der Prinzipal den Agenten, z.B. aufgrund unverhältnismäßig hoher Informations- und Kontrollkosten, nur unvollständig kontrollieren kann. Raffiniert ausgestaltete Verträge sollen diesem Manko beikommen. Ein Beispiel auf der Unternehmensebene für dieses als Moral Hazard bezeichnete Problem ist die Kontrolle des Managements (Agenten) durch die Prinzipale (Aktionäre) und der Versuch, mit Aktienoptionsprogrammen eine Lenkung des Verhaltens des Managements im Interesse der Aktionäre zu erreichen. Der beeindruckenden formalen Modellierung des Principal-Agent-Ansatzes, die auch spieltheoretischen Ansätzen ein weites Feld eröffnet, stehen die Schwächen der Beibehaltung der Annahmen perfekter Rationalität und geringer sonstiger Transaktionskosten gegenüber. Sie kontrastiert mit dem zunächst wenig formalen Ansatz Williamsons, was auf die erstaunliche konzeptionelle Spannweite der NIÖ hinweist.
Die NIÖ greift wie erwähnt auch auf die klassischen Forschungsfelder der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Rechtswissenschaft über und gelangt hierbei zu durchaus konturierten, wenn auch kontrovers diskutierten Ergebnissen (z.B. Posners These, Gesetzesrecht sei Effizienz reduzierend, Richterrecht dagegen tendenziell Effizienz fördernd). Eine besondere Rolle spielt hier der Wirtschaftshistoriker North, neben Coase ein weiterer Nobelpreisträger im Umfeld der NIÖ, der sich auch mit den weichen Faktoren wie der Bedeutung von Ideologien, mentalen Modellen und einer auf den Annahmen der NIÖ beruhenden Staatstheorie befasst (der Staat als Einkommensmaximierer im Interesse der Herrschenden durch monopolistische Preisdiskriminierung, d.h. Steuerprogression).
Kritik und Ausblick
Als Kritik wird der NIÖ entgegengehalten, der Begriff der Transaktionskosten sei zu weit gefasst und unscharf. Er erlaube keine klare Ableitung einer optimalen Governance-Struktur und eine Falsifizierung der Hypothesen, da mit etwas Phantasie alle erdenklichen Strukturen begründet werden können, auch unter Einführung neuer Variablen (z.B. Risikoaversion). So ließe sich mit Vertrauensaufbau und Unsicherheitsreduktion eine verstärkte Sozialpartnerschaft zur Senkung der Transaktionskosten gegen den Residual Claimant als in der NIÖ bevorzugte Musterlösung ins Feld führen. Ein weiterer Vorwurf besteht in der einseitigen Fixierung auf Allokationseffizienz und fast vollständiger Ausblendung der Frage der Verteilungsgerechtigkeit und der Kosten, die sozialen Gruppen, z.B. Lohnabhängigen, durch Transaktionskostensenkungen im Globalisierungsprozess entstehen (Ideologieverdacht), die nach dem Pareto-Kriterium eigentlich zu kompensieren wären.
Auch mag man sich fragen, ob sich die Führung von Mitarbeitern praktisch auf der Grundlage der Opportunismusannahme (Opportunismus) betreiben lässt, da intensives Überprüfen (Monitoring) die intrinsische Arbeitsmotivation einschränkt. Unzulängliche Einseitigkeit wird auch am Staatsmodell (steuermaximierender Herrscher) kritisiert, das den Kern westlicher Demokratien völlig verfehle und etwa in der Ideologien und Religion nur die Funktion ihrer Vereinfachung von ökonomischen Tauschvorgängen durch Vertrauensbildung berücksichtigt werde. Auch erliegt die ausschließliche Fixierung auf das Ziel des Wirtschaftswachstums dem Vorwurf der Einseitigkeit. Schließlich bestünden wesentliche Unklarheiten etwa in der Frage der Methodologie, wo die Ansprüche der Präzision und Vorhersehbarkeit mit Norths Diktum, dass man Institutionen nicht messen könne und nur Geschichten (Stories) über sie erzählen könne, konfligieren und selbst über so grundsätzlichen Fragen wie der, ob sich effiziente Institutionen in der Geschichte im Großen und Ganzen herausbilden (Alchian) oder nicht (North), keine Übereinstimmung herrscht.
Trotz dieser Kritikpunkte stellt die NIÖ eine wertvolle Ergänzung zwischen neoklassischer Orthodoxie und radikal alternativen Ansätzen wie der Alten Institutionenökonomik dar. Die NIÖ wird wohl auch in Zukunft aus einem weitverzweigten Netz von Ansätzen ohne paradigmatisch leicht auszumachendem Kern bestehen. Ihre Annahmen kommen der realen Welt sehr nahe (begrenzte Rationalität usw.). Selbst wenn der hohe Anspruch der Vorhersagbarkeit nicht eingehalten werden könnte, hat sich die NIÖ dennoch zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Volkswirtschaft entwickelt. Basale Konzepte, empirische Fallstudien liegen in einer Vielzahl vor. Auf die momentane Phase der Extension, d.h. der Anwendung auf alle erdenklichen menschlichen Institutionen einschließlich Sport und Religion wird sicherlich eine Phase der Vertiefung folgen müssen. Vielleicht könnte hierbei an die angedeuteten Kritikpunkte angeknüpft werden.
Vgl. auch Rechtsökonomik.
Literaturhinweise SpringerProfessional.de
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Interne Verweise
Neue Institutionenökonomik
- Agency-Theorie
- Agrarpolitik
- Alte Institutionenökonomik
- Coase
- Constitutional Economics
- Diehl
- Freiburger Schule
- Informationsökonomik
- Institution
- Institutionalismus
- institutioneller Wandel
- Konstitutionenökonomik
- Law and Economics
- New Economic History
- New Public Management (NPM)
- Opportunismus
- Ordnungsökonomik
- politische Durchsetzbarkeit
- politische Effizienz
- Transaction Cost Economies
- Verfügungsrechte