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Finanzrückversicherung

Definition: Was ist "Finanzrückversicherung"?

Sehr individuelle Ausgestaltung der Instrumente klassischer Rückversicherung. Wirtschaftliche Hauptzwecke sind die Finanzierungsfunktion (Risikofinanzierung) und die Realisierung finanz- und erfolgswirtschaftlicher Effekte (Jahresabschlusspolitik). Bilanzielle oder liquiditätsrelevante Belastungen sollen gezielt durch erfolgswirksame Zahlungen aus dem Rückversicherungsvertrag ausgeglichen und/oder auf mehrere Jahre verteilt werden (Risikoausgleich über die Zeit).

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Inhaltsverzeichnis

    1. Begriff
    2. Merkmale
    3. Ziele: 
    4. Arten
    5. Behandlung in der Rechnungslegung
    6. Historie
    7. Abgrenzungen
    8. Aktuelle Entwicklungen

    Structured Reinsurance, Non-traditional Reinsurance, Limited Risk Reinsurance, Financial Reinsurance, Finite Risk Reinsurance. Aufgrund ihrer besonderen Zielsetzungen (s.u.) wird die Finanzrückversicherung teilweise auch als Alternative Rückversicherung bezeichnet bzw. dem Alternativen Risikotransfer (ART) zugeordnet.

    Begriff

    Rückversicherung, bei der für den Zedenten die Finanzierungsfunktion (Risikofinanzierung), alternativ auch eine Kapitalanlagefunktion und die Realisierung finanz- und erfolgswirtschaftlicher Effekte (Jahresabschlusspolitik) im Vordergrund steht. Die Finanzrückversicherung ist letztlich eine sehr individuelle Ausgestaltung der Instrumente klassischer Rückversicherung. Bilanzielle oder liquiditätsrelevante Belastungen sollen gezielt durch erfolgswirksame Zahlungen aus dem Rückversicherungsvertrag ausgeglichen und/oder auf mehrere Jahre verteilt werden (Risikoausgleich über die Zeit). Deshalb haben Finanzrückversicherungen meist eine mehrjährige Laufzeit. Nach § 167 VAG ist die Finanzrückversicherung eine Rückversicherung, bei der das übernommene wirtschaftliche Gesamtrisiko, das sich aus der Übernahme sowohl eines erheblichen versicherungstechnischen Risikos als auch des Risikos hinsichtlich der Abwicklung ergibt, die Prämiensumme über die Gesamtlaufzeit des Versicherungsvertrags übersteigt (hinreichender Risikotransfer) und dabei zumindest Verzinsungsfaktoren (Zeitwert des Geldes) berücksichtigt werden oder durch vertragliche Bestimmungen sichergestellt werden soll, dass die wirtschaftlichen Ergebnisse zwischen den Vertragsparteien über die Gesamtlaufzeit des Versicherungsvertrags ausgeglichen werden, um einen gezielten Risikotransfer zu ermöglichen. Zur Klarstellung hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Juli 2008 die Verordnung über Finanzrückversicherungsverträge und Verträge ohne hinreichenden Risikotransfer (FinRVV) erlassen, die die Abgrenzung von Verträgen über eine Finanzrückversicherung konkretisiert. 

    Merkmale

    a) Der versicherungstechnische Risikotransfer auf den Rückversicherer ist begrenzt und von untergeordneter Bedeutung.
    b) Neben einem begrenzten versicherungstechnischen Risikotransfer finden auch nichtversicherungsspezifische Risiken, wie Bonitätsrisiken (Kreditrisiko), Zinsänderungsrisiken und Währungsrisiken Eingang.
    c) Verträge, die über mehrere Jahre laufen, erlauben eine Berücksichtigung des „Zeitwerts“ von Prämien und Versicherungsleistungen.
    d) Kapitalanlageerträge finden bei der Berechnung der Rückversicherungsprämien eine explizite Berücksichtigung (Cash Flow Underwriting).
    e) Die Vereinbarung eines Experience Account schafft Optionen für eine Ergebnisteilung zwischen Erst- und Rückversicherer.

    Ziele: 

    Je nach Ausgestaltung von Risikofinanzierungs- bzw. Risikotransferelementen lassen sich verschiedene Sicherheits-, finanz- und/oder erfolgswirtschaftliche Ziele verfolgen: a) Versicherung ansonsten nicht versicherbarer Risiken,
    b) Schutz des Zedenten gegen nicht primär versicherungstechnische Risiken
    c) Überbrückung von Kapazitätsengpässen und Abkoppelung von Preiszyklen in der traditionellen Rückversicherung,
    d) Optimierung von Selbstbehalten und Rückversicherungsstrukturen,
    e) Bilanzentlastung und Liquiditätsunterstützung durch Glättung von Schwankungen der schadenbedingten Zahlungsströme,
    f) Schutz der finanzwirtschaftlichen Kennzahlen, z.B. des Verhältnisses zwischen den Nettoprämien bzw. den Nettoschadenrückstellungen und den Eigenmitteln (leverage ratio),
    g) Substitution von Eigenkapital zur Verbesserung der Solvabilität (Erhöhung der Solvabilitätsmarge) und damit eine Erhöhung der Zeichnungskapazität (vgl. Surplus-Relief-Vertrag),
    h) Unterstützung bei der Finanzierung erhöhter Aufbaukosten (Abschlussprovisionen) bei neu aufgenommenen oder besonders stark wachsenden Versicherungssparten bzw. Geschäftsfeldern (Abschlusskostenfinanzierung),
    i) Unterstützung von Akquisitionen, Fusionen und Neuausrichtungen durch Absicherung von unbekannten Altschäden und damit Gewährleistung von Planungssicherheit (retrospektive Deckungsformen). 

    Arten

    a) Nach dem Zeitbezug der Deckung lassen sich Konzepte der Finanzrückversicherung in zwei Kategorien einteilen: (1) Prospektive Deckungsformen und (2) Retrospektive Deckungsformen.
    b) Je nach Gestaltung der Zahlungsströme überwiegen Vor- bzw. Nachfinanzierungselemente. (1) Bei einer reinen Vorfinanzierung seitens des Erstversicherers (vgl. Konzept des reinen Funded Cover) erfolgt eine jährliche oder einmalige Zahlung der Prämie. (2) Bei einer Nachfinanzierung zahlt der Erstversicherer die übernommenen Schadenleistungen bzw. den negativen Saldo des Experience Account über einen bestimmten Zeitraum an den Rückversicherer zurück (vgl. reiner Spread Loss Cover). (3) Häufig sind Kombinationen mit beiden Finanzierungselementen.

    Behandlung in der Rechnungslegung

    a) Verträge mit hinreichendem Risikotransfer. (1) Verträge mit hinreichendem Risikotransfer werden wie normale Rückversicherungsverträge behandelt, d.h. die Finanzrückversicherung wird innerhalb der Versicherungstechnik ausgewiesen. (2) Nach IAS/IFRS gelten die Vorschriften des IFRS 4. – b) Verträge ohne hinreichenden Risikotransfer. (1) Zwar finden die Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) für Verträge ohne hinreichenden Risikotransfer keine Anwendung. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll aber die Rechnungslegung von der aufsichtsrechtlichen Regelung unberührt bleiben. (2) Nach IAS/IFRS fallen Verträge über eine Finanzrückversicherung als Finanzinstrumente unter IAS 39 bzw. künftig IFRS 9. (3) Nach US-GAAP erfolgt die Verbuchung im Zuge des Deposit Accounting. 

    Historie

    Elemente der Finanzrückversicherung fanden bereits in den 1960er Jahren als Sonderverträge in der Rückversicherung eine erste Erwähnung. Höhe und Fälligkeit der Zahlungen seitens des Rückversicherers wurden ex ante in einem Auszahlungsplan determiniert („Structured Settlements“, z.B. Time and Distance Cover). Es erfolgte i.d.R. keine Übernahme von versicherungstechnischem Risiko. Kapazitätsengpässe auf dem traditionellen Rückversicherungsmarkt durch die Haftpflichtkrise in den USA sowie eine steigende Nachfrage nach Katastrophendeckungen zu Beginn der 1990er Jahre führten zu einem verstärkten Einsatz von Finanzrückversicherungen ohne einen oder mit nur einem sehr geringen Risikotransfer. Fehlende aufsichtsrechtliche Regelungen begünstigten eine fehlerhafte und/oder intransparente Bilanzierung. Die Finanzrückversicherung stand sodann unter dem Verdacht des Missbrauchs. Stärkere Regulierungstendenzen und strengere Bestimmungen seitens der Aufsichts- und Steuerbehörden sowie Rechnungslegungsvorschriften (insbesondere in den USA, z.B. FAS 113) führten zur vermehrten Berücksichtigung versicherungstechnischer Risikokomponenten, um die jahresabschlusspolitische Anerkennung der Finanzrückversicherung als Rückversicherungsvertrag zu gewährleisten. Zur Abgrenzung der Konzepte mit begrenztem, aber substanziellem Risikotransfer (Risikotransfertest) wurde der Begriff Finite Risk Reinsurance geprägt und häufig als Synonym für die Finanzrückversicherung verwendet. 

    Abgrenzungen

    Die Grenzen zwischen traditioneller Rückversicherung und nichttraditioneller Rückversicherung im Sinne der Finanzrückversicherung sind fließend (Blended Cover). Die Zeichnungsabsicht des Erstversicherers und der Umfang des versicherungstechnischen Risikotransfers bestimmen die Zuordnung der Konzepte. Mit Unterstützung eines Risikotransfertests wird das Ausmaß an transferiertem versicherungsspezifischem Risiko bestimmt. Verträge ohne oder mit nicht hinreichendem Risikotransfer sind bilanziell wie Finanzierungsverträge zu behandeln und entsprechend beim Erst- und beim Rückversicherer zu verbuchen (Deposit Accounting). Kommt es im Rahmen der Rückversicherung nur zu einem begrenzten Risikotransfer, kann die Aufsichtsbehörde die Anrechnung innerhalb der Solvabilitätsspanne einschränken.

    Aktuelle Entwicklungen

    Deutschland setzte mit Inkrafttreten  des 8. Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (8. VAG Novelle) zum 2.6.2007 die Europäische Richtlinie 2005/68/EG vom 16.11.2005 über die Rückversicherung ins nationale Recht um und führte gesetzliche Regelungen zur aufsichtsrechtlichen Behandlung der Finanzrückversicherung sowie zu Berichtspflichten für die Finanzrückversicherung ein (§ 121e VAG). Im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1.4.2015 wurden diese Regelungen in § 167 VAG neu gefasst. Aktuell (11/2015) bedeutsam ist ebenfalls, dass Finanzrückversicherungsverträge in den Vorschriften zu Solvency II im Rahmen der Europäische Richtlinie 2009/138/EG vom 25.11.2009 adressiert werden und die Berücksichtigung derartiger Verträge hinsichtlich der Solvenzentlastung gemäß der Delegierten Verordnung 2015/35 (EU) vom 10.10.2014 stark eingeschränkt wird.

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