Stabilisierungspolitik in einer großen offenen Volkswirtschaft
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1. Charakterisierung: In einer großen offenen Volkswirtschaft gehen von stabilisierungspolitischen Maßnahmen des Inlands neben inländischen Wirkungen auch Wirkungen auf das Ausland aus, sodass internationale Rückwirkungen entstehen. Modelltheoretisch lassen sich solche Rückwirkungen durch makroökonomische Totalmodelle großer offener Volkswirtschaften (Zwei-Länder-Modelle) abbilden. Im einfachsten Fall kann unterstellt werden, dass das Ausland eine zum Inland analoge makroökonomische Struktur aufweist. Die Modellgleichungen des Inlands, die aus dem IS-LM-Z-System (IS-LM-Z-Modell) auf der Nachfrageseite und einer Keynesschen (d.h. vom Güterpreisniveau abhängigen) bzw. neoklassischen (d.h. vom internationalen Preisverhältnis bzw. von den Terms of Trade abhängigen) Angebotsfunktion auf der Angebotsseite bestehen (Totalmodelle offener Volkswirtschaften, Nachfrageseite, Totalmodelle offener Volkswirtschaften, Angebotsseite), sind dann um entsprechende Gleichungen für das Ausland zu ergänzen. Dabei ist zu beachten, dass bei Gültigkeit der Kaufkraftparität sowie Vorliegen eines ausgeglichenen Außenbeitrages in der Ausgangslage der ausländische Außenbeitrag real gesehen bis auf das Vorzeichen mit dem inländischen übereinstimmt, da die Güterexporte bzw. -importe des Inlands gleich den Güterimporten bzw. -exporten des Auslands sind. Außerdem entsprechen die ausländischen dem Kehrwert der inländischen Terms of Trade. Ebenso wie im Fall einer kleinen offenen Volkswirtschaft (Stabilisierungspolitik in einer kleinen offenen Volkswirtschaft) kann vollkommene Kapitalmobilität unterstellt werden, sodass (bei Vernachlässigung von Wechselkursänderungserwartungen) ein einheitliches Zinsniveau in beiden Ländern herrscht. Im Unterschied zum Klein-Land-Fall wird das Weltzinsniveau bei Vorliegen einer großen offenen Volkswirtschaft durch stabilisierungspolitische Maßnahmen dieses Landes beeinflusst.
2. Expansive Fiskal- und Geldpolitik im Keynesschen Unterbeschäftigungsfall: Wir unterstellen im Folgenden ein System flexibler Wechselkurse.
a) Fiskalpolitik: Die Wirkungen, die von einer inländischen Staatsausgabensteigerung auf das In- und Ausland ausgehen, unterscheiden sich grundlegend von den entsprechenden Wirkungen im Fall einer kleinen offenen Volkswirtschaft. Im Unterschied zum Fall des kleinen Landes wird jetzt die Fiskalpolitik im System flexibler Wechselkurse effizient. Trotz des Anstiegs des Weltzinsniveaus und des daraus resultierenden Crowding-out-Effekts (Crowding-out) für die private Nettoinvestition ergibt sich in beiden Ländern eine Einkommensexpansion. Im Ausland verbessert sich der Außenbeitrag in stärkerem Maße als der Rückgang der Investitionsnachfrage, sodass sich dort das Einkommen erhöht. Die positive internationale Konjunkturübertragung, die eine expansive inländische Fiskalpolitik hervorruft, lässt sich von der monetären Seite mithilfe der Gleichgewichtsbedingung für den ausländischen Geldmarkt (der ausländischen LM-Kurve) begründen: Da der Anstieg des Weltzinsniveaus die reale Geldnachfrage (bes. die Spekulationskassenhaltung) verringert und das ausländische Geldangebot im System flexibler Wechselkurse unverändert bleibt, kann ein neues Gleichgewicht auf dem Geldmarkt nur dadurch zustande kommen, dass sich das Einkommen zusammen mit dem Preisniveau erhöht. In entsprechender Weise lässt sich auch die Einkommenssteigerung im Inland begründen. Auf dem inländischen Gütermarkt kommt es aufgrund der Zunahme des ausländischen Einkommens zu positiven internationalen Rückwirkungen im Sinne einer Steigerung der inländischen Güterexporte. Da diese im Fall des kleinen Landes nicht auftreten und außerdem die reale Aufwertung der Inlandswährung wegen des Zinsanstiegs in beiden Ländern jetzt schwächer ausfällt als im Klein-Land-Fall, dominieren im Fall der großen offenen Volkswirtschaft die expansiven Effekte auf der Güternachfrageseite, sodass sich das Inlandseinkommen erhöht.
b) Geldpolitik: Im Unterschied zu einer Staatsausgabensteigerung bewirkt eine inländische Geldmengenexpansion trotz der damit verbundenen Senkung des Weltzinsniveaus eine negative internationale Konjunkturtransmission, die wiederum mit negativen internationalen Rückwirkungen und einer im Vergleich zum Klein-Land-Fall geringeren inländischen Einkommenssteigerung verbunden ist. Die ausländische Einkommenskontraktion lässt sich mit der realen Aufwertung der Auslandswährung erklären, die zu einem stärkeren Verdrängungseffekt führt als die expansive Wirkung, die sich insgesamt aus der Senkung des Weltzinsniveaus und der Einkommenssteigerung im Inland ergibt. Der negative Einkommenseffekt für das Ausland lässt sich von der monetären Seite, d.h. anhand der ausländischen Geldmarkt-Gleichgewichtsbedingung, damit begründen, dass die durch die Zinssenkung hervorgerufene Zunahme der realen Geldnachfrage bei unverändertem ausländischen Geldangebot (im System flexibler Wechselkurse) einen Einkommens- und Preisrückgang erfordert, um wieder ein Gleichgewicht auf diesem Markt herzustellen. Die inländische Einkommenssteigerung wird somit erkauft mit einem Rückgang des ausländischen Einkommens. Die expansive Geldpolitik des Inlands stellt insofern eine Beggar-my-Neighbour-Politik (d.h. eine Politik zulasten des anderen Landes) dar.
3. Expansive Fiskal- und Geldpolitik im neoklassischen Vollbeschäftigungsfall: a) Fiskalpolitik: Bei vollkommener Lohn- und Preisflexibilität im In- und Ausland ergeben sich für beide Länder Terms-of-Trade-abhängige Güterangebotsfunktionen (Totalmodelle offener Volkswirtschaften, Angebotsseite). Da eine Steigerung der inländischen Terms of Trade (reale Aufwertung der Inlandswährung) gleichbedeutend mit einer Senkung der ausländischen Terms of Trade (reale Abwertung der Auslandswährung) ist, bewirkt eine inländische Staatsausgabensteigerung über eine Verbesserung der inländischen Terms of Trade eine Erhöhung des inländischen und gleichzeitig einen Rückgang des ausländischen Güterangebots. Im Unterschied zum Keynesschen Unterbeschäftigungsfall kommt es jetzt also bei einer expansiven inländischen Fiskalpolitik zu einer negativen Konjunkturtransmission und kontraktiven internationalen Rückwirkungen. Nachfrageseitig lässt sich die Einkommenssenkung im Ausland damit begründen, dass die Verbesserung des ausländischen Außenbeitrages, die aus der realen Abwertung der Auslandswährung und der inländischen Einkommensexpansion resultiert, schwächer ausfällt als der zinsinduzierte Rückgang der privaten Investitionsnachfrage. Auf der Angebotsseite des Auslands erhöht sich der Produzentenreallohnsatz (weshalb dort die Arbeitsnachfrage und das Güterangebot zurückgehen). Neben dem Geldlohnsatz kommt es auch zu einer (im Vergleich dazu unterproportionalen) Preissteigerung, die sich damit begründen lässt, dass die Abwertung der Auslandswährung isoliert gesehen die ausländische Güternachfrage erhöht und das ausländische Güterangebot senkt, also einen Nachfrageüberschuss erzeugt, der nur über eine Preisniveauerhöhung abgebaut werden kann. Durch die vollkommen flexible Preisanpassung nach oben fällt auch die reale Abwertung der Auslandswährung geringer aus als im Keynesschen Unterbeschäftigungsfall. Eine inländische Staatsausgabensteigerung führt dann insgesamt zu stagflationären Wirkungen (Stagflation) im Ausland, wenn dieses durch eine neoklassische Angebotsstruktur gekennzeichnet ist.
b) Eine Steigerung der inländischen Geldmenge hat dagegen weder Realwirkungen noch Preiseffekte im Ausland, da der flexible Wechselkurs das Ausland vollständig von der monetären Störung des Inlands abschirmt. Ebenso wie im Fall des kleinen Landes gilt auch im vorliegenden neoklassischen Zwei-Länder-Ansatz eine Modelldichotomie (Dichotomie des Geldes) zwischen dem monetären und realen Sektor; daher bleiben auch die inländischen Realgrößen und Relativpreise unverändert, sodass es lediglich zu proportionalen Preissteigerungen im Inland und zu einer prozentual gleich großen Erhöhung des Wechselkurses kommt.
4. In einer großen offenen Volkswirtschaft sind expansive Maßnahmen der Fiskalpolitik sowohl im Keynesschen Unterbeschäftigungsfall als auch im neoklassischen Vollbeschäftigungsfall effizient; auf das Ausland gehen dabei im System flexibler Wechselkurse positive (negative) Übertragungseffekte aus, wenn dieses ebenfalls durch eine Keynessche (neoklassische) Angebotsstruktur gekennzeichnet ist. Die Geldpolitik ist nur im Keynesschen Unterbeschäftigungsfall effizient und erzeugt eine negative Konjunkturübertragung, wenn auch im Ausland der Keynessche Unterbeschäftigungsfall gilt. Dagegen wäre die Konjunkturübertragung inländischer Geldpolitik expansiv, wenn das Ausland eine neoklassische Angebotsstruktur aufweisen würde und das Inland weiterhin durch Unterbeschäftigung gekennzeichnet ist.
Vgl. zugehöriger Schwerpunktbeitrag Makroökonomische Totalmodelle geschlossener Volkswirtschaften.
Literaturhinweise SpringerProfessional.de
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Interne Verweise
Stabilisierungspolitik in einer großen offenen Volkswirtschaft
- Konjunkturpolitik
- makroökonomische Totalmodelle geschlossener Volkswirtschaften
- monetäre Außenwirtschaftstheorie
- Neue Makroökonomik offener Volkswirtschaften, Wirkungen der Geldpolitik
- Neukeynesianisches Zwei-Länder-Modell, Wirkungen von Schocks
- Stabilitätspolitik in offenen Volkswirtschaften
- Totalanalyse offener Volkswirtschaften
- Totalmodelle großer offener Volkswirtschaften
- Totalmodelle offener Volkswirtschaften
Stabilisierungspolitik in einer großen offenen Volkswirtschaft
- Angebotsfunktion
- Außenbeitrag
- Beggar-my-Neighbour-Politik
- Crowding-out
- Dichotomie des Geldes
- IS-LM-Z-Modell
- Kaufkraftparität
- LM-Kurve
- makroökonomische Totalmodelle geschlossener Volkswirtschaften
- Rückwirkung
- Stabilisierungspolitik in einer kleinen offenen Volkswirtschaft
- Stagflation
- Terms of Trade
- Totalmodelle großer offener Volkswirtschaften
- Totalmodelle offener Volkswirtschaften, Angebotsseite
- Totalmodelle offener Volkswirtschaften, Angebotsseite
- Totalmodelle offener Volkswirtschaften, Nachfrageseite