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Wirtschaftsgeografie

Definition: Was ist "Wirtschaftsgeografie"?

Die Wirtschaftsgeografie beschäftigt sich mit der räumlichen Dimension wirtschaftlicher Prozesse und Aktivitäten. An der Schnittstelle zwischen Geowissenschaften, Geografie und Wirtschaftswissenschaften untersucht sie das Verhältnis von Wirtschaft und Raum und bemüht sich deshalb um eine Synthese von Wirtschaftsforschung und geografischer Forschung. Hierbei findet die Wirkung natürlicher Raumfaktoren auf wirtschaftliches Handeln (bzw. umgekehrt) bes. Beachtung.

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Das Original: Gabler Wirtschaftslexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Inhaltsverzeichnis

    1. Begriff
    2. Forschungsgegenstände
    3. Klassifizierung
    4. Fachliche Entwicklungs- und Forschungstraditionen

    Begriff

    Die Wirtschaftsgeografie beschäftigt sich mit der räumlichen Dimension wirtschaftlicher Prozesse und Aktivitäten. An der Schnittstelle zwischen Geowissenschaften, Geografie und Wirtschaftswissenschaften untersucht sie das Verhältnis von Wirtschaft und Raum und bemüht sich deshalb um eine Synthese von Wirtschaftsforschung und geografischer Forschung. Hierbei findet die Wirkung natürlicher Raumfaktoren auf wirtschaftliches Handeln (bzw. umgekehrt) bes. Beachtung. Daneben weisen auch Schnittstellen zu Disziplinen im weiteren Feld der Sozialwissenschaften, so z.B. im soziokulturellen Bereich, hohe Relevanz auf. Zentraler Forschungsgegenstand ist der Wirtschaftsraum in seinen verschiedenen Maßstabsebenen bzw. wirtschaftliche Aktivitäten von Akteuren in räumlicher Perspektive. Es gilt, alle vom Wirtschaftsleben ausgehenden bzw. darauf einwirkenden Interaktionen sowie Struktur- und Prozessmechanismen auf ihre Raumrelevanz hin zu untersuchen. Generelles Ziel ist es, räumliche Verbreitungs- und Verknüpfungsmuster bzw. Organisations- und Interaktionsformen, die sich aus dem wirtschaftlichen Handeln unterschiedlicher Akteure ergeben, zu erfassen und fachlich zu bewerten.

    Forschungsgegenstände

    Das Forschungsgebiet der Wirtschaftsgeografie ist heute zum größten Teil in dem weiten Überlappungsbereich zwischen Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften angesiedelt. Sowohl Forschungsmethodik als auch Fragestellungen orientieren sich stark an denen der benachbarten Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Im Einzelnen lassen sich folgende Forschungsgegenstände bzw. Aufgabenstellungen anführen:

    • Standortforschung (Standort): Analyse des Verhaltens bei der Standortwahl; Durchführung von Standortanalysen; Entwicklung von Konzepten zur betrieblichen Standortplanung; Gründungsforschung, Clusteranalysen (Cluster).
    • Regionale Strukturforschung: Erforschung der Ursachen und Entwicklung regionaler Disparitäten sowie daraus Ableitung von Maßnahmen der Regionalpolitik und Regionalentwicklung.
    • Risiko- bzw. Hazardforschung (Risiko): Untersuchung der Auswirkungen bestimmter Risikokategorien (Natural Hazards, Man-made Hazards, Social Hazards) auf einzelne Wirtschaftsräume.
    • Ressourcenforschung: Analyse der Knappheit und Verteilung von Rohstoffen und Ressourcen, ihres Einsatzes in der Wirtschaft, ihrer Regenerierbarkeit (Recycling), Erkundung und Bewertung der Gewinnungs-, Transport- und Nutzungsrisiken.
    • Internationalisierung der Wirtschaft: Untersuchung der Raumwirksamkeit von Organisationsformen und Unternehmensentscheidungen auf internationaler Ebene (z.B. internationale Verteilung von Wertschöpfungsaktivitäten, internationale Standortwahl, Außenhandels­verflechtungen, Direktinvestitionen) unter Berücksichtigung zeitlicher Veränderungen und regional differierender Einflüsse (z.B. Länderrisiken, kulturelle Faktoren).
    • Strukturwandel in räumlicher Perspektive: Der Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft; die Verschiebung des ökonomischen Schwerpunktes von der industriellen Massenproduktion hin zu flexiblen, spezialisierten Produktionssystemen; die Globalisierung wirtschaftlicher Prozesse bei gleichzeitiger Bildung regionaler Unternehmenskonzentrationen und Aufwertung regionaler Bezüge; die Ausbreitung regionaler und supranationaler Integrationssysteme (z.B. die Erweiterungen der Europäischen Union); die Transformation der Wirtschaftssysteme in den ehemaligen sozialistischen Staatshandelsländern, d.h. der Übergang von der Zentralverwaltungs- zur Marktwirtschaft; der Primat einer nachhaltigen, d.h. sozialökologischen Modernisierung der Wirtschaft.

    Klassifizierung

    Nach ihrem räumlichen Anwendungsbezug lässt sich die Wirtschaftsgeografie wie folgt unterscheiden: Die Allgemeine Wirtschaftsgeografie befasst sich mit den allgemeinen Regelhaftigkeiten und Gesetzmäßigkeiten von Wirtschaftsräumen. Theoriegeleitet versucht sie, den Nachweis räumlicher Verbreitungs- und Verknüpfungsmuster als Resultat ökonomischer Aktivitäten des Menschen und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in ihrer Raumbedingtheit bzw. Raumwirksamkeit zu erbringen. Die Regionale Wirtschaftsgeografie untersucht dagegen die spezifischen, individuellen Systemelemente und Entwicklungsmerkmale einzelner Wirtschaftsräume, die sich von der Mikro-, über die Makro-, bis hin zur globalen Ebene erstrecken können. Die Angewandte Wirtschaftsgeografie hält ein Grundlagenwissen zur Bearbeitung raumbezogener und raumfunktionaler Probleme des praktischen Lebens bereit (z.B. die Evaluierung von Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung bzw. zur Entwicklung ländlicher oder industrieller Räume) und wird - oftmals planerische und interdisziplinäre Ziele verfolgend - für außerwissenschaftliche Bedürfnisse betrieben. Nach Produktionszweigen bzw. Wirtschaftssektoren kann die Wirtschaftsgeografie in die Agrargeografie, die Bergbaugeografie, die Industriegeografie und die Geografie des Tertiären Sektors (v.a. Dienstleistungsgeografie, Handelsgeografie, Verkehrsgeografie, Freizeitgeografie, Tourismusgeografie) unterteilt werden. Die Wirtschaftsgeografie weist ferner Verbindungen zu anderen Teilbereichen der Humangeografie auf. So bestehen thematische Anknüpfungspunkte u.a. zur Siedlungsgeografie (z.B. Wirtschaftsstrukturen und Standortmuster städtischer oder ländlicher Siedlungen), zur Bevölkerungsgeografie (z.B. die Raumwirksamkeit des Arbeits- und Freizeitverhaltens einzelner Bevölkerungsgruppen) sowie zur Politischen Geografie (z.B. die Auswirkungen der räumlichen Lage einschließlich der politisch-administrativen Untergliederung von Staaten sowie deren prägenden politischen Kräfte auf die nationalen und internationalen Wirtschaftsbeziehungen). Wirtschaftsgeografische Aspekte kommen ferner auf dem Gebiet der Regional Governance zum Tragen. Thematische Beziehungen bestehen auch zu einzelnen Teilbereichen der Physischen Geografie. So weist z.B. die Agrargeografie Anknüpfungspunkte zur Klima-, Vegetations- und Bodengeografie auf. Enge Verbindungen zur Geomorphologie und Hydrogeografie gehen u.a. - neben ihren Bezügen etwa zur Geologie und Mineralogie - von der Bergbaugeografie aus, indem diese sich mit der durch bergbauliche Tätigkeiten veränderten Natur- (und Kultur-)landschaft sowie Problemen der Rekultivierung bzw. dem Flächenrecycling von Bergbauregionen befasst. Eine weitere Schnittstelle ist mit der umweltbezogenen Risikoforschung auszumachen. Denn einerseits können bestimmte wirtschaftsräumliche Nutzungsentscheidungen (z.B. ein exponierter Industrialisierungsdruck oder der Einsatz spezifischer Technologien in stark naturgefährdeten Regionen) eine Ursache bzw. Verstärkung der Gefahr durch länder- bzw. regionsspezifische Naturrisiken darstellen. Andererseits beschäftigt sich die Wirtschaftsgeografie auch mit der Erfassung und der Analyse der regionalwirtschaftlichen Auswirkungen von Naturgefahren.

    Fachliche Entwicklungs- und Forschungstraditionen

    Im Rahmen der wirtschaftlichen Länderkunde versteht sich die Wirtschaftsgeografie bis ins 19. Jh. als Wirtschaftskunde der Staaten auf der Grundlage des funktionalen Ansatzes. Sie versucht, wirtschaftliche Grundfunktionen in ihren räumlichen Strukturen und Prozessen abzubilden. Wirtschaftsgeografische Forschung reichte i.d.R. zunächst nicht über eine deskriptiv ausgerichtete Empirie hinaus. Im raumwirtschaftlichen Paradigma (raumwirtschaftlicher Ansatz, Raumwirtschaftslehre) stehen nicht mehr die länderspezifische Wirtschaftskunde und die Beschreibung von Wirtschaftslandschaften, sondern die wissenschaftlich fundierte Erklärung der räumlichen Verteilung und funktionalen Verflechtungen einzelner Elemente (z.B. Standortstrukturen, Handelsbewegungen, Unternehmenskonzentrationen), die aufgrund räumlicher Gesetzmäßigkeiten aufgezeigt, erklärt und bewertet werden sollen, im Mittelpunkt. Der Raum wird zumeist als Kostenfaktor betrachtet, wodurch ökonomische Theorien in die Wirtschaftsgeografie integriert werden (z.B. Industriestandorttheorie, Thünen-Modell, System zentraler Orte). Das unterstellte Menschenbild ist stets der Homo oeconomicus. Kritisiert wird an dieser Richtung der Wirtschaftsgeografie, dass Räume als Untersuchungsobjekte quasi personifiziert und zu Akteuren gemacht werden, während sozial- und verhaltenswissenschaftliche Parameter weitgehend ausgeblendet bleiben. Eine Gegenposition stellt die New Economic Geography dar, die sich durch Kritik und zunehmende Komplexität in der Untersuchung ökonomischer und sozialer Prozesse gegenüber dem raumwirtschaftlichen Ansatz legitimiert. Im Gegensatz zum raumwirtschaftlichen Ansatz rücken im handlungs- und akteursorientierten Ansatz die Akteure (z.B. Individuen, Unternehmen, Organisationen) in den Fokus der Betrachtung, indem ihr Handeln als Ursache für räumliche Strukturen anerkannt wird. Das Ziel der rein-deterministischen Theorie- und Modellbildung wird zugunsten der Anschauung, dass das Handeln menschlicher Akteure nicht gesetzmäßig beschrieben werden kann, aufgegeben. Als Menschenbild des ökonomisch Handelnden wird der Satisfizer unterstellt. Ein jüngerer Ansatz ist die relationale Wirtschaftsgeografie. Dabei wird ökonomisches Handeln nicht als abstraktes, sondern als soziales, in konkrete Strukturen eingebundenes Handeln (Embeddedness) gesehen. Es werden nicht mehr isoliert räumliche Strukturen, sondern akteursgebundene Aspekte in räumlicher Perspektive, wie z.B. ökonomische Innovationen, unternehmensübergreifende Organisationsformen und Prozesse des kollektiv-institutionellen Lernens, analysiert.

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    Schamp, E. : Raum, Interaktion und Institution: Anmerkungen zu drei Grundperspektiven der deutschen Wirtschaftsgeographie
    47. Jg., Nr. 3/4, 2003, S. in: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie, S. 145-158

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